Artikel aus der Nürnberger Zeitung vom 30. November 1999.
 



 
 
   
Erkenntnis von 200 Bahnbefürwortern bei „Horber Schienen-Tagen":
Fehlleistungen auf hohem Niveau
Von unserem Redaktionsmitglied ROLF SYRIGOS

HORB (NZ). - Rund 200 Vertreter von Organisationen pro Schienenverkehr aus dem ganzen Bundesgebiet haben sich zu den „17. Horber Schienen-Tagen" in der Kleinstadt Horb am Neckar getroffen. Vier Tage lang befassten sie sich mit dem Thema „Vorrang für die Schiene? - Perspektiven für die Schiene in der Wettbewerbsgesellschaft". Die NZ beleuchtet in einem Report einige Aspekte des Bahn-Marathons.

„Wer England gesehen hat, der weiß: Wir sollten auf unseren Bahngleisen so weiterfahren, wie wir es jetzt tun, wenn wir auch bei uns einen Marktanteil von zwei bis drei Prozent für die Schiene haben wollen!" Werner Schreiner, Geschäftsführer des Zweckverbands Schienenpersonennahverkehr Rheinland-Pfalz-Süd, ist als Mann deutlicher Worte auch über die Grenzen seines Aufgabenbereichs hinaus bekannt, wenn es darum geht, das Konzept „Mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene" bürgernah umzusetzen.

 Schreiners Erfolgsbilanz: Von 1994 bis heute wurden neun stillgelegte Bahnstrecken mit 104 Kilometern Gleislänge und 31 Bahnhöfen reaktiviert, 300 000 Zugkilometer im Jahr aus Regionalisierungsmitteln des Landes bezahlt, der Wagenpark gründlich renoviert und landesweit der Rheinland-Pfalz-Takt auf Schiene und Straße eingeführt. Das Verkehrsangebot nahm dadurch um 40, die Zahl der Fahrgäste gar um 80 Prozent zu.

 Der Erfolg hätte noch größer sein können, ist sich Schreiner sicher und bemerkt süffisant: „Wir haben das alles erreicht, obwohl DB-Netz seine Mitarbeiter durch die Vorgesetzten bedroht hat, wenn sie uns geholfen haben." Doch dies seien vergleichsweise noch „Peanuts" bestätigen Nahverkehrsplaner und -besteller aus dem gesamten Bundesgebiet unter Hinweis auf das eigentliche interne Problem der Bahn: „Die Bahn AG ist systematisch suboptimiert und immer weiter spezialisiert bis hinauf in die Zentrale", berichtet Schreiner unter dem Beifall seiner Kollegen. Mit „Taschenspielertricks auf hohem Niveau" wie etwa gegenseitigem Rechnungschreiben der DB-Konzernfirmen untereinander blockiere die Bahn-AG anderweitig erzielte Fortschritte.

 Mit einem Blick auf die agile Straßenbau-Lobby bis hinein in die Regierungen wie etwa Bayerns Innenminister Günther Beckstein warnte Schreiner die in Horb versammelte Expertenrunde: „Wir werden langfristig weniger Bahn haben, denn die Politiker haben sich aus diesem Bereich längst verabschiedet, weil sie vom Markt träumen."

Euphorie ist verflogen

Obwohl dringender Handlungsbedarf bestehe - weil sowohl der Güter- (DB-Cargo) als auch der Fernverkehr (DB-Reise & Touristik) pleite gehen würden - wolle kein Politiker handeln, sprach Schreiner den Schienen-Befürwortern aus der Seele. Sein niederschmetterndes Fazit: „Nach kurzer euphorischer Phase beim Schienenpersonen-Nahverkehr wird bald ein neues tiefes Tal kommen."

 Aber nicht nur die Noch-Staatsbahn wurde durch diesen politischen (Un)Willen in die ausweglose Situation manövriert. Auch in der Schienenfahrzeugindustrie sind die Krisensymptome unübersehbar, wie etwa die aktuelle Situation bei Adtranz nicht nur in Nürnberg zeigt. Bei der Qualität der gelieferten Fahrzeuge und beim Service seien Mängel an der Tagesordnung, berichten unisono Vertreter der Anwenderseite. Über die nur zum Teil allgemein bekannten technischen Probleme hinaus gebe es unglaubliche Vorfälle, die den Firmen alles andere als Ruhm einbrächten.

 So wurde etwa die Bitte um Übersendung der technischen Beschreibung eines Zugsicherungssystems in französischer Sprache mit dem Papier in Deutsch und dem Zusatz beantwortet: „Bitte selbst übersetzen, dafür haben wir kein Personal." Und die gleiche Firma Adtranz musste sich fünf Mitarbeiter der privaten Erfurter Industriebahn auf Lohnbasis ins Stammwerk nach Hennigsdorf holen, um deren Auftrag über fünf Triebwagen sachgemäß und pünktlich erfüllen zu können.

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