Dieser Bericht erschien in der Ausgabe Dezember 1999 der PRO BAHN Post. Autor und verantwortlich für den Inhalt des Textes ist Dr. Michael Werner.



 

17. Horber Schienen-Tage

Kurt Bielecki lebt!

Die Sorge war unter den Teilnehmern verbreitet: Was wird aus den Schienen-Tagen, wenn der Gründer und Leiter Kurt Bielecki nicht mehr lebt und in ihren Kreisen fehlt? Können sie ohne ihn überhaupt weitergehen? Oder wird vielleicht eine bedrückte Trauerrunde daraus?

Nein; Rudi Barth sagte bei der Schlußsitzung: "In diesem Jahr fehlte Kurt Bielecki körperlich; geistig war er (...) anwesend." Das traf es gut. Man hatte den Eindruck, Bielecki müsse nur gerade zu einem Interview im Vorraum sein, es ging weiter mit ihm nebenan - in seinem Geist. Und auch die bekannten langen Abende verliefen in einer Stimmung, als säße er gerade eben in einer anderen Kneipe. Jetzt weiß jeder: Es geht weiter. Denn es gibt viel zu viel zu tun, um Kurt Bieleckis Lebenswerk aufzugeben. Die Bahn braucht ihn, auch nach seinem leiblichen Tod, und das spürten alle als Verpflichtung. Wir werden sein Vermächtnis weitergeben.

Der Auftakt war die Exkursion, die dieses Mal auf den Anfang verlegt war. Ein Sondertriebwagen der neuesten Bauart DT 8.10 holte ungefähr 60 Gäste im Untergeschoß des Stuttgarter Hauptbahnhofs ab und fuhr zur vorläufigen Endhaltestelle Heumaden. Von dort brachte ein Gelenkbus alle weiter zur Besichtigung mehrerer Baustellen der Verlängerung nach Nellingen, die im Herbst 2000 in Betrieb gehen soll. Zurück und über eine Betriebsschleife, die im Plandienst nicht befahren wird, war ein Zwischenziel der Betriebsbahnhof in Möhringen, durch dessen Gelände der Zug geleitet wurde. Hier gab es Erklärungen über das Fahrzeug. In Stuttgart-Vaihingen übernahm ein ET 420 (S-Bahn) den Dienst, der als erstes Fahrzeug seiner Gattung den Bahnhof Horb erreichte. Innen versorgte freundliches Personal die Gäste mit Sekt und Häppchen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, mit einem solchen Zug so lange ohne Zwischenhalt durchzufahren...

Der Eröffnungsabend war der Besinnung gewidmet. Christof Bielecki, der Sohn des Gründers der Veranstaltung, sprach im Gedenken an den Verstorbenen, bewegend, aber nicht sentimental, aus dem Abstand, der auch Anekdoten wieder erlaubt, und Andreas Kleber erinnerte sich an seinen engen Freund. Danach schwenkte das Gleis nahtlos und wie von selbst wieder in die Horber Schienen-Tage ein, wie man sie seit sechzehn Runden kennt. Die Tagung ist längst ein Selbstläufer geworden, wie sich zeigte.

Vorgegeben war das Leitthema "Wettbewerb"; zwischen Anbietern, gefordert durch die EU-Regeln zur Ausschreibung von öffentlichen Verkehren, Wettbewerb aber doch wieder vor allem zwischen Schiene und Straße. Ferdinand Rohrhirsch von der Katholischen Universität Eichstätt sprach aus der philosophischen Sicht über die Wettbewerbsgesellschaft; einerseits die Chance für den Menschen, sich durch Leistung zu bewähren und vom gesellschaftlichen Stand durch Geburt zu befreien, andererseits der Zwang, wenn Wettbewerb zum Selbstzweck wird. Wie der Wettbewerbsgedanke in die Ausschreibungen umgesetzt wird, stellte am Beispiel Thüringen Otto Mayer dar, und auf ihn beriefen sich mehrere nachfolgende Redner, die eigene Erfahrungen beitrugen. Der Bahnbetrieb darf gern privat sein; gemessen wird allein am Ergebnis, und Wettbewerb, richtig gehandhabt, kann eine Chance für den Fahrgast werden.

Zum zweiten roten Faden wurde die Forderung, das Netz müsse öffentliche Aufgabe bleiben. Die Sabotage dieses Geschäftsbereichs (wenn auch politisch durch die "schwarze Null" extern erzwungen) ist inzwischen ein so großes Ärgernis geworden, daß niemand mehr an ein zugleich privat betriebenes und doch brauchbares Eisenbahnnetz glaubt. Eberhard Happe, Urgestein der HST, brachte im 1000. Vortrag seit Bestehen des Treffens den historischen Rückblick auf die mühsame Verstaatlichung der deutschen Bahnen im 19. Jahrhundert, und man staunte über die Parallelen mit dem heutigen Zustand.

Der zweite Spezialist für Selbst-Demontage ist der Güterverkehr, und auch dieses Jahr war er wieder ein Ärgernis. Man kann einem privaten Unternehmen nicht verbieten, daß es sich auf ein Kerngeschäft (Ganzzüge) zurückzieht; aber es ist nicht vertretbar, wenn es als Monopolist allein mit Rabatt das Rest-Netz benutzen darf und alle Mitbewerber am Zugang behindert sind. Hier muß der Wettbewerb erst hergestellt werden, damit der Güterverkehr überlebt.

Über Lärmschutz sprachen Gunther Ellwanger (UIC) im Sinne einer Umschau, was international geschieht, und Hans Onnich über neue Forschung auf diesem Gebiet. Sobald die Texte im Ergänzungsband der Tagungsvorträge vorliegen, wird die PRO BAHN-Post das Thema aufgreifen und vertiefen.

Als Gast stellte Andrzej Massel aus Polen die Misere seines Heimatlandes vor: Dort zwingt der verrottete Zustand der völlig vernachlässigten Bahn derzeit zu einer Stillegungslawine, und die übrigen HSTler kommentierten in dem Sinne, in Polen geschieht das Gleiche wie bei uns, nur etwas schneller.

Ohne Vorträge unterschwellig und vor allem in Pausen und Nachsitzungen ging das Gespräch über Komfort um, Ansprüche und Wirklichkeit, Sitzanordnungen, Sichtbedingungen, Klimaanlage ja und nein.

Zum Glück fehlten auch nicht die Hoffnungsschimmer: Erfolgsberichte aus Baden-Württemberg (Schnaitmann) und Rheinland-Pfalz (Schreiner, gleich zweimal).

Natürlich ist dies eine zufällige Auswahl, nicht um die erwähnten Redner hervorzuheben; das Programm war wieder dicht und hochwertig.

Zum ersten Mal geschah Arbeit in parallelen Gruppen, weit in die Nacht hinein: Fahrzeuge in der bewährten Gruppe, Integraler Taktfahrplan, ÖV in der Fläche unter Wettbewerbsbedingungen, Güterverkehr. Aus der Arbeit der zuletzt genannten Runde entstand gleich eine Pressemitteilung des Inhalts, daß die Teilnehmer der Schienentage eine Schwerverkehrsabgabe fordern, nicht, um den Spediteuren zu schaden, sondern um Wettbewerbsgleichheit herzustellen.

Auch zum ersten Mal gab es eine zweite organisierte Exkursion am Sonntag zum Abschied. Gerhard Schnaitmann führte in Planzügen über die Ammer- und Ermstalbahn, zum zweiten Mal nach einem Jahr und jeweils nach der Reaktivierung. Es war ein versöhnlicher Abschluß: Auch so geht es.

Die Stadt Horb hatte die Organisation für Unterbringung und Verkehr übernommen, und schon beim ersten Anlauf gelang sie überzeugend. Das Namensschild war der Fahrausweis für Busse und Anruf-Sammel-Taxi, und jeder kam verläßlich zum Feuerwehrhaus und zu seinem Quartier. Zu den 18. Horber Schienen-Tagen ist bereits eingeladen. Sie werden weitergehen. Und sie werden weiter gebraucht. Sie sind mit viel Arbeit verbunden; allen, die sie leisten, dem Organisationsteam (Rudi und Andi Barth, Christina und Andreas Brock), dem Oberbürgermeister und den Mitarbeitern der Stadt Horb vielen Dank.

Michael Werner
 


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