Reutlingen / 05.07.2002

Stadtbahn: Eine faszinierende Vision

Reutlinger Gemeinderäte reagieren beeindruckt bis skeptisch auf Planungen für Stadt und Region

Von Holger Dahlhelm

Reutlingen. (GEA) »Es ist faszinierend, wie aus Visionen Realitäten werden.« So kommentiert die Grünen-Stadträtin Heide Schnitzer, was das Hannoveraner Ingenieurbüro Transtec im Auftrag des Regionalverbandes Neckar-Alb ausgetüftelt hat: ein Stadtbahn-Konzept für Alb und Vorland, das von Rottweil bis Plochingen, von Herrenberg bis Sigmaringen den öffentlichen Personennahverkehr revolutionieren könnte. Nicht alle Ratskollegen mögen ihren Optimismus und ihre Begeisterung jedoch teilen.

Gemischte Reaktionen also, als Transtec-Ingenieur Dr. Volker Stölting im Reutlinger Bau-, Verkehrs- und Umweltausschuss die Studie vorstellte. Die erkennbaren Zweifler nannten vorwiegend zwei Gründe. Der eine: Ein solches Stadtbahn-Netz (ergänzt durch optimierte Buslinien) zu knüpfen wird Hunderte Millionen Euro verschlingen - selbst, wenn es bestehende Schienenstrecken mitnutzt und alte Trassen wieder in Betrieb nimmt, beispielsweise über Ohmenhausen und die Härten nach Gomaringen und weiter nach Mössingen oder durchs Echaztal bis hinter Pfullingen - möglicherweise bis hinauf nach Engstingen, wie einst die Zahnradbahn.

Wenn überhaupt - wann?

»Wenn überhaupt - dann wann?« Auf Fragen nach dem Zeitpunkt einer möglichen Realisierung mussten Inge Villforth (CDU) und andere Stadträte hören, dass die Ausarbeitung der Pläne und ihre schrittweise Verwirklichung auf jeden Fall Jahrzehnte dauern würde. Andererseits aber könnten die Städte und Gemeinden der Region durch eine solche Studie heute schon wichtige Hinweise erhalten, ihren ÖPNV - oft mit geringen Aufwand - teilweise zu verbessern, machte Regionalverbands-Direktor Dieter Gust geltend.

Stadtbahn
Eine Vision - nach Ansicht der Ingenieure von Transtec aber realisierbar: Eine Stadtbahn soll die großen Orte der Region Neckar-Alb verbinden. In Reutlingen könnte sie - wie auf dieser Fotomontage - vom Hauptbahnhof über die Gartenstraße nach Pfullingen und durchs obere Echaztal, ja eventuell sogar bis auf die Alb rollen, auf den Spuren der alten Zahnradbahn.
GEA-Fotomontage: hd
 

Gust wies auch daraufhin, dass solche Projekte mit umfangreicher öffentlicher Förderung rechnen dürfen. Allein im Jahr 2000 haben nach seinen Worten Bund und Länder 200 Millionen Mark in vergleichbare ÖPNV-Vorhaben gesteckt. Speziell in Reutlingen sind aus demselben Topf bisher schon die Maßnahmen zur Bus-Beschleunigung bezuschusst worden, erläuterte Roland Würth vom Tiefbauamt. Dazu gehören Extraspuren wie in der Alteburg- und Rommelsbacher Straße oder Funksysteme, die Bussen an Ampeln Vorfahrt verschaffen.

Im Detail problematisch

Neben den Kosten waren es die Details einer solchen Planung, die im Reutlinger Ratsausschuss Stirnrunzeln hervorriefen. Sollte es tatsächlich möglich sein, die Stadtbahn vom Hauptbahnhof aus (Knotenpunkt mit DB-Zügen und RSV-Bussen) durch die Garten- und Albstraße zum alten Südbahnhof zu führen (Anschluss nach Eningen per Bus) und weiter nach Pfullingen und ins obere Echaztal rollen zu lassen?

Die Gartenstraße - beispielsweise - sei doch viel zu schmal für Autos und Straßenbahnen gleichzeitig, lauteten besorgte Einwände, nicht nur von Ursula Menton (Freie Wähler), selbst ortskundige Anliegerin. Transtec-Planer Volker Stölting verteidigte diese Trasse: Würde eine Stadtbahnlinie nach Pfullingen weiter nach Norden gelegt, eventuell sogar auf die frühere Trasse jenseits von Charlottenstraße und Stadtgarten, wären ihre Haltestellen viel zu weit weg für Menschen, die in der Kernstadt etwas zu erledigen haben oder zu Hause sind.

Fahrgastzahlen berechnet

Baubürgermeisterin Ulrike Hotz schnitt die Diskussion über solche Details ab: »Wir sind ganz am Beginn der Diskussion, es ist nichts fest geklopft.« Über den Sommer sollen derartige Probleme herausgeschält und ab Herbst in den kommunalpolitischen Gremien erörtert werden. Eine bestimmt langwierige Angelegenheit, denn schließlich müsse ein solches ÖPNV-Konzept »in die Stadtentwicklung eingepasst werden, sonst macht's keinen Sinn«.

Die Transtec-Planungen erstrecken sich über die ganze Region (vergl. GEA vom 22. Juni) und sind bereits im Regionalverband und Kreistag vorgestellt worden, wo Landrat Edgar Wais sie ein »gigantisches Investitions-Programm« nannte. Nächster Schritt ist eine Abschätzung der Betriebskosten und Einnahmen.

Mögliche Fahrgastzahlen hat die Transtec schon kalkuliert. Auf der Linie Reutlingen - Tübingen gelten täglich 20 000 Personen und mehr als sicher. An zweiter Stelle liegt der Abschnitt Reutlingen - Pfullingen mit 15 000 Benutzern. Bei einer Anbindung auf die Alb könnten auch weiter oberhalb täglich bis zu 11 000 Personen die Züge füllen. Selbst zwischen Reutlingen und Ohmenhausen würden attraktive Stadtbahn-Fahrpläne um die 6 000 Fahrgäste anlocken. Diese Daten haben die Verkehrsplaner auf der Basis der heutigen Benutzerzahlen für das Jahr 2010 hochgerechnet.

Neben den denkbaren Stadtbahn-Verbindungen über Ohmenhausen und Gomaringen nach Mössingen sowie durchs obere Echaztal (möglicherweise bis auf die Alb und weiter nach Burladingen mit Anschluss an die Hohenzollersche Sigmaringen - Hechingen und über Münsingen nach Schelklingen) untersucht die Studie im Kernbereich Reutlingen einige weitere Punkte. Dazu gehören auch verbesserte Verbindungen zwischen Bad Urach (Endpunkt der Ermstalbahn) und Münsingen, mutmaßlich aber weiterhin nur per Bus.

Wenigstens die Grünen-Stadträtin Heide Schnitzer war bei der Vorstellung der Konzeption voll Optimismus: Bisher hätten alle nur nachsichtig gelächelt über die Vorstellung, in Reutlingen könnten je wieder Straßenbahnen fahren. Vor gut 25 Jahren waren die letzten Linien stillgelegt worden. In seiner Glanzzeit hatte das Straßenbahnnetz vom Neckar bis nach Eningen und Pfullingen gereicht und in Reutlingen mitten durch die Wilhelmstraße geführt.

Reutlinger General-Anzeiger