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Realisierung der Stadtbahn Glatttal bis 2010  / PDF-Version / RTF-Version

Bahn, Tram und Stadtbahn  / PDF-Version / RTF-Version
 

Artikel vom 26. Januar 2002

Realisierung der Stadtbahn Glatttal bis 2010 

652 Millionen für Schienen- und Strassenbauten 

Die Regierung beantragt dem Kantonsrat zulasten des Fonds für den öffentlichen Verkehr einen Staatsbeitrag von 555 Millionen Franken zur etappenweisen Realisierung der Stadtbahn Glatttal. Für damit im Zusammenhang stehende Massnahmen auf dem Strassennetz mit Anpassungen bei den Velowegen sollen aus allgemeinen Staatsmitteln 97 Millionen bewilligt werden. Die Vorlage unterliegt dem fakultativen Referendum. 

bd. Nach langen Vorbereitungsarbeiten unterbreitet die Regierung ihre Anträge für den Bau einer Stadtbahn in der Region mittleres Glatttal.

An einer Medienkonferenz in Zürich bezeichnete Volkswirtschaftsdirektor Ruedi Jeker die geplante Kombination von Projekten des öffentlichen und des privaten Verkehrs als in diesem Umfang neu. Von besonderer Bedeutung sei die systematische Abstimmung von Verkehrs- und Siedlungsplanung. Damit werde ein Stück Gesamtverkehrskonzeption Wirklichkeit.

Drei Etappen 

Andreas Flury, Direktor der Verkehrsbetriebe Glatttal, hob hervor, dass die viertgrösste Stadt der Schweiz ein leistungsfähiges öffentliches Verkehrssystem brauche. Die 12,7 Kilometer lange Stadtbahn soll mit ihren 20 Haltestellen die angeschlossenen Gemeinden und 6 S-Bahn-Stationen mit 10 S-Bahn-Linien verknüpfen. In der ersten, 100 Millionen Franken kostenden und bis im Dezember 2005 fertig zu stellenden Etappe führt sie von der Haltestelle Messe/Hallenstadion über Ambassador bis Auzelg. Ein nächster, zwei Jahre später folgender Schritt für 218 Millionen Franken soll die Abschnitte bis Flughafen Fracht und eine Verbindungslinie in der Fries-/Binzmühlestrasse bringen. Auf Ende 2009 geplant ist die dritte, 237 Millionen Franken erfordernde Etappe Auzelg-Wallisellen-Bahnhof Stettbach. Mindestens in den ersten Phasen soll der Betrieb den Verkehrsbetrieben Zürich (VBZ), die ihre Tramlinien 10 und 11 verlängern, übertragen werden.

Für das Stammnetz der Stadtbahn Glatttal werden 537 Millionen und für eine zusätzliche Verbindung zwischen der Thurgauerstrasse und der Haltestelle Bahnhof Oerlikon Nord 18 Millionen Franken benötigt. Die Etappierung hat die Regierung auf Grund der gegenwärtigen finanzpolitischen Rahmenbedingungen und der konjunkturellen Entwicklung beschlossen. Kurzfristig freigegeben werden sollen die Mittel für die erste Phase. Später wird auf die Siedlungsentwicklung abgestellt. Jeker nannte das Glatttal die wirtschaftlich dynamischste Region und das zweitgrösste Arbeitsplatzgebiet des Kantons. Selbst in den neunziger Jahren seien hier noch neue Stellen geschaffen worden, und die Verkaufsfläche habe überproportional zugenommen. Ausdruck der anhaltenden Entwicklung seien umfangreiche Überbauungsprojekte in Zürich Nord, im Gebiet Leutschenbach, im Oberhauserriet, in Glattbrugg West und im Richti-Areal in Wallisellen. Der kurzfristige Rückgang im Luftverkehr ändere am mittel- und langfristigen Entwicklungstrend nichts.

Verlagerung auf den öffentlichen Verkehr 

Laut dem kantonalen Richtplan von 1995 soll die Siedlungsentwicklung konzentriert nach innen erfolgen und schwerpunktmässig auf den öffentlichen Verkehr ausgerichtet werden. Im mittleren Glatttal bestimmt der Richtplan Zürich Nord, Kloten - Opfikon und Wallisellen als Zentrumsgebiete. Zwischen der Stadt Zürich und dem mittleren Glatttal werden heute rund 260 000 Fahrten pro Tag gezählt, was in den Spitzenstunden regelmässig Staus bewirkt. Davon sind die öffentlichen Busverbindungen mit ihren Anschlüssen ebenfalls betroffen. Die Feinerschliessung durch die Stadtbahn soll dazu beitragen, den Marktanteil des öffentlichen Verkehrs bis 2010 vor allem im stark wachsenden Zupendlerverkehr von heute 27 auf 45 bis 55 Prozent zu steigern.

Flury unterstrich, dass die Stadtbahn zur Förderung der Wirtschaft und der Lebensqualität im Glatttal beitrage und durch ihr Erscheinungsbild den Raum präge. Die Projektierung sei eine interdisziplinäre Herausforderung. Von den Haltestellen, die neue Orientierungspunkte schafften, gingen starke Impulse für die Stadtentwicklung aus. Das Projekt wird im Auftrag des Zürcher Verkehrsverbunds durch die Verkehrsbetriebe Glatttal (VBG) geleitet. Die Präsidenten der Standortgemeinden haben im Verwaltungsrat der VBG Einsitz und beaufsichtigen die Projektarbeiten in einem Verwaltungsratsausschuss. Besonders betroffene Grundeigentümer wurden periodisch einbezogen und wichtige Schlüsselstellen mit dem Instrument sogenannter Masterpläne bearbeitet. Die Infrastrukturkonzession hat der Bundesrat im März 2001 erteilt. Beim Bundesamt für Verkehr soll demnächst das Gesuch um Einleitung des Plangenehmigungsverfahrens eingereicht werden. Den Landerwerb hofft man freihändig durchführen zu können.

Kein Wort über das «Cobra» 

Der Staatsbeitrag von 555 Millionen Franken für die Stadtbahn wird dem Fonds für den öffentlichen Verkehr entnommen, der nach geringen Einlagen in den neunziger Jahren zurzeit allerdings nur über einen Bestand von 77 Millionen verfügt und somit stärker geäufnet werden muss. In den 555 Millionen sind zulasten des öffentlichen Verkehrs Anpassungsarbeiten an Strassen, Plätzen und Wegen von 91 Millionen inbegriffen. Gemeinden und Private müssen für die gute Erreichbarkeit der Haltestellen und Werkleitungen 80 Millionen tragen. Die Finanzierung des Rollmaterials durch den Betreiber soll in der Regel über Bankkredite erfolgen. Die Zinsen und Abschreibungen werden mit den übrigen Betriebskosten durch den Verkehrsverbund entschädigt. Der Kostendeckungsgrad soll 60 bis 70 Prozent betragen. Die zusätzlichen Betriebskosten werden auf 18,3 Millionen und die Erlöse auf 11,6 Millionen geschätzt, so dass eine Verschlechterung des Verbundergebnisses um 6,7 Millionen Franken resultiert. Der Fehlbetrag ist durch den Kanton und die Gemeinden zu übernehmen.

Beim Rollmaterial blieb das Stichwort «Cobra» unerwähnt. Es sollen die modernsten zur Verfügung stehenden Fahrzeuge eingesetzt werden. Da noch Zeit bleibt, könnten sich die Waggonbauer «am Riemen reissen», wie Jeker bemerkte.

Umfangreiche Anpassungen des Strassennetzes 

ark. Als «quasi eheähnlichen Zustand zwischen Schiene und Strasse» bezeichnete Volkswirtschaftsdirektor Ruedi Jeker an der Medienkonferenz den parallelen Ausbau von öffentlichem und privatem Verkehr im mittleren Glatttal. Da die Stadtbahn mit ihrem Trassee an mehreren Stellen bestehenden Strassenraum beansprucht, müssen Strassenabschnitte neu gebaut, angepasst oder ausgebaut werden. Dies sei die Voraussetzung, um die Leistungsfähigkeit des bereits überlasteten Strassensystems nach dem Bau der Stadtbahn zu erhalten, sagte Kantonsingenieur Georg Pleisch. 

Es sind vier Schwerpunkte, wo zur Integration der Stadtbahn in das bestehende Strassensystem grosse Veränderungen nötig sind. Zwischen den Stationen Ambassador und Stelzen, westlich des Oberhauserriets, werden die bisher acht Fahrstreifen (Thalacker, Thurgauer- und Güggelfeldstrasse) auf deren vier mit zusätzlichen Abzweigspuren reduziert; je zwei links und rechts des Stadtbahn- Trassees. Fussgänger und Velofahrer erhalten separate Spuren, die mit Baumreihen vom Autoverkehr abgegrenzt sind (NZZ 11. 9. 01). Südlich des Oberhauserriets wird auf der Strecke zwischen Ambassador und Auzelg entlang des Katzenbachs eine Verlängerung der Aubruggstrasse erstellt. Strasse und Trassee sollen dereinst einen «einheitlichen Verkehrsraum» und damit die zentrale Achse des neuen Stadtraums Oberhauserriet/ Leutschenbach bilden, sagte der Kantonsingenieur. Auch hier ist ein Radweg geplant. Ausserdem wolle man den Katzenbach revitalisieren und Altlastenflächen sanieren.

Einige Probleme bescherte den Planern die Lösung im Bereich der stark befahrenen Flughofstrasse - das Verkehrsaufkommen beträgt 25 000 Fahrzeuge pro Tag - in Glattbrugg. Durch den Einbau des Stadtbahntrassees wird sie zur Einbahnstrasse. Für den Durchgangsverkehr muss deshalb die Birchstrasse von der SBB-Unterführung in Glattbrugg bis in den Bereich der Station Balsberg verlängert werden. Etwas anders löst man die Probleme in Dübendorf, wo die Stadtbahn laut Pleisch «nur unter Auflagen Asyl erhielt». Das Konzept sieht für das stark beanspruchte Gebiet Hochbord/Ringstrasse neu eine rückwärtige Erschliessung vor. Deshalb muss die Brücke über die Glatt verbreitert und der Knoten Sonnental ausgebaut werden.

Für die Massnahmen auf dem Strassennetz beantragt der Regierungsrat 97 Millionen Franken, wobei Pleisch davon ausgeht, dass sich rund 17 Millionen Franken auf Dritte - in erster Linie Gemeinden - überwälzen lassen. Weil diese Beiträge noch nicht rechtskräftig zugesichert sind, bezieht sich der Kreditantrag auf den Bruttobetrag. Da der aus Motorfahrzeug-Steuern gespeiste kantonale Strassenfonds verschuldet ist, müssen die erwähnten Mittel dem allgemeinen Staatsgut entnommen werden, was das Strassengesetz zulässt. Wie die Stadtbahn werden auch die Strassenprojekte etappiert verwirklicht. In der ersten Bauetappe will der Kanton die Aubruggstrasse verlängern, die Thurgauerstrasse umbauen und die erforderlichen Ausbauten in Dübendorf realisieren. Während der zweiten Bauetappe wird die Birchstrasse verlängert.

Grüne gegen den Strassenkredit 

In einer Mitteilung begrüsst der Verein Chance Glatttalbahn die Vorlage als tragfähig. Zu bedauern sei, dass die Stadtbahn wegen der Finanzknappheit später als vorgesehen fertiggestellt sein wird. Die SP des Kantons Zürich dringt auf eine termingerechte Realisierung. Sie akzeptiert die Ergänzungen im Strassennetz, doch dürften keine zusätzlichen Kapazitäten geschaffen werden. Die Grünen lehnen den Strassenkredit «ganz klar» ab, da er Mehrverkehr bringen würde.
 

Artikel vom 26. Januar 2002

Bahn, Tram und Stadtbahn 

bd. Aus Gründen der besseren Akzeptanz, die sie vermuten, verwenden die Regierung und die Region den Begriff «Glatttalbahn». Zutreffender und mindestens ebenso positiv ist die Bezeichnung «Stadtbahn». Beim neuen Verkehrsmittel handelt es sich um ein sehr modernes und sehr leistungsfähiges Tram, wie allein schon daraus hervorgeht, dass ein durchgehender Betrieb mit Niederflurfahrzeugen der Verkehrsbetriebe Zürich vorgesehen ist. Der Begriff «Stadtbahn» hat sich für Strassenbahnen möglichst auf Eigentrassees, mit tendenziell etwas grösseren Haltestellenabständen, attraktivem Rollmaterial und höheren Durchschnittsgeschwindigkeiten eingebürgert. Trams oder Stadtbahnen werden seit einigen Jahren fast überall auf der Welt wieder neu erstellt oder ausgebaut, besonders intensiv in Ländern wie Frankreich, die beim voreiligen Abbruch ihrer Strassenbahnen lange Zeit «führend» waren.
 

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