Ein historischer Abriß zu Niedergang und Wiederaufstieg von Straßenbahnen fand sich 1996 in einem Zeitungsartikel.
Ein Verkehrsmittel wird wiederentdeckt
Seit mehr als einem Jahr rollt ein
futuristisches Gefährt durch Strasbourg. 'Le Tram' ist derzeit wohl
das formal spektakulärste Exemplar eines wiederentdeckten Verkehrsmittels:
der Straßenbahn. Vor 36 Jahren riß man in der elsässischen
Hauptstadt euphorisch die Schienen der 'unmodernen' Straßenbahn heraus,
um dem Individualverkehr Platz zu machen. So oder so ähnlich lief
es in vielen Städten, inzwischen jedoch denkt man um überalterte
Wagenparks werden verjüngt oder die Straßenbahn wieder neu eingeführt.
Entsprechende Machbarkeitsstudien laufen seit einiger Zeit in Hamburg;
und Saarbrücken bekommt 1997 wieder eine Bahn, allerdings eine grenzüberschreitende
Stadtbahn, die auch auf DB-Strecken unterwegs sein wird. In Hannover wird
zur Expo 2000 eine neue Strecke eröffnet, deren Bahnen von Jasper
Morrison gestaltet werden der Probebetrieb startet 1997.
Bis zum Jahre 1928 ist die Straßenbahn
das öffentliche Verkehrsmittel Nummer eins; Streckenlängen und
Wagenparks erreichen hierzulande den Höchststand. Deutschland gehört
neben Italien und der USA zu den großen Straßenbahn-Nationen
und -Innovatoren. 1926 kommen die ersten Gelenkwagen auf, dazu einige Bahnkörper
und selbst die Niederflurtechnik ist bekannt: 1932 fährt in Essen
der Montos-Tiefflurwagen 505 mit einer Bodenhöhe von 380 Millimeter;
Motoren und Laufwerke überbaut man innen mit Sitzkästen. Doch
seit Mitte der Zwanziger Jahre wird der Bus zum schärfsten Konkurrenten
der Straßenbahn. Und wie so oft, ist der Wettbewerb verzerrt: Während
Straßenbahnbetreiber bis heute Konzessionsabgaben für die Nutzung
des Straßenraumes entrichten müssen, sind Busse davon ausgenommen.
Als Hauptmotor fungiert die mächtige Bus-Lobby aus Autobauern, Mineralöl-
und Gummiherstellern, die schon in den Zwanzigern den 'modernen' Bus propagieren.
Mit Erfolg: 1934 wird das Vorfahrtsrecht für Straßenbahnen gekippt.
Die von den Nazis angestrebte Vollmotorisierung schiebt die Straßenbahn
auf das Abstellgleis; allein die bald dominierende Rüstungsmaschinerie
erhält die Straßenbahn.
Nach dem Krieg rollt vor allem altes
Material auf den reparierten Gleisen: 1952 haben 75 Prozent aller Wagen
mehr als 20 Jahre hinter sich. Technisch befinden sich die wenigen neuen
Bahnen auf dem Stand der Zwanziger Jahre, bis 1962 sind erst 22 Prozent
des Wagenparks von 1950 erneuert. Der Straßenbau hat politische Priorität,
die Auto-Sprit-Gummi-Lobby liefert passende Studien für die kommunale
Verkehrsplanung und leistet 'gute Arbeit'. Wenn auch subtiler als in
den USA, wo sich Ende der Vierziger Jahre General Motors bei gut funktionierenden
Straßenbahn-Betreibern einkauft und ad hoc auf Busverkehr umstellt.
Kurz: Die Straßenbahn gilt
als Verkehrshindernis, langsam, unkomfortabel. Viele Städte vergeben
Betriebskonzessionen nicht mehr über 50 Jahre, sondern verlängern
diese nur noch um jeweils ein Jahr. Damit werden Investitionen in die langlebige
Straßenbahn unkalkulierbar, der Busanteil steigt. 1971 tritt das
'Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz' in Kraft und sichert den Kommunen
einen Teil der Mineralölsteuer zum Ausbau des Nahverkehrs, allerdings
bleibt die Straßenbahn weitgehend ungefördert. Von 1950 bis
1983 geben 66 Verkehrsbetriebe ihren Straßenbahnzweig völlig
auf, 2800 Kilometer werden stillgelegt und auf Busse umgestellt.
Zwar basteln die Gemeinden angesichts
reichlich vorhandener Fördergelder an überzogenen Planungen teurer
Tunnelstrecken für U- oder Stadtbahnen, doch verwirklicht wird nicht
viel: Lediglich 140 Kilometer in sieben Städten kommen hinzu. In
der Schweiz dagegen stimmen Züricher und Baseler gegen die Tunnelprojekte
ihrer Verkehrsplaner. Und in Deutschland wächst langsam die Erkenntnis,
daß der Autoverkehr letztlich die Umwelt zerstört und der schnelle
U-Bahn-Verkehr nur auf dem Papier existiert. Denn U-Bahnen bedienen nur
Hauptachsen, ihre tief- oder hochgelegten Haltepunkte sind weit auseinander.
Bei Betrachtung der Gesamtreisezeit schneidet der Mix aus U-Bahn und Buszubringer
tatsächlich schlecht ab: erst ab zehn Kilometern Distanz bildet sich
ein Zeitvorteil heraus. Meist sind Fahrten nicht länger als vier
bis sechs Kilometer.
Angesichts leerer Kassen und steigender
Verkehrsprobleme kommt so die preiswerte und vielseitige Straßenbahn
wieder ins Gedächtnis. Doch die neuen Bahnen haben mit ihren meist
30 Jahre alten Vorgängerinnen nicht mehr viel zu tun. Neue Materialien,
neue Produktionsweisen und vor allem neue Antriebe ermöglichen einen
technologischen Quantensprung. Augenfälligstes Merkmal: Man muß
nicht mehr hinaufsteigen, sondern kann quasi ebenerdig in die Bahn laufen
womit einer der größten Hemmschwellen für die Nutzung
beseitigt ist. Außerdem ermöglicht der raschere Fahrgastwechsel
eine um zehn Prozent beschleunigte Reise; so jedenfalls ermittelte es das
Österreichische Institut für Raumplanung. Technisch kennzeichnet
die Niederflurbahn achsenlose Lauf- und Antriebsräder, Nabenmotoren
und Portalkonstruktionen. Daneben sind die Bahnen von Heute leichter, speisen
dank Drehstrom-Technik Energie beim Bremsen ins Netz zurück oder
sind in der Lage, auf DB- wie auch Stadtstrecken zu fahren. Bei den Herstellern
geht der Trend weg vom Konsortium aus Waggon- und Elektrikbauer zu Komplettanbietern.
Nicht mehr verbeult
Die neuen technischen Standards wirken
sich natürlich auch auf die Gestaltung aus. Scheiben werden fast ausnahmslos
verklebt; Bombardier verklebt gar die vorlackierten Metallverkleidungen
mit der tragenden Rahmenkonstruktion. Damit ist die Außenhaut nicht
mehr verbeult, sondern glatt und eben ein optisch deutliches Plus. Die
Betreiber haben begriffen, daß die Attraktivität des Nahverkehrs
auch vom Komfort der Fahrzeuge abhängt was natürlich nicht
heißen soll, daß sie ihre Liebe zu möglichst gedeckten
(weil angeblich schmutzunempfindlich) und robustklobigen Details über
Bord geworfen haben: 'Jedes Detail bedeutet Kampf', so Dirk Schmauser
von Porsche Design. In der Regel ist der Spielraum des Designers recht
eng; eine gestalterisch dominante Bahn wie jene in Strasbourg stellt die
Ausnahme dar. Dafür sorgen allein schon die Vorschriften, was insbesondere
die Designer von Zweisystemfahrzeugen wie der Wiener Dietmar Valentinitsch
spüren.
Gilt für die Lichterführung
im Stadtnetz (BOStrab) jene Anordnung und Stärke, so verlangt die
Eisenbahn- und Betriebsordnung (EBO) für DB-Strecken etwas völlig
anderes. Schließlich ist da noch der übermächtige Kostendruck,
dem sich die Hersteller ausgesetzt sehen da bleibt oft nur der Griff
in die Normteile-Kiste. Andererseits strebt jede Kommune nach individuellen
Bahnen, was nicht nur spezifisch technische Kriterien (Wendekreise, Steigungen,
Haltestellenlängen, Bahnsteighöhen) begründen, sondern auch
der Wunsch nach der 'eigenen' Bahn. Um diesem Verlangen Rechnung zu tragen,
bietet ABB bei seiner Variobahn inzwischen spezifische Wagenköpfe
an, die als GfK-Modul ausgetauscht werden.
Transparenz ist eines der Hauptmerkmale:
große, nur leicht getönte Fensterflächen erlauben viel
Sicht nach draußen und laden den Zusteigenden ein. Daneben ist die
Transparenz innerhalb der Bahn ein wichtiges Maß für die Sicherheit
der Blick zum Fahrer sollte stets möglich sein. Was wiederum dem
Fahrer nicht immer entgegenkommt, wünscht er sich in seiner Kabine
doch auch ein kleines Stück Privatheit bei der Frankfurter Bahn
bauten Lindinger & Partner daher einen halbrunden Schrank direkt hinter
dem Fahrer ein.
Streben nach Sicherheit
Fast alle Aggregate der Niederflurbahnen
sind auf dem Dach untergebracht, daher neigen die Fahrzeuge zur optischen
'Kopflastigkeit' was es zu verhindern gilt. Außerdem wird das Exterieur
bestimmt vom Streben nach passiver Sicherheit, insbesondere für Fußgänger:
Kupplungen lassen sich versenken, die Fahrzeugfronten absorbieren Stöße
und die Flanken sind möglichst glatt. Im allgemeinen signalisiert
die Fahrzeugform nicht Hochgeschwindigkeit die Wiener Bahn beispielsweise
soll 'Gelenkigkeit' ausdrücken. Dynamik und Schnelligkeit muß
aber dennoch erkennbar sein schließlich konkurriert die Straßenbahn
mit dem scheinbar komfortablen wie schnellen Pkw. Diese emotionale Komponente
verhindert, daß die Straßenbahn ein reines Investitionsgut
darstellt, da sie letztlich den Endverbraucher ansprechen soll. Je nachdem,
welcher Aspekt überwiegt, wird man eine stylingorientierte (wie in
Strasbourg) oder eine funktionale Bahn bekommen. ARMIN SCHARF |
Zuletzt geändert am 6.7.2000 /
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