Klassischer »Hoffmann« in Stockholm

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Bericht nach einer hauseigenen Aufzeichnung der Stockholmer Oper

gesehen am 27. 8. 2009










© Kungliga Operan Stockholm

Regie


Knut Hendriksen

Dirigent



Chorleitung


Folke Alin und Christina Hörnell

Bühnenbild und Kostüme


Lars-Åke Thessman

Sprache


Schwedisch










Fazit Stockholm: Ein hervorragend ausgestatteter sowie perfekt gesungener und begleiteter »Hoffmann«, der zu den besten seiner Art gehört. Die Geschichte von Hoffmanns Scheitern wurde episch und überzeugend dargestellt. Vieles erinnerte mich an den »Hoffmann« am Covent Garden. Mystik schien das Leitmotiv der Regie zu sein, so wie sie die Geschichten E.T.A. Hoffmanns durchzieht. Diese ausgezeichnete Inszenierung von 1990 verdient es, baldmöglichst wieder aufgenommen zu werden. Soweit ich die Aufführung an Hand einer Aufzeichnung beurteilen konnte, zählt die Stockholmer Oper zur Weltspitze.



Da ich mich im Spätsommer 2009 in Stockholm aufhielt, fragte ich zuvor in der Presseabteilung der Königlicher Oper, ob man vom »Hoffmann« eine Aufzeichung gemacht habe und ob ich die sehen könne. „Välkommen“, war die spontane Antwort, und ich solle einfach ein paar Tage vorher anrufen. Das tat ich auch, und so hatte mir die Presseabteilung ein Fernsehgerät im Wandelgang des Rangs aufgebaut, und ich konnte mir die Aufzeichnung in Ruhe ansehen und Notizen machen. Ich bespreche hier eine Videoaufzeichnung, die ich am Originalspielplatz sehen durfte. Die Besprechung kann natürlich nicht so detailliert ausfallen wie die einer besuchten Theatervorstellung. Herzlichen Dank nochmal an Thorbjörn und seine Mitarbeiter.



Die Stockholmer Oper wird normalerweise nicht genannt, wenn man die ersten Adressen der Welt aufzählt, aber ich weiß jetzt definitiv, dass sie dazu gehört. Schließlich war sie die Heimat internationaler Gesangtars wie Jussi Björling (1911 – 1960), Birgit Nilsson (1918 – 2005) und Nicolai Gedda (eigentlich Harry Gädda), die alle an den ersten Opernhäusern der Welt auftraten. Auch heute hat die Stockholmer Oper erstklassige Sänger. In Lissabon gastierte Maria Fontosh als Antonia, die an der Stockholmer Oper beheimatet ist. Sie braucht keinen Vergleich mit Anna Netrebko zu scheuen, die ich an der Met in der gleichen Rolle erleben durfte.



Die Stockholmer Oper steht an einem historischen Ort. Am 16. März 1792 fand in einem Vorläufergebäude der heutigen Oper das Attentat auf den schwedischen König Gustav III. (1746 - 1792) statt, das Giuseppe Verdi in seiner Oper »Ein Maskenball« verarbeitete. Die Oper in Stockholm ist eines der schönsten Theater, die ich kenne. Sie liegt in Sichtweite der Königlichen Schlosses. Der Stockholmer »Hoffmann« hatte im Dezember 1990 Premiere und erlebte über 50 ausverkaufte Vorstellungen.



Gravitätisch und bedeutungssschwanger kamen die Auftaktsakkorde. Dazu passte wabernder Nebel in Lutters Taverne. Lindorf trat in einem langen, schwarzen Mantel auf. Er trug einen Stock, mit dem er den Briefboten bedrohte. Das war schon gleich mal eine überzeugende Vorstellung des Widersachers. Und das Orchester spielte ganz ausgezeichnet.

Der große Chor war in zeitgenössische Kostüme gekleidet und bewegte sich gut und lebhaft. Der Chor lieferte auch den Hauptteil des Mimik, als Hoffmann den Klein-Zach sang. Und was für eine wunderschöne Stimme der Hoffmann hatte und was für ein gefühlvoller Übergang zur Stella. Und auch das Orchester säuselte plötzlich viel gefühlvoller. Großer Applaus für diesen strahlenden und doch sensiblen Tenor. Leider ließ der Dirigent in den Applaus hineinspielen.

Die Trinklieder wurden dynamisch vorgetragen, und eine veritable Feuerzangenbowle wurde hereingebracht.



Niklaus trug übrigens ebenfalls einen langen Mantel. Sollte hier wieder mal eine Interessensidentität Widersacher – Muse angedeutet werden?



Der Übergang zum Olympia-Akt geschah fließend. Viele Homunculi bevölkerten die Bühne. Das Bühnenbild war aufwändig und optisch sehr gelungen. Man blickte in einen langen Gang hinein, der aus einem gruseligen Raritätenkabinett bestand. Un opéra vraiment fantastique wurde hier in Stockholm aufgeführt. Olympia saß in einer Art Vitrine, durch deren Glasscheiben sie Hoffmann bestaunte.



Mit wunderschön voller und warmer Stimme sang Niklaus die Vogelarie, wofür es auch den verdienten Applaus gab. Dieses kurze Stück wird sonst eher selten beklatscht.



Coppelius kam passenderweise in einem Aufzug aus der Unterwelt und trug einen Koffer voll von Augen in unterschiedlicher Größe bei sich. Bizarre Gestalten traten in Spalanzanis Labor auf – ein richtiges Panoptikum. Was für einen Aufwand man für diese Inszenierung getroffen hatte. Vergleichbares hatte ich nur in London am Covent Garden gesehen.



Olympia trat in einem durchsichtigen Krinolinenkleid auf und bewegte sich in den üblichen automatenhaften Bewegungen. Sie stellte ein neckisches Püppchen dar und trippelte neckisch über die Bühne. Dazu sang sie eine brilliante Koloratur und bot ausgefeilte Mimik.



Die höchsten Töne hob sie sich für den Schluss auf. Großer Applaus für ihre Arie.

Dem Publikum wurde ausführlich gezeigt, dass Olympia ein Automat ist, und Cochenille war andauernd beschäftigt, sie am Laufen zu halten. Wenn Hoffmann seine Brille aufsetzte, wurde Olympia richtig menschlich, wenn er sie abnahm, wurde sie ein Automat.



Hoffmanns Trauer nach Olympias Zerstörung wurde gut dargestellt. Kräftiger Applaus für diesen Akt.



Antonia saß in einem hohen, kathedralenähnlichen Zimmer an einer Harfe, die dann auch aus dem Orchester ertönte. Mystik und Monumentalität charakterisierten dieses Bühnenbild. Mit seelenvoller und hochdramatischer Stimme stellte sich Antonia vor. Gut dargestellt wurden die zwei Welten des Lakajen Franz, der einmal den Boden aufwischte und dann, als er alleine war, von der Glitzerwelt der Bühne träumte. Wunderschöne Duette Hoffmann – Antonia folgten. Die Regie ließ die beiden so agieren, wie man sich Gestalten aus dieser Zeit vorstellt.



Mirakel zog sich Handschuhe zur Ferndiagnose der Antonia an und untersuchte ein fiktives Wesen hinter einem Schleier. Ich musste an Salman Rushdies Roman »Die Mitternachtskinder« denken, in dem er die ärztliche Untersuchung seiner Mutter in ähnlicher Weise beschreibt.



Krespel warf Mirakel mehrfach aus dem Haus, doch der ließ sich nicht vertreiben. Der diabolische Mirakel ließ vor Antonias Augen ein Theater mit vielen Lichtern entstehen. Es war das Innere der Stockholmer Oper. Wie Satan tauchte er immer wieder aus der Unterwelt auf.



Die Mutter war unter einem blauen Tuch verhüllt, doch es war Antonia selbst, welche die Mutter enthüllte, und nicht Mirakel. So sollten Antonias Träume von der großen Karriere erklärt werden. Geisterhafte blaue Beleuchtung herrschte auf der Bühne, als die Mutter sang. Eine Statue, die sang! Dann tauchte noch die echte Mutter auf. Die Illusion der singenden Statue war perfekt. Leider fehlte wieder einmal meine geliebte Geigenarie. Dafür gab es später die Spiegelarie.



Ein venezianischer Palast bildete den Rahmen für den Giulietta-Akt. Vorne rechts stand eine Skulptur von Jacques Offenbach. Wieder herrschte mystisch-magisches Blau vor. Niklaus war Gondoliere und paddelte die Insassin Giulietta nach vorne, während die beiden die Barkarole sangen. Selbstverständlich ohne Piccolo-Begleitung.



Was für Gestalten sich die Ausstattung hatte einfallen lassen, z.B. einen Mann in Strapsen mit einem Zylinder auf dem Kopf, begleitet von mehreren Dominas. Und hinter Giulietta erhob sich drohend ein Sensenmann. Eine funkelnde Giulietta war das mit einem Traum von einem Kleid in Schwarz mit einem riesigen Kragen aus der Zeit des Renaissance.



Wie eine Königin der Nacht funkelte sie mit den vielen kleinen Spiegeln auf ihrem Kleid – möglicherweise lauter geklaute Spiegelbilder ihrer zahllosen Verehrer.



Hoffmann wurde ausgiebig verspottet, als er sein Spiegelbild verloren hatte. Dann erklang ein gewaltiges Sextett. Es gab ein richtiges Duell, nach dessen Ende ein riesiger Spiegel zerbrach.



Während ich mir den Hoffmann am Fernsehgerät ansah, begann im Theater selbst die Generalprobe der Pique Dame. Ich durfte mir die beiden letzten Akte im Zuschauerraum ansehen und mich vom hohen Niveau des Gesangs und des perfekt spielenden Orchesters überzeugen.



Schade, dass ich damals keine Aufführung des Stockholmer »Hoffmann« miterlebte, aber wenn ich im Sommer in Schweden bin, hat die Oper Sommerpause.

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Fotografen und bei der Königlichen Oper Stockholm. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


























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