Hautnaher »Hoffmann« als Singspiel

an der Theaterakademie München

www.theaterakademie.de



Besuchte Vorstellung 15. Juli 2010 (Premiere)






Regie


(Anne Compter)

Musik


Christoph Weber

Bühnenbild


Christl Wein

Kostüme


Gera Graf, Beate Gölzner

Version


Eigenes Libretto




Hoffmann


Rudi Hindenburg

Muse


Gisa Flake

Stella


Josephine Köhler

Olympia


Sophie Rogall

Antonia


Claudia Carus

Giulietta


Lea Marlen Woitack

Widersacher


Matthias Renger






Muse und Hoffmann


Fazit München: »Hoffmanns Bekenntnisse« als Schauspiel mit eingestreutem Gesang nach den Melodien Jacques Offenbachs, aufgeführt von Schauspielschülern. Geboten wurde intensive Darstellungskunst auf professionellem Niveau. Wie ich schon mehrfach von Opernschülern erlebt habe, lagen das Engagement und die Identifikation mit den Rollen deutlich über dem, was man von Theater-Routiniers gewöhnlich geboten bekommt. Die Einstudierung lag in den Händen von Dozenten der Akademie.

Man hatte ein eigenes Libretto entwickelt, das sich lose an die Oper anlehnte. Die Vorstellung dauerte 70 Minuten ohne Pause. Ich verstand sie als sehenswertes Kondensat der Oper bzw. des Schauspiels, welches dem Opernlibretto zu Grunde liegt.

Ein Hauch von »Jedermann« und auch von »Romeo und Julia« wehte durch diese Interpretation des »Hoffmann«-Stoffes, als seine Irrwege beschrieben wurden. Doch auch die anderen Gestalten aus seinen Erlebnissen wurden nicht idealisiert. Menschliche Schwächen wurden gnadenlos aufgezeigt, und auch ein Schuss Brecht´scher Zynismus wurde spürbar.


Leider ist mein Wohnort München seit Jahrzehnten »Hoffmann«-frei. Den letzten gab es in den 90er Jahren am Gärtnerplatztheater. Die Staatsoper, deren Intendant Bachler sein Haus gerne zu den fünf besten der Welt zählt, hat schon ein halbes Jahrhundert lang keinen »Hoffmann«. mehr auf die Bühne gebracht. Seit einigen Jahren gibt es immer mal wieder Gerüchte, dass dort ein »Hoffmann« geplant sei. Doch bisher geschah nichts. Der Intendant des Gärtnerplatz-Theaters, Dr. Peters, ist bekennender »Hoffmann«-Fan. Nun wurde der Vertrag des erfolgreichen Gärtnerplatz-Intendanten Dr. Peters von der schwarz-gelben Landesregierung nicht verlängert, und aus der Staatsoper hört man immer noch nichts Konkretes.

So war ich also erfreut, dass es in München wenigstens einen »Hoffmann« light geben würde. Für mich bedeutete das: Reisekosten in Form von zwei U-Bahnkarten und keine Übernachtungskosten. (Leider hat sich noch immer kein Sponsor für meine Hoffmanniaden gemeldet)



Von der Presseabteilung der Theaterakademie hatte ich die Vorabinformation erhalten, dass es eine Art Singspiel mit Gesang durch besonders ausgebildete Schauspielschüler geben sollte. Nachdem das der Oper vorhergehende Schauspiel gleichen Namens praktisch nicht mehr aufgeführt wird und ich den Stoff daher nur in Opernform kenne, außerdem Experimenten mit diesem Thema nie abgeneigt bin, freute ich mich auf diese Premiere.


Die Aufführung fand im offenen Innenhof der alten bairischen Münze statt, in den man eine Zuschauertribüne gestellt hatte. Die Darsteller waren Schüler des dritten, also vorletzten, Jahrganges, verstärkt durch Gisa Flake aus dem vierten Jahrgang als Muse.


Sponsoren dieser Produktion waren neben dem Landesamt für Denkmalschutz auch das landeseigene Hofbräuhaus, nur 200 Meter entfernt, das auch das Freibier für die anchließende Premierenfeier stiftete. Nachdem gleich zu Anfang auch die Geister des Bieres angerufen werden, ist das Hoffbräuhaus für einen »Hoffmann« ein durchaus passender Sponsor .


Die Vorstellung war praktisch ausverkauft. Nur wenige Plätze waren unbesetzt; die üblichen No-shows. Das Wetter spielte mit, und so begann die Vorstellung pünktlich um 20:30. Begleitet wurde das Singspiel von einem Mann am Klavier, der schon gleich Heiterkeit erregte, als er die überlangen Schöße seines schwarzen Frackes hinter sich her zog. Wegen der Gefahr eines plötzlichen Platzregens hatte man ihm keinen Flügel, sondern nur ein aufwändiges Keyboard genehmigt, das sich im Notfall schnell ins Trockene bringen ließe. Die Melodien Jacques Offenbachs intonierte er inspiriert und musikantisch-lebhaft.


Den Auftakt bildete eine gesungene Barkarole, und gleich merkte ich, dass die Damen und Herren Schaupielschüler gar nicht so schlecht sangen. Nun haben sich ja die Opernsänger in den letzten Jahrzehnten das Schauspielern angewöhnt, und viele von ihnen lassen sich von Schauspiellehrern beraten - „coachen“ nennt man das heute. Nun lernen im Gegenzug die Schaupielschüler das Singen.

Während der Barkarole füllte sich die Bühne mit den übrigen Darstellern. Stella trat in Schwarz-Rot auf und übergab einem Garçon ihren Brief an Hoffmann. Doch die Muse, schwarz und Domina-ähnlich gekleidet, klaute den Brief und las ihn vor. Dann erläuterte sie die Conditio Hoffmannia.

Daraufhin trat Hoffmann in einem schwarzen Samtmantel auf und stellte gleich sein Leiden wegen des Verlustes der geliebten Stella dar, indem er sich verzweifelt auf den Boden warf. Das sollten sich die Opernregisseure mal merken, die in der Regel den Hoffmann unmotiviert trinken lassen, ohne den Grund seiner Verzweiflung anzudeuten.

Einer seiner Freunde sang deswegen den Klein-Zach für ihn. Doch dann raffte er sich auf und sang selbst weiter.


Hier muss ich gleich vorwegnehmen, dass ich schon in den ersten Minuten höchst beeindruckt war von der Intensität der schauspielerischen Darstellung auf der Bühne. Die Figuren kommentierten sich selbst und einander. Eine dichte Präsenz aller Darsteller war zu spüren.

Auf der Opernbühne geht natürlich die meiste Energie in den Gesang. Hier im Münzhof waren angehende Schauspielprofis am Werk, die sich natürlich voll dem Schauspiel widmen konnten. Gestik, Mimik und Sprachmodulation waren vom Feinsten. Damit will ich jetzt nicht die Opernsänger kritisieren, sondern die unterschiedlichen Schwerpunkte zwischen Musik- und Sprechtheater verdeutlichen.


Olympia zeigte sich zuerst vom Balkon über der Bühne, wo sich vorher schon Stella präsentiert hatte.

Dann wurde sie von einem diabolisch-raffinierten Coppelius hereingetragen. Sie war in einen halbdurchsichtigen Krinolinenrock gekleidet und trug eine blonde Perücke. Automatenhaft bewegte sie sich über die Bühne. Die Festgesellschaft bei Spalanzani bestand aus sechs Leuten. Die äußerte dann gleich ihr Entzücken, als Olympia ihre ersten Worte sprach. Hoffmann hatte ein Gedicht für sie verfasst, wie es sich für einen Dichter gehört. Doch er bekam keine Gelegenheit, es vozutragen, und Olympia wiederholte immer wieder, zu ihm gewandt: Sie sind ein schöner Mann!


Olympia konnte auch rezitieren und trug Strophen aus „Romeo und Julia“ vor. Sie konnte auch Klavier spielen, überließ das allerdings dem Mann am Klavier und beschränkte sich auf´s Mimen. Zu ihrer Arie sprach sie lediglich, während die Melodie gespielt wurde. Wäre ja auch zu viel verlangt, Koloraturgesang von einer Schauspielerin.


Als sie von Spalanzani (endlich mal wieder kein Einstein-ähnlicher Typ) repariert wurde, fing es in ihrem Rock an zu blinken. Insgesamt wurde sie als hilflos-tapsiger Typ präsentiert. Für sie gab es den ersten Szenenapplaus des Abends.


Dann kam Coppelius und wollte sein Geld. Spalanzani konnte nicht zahlen. Dafür packte Coppelius die Olympia unter seinen Arm und enführte sie. Hoffmann hielt plötzlich einen ihrer Unterarme in der Hand und merkte, dass er getäuscht worden war.



Hoffmann und Antonia


Viele Geigen auf der Bühne leiteten den Antonia-Akt ein. Die prekäre Situation dieses Aktes wurde durch Stühle symbolisiert, die fünffach übereinander gestapelt wurden, so dass ich jeden Moment fürchtete, sie würden umkippen. Noch dazu hatte man Geigen in die Stühle hinein gelegt. Aber alles blieb stehen.

Hoffmann saß vorne an der Bühne und trauerte noch um die verlorene Olympia, deren Kopf er in den Händen hielt. Wiederum wurde das Leiden Hoffmanns gut nachvollziehbar gezeigt.


Mirakel drängte sich herein und diagnostizierte Antonia aus der Ferne, nachdem ihn Krespel daran gehindert hatte, Antonia persönlich zu untersuchen.

In einem Torbogen hinter der Bühne erschien drohend ein Double von Mirakel hinter einem Gazevorhang. Das Böse ist immer und überall. Auch hier agierte ein trotteliger Franz.


Teenagerhaft und unbekümmert trat Antonia auf. Ein richtiges Girlie tobte da über die Bühne. Das waren Anklänge an die Antonia Thilo Reinhardts von der Komischen Oper in Berlin.

Als Antonia singen wollte, erschien wieder der gespenstisch-ominöse Mirakel im Torbogen. Geschickt trieb er sie dann in ihr Dilemma: Karriere oder Liebe. Ihre Mutter sang vom Balkon das Lied von der Taube. Und das ließ sich hören. Da habe ich schon rauere Soprane mit diesem Lied ertragen müssen. Antonia stand fasziniert unter ihr und stimmte schließlich ein. Danach starb sie, und die Muse kommentierte sarkastisch ihren Tod.



Niklaus und Hoffmann mit Gondoliere


Als der Giulietta-Akt begann, wurde es passenderweise dunkel am Himmel in München. Die Muse sang die Barkaorle zusammen mit der wiedererstandenen Antonia, und Giulietta zeigte sich auf dem Balkon. Dann gab die purpur-lila gewandete Kurstisane ein Fest, das mit südamerikanischen Rhythmen gestaltet wurde. Nun konnten die Schauspielschüler auch noch ihre Tanzkünste demonstrieren. Als Giulietta auftrat, ertönte etwas, was nach einem weiblichen Orgasmus – gespielt oder echt – klang.


Dapertutto machte PR für sein Freudenhaus und erwähnte, dass es von Giacomo Casanova gegründet worden war. An diesem Abend gab es Flatrate-Sex: All you can fuck.

Nicht unpassend für diesen Stoff, denn Casanova war es schließlich, der das Vorbild für den Don Giovanni abgab.

Dann gab es eine beeindruckende Disco-Szene, während der Hoffmann als der Mann vorgestellt wurde, der seinen Vornamen nach einer bekannten Terror-Organisation gewählt hatte.


Ein genialer Dappertutto pries Giulietta als das beste Pferdchen in seinem Stall an, und die reizte den Hoffmann mit gekonnten Hüftschwüngen


Ein Mehrzweckdarsteller (nicht Dappertutto) sang die Spiegelarie, aber als Parodie. Er hörte gar nicht mehr auf zu singen und musste gestoppt werden.

Immer noch sehenswert war Giuliettas Powackelgang.


Doch auch eine andere Seite der Giulietta wurde gezeigt: „Ich warne Sie vor mir. Ich möchte Sie nicht in mein Elend hineinziehen.“ Doch selbst kann sie sich nicht aus ihrer Abhängigkeit von Dapertutto befreien. (Und Hoffmann sich nicht von ihr losreißen) Das Elend, nicht der Glanz der Kurtisanen wurde ausgebreitet, das Lied von der sexuellen Hörigkeit ….


Geschickt luchste Giulietta nun dem Hoffmann sein Spiegelbild ab, nachdem dieser In Gefahr war, da er ja den Schlemihl umgebracht hatte. Hinter einem Gazevorhang erschien ein lebendes Spiegelbild des Hoffmann, das langsam verschwand, nachdem es sich fast synchron bewegt hatte. Ähnliches hatte ich 1987 an der Komischen Oper in Berlin gesehen, wo man einen »Hoffmann« als Ballett mit Orchesterbegleitung, aber ohne Gesang gegeben hatte.


Giulietta


Frailty, thy name is woman: Giulietta war wieder voll in ihre alte Rolle eingechwenkt, als sie dem Hoffmann ihre Liebe in Aussicht stellte, aber das in einer solchen Manier tat, dass es nicht ernst gemeint sein konnte.



Im Epilog kam Hoffmann wieder zu sich. Stella erschien, und alle seine vier Frauen waren nun auf der Bühne, doch Hoffmann erkannte sie nicht mehr.

Stella redete auf ihn ein: „Ich bin zurückgekommen zu dir.“ Doch Hoffmann schickte sie weg: „Verschwinde!“ Das war deutlich.

Tja, wir scheitern eben alle (oder fast alle) am Ausleben unserer Liebe.

Und dann triumphierte die Muse, weil sie ihren Hoffmann bekam.


Spontaner und herzlicher Applaus für das Ensemble, der lange anhielt und voll verdient war.


Das war nun endlich mal wieder ein Hoffmann auf einer Münchner Bühne. Mögen ihm bald weitere folgen.

Die obigen Fotografien wurden uns von der Presseabteilung der Theaterakademie München zur Verfügung gestellt. Alle Rechte liegen bei der Fotografin Hilda Lobinger und der Theaterakademie, Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Der gelungenen Premiere schloss sich eine Premierenfeier an, während der ich mir meine Autogramme holte. Dabei erfuhr ich auch, dass die Regisseurin zehn Tage vorher die Produktion verlassen hatte. Nähere Details erfragte ich nicht.

Eine Darstellerin sagte mir, das sei nun zum ersten Mal, dass sie jemand um ein Autogramm gebeten habe. Mögen mir noch viele nachfolgen.





Prost! Premiere geglückt


Antonia und Akademiepräsident Klaus Zehelein





rechts: Hoffmann, Stella und Widersacher






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