Die geistig-moralische Wende von 1982 und das Privatfernsehen

Bis 1984 galt das deutsche Fernsehen als das beste der Welt. Es gab drei Kanäle: ARD, ZDF und Regionalprogramme der ARD, die Dritten genannt. Das Fernsehen war werbefrei mit Ausnahme der Vorabendprogramme von ARD und ZDF zwischen 18 und 20 Uhr.

Von 1969 bis 1982 wurde die westdeutsche Bundesrepublik von der sogenannten sozialliberalen Koalition aus SPD und FDP unter den Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt regiert. Die CDU/CSU, die sich immer als die eigentliche gottgegebene Regierungspartei verstand, wollte zurück an die Macht. Das Fernsehen wurde als Rotfunk diffamiert. Eine Studie des unionsnahen Allensbach-Instituts versuchte zu erklären, warum die Gegner regierten. Als einer der Gründe wurde die Meinungsbildung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen festgestellt, in dem es zahlreiche politische Magazine, teil links, teils rechts orientiert, gab. Diese Studie wurde vom Allensbach-Institut der Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann (1916 – 2010) erstellt, die ihr Handwerk bei der Nazi-Zeitung Das Reich gelernt hatte und von Hitler auf den Obersalzberg eingeladen worden war.

Das kulturelle Niveau des deutschen Fernsehens war ungleich höher als heute. Es gab häufig Schauspiele, Opern, Operetten und Symphoniekonzerte zur besten Sendezeit, aber natürlich auch Unterhaltung.

Die inneren Diskussionen der Gegner des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sind mir unbekannt, aber die Zielrichtung war es vermutlich, die Bevölkerung durch vermehrte Fernsehunterhaltung zu entpolitisieren, und natürlich mit dem Privatfernsehen Geld zu verdienen. Als Ziel wurde angegeben, die Programmvielfalt zu verbessern.

Im Jahr 1982 rumorte es in der sozialliberalen Koalition. Die FDP unter Genscher und Lambsdorff begann sich von der SPD abzusetzen und forderte eine Wende. Die FDP hatte sich bei der Wahl 1980 zu vier Jahren Koalition mit der SPD verpflichtet, schien aber aus der Koalition ausscheiden und zur CDU/CSU umschwenken zu wollen. Die mitgliederschwache FDP hatte damals 11 Millionen DM Schulden, 1982 viel Geld. Wie später im Rahmen der Parteispendenaffäre bekannt wurde, flossen große illegale Summen, hauptsächlich aus dem Flick-Konzern, u.A. auch an die FDP, die plötzlich schuldenfrei war.

Und so kam es 1982 zur Wende. Die Konflikte zwischen SPD und FDP eskalierten, so dass SPD-Kanzler Helmut Schmidt, damals der angesehenste Regierungschef der Welt, mit den Stimmen der Mehrheit der FDP und der Union von Helmut Kohl gestürzt wurde.

Jahre der Stagnation folgten, in denen politisch wenig geschah. Eine der ersten Maßnahmen der neuen rechtsliberlalen Regierung war jedoch die Vorbereitung der Einführung des Privatfernsehens, das 1984/85 zu senden begann. Zwei große Gesellschaften stiegen ein: RTL, das aus dem 1933 gegründeten Radio Luxemburg hervorgegangen war, und der Medienkonzern des Leo Kirch (1926 – 2011), konservativ und Freund Helmut Kohls, mit den Sendern Pro7 und sat1.

Schon bald stellte sich heraus, dass das werbefinanzierte Privatfernsehen keine Programmvielfalt, sondern eine gigantische Niveausenkung bewirkte. Sechs Programmtypen dominierten.

1. US-amerikanische Comedy-Serien mit künstlichem Lachen

2. Fußball und anderer populärer Sport

3. Nachmittägliche Keif- und Brüllshows auf niedrigstem Niveau

4. Softpornos

5. Gewaltfilme, in denen ohne sonstige Handlung minutenlang geprügelt wurde

6. Spielshows, und heute Dschungelcamp und DSDS

Finanziert wird das Privatfernsehen durch Werbeeinblendungen, deren Umfang bald gesetzlich begrenzt werden musste. Dazwischen gab es Programm, bis einem wieder ein besonderes Waschmittel oder Klopapier empfohlen wurde.

Bis heute hat meines Wissens keiner der werbefinanzierten Privatkanäle ein Symphoniekonzert, eine Oper, eine Operette oder ein klassisches Schauspiel gesendet. Beobachter sehen die geistig-moralische Wende von 1982 als den Einstieg in den Abstieg Deutschlands als Kulturnation. Noch halten wir ein gewisses Niveau. Pessimisten befürchten, dass wir bald auf das Niveau der USA absinken, in denen z.B. nur 19 der 50 Staaten eine Oper haben.

RTLs beliebte Quizshow Wer wird Millionär ragt aus dem Einheitsbrei der Unterhaltungsendungen heraus.

Diese neuen Fernsehkanäle erreichten bald eine gewisse Beliebtheit in breiten Kreisen der Bevölkerung. Zufall oder nicht, nach 1982 begann die Jungendkriminalität in Westdeutschland deutlich anzusteigen., was ich hauptsächlich auf die bislang im deutschen Fernsehen unbekannte ausgedehnte Gewaltdarstellung zurückführe. Laut Marx bestimmt das Sein das Bewusstsein. In Wahrheit bestimmt das Fernsehen das Bewusstsein. Später kam natürlich das Internet dazu.

Um nicht noch mehr Zuschauer zu verlieren, mussten sich ARD und ZDF and das neue niedrige Niveau im Fernsehen anpassen. Heute senden auch ARD und ZDF weitgehend Unterhaltung. Nur wenige Sendungen halten das Niveau von vor 1982. Die politischen Programme waren weitgehend verschwunden. RTL wurde zeitweise zum meistgesehenen Sender.

Der einzige Vorteil der Programmvielfalt bildeten um die Jahrtausendwende die Spartensender Phönix, arte, 3sat und ZDF-Info, die niveauvolle Sendungen bieten, aber in der Quote meist um oder unter einem Prozent liegen. Trash regiert auf den Bildschirmen. Und das verdanken wir der geistig-moralischen Wende des CDU-Kanzlers Helmut Kohl.

Diese knappe Zusammenstellung der Geschichte des deutschen Privatfernsehens wurde nach bestem Wissen erstellt. Sollten sich sachliche Unrichtigkeiten darin befinden oder die Rechte einzelner oder juristischer Personen verletzt sein, bitte ich, sich an mich zu wenden, um zu einer für beide Seiten zufriedenstellenden Lösung zu kommen. Emailadresse: niklaus/ät/myway.de





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