Klassischer und berückend schön gesungener »Hoffmann«

in Innsbruck



www.landestheater.at



Besuchte Vorstellung 29. September 2017 (Deuxième)



Meine Nr. 100 seit 2007







Regie und Bühnenbild


Thaddeus Strassberger

Dirigent


Seokwon Hong

Chorleitung


Michael Roberge

Kostüme


Michael D. Zimmermann

Version


Oeser

Sprache


Französisch




Hoffmann


Dominik Sutowicz

Muse


Christianne Bélanger

Olympia


Amelia Scicolone

Antonia


Susanne Langbein

Giulietta


Susanna von der Burg

Widersacher


Bernd Valentin





Fazit Innsbruck: Ein liebevoll und flott inszenierter klassischer »Hoffmann« mit aufwändigem Bühnenbild und üppigen und fantastischen Kostümen. Die größte Stärke dieser Inszenierung liegt im hervorragenden Gesang der Solisten, bis hinein in die kleinste Rolle. Auch der Chor samt Extrachor war gut aufgestellt. Der Dirigent verfügte über ein ausgezeichnetes Orchester und machte Alles richtig. Gegenüber dem »Hoffmann« vor acht Jahren an gleicher Stelle eine viel überzeugendere Interpretation und auch musikalisch eine Verbesserung. Eine runde, richtig verstandene Inszenierung ohne Schwächen, die das hohe Niveau der »Hoffmann«-Interpretationen der letzten fünf Jahre bestätigt.


Für den 23. September 2017 hatte ich eine schwierige Entscheidung zu trefffen, denn am gleichen Tag fanden in Innsbruck und Salzburg jeweils eine eigene »Hoffmann«-Premiere statt. Da ich in Innsbruck schon im Februar 2009 eine »Hoffmann«-Premiere gesehen hatte und ich damals nicht auf die Premierenfeier durfte, entschied ich mich für Salzburg. Dort war die Premierenfeier für alle Premienbesucher zugänglich. Inzwischen jedoch, unter neuer Intendanz, darf auch in Innsbruck das gemeine Publikum auf die Premierenfeier, was ich allerdings versäumt hatte zu eruieren. Wie ich hörte, soll die bis 2 Uhr morgens gedauert haben.


Das Innsbrucker Theater liegt am Hofgarten und wurde von 1956 bis 1967 neu aufgebaut. Es stellt einen Kompromiss zwischen klassischer und moderner Architektur dar. Viel Marmor im Eingangsbereich. Das Theater hat 750 Plätze, einen Mittelgang im Parkett, zwei Logenränge und einen Balkon. Die Kommunikation mit der Presseabteilung war problemlos und entgegenkommend. Wenn das nur überall so wäre. Ein freundlicher Herr von der Theaterkasse besorgte mir ein Plakat. Das Theater war gut besetzt mit nur ein paar wenigen freien Plätzen. Wie in Salzburg waren ein paar Damen und Herren in bajuwarischer Tracht gekleidet, die einen neuen Aufschwung nimmt. Man sagte mir, dass sowas vor 15 Jahren undenkbar gewesen wäre. Vor Beginn gab es eine kompetente Einführung. Im Orchester zählte ich drei Kontrabässe und vier Celli.


Ziemlich pünktlich hob der Dirigent seinen Taktstock, nachdem die Dramaturgin die kurzfristige Umbesetzung der Rolle der Olympia angekündigt hatte. Wunderschön maestoso und wuchtig kamen die Auftaktakkorde. Eindrucksvoller kann man die nicht bringen. Danke.


Ein ziemlich benommener und leger gekleidet Hoffmann torkelte durch ein rechteckiges Zimmer in Grau. Seine Muse kam aus einem grün leuchtenden Schrank, der irgendwie an die großen Kühlschränke der 50er erinnerte. Sie war fantasievoll gekleidet wie eine Zirkusprinzessin. Hoffmann betätigte sich auch malend an Leinwänden, eine Anspielung an die vielseitigen Talente des wirklichen E.T.A. Hoffmann. Lindorf erschien in drohendem Schwarz. Gleich von Anfang an fielen mir die kultivierten und schönen Stimmen auf, die von einem ebenso gut aufgestellten Orchester begleitet wurden. Auch der Chor sang dynamisch.


Hoffmanns Freunde, an die 25, bevölkerten die Bühne. Sie waren alle gekleidet wie Hoffmann. Ein Hinweis auf eine multiple Persönlichkeit? Auch die Muse war nun wie Hoffmann gekleidet. Hoffmann setzte sich ein großes Hirschgeweih auf, denn er war ja und wurde immer wieder gehörnt. Zum Klein-Zach agierte ein bizarrer Zwerg aus dem Untergrund, der einen riesigen Phallus schwenkte. Beeindruckend die angenehme, volle und kultivierte Stimme des Hoffmann mit viel Schmelz und Timbre. Die Innsbrucker Bühne wird von einem einem vierseitigen Lichtband umrahmt, dessen Farbe je nach Stimmung auf der Bühne angepasst werden kann. Als Hoffmann zu Stella überging, wechselte die Farbe zu Grün. Es gab Applaus für diesen ausgezeichneten Klein-Zach, aber meines Erachtens viel zu wenig.




Olympia, davor Spalanzani


Knapp 30 Minuten dauerte die Szene in Lutters Taverne. Unwesentliches hatte man weggelassen. Während der stummen Umbaupause rumpelte es hinter dem Vorhang, und die Bühne war nun leuchtend rot eingerahmt, als der Vorhang aufging.


Ein barocker Spalanzani, wie ich ihn zuletzt in Nizza sah, trat auf. Eine Gestalt wie aus einem Gemälde des Hieronymus Bosch. Warum man seinen Lakajen Cochenille als Menschenaffen in Zirkusuniform kleidete, erschloss sich mir nicht. Vielleicht wollte man eben so viel Zirkus wie möglich in diesen Akt packen, und das gibt der auch her. Als Niklaus eine wunderschöne Vogelarie sang, um Hoffmann vor dem mechanischen Vogel zu warnen, stellte Cochenille allerlei Unfug an. Leider gab es keinen Applaus für diese kurze Arie des Niklaus.


Spalanzanis Festgäste waren in Weiß gekleidet, wobei eine Vielfalt von historischen Kostümformen gezeigt wurde. Reifröcke, seitlich ausgestellte Röcke, viel Tüll. Ein wahres Kostümfest. Und der Chor samt Extrachor umfasste nun ein halbes Hundert. Alle trugen Zauberbrillen und agierten höchst lebhaft. Ja und erst Olympia! Die Innsbrucker Olympia war wohl die prächtigste, die ich je sah. Ludwig II. von Bayern und der XIV. von Frankreich sowie der Schah von Persien wären begeistert gewesen von diesem Pfauenkostüm. Nettes Detail und Anspielung auf Les oiseaux dans la charmille: Im Laub der Bäume zwitscherten Vögel. Was für eine liebevoll ausgedachte Kleinigkeit. Hatte ich auch noch nie gehört. Danke, liebe Innsbrucker, dass Ihr meinen hundertsten »Hoffmann« zu einem solchen Fest machtet.


Spalanzani setzte sich auf ein vergoldetes Fahrrad und erzeugte (erneuerbare) Energie für seinen wunderschön anzusehenden Automaten. Eine glockenreine, silberhelle und äußerst nuancierte Koloratur, legato und staccato, erklang. Nun billigt man einer Einspringerin Nervosität zu, aber nichts davon war zu bemerken. Beim zweiten Schwächeln wurde sie mit Hilfe einer Elektrisiermaschine wieder belebt. Ich hörte eine der besten Olympien meiner 100 verschiedenen. Was für ein Erlebnis. Tosender, langanhaltender Jubel belohnte sie. Olympia auf dem Pfauenthron!


Coppelius hat Olympia zerstört


Nach der Vorstellung erfuhr ich von Amelia Scicolone, dass sie diese Rolle noch nie auf einer Bühne gesungen habe. Sie kannte sie nur von Übungen während ihrer Ausbildung. Lediglich 20 Stunden vor ihrem Auftritt hatte sie von ihrem Einspringen erfahren, da sie in Innsbruck für Künnekes Vetter von Dingsda probte. Um 10:30 am Tag der Vorstellung begannen die Proben, und um 20:00 lieferte sie diese perfekte Koloratur ab. Eine echte Entdeckung und eine Empfehlung für erste Adressen. Kompliment auch an das Organisationstalent der Innsbrucker Spielleitung. Sie sagte mir auch, dass ihr die Kollegen auf der Bühne mit dezenten Gesten sehr geholfen hatten, indem sie ihr zeigten, wohin sie gehen sollte und was als nächstes zu tun war. Davon hatte ich gar nichts mitbekommen. Brava, Amelia, bravissima!


Ein wunderschön anzusehendes Bild entstand, als Olympia auf dem Pfauenthron von den weißgekleideten Choristen umgeben wurde. Und wieder zwitscherten die Vögel. Inmitten des Chores kollabierte Olympia, und ihre Teile wurden herumgereicht. Kräftiger Applaus für diesen Akt und erste Pause.


Mutter und Antonia


Antonia am Cembalo


Im Zimmer Antonias saß links vorne, ganz in Schwarz und tief verschleiert, ihre Mutter und strickte oder häkelte. Ein zweimanualiges Cembalo neben ihr. Eine große umgestürzte Straßenlaterne symbolisierte den Bruch in ihrem Leben. Antonia trug ein langes, dunkles Kleid. Wieder erklang eine wunderschöne voll erblühte und kultivierte Stimme, als sie ihr Auftrittslied begann. Und dann gab es wieder mal einen Franz, den man aber klugerweise auf wenige Zeilen verkürzt hatte. Hat vielleicht jemand den Rest vermisst?


Und dann gab es wieder meine geliebte Geigenarie, seelenvoll von Niklaus präsentiert. Ein Geiger begleitete im Hintergrund der Bühne dazu. Das hätte er allerdings leiser tun sollen, denn mit seinem lauten Spiel deckte er die Arie zu. Zur Geigenarie fielen sich Antonia und Hoffmann in die Arme. Verdienten Applaus gab es für die Geigenarie.


Um die Bühne leuchtete der Rand nun weiß, und wunderschöne Duette Hoffmann – Antonia folgten. Dann wurde es makaber. Zwei düster blickende weiß gekleidete Pathologen, hinter ihnen drei Totengräber, betraten drohend die Bühne. Auch Mirakel war ganz in Schwarz und hatte blutrote Handschuhe an. Bei der Pseudodiagnose war Antonia wie hypnotisiert. Vater Krespel wurde mit dem Elektroschocker aus dem Olympia-Akt paralysiert, ebenso Antonia, so dass sie ihren todbringenden Gesang herausschrie. Dabei musste ich an die angeblich fortschrittliche Verhaltenstherapie von Watson und Skinner denken, die auch mit Elektroschocks erwünschtes Verhalten bewirken sollte.


Auf einen Wink Mirakels hin öffneten die drei Totengräber einen Sarg, in den dann ein Streichinstrument nach dem anderen gelegt wurde. Vater Krespel ist Geigenbauer. So wurde sein Lebenswerk begraben, und symbolisch auch die Musik. Aus einem Trog unter der Bühne rauchte es gespenstisch dazu. Als der mit Instrumenten gefüllte Sarg verschlossen wurde, half sogar der willenlos gemachte Krespel dabei.


Die zwei Pathologen legten die sich wehrende Antonia auf das Bett, und ein ergreifender Abschied des Vaters von seiner Tochter folgte zum perfekt gesungenen Terzett. Krespel beschuldigte Hoffmann wegen des Todes seiner Tochter und verlangte nach einer Waffe. Ein danse macabre der Pathologen beendete diesen eindrucksvoll inszenierten Antonia-Akt, in dem es keine einzige Länge gab, wie leider so oft. Applaus und zweite Pause.

Das Innsbrucker Theater hatte zwei Pausen eingebaut, was richtig so ist. Zwei Mal hatte ich erlebt, dass der Antonia-Akt geteilt worden war. Das ist ungünstig. Wenn zwei Pausen stattfinden, freut sich doch auch die Gastronomie, und das Publikum kann sich die Beine vertreten. Die erste Pause in Innsbruck dauerte zwanzig Minuten, die zweite dann zehn. Diese Einteilung war klug gewählt.


Giulietta, Niklaus und Hoffmann


Rot leuchtete nun die Bühnenumrandung. Kein kreischendes Piccolo begleitete die Barkarole. Giulietta war wie eine Edelkurtisane gestylt und ruhte lasziv in einem Mittelding aus Gondel und Lotterbett. Rotelaternen und -Herzen leuchteten, und Niklaus hatte sich wie Hoffmann zur Gelegenheit in Frack und Zylinder geworfen. Pitichinaccio, als Nonne gekleidet, saß vorne links, wo im Antonia-Akt die Mutter gesessen war. Dapertutto war als Doge gestylt.


Opulenter Glanz und Glitzer herrschten in Venedig. Das Bühnenbild war raffiniert gestaltet. Grüne Meereswellen überzogen die Bühne von links nach rechts, und drei Gondeln schwebten darauf. Dann gab es mal wieder eine traditionelle, wunderschön gesungene Spiegelarie, zu der Schlemihl in Glitzerjacke einen funkelnden Diamanten demonstrierte. (Jacques Offenbachs Originalarie zu diesem Motiv war Oeser noch nicht bekannt, als er seine Version erarbeitete.) Und wir hörten den höchstmöglichen Ton dieser Arie, der mit Leichtigkeit und sauber erreicht wurde.


Giulietta und Dapertutto


Giulietta sang mit sinnlicher Stimme: Ich bin ein Tier, in einem goldenen Käfig gefangen. Die Regie hatte sich Mühe gegeben, Giuliettas Situation zu analysieren. Später durfte sie ausführlich ihre Seele öffnen und ihre prekäre Lage schildern: Glanz und Elend der Kurtisane. Es schien auch so, dass Giulietta echte Gefühle für Hoffmann entwickelte. Warum nicht? Kurtisanen (und Huren) sind auch nur Frauen, trotz ihrem Gewerbe, das sie oft aus Not und nicht immer aus Leichtsinn wählen. Doch dann wollte Giulietta Hoffmanns Spiegelbild. Dapertutto hatte mehr Macht über sie. Ein sinnliches und verführerisches Duett der beiden folgte.




Hoffmanns Apotheose


Dann gab es wieder ein Sextett, zu dem die Solisten nacheinander aus den Wellen auftauchten. Chor, Orchester und Solisten schafften es fast, zur gleichen Zehntelsekunde nach der Fermate einzusetzen. Schlemihl und Hoffmann fochten ihr Duell mit Gondelpaddeln aus. Doch dann legte sich ein drohender schwarzer Schatten über die Bühne, als Giulietta verschwand, nachdem sie die Nonne Pitichinaccio umarmt hatte. (Ein Kompliment übrigens an die gesamte Beleuchtung.)


Schön traurig ertönte der melancholische Bläserchor. Hoffmanns Freunde lagen trunken am Boden. Eine lebhafte Schlussszene entwickelte sich dann in Lutters Keller. Hoffmanns drei Geliebte erschienen im Hintergrund. Stella erschien nicht, dafür bekam Lindorf gleich alle drei zu einer ménage à quatre. Hoffmann sang den Rest des Klein-Zach. Danach waren Hoffmann und seine Muse alleine auf der Bühne.


Klammheimlich hatte sich der Chor an die Seiten des Parketts eingeschlichen, und eine ergreifende und musikalisch vollendete Apotheose erklang. Was für ein Hörgenuss von allen Seiten, ein Bad in gefühlvoller Musik, der alleine schon einen Besuch der Innsbruclker Inszenierung zwingend notwendig macht. Ganz narzisstisch ging Hoffmann alleine auf ein Fenster zu, durch das hell die Sonne schien. Eine Reise in´s Licht der Unsterblichkeit.

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Landestheater Innsbruck und beim Fotografen Rupert Larl. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Jubel brandete auf, noch als das Orchester die letzten Takte spielte. Alle Solisten wurden verdientermaßen gefeiert, denn so hervorragenden Gesang in allen Rollen hört man leider nur selten. Besonders gefeiert wurde natürlich Olympia, die nach nur einem halben Tag Proben Gesang und Schauspiel perfekt hinbekommen hatte. Jubel auch für den Dirigenten und das Orchester. Und wieder wurde unser begeisterter Applaus nach gut sechs Minuten abgewürgt. Liebe Innsbrucker, lasst uns doch weiterklatschen, ihr wart so gut und braucht eure Lichter unter keinen Scheffel zu stellen.


Nachdem ich die Premierenfeier nicht miterlebt hatte, durfte ich doch dank dem Entgegenkommen der Innsbrucker Theaterleitung nach der Vorstellung in die Kantine zu den Mitwirkenden. Ich musste nur versichern, dass ich gerade nicht erkältet war, denn um diese Jahreszeit schlagen die ersten Viren gerne zu. Vorher hatte ich an der Portiersloge einige der Mitwirkenden für Autogramme abgepasst. Das ist nicht immer einfach, denn ohne Maske und Schminke erkennt man sie meistens nicht. Aber manchmal warten andere Mitwirkende und Freunde am Bühneneingang, die einem verraten, wer da gerade aus der Garderobe kommt. Manchmal kann einem auch ein theaterbegeisterter Portier weiterhelfen. In Innsbruck waren es zwei Insider und Herr aus dem Extrachor. In der Kantine saß eine fröhliche Runde zusammen, und es folgten interessante Gespräche, allerdings meinerseits ohne alkoholischen Toast auf den Hundertsten, denn ich musste noch die 130 km nach München zurückfahren.







Olympia







Dirigent mit Besucher



Antonia mit Besucher

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