Dirigent und Regisseurin



Sinnlicher »Hoffmann« zum Anfassen in Waidhofen an der Ybbs





http://www.oper-rund-um.at/hoffmann





Besuchte Vorstellung: 22. Juli 2021 (Premiere)








Regie


Anna Bernreitner

Dirigent


Raphael Schluesselberg

Bühnenbild und Kostüme


Hanna Rosa Oellinger und Manfred Rainer

Version


Eigene Version, basierend auf Guiraud-Choudens

Sprache


Deutsch




Hoffmann


Sven Hjörleifsson

Muse


Christina Sidak

Olympia


Laura Jean Elligsen

Antonia


Zoe Nicolaidou

Giulietta


Barbara Maria Angermaier

Widersacher


Till von Orlowsky








Fazit: Ein »Hoffmann«, der einen in mehrfacher Hinsicht erfreuen musste. Aufgeführt von einer ad hoc-Operntruppe, die aus jungen Leuten zusammengestellt wurde, um an einem ungewöhnlichen Ort abseits der etablierten Theaterlandschaft Oper zu singen und zu spielen. Ich darf gleich vorausschicken: Die 300 km Fahrt nach Waidhofen haben sich gelohnt. Hoffmanns Erlebnisse wurden richtig dargestellt, schön gesungen und kompetent begleitet. Die gut 130 Plätze der Waidhofer Eishalle waren ausverkauft. Leider befanden sich nur wenige junge Leute im Publikum. Die Premiere war ein voller Erfolg. Das Publikum applaudierte bald im Stehen. Sieben Minuten dauerte der Premierenapplaus. Kompliment an Mutter und Tochter Bernreitner, die als gute Seelen und Mädchen für Alles diese Inszenierung auf die Beine stellten.


Waidhofen, südöstlich von Linz gelegen, ist ein malerischer Ort mit 11.000 Einwohnern im sogenannten Mostviertel, tief im Tal der Ybbs gelegen, die 50 km nördlich in die Donau mündet. Waidhofen wird umgeben von mittelhohen Bergen, die sich bis zu 2000 Metern erheben können. Waidhofen wird dominiert vom Rothschild-Schloss, das einst den führenden Finanzmagnaten gehörte und sich heute im Besitz der Gemeinde befindet. Anreise entweder mit der Bahn (Umsteigen in Amstetten) oder dem Auto.


Ehrentitel für Liebhaberopern und kleinere Bühnen


Im Schatten des Rothschild-Schlosses liegt eine in die Jahre gekommene Eishalle, in der die Initiatorinnen schon im letzten Jahr eine Oper stattfinden ließen, und zwar einen Offenbach´schen Orpheus. Sonst finden die Bernreitner´schen Opern in Schulen, im Schloss, in einer Fabrikhalle, im Freibad, in einem Supermarkt und an anderen ungewöhnlichen Orten statt, und das ist gut so, sehr gut sogar. Die Waidhofer Opern feiern heuer ihr zehnjähriges Jubiläum.


Opern finden nicht nur in den etablierten und meist hochsubventionierten Stadttheatern und Staatsopern statt, sondern auch in einer Vielzahl von europäischen winzigen bis größeren Orten. Seit 2007 durfte ich solche Amateur- oder Liebhaber-»Hoffmänner« sehen in Bad Orb, zwei in Berlin, eine in Gut Immling, Nordfjord/Norwegen, Sabadell/Spanien, Selzach/Schweiz, Vaduz/Liechtenstein und eine am L.E.O. In Wien. Liebhaberopern nenne ich sie deshalb, weil sie von wirklich begeisterten Opernliebhabern auf die Bühne gebracht werden. Gesungen und begleitet werden sie überwiegend von Profis. Und überall wurde ich erfreut von erstaunlich kreativen Ideen und gutem Gesang. Meistens werden solche Liebhaberopern von Vereinen opernbegeisterter Afficionados unterstützt, ohne die solche Inszenierungen nicht möglich wären. An den etablierten Theatern dagegen steht ein eingespielter Stab von Profis zur Verfügung, die Liebhaberopern dagegen sind auf viele Helfer angewiesen.

Wenn jemandem ein besserer Begriff als Liebhaberoper einfältt, bitte mich kontaktieren. Amateuroper wäre zweideutig, außerdem sind Profis unter Sängern und Musikern notwendig. Die Organisation solcher Opern liegt oft in den Händen von Opernfans ohne musikalische Ausbildung.



Das Prinzip ist immer das gleiche: Eine charismatische Person, in Waidhofen sind es deren zwei, lenkt das Ganze, und ohne sie liefe gar nichts. Und ohne Dutzende von Helfern wäre jeder Spiritus Rector mit den zahlreichen Problemen überfordert, die da vom Besorgen des Lokals, der Findung der Darsteller und tausend anderen Problemen bis hin zum Toilettenwagen zu bewältigen sind. Und dann muss noch Geld besorgt werden, denn Oper ist kein profitables Unternehmen sondern ohne Zuschüsse nicht möglich.


Das 17köpfige Orchester


Der Waidhofer »Hoffmann« fand unter den besonderen Bedingungen der Corona-Pandemie statt, die den Opernbetrieb weltweit lahmlegte. Man sollte geimpft sein oder ein Genesener, einen aktuellen Test vorlegen oder einen Antigentest. Das wurde am Eingang überprüft. Masken im Theater wurden nicht verlangt, auch saß man in den Stuhlreihen nahe beisammen. Die Waidhofer Eishalle ist nicht allseitig geschlossen, und so wehte immer ein frischer Wind durch den Raum und vertrieb hoffentlich alle bösen Aerosole, falls sie überhaupt vorhanden waren.


Die Bühne bestand aus rechteckigen Elementen in knalligen Farben, aus einem riesigen Mund kamen die Akteure herein. Ein mit einem schwarzen Tuch verhüllter Käfig wurde bedeutungsvoll hereingerollt. Die Muse in weitem Gewand beschrieb kurz den Rahmen, in dem die Oper stattfinden sollte. Ich empfand sie als mystisch-charismatische Figur, die mit wenigen Gesten die Szene umschrieb und beherrschte. Widerspruch zwecklos. Es ging etwas Hypnotisches von ihr aus. Links an der Bühne stand eine Staffelei, an die sie zu jedem Akt ein typisches Symbol hängte.



Einen eigenen Chor gab es nicht. Der wurde von den übrigen Darstellern gebildet, denen es nicht schwer fiel, die Halle mit ihrem Gesang zu füllen. Die Idee, einen vollständigen »Hoffmann« mit nur acht Vokalisten auf die Bühne zu bringen, war voll gelungen. In meiner Heimatstadt Regensburg wurde bisher ungefähr alle zehn Jahre ein »Hoffmann« inszeniert. Aber der letzte fand 2007 statt. Ich fragte, warum es keinen mehr gebe. Antwort: Mit unserem Ensemble können wir nicht alle Rollen besetzen. Frau Bernreitner konnte das mit acht Leuten.



Dann wurde Hoffmann aus seinem Käfig befreit. Eine interessante Idee, die ich noch nie gesehen hatte. Hoffmann war gefangen in seiner fatalen Liebe zu Stella. Hoffmann war gestylt und gab sich als naive Unschuld vom Lande, fast möchte ich sagen: In seinen kurzen Hosen wirkte er wie ein Waldschrat in unvertrauter Umgebung. Auf dem Kopf trug er einen unförmigen Hut. Eine von mir befragte Spezialistin für Dominanz bestätigte mir, dass Käfighaltung und Anbetung eines Fetisches wie im Olympia-Akt Indizien für ein Abhängigkeitsverhältnis Hoffmanns sind.


Olympia und Hoffmann


Dann hob er zum Klein-Zaches an. Eine strahlend klare helle und lyrische Tenorstimme war zu hören. Für seinen lebhaft und souverän vorgetragenen Klein-Zaches gab es den ersten Szenenapplaus; schon einmal ein gutes Zeichen. Und schon befanden wir uns im Olympia-Akt. Nachdem Coppelius dem Hoffmann eine Zauberbrille verpasst hatte, war der völlig hingerissen von Olympia, ohne ihrer überhaupt habhaftig zu sein. Er herzte und küsste ein Stück Tüll, das Teil ihres Kostüms war, wie ein Sklave, der sich mit dem Fetisch seiner Domina begnügen musste.


Als die Gäste ihr Lob auf Spalanzanis schicke Partys anbrachten, hopsten sie dazu auf Spacehoppern herum. Olympia kam als Braut ganz in Weiß. Sie trug das aufwändigste Kostüm in Waidhofen, wie man es auch in Profiopern sehen kann. Auch die Kostüme von Antonia und Giulietta waren chrakteristisch gestaltet, während die Kostüme der Männer eher einfach geschneidert waren. Schnell und präzise kam das Lob auf Olympias Augen, jedenfalls viel schneller als an der Bayerischen Staatsoper.


Während Olympias perfekt gesungener Koloraturarie saß Hoffmann zu ihren Füßen und himmelte sie mit offenem Mund an. Während ihres Auftritts bekam Olympia von Muse und Spalanzani Regieanweisungen: Lächeln! Fröhlich! Höher! Sportlich! usw. Großer Applaus und Brava-Rufe für diesen gelungenen Auftritt.


Antonia und Hoffmann


Der Dirigent stand mit dem Rücken zur Bühne. Erstaunlich, wie gut die Koordination zwischen Orchester und Bühnengeschehen klappte. Normalerweise blickt der Dirigent auf die Bühne und gibt den Sängern ihre Einsätze. Als Coppelius dem Hoffmann die Zauberbrille wegnahm, merkte der, dass er getäuscht worden war und wurde kräftig verlacht.


Antonia trat als feenartige Märchengestalt in einem hautengen Kostüm auf, das vorne mit roten Bändern geschmückt war. Gefühlvoll besang sie die entflogene Taube, wofür sie Applaus bekam. Stellenweise bekam ich den Eindruck, dass sie leicht nervös war. Ein Franz trat auf und sang von der mangelnden Methode und wurde beklatscht.


Hoffmann trat wieder im gleichen Kostüm auf und begrüßte Antonia herzlich. Von oben malte Mirakel der Antonia die Freuden einer Sängerinnenkarriere aus und warf ihr wie einer Diva Blumen zu, die sie beglückt aufhob. Das Terzett Antonia – Mutter – Mirakel wurde zu einem Hörgenuss. Die symbolbringende Muse trug eine Fahne mit Antonias Herz herein, die Mirakel triumphierend schwenkte. Und Pause.


In der Pause hörte man allgemein Anerkennung, dass alles bei der Premiere schon so gut klappte und auch dass zahlreiche Zuschauer diese Oper zum ersten Mal sahen, denn sie gehört ja nicht zu den meistgespielten. Diese »Hoffmann«-Debütanten schienen angetan von der musikalischen Vielfalt von Jacques Offenbachs Alterswerk. Ganz oben rangieren bekanntlich Mozarts Zauberflöte, Carmen und die ganzen Wagner- und Verdi-Opern. In der Hitliste der meistgespielten Opern rangieren die Contes auf Platz 20 bis 25, immerhin. Da die Contes während der Besetzung Festland-Europas durch Nazideutschland nicht gespielt werden durften, mussten sie sich ihren Platz nach dem 2. Weltkrieg erst wieder erobern.


Vor Beginn der Vorstellung hatte ich zu meiner Erleichterung erfahren, dass die Barkarole ohne Piccoloflötenbegleitung gespielt würde, und so kam es auch. Dank an den Dirigenten, dass er mein empfindsames Gehör schonte. Um so zauberhafter und sinnlicher wurde der Gesang von Muse und Giulietta begleitet. An manchen Theatern, so z.B. an der Münchner Staatsoper hatte ich eher das Gefühl, dass das Orchester die Barkarole im Stile eines Militärmarsches begleitete. Zur Barkarole räkelten (österreichisch: rekelten) sich die Muse und Giulietta lasziv auf der Bühne.


Vorne Giulietta, links oben Muse, rechts Hoffmann


Das Kostüm der Giulietta bestand aus unzähligen weißen Händen oder Handschuhen, die nach unten hingen und alle knallrote Fingernägel aufgemalt hatten. Eine originelle Idee. Was die mit ihren vielen Händen so alles anstellen kann. Ergreifend sang sie das Klagelied der Kurtisane. Hoffmanns Verlust seines Spiegelbildes wurde auch neu inszeniert. Er stand vor einer Batterie von gleißenden Neon- (oder LED-)röhren, die von Giulietta unvermittelt ausgeschaltet wurden. Gnadenlos grinste Giulietta dazu. Schlemihl und Pitichinaccio balgten sich um Giuliettas Gunst.


Es gab keine Spiegelarie, aber dafür ein Sextett. Die Schwierigkeit des kollektiven Einsatzes nach der Fermate wurde präzise gelöst. Dann wurde ich etwas ratlos. Nachdem Hoffmann merkte, dass er Giulietta verloren hatte, erklärte ihm die Muse ihre Liebe, und Hoffmann nahm sie auch an, aber dabei entfernte er sich von der Bühne und seiner die Vernunft symbolisierenden Begleiterin. Sollte das wieder ein offenes Ende sein, das sich jeder Zuschauer selbst ausmalen sollte? Licht aus und Ende der Oper.


Spontaner Jubel ertönte in der Eishalle. Nach zwei Minuten spendete das Publikum stehend Applaus. Alle Solisten wurden bejubelt, auch das Regieteam. Am meisten Applaus bekamen Hoffmann und Olympia.


Viele Premierenbesucher blieben noch in der Halle, um mit den Darstellern und dem Regieteam zu diskutieren. Ich war vermutlich der Besucher mit dem längsten Anreiseweg, aber auch ein junges Paar aus Graz war angereist, um diesen »Hoffmann« zu erleben. Sie hatten ihren fünf Monate alten Sohn Gabriel mitgebracht, der ohne einen Mucks zu machen die Premiere im Tragesack an Vaters Brust verfolgt hatte. Unsere Einschätzung deckte sich: Ein gelungener Opernabend.






Olympia, Giulietta und Antonia mit Besucher



Zwei aus Graz angereiste »Hoffmann«-Freunde mit ihrem fünf Monate alten Söhnchen Gabriel



Applaus für die Solisten. V.l. Widersacher, Giulietta, Krespel, Spalanzani, Dirigent, Hoffmann, Antonia, Muse und Olympia












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