»Hoffmann« als menschliches Drama und intelligenter Remix aus musikalischen Höhepunkten


oder


Ein ganz alltägliches Genie scheitert bei bezauberndes Musik


* * * * *



www.theater-chemnitz.de



Besuchte Vorstellung 21. September 2024 (Premiere)






Regie


Juana Inés Cano Restrepo

Dirigent


Lutz de Veer

Chorleitung


Stefan BIlz

Bühne


Anna Schöttl

Kostüme


Lena Weikhard

Version


Eigene Version

Sprache


Deutsch




Hoffmann


Daniel Pataky

Muse


Marlen Bieber

Olympia


Tea Trifcović

Antonia


Akiho Tsujii

Giulietta


Maraike Schröter

Widersacher


Thomas Essl




Fazit Chemnitz: Ein gewagtes und voll gelungenes Experiment, in dem die musikalischen Höhepunkte dieser Oper und Hoffmanns Scheitern in den Vordergrund gerückt wurden. Statt ermüdender Rezitative wurde die Handlung dieser Oper weitgehend pantomimisch und eidetisch dargestellt. Jacques Offenbachs berückende Musik wurde in einem Reigen der wichtigsten Arien zum musikalischen Großereignis, wobei die Regie großzügig am Libretto herumgesbastelt hatte. Auch wurde die Aufführungsdauer erfreulich komprimiert. Einschließlich Pause waren es gerade mal vorbildliche zweieinhalb Stunden. Musikalisch und stimmlich war alles in bester Ordnung, wie man es auf deutschen Bühnen gewohnt ist. Was besonders überzeugte, war die psychologische Vertiefung von Hoffmanns Erlebnissen und Scheitern. Eine zutiefst menschliche und lebensnahe Interpretation berührte uns Zuschauer. Zusammen mit den schönen Melodien Jacques Offenbachs wurde dies Inszenierung zu einem Gesamtkunstwerk, wie es der Botschaft dieser Oper entsprechend kaum besser interpretiert werden kann. Ein kreatives Bühnenbild und kongeniale farbenfrohe Kostüme rundeten diese avantgardistische Inszenierung ab. Das altersgemäß gut durchmischte Publikum ging nach anfänglicher Zurückhaltung begeistert mit und spendete am Schluss überdurchschnittliche elf Minuten Premierenapplaus, der noch länger hätte dauern können, wäre er nicht durch den Vorhang abgewürgt worden.



Das Chemnitzer Opernhaus liegt stadtnah neben einem Kunstmuseum und hat eine wechselvolle Geschichte. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es errichtet, im zweiten Weltkrieg zur Niederringung des Hitler-Faschismus zerstört, schon bald nach dem Krieg wieder aufgebaut und um die Wendezeit herum gründlich renoviert. Es strahlt eine gediegene und unaufdringliche Eleganz aus. Eine architecktonische Besonderheit bildet der Zuschauerraum. Breit und hoch, aber nicht sehr tief. Nur 15 Reihen umfasst das ansteigende Parkett. Zwei Reihen Balkone erheben sich darüber. Ein bemerkenswerter Bau, in dem man sich wohlfühlt. 712 Zuschauer finden Platz. Im Orchestergraben zählte ich vier Kontrabässe und fünf Celli.



Die Elite der Opernkritiker war nicht in Chemnitz eingefallen wie ein paar Wochen vorher in Salzburg, und auch Titel, Theasen, Temperamente verkündete in Südwestsachsen nicht, dass Offenbach nur eine Oper komponiert hatte. Ich fürchte, diese ausgezeichnete Inszenierung wird von unseren professionellen Medien, elektronisch wie papierern, genauso ignoriert werden wie alle herausragenden Inszenierungen der Contes zuvor. Heute, fünf Wochen nach der Premiere, wabert der Salzburger »Hoffmann« immer noch über Bildschirme und durch Lautsprecher. Vom viel überzeugenderen Chemnitzer »Hoffmann« gab es drei Tage nach der Premiere außer in der Sächsischen Zeitung nur zwei Besprechungen, in der Neuen Musikzeitung www.nmz.de („Hochprozentiger Offenbach in Chemnitz“) und auf www.freiepresse.de („Wilde Nacht im U.Bahnschacht“).


Das Programmheft (1.-) ist reich bebildert und enthält ein aufschlussreiches Interview mit der Regisseurin. Überschrift: Episoden des Scheiterns. Ein paar Sätze daraus: „... dass Hoffmann eigentlich ganz allein mit sich selbst und seinen inneren Dämonen ist und ihm niemand zuhört.“ - „Tagtäglich gehen wir mit gesenktem Kopf an Menschen vorbei, ohne uns mit den Geschichten zu beschäftigen, die sie an den Abgrund gebracht haben.“ - „ … Versuch einer Selbstrettung und die Sehnsucht eines Menschen, aus einer ausweglosen Situation zu entfliehen.“ Das sind schon mal faszinierende und psychologische Gedanken, die man nur selten bei Inszenierungen dieser Oper vernimmt.


„ ,,, dass das Ziel der Muse ist, Hoffmann aus der Verblendung zu reißen.“ Die Muse ist ein interessanter Charakter. Sie stammt nicht aus den Erzählungen E.T.A. Hoffmanns sondern wurde von den beiden Verfassern des Schauspiels Carré und Barbier eingefügt. Sie verkörpert die Vernunft gegenüber dem Sponti Hofffmann und entstammt vermutlich der Ideenwelt der französischen Revolution, die sich die Umsetzung der Ideen der Aufklärung auf der politischen Ebene zum Ziel gesetzt hatte, wie schon zuvor Schikaneders und Mozarts Zauberflöte. Doch auch die Muse scheitert, wie auch die französische Revolution grandios scheiterte. (Die Franzosen hatten bekanntlich nicht nur eine Revolution, sondern fünf nacheinander, bis sie endlich eine stabile Demokratie zu Stande gebracht hatten.)



Interessante Gedanken, die aufgreifen, was in der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Luft lag. Der Philosoph Arthur Schopenhauer, Inspirator Sigmund Freuds, befasste sich mit dem Menschen als Wille und Vorstellung. Mit dem Willen meinte er unsere angeborene Triebwelt, und mit der Vorstellung meinte er die Art, wie wir die Welt um uns herum, wahrnehmen, wobei jedoch unsere Wahrnehmung nur selten mit der uns umgebenden realen Welt übereinstimmt. In diesem Dilemma müssen wir Geworfene leben, nachdem wir nun mal geboren wurden.



Laut der Regisseurin scheitert Hoffmann am Geld, an der Liebe und am Ruhm. Man kann an Wolfgang Koeppens Roman Trilogie des Scheiterns denken. Sie beklagt die Rolle der Frau als Rettungsanker, als Lösung aller Probleme und gleichzeitig als Sündenbock für das eigene Unglück. Nun, damit mag sie recht haben. Umgekehrt stoßen aber Frauen uns Männer auch in ebendiese Rolle. Diese letztere spielt aber in unserer Oper kaum eine Rolle. Ein scheiternder Mann wird heute als Loser bezeichnet, ein dreimal gescheiterter Mann wird einfach nur mehr ignoriert. Auf Frauen wird dieser Begriff nicht angewandt. Sie kann ja immer noch Hausfrau und Mutter werden. Ein Mann muss performen,.wie man heute sagt.

Was meint Juanita Cano Restrepo mit Geld, Liebe und Ruhm bezogen auf diese Oper? In unserer Gesellschaftsform sichert Geld unser materielles Überleben. Je mehr Geld wir haben, um so vermeintlich sicherer leben wir. Stichwort Gier. Im Giulietta-Akt streben Dapertutto und die Kurtisane nach weltlichen Gütern. Die Kurtisane Giulietta lebt von den Scherflein ihrer Freier. Macht über andere spielt eine große Rolle für Dapertutto.

Liebe, hoffentlich verbunden mit Erotik und Sex, wollen wir alle, wie der Olympia-Akt vorführt.

Ruhm strebt nicht jeder an, aber ein bisschen Anerkennung tut uns allen gut. Antonia allerdings will mehr. Sie lässt sich vom Einflüsterer Mirakel zu Höherem verleiten und scheitert existenziell.

Vor vielen Jahren sah ich in einer Zeitung die Überschrift zu einem Aufsatz: Wir alle scheitern beim Ausleben unserer Liebe. Ich vermied es, den Aufsatz zu lesen.

Von solch anregenden Gedanken munitioniert sieht man der Oper mit Gespanntheit entgegen. Ich darf gleich vorausschicken: Die Erwartungen wurden erfüllt.



Die Premiere war nicht ganz ausverkauft, obwohl die Chemnitzer Oper durchaus zivile Preise verlangt. Der teuerste Platz ist mit 57 Euro ein Schnäppchen. Das Orchester spielte im Frack. Ein paar Musiker trugen sogar Lackschuhe dazu. Es gab eine Einführung.


Der »Hoffmann« begann nicht wie üblich in Lutters Taverne sondern mit der sinnlich-romantisch begleiteten Barkarole (ohne Piccoloflöte) in einem tiefen über 20 m langen Gewölbe, das perspektivisch noch länger wirkte. Nebel waberten, und es schneite. Hoffmann taumelte trunken von irgendwoher nach vorne.´Die Muse glühte rothaarig wie Hoffmann. Beide waren identisch gekleidet, die Muse als zweites Ich des Hoffmann. Zur Barkarole kam Giulietta als Engel aus dem Untergrund. Nein, keine Gondeln auf der Bühne sondern symbolisiert durch Stuhlreihen auf Rollen, die vorwärts gepaddelt wurden. Die Schneeflocken erwiesen sich als Seifenblasen.


Aha, wir waren also in Giuliettas Etablissement, und passend dazu sang Hoffmann eine orgiastische Ode an die Lust. Und weiter ging es mit einer hedonistischen Giulietta. Die Muse wirkte wie ein hyperaktiver Kobold, und ein androgyner Schlemihl ritt auf einem Einhorn herein. Und dieser Schlemihl sang, wie er das sonst praktisch nie tut. Selten zu hörende schwelgerische Originalmusik des Jacques Offenbach.



Dapertutto kam ganz in Schwarz auf die Bühne. An seinen Rücken klammerten sich drei Figuren. Und er sang die Nummer vom schwarzen Jäger. Eine Überraschung nach der anderen bisher. Dann beauftragte er Giulietta, dem Hoffmann das Spiegelbild zu rauben. Giulietta war nicht als Domina gestylt sondern eher als üppige-elegante Salondame mit Zauberstab. Hoffmann verfiel sofort der Kurtisane. Viele Spiegel wurden auf die Bühne getragen. In diesen Spiegeln verschwand Hoffmanns Seele, doch er bekam Giulietta nicht.



Die Muse verschwand im Untergrund, und kräftiger Applaus, als dieser Akt endete. Das war nun alles völlig neu, was man da erlebte. Kaum Rezitative, aber lauter schöne Musik von Jacques Offenbach. Statt endloser gesungener Debatten wurden die Interaktionen der Charaktere pantomimisch dargestellt, und zwar höchst anschaulich und gut verständlich. Verblüffend und höchst anregend..

Eine orangenfarbene U-Bahn führ quer über die Bühne herein, und sie beförderte Olympia, deren Akt folgte.


Der Olympia-Akt begann passend mit der Geigenarie, in der die Macht der Liebe besungen wird. Für dieses emotional vorgetragene Meisterstück Jacques Offenbachs gab es verdienten Applaus. Riesige Uhren hingen im Raum. Und dann folgte – Überraschung – die konventionelle Spiegelarie, allerdings mit neuem Text. Applaus für dieses Implantat des Andreas Bloch von 1904 in Monaco. Dann fuhr die U-Bahn wieder herein, und viele Hochzeitspaare kündigten die Vermählung Hoffmanns mit Olympia an, wie sie die Intrige Spalanzanis und Coppelius´ vorsieht. .



Präzise und flott kam das Lob auf Olympias Augen. Olympia wurde auf einem riesigen Stuhl hereingerollt. Hoffmann gesellte sich sogleich zu ihr, und die Buchstaben H & O wurden von einem großen Herzen eingerahmt. Diese Olympia machte sich sogleich daran, den Hoffmann zu verführen, wobei die Hochzeitspaare dezent wegschauten. Kamasutra wurde jetzt nicht gerade geboten, aber es gab schon verschiedene Stellungen, und Olympias Arie illustrierte deren gerade herrrschende Erregung akustisch.


Hoffmann war völlig hingerissen und merkte gar nicht, wie er betrogen wurde. Als Hoffmann meinte: sie liebt mich, verschwand sein Objekt der Begierde im Hintergrund durch ein leuchtendes Tor in eine andere Welt. Die Muse spielte mit einer der Olympia nachgestalteten Puppe, und Hoffmann herzte sie. Die U-Bahn fuhr wieder herein, brachte Coppelius auf die Bühne, der merkte, dass er betrogen wurde.


Hoffmann und die Muse gerieten in einen wilden Streit, da Hoffmann offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen wollte, wie er betrogen wurde. Coppelius zerstörte Olympia, und der Akt war aus. Der Applaus dafür war kräftig und anhaltend. Wir hatten viele schöne Musik gehört, auf der Bühne wurde heftig und verständlich agiert, und die Botschaft war angekommen: Betrug und Intrigen überall, Hoffmann ist unbelehrbar, seine Muse verzweifelt. Und Pause.



Auch der Antonia-Akt begann mit einer Überraschung: Hoffmann sang den Klein-Zaches. Macht Sinn, denn diese Arie beschreibt den hässlichen Zwerg, als der er sich fühlt. An der Wand hing ein Plakat der Stella, das angestrahlt wurde, als er zur geliebten Diva überging. Dabei schwenkte er selig Stellas Portrait. Und wieder erschien die U-Bahn, die den Fantasten mit der realen Außenwelt verbindet. Applaus für den dramatisch und stimmlich perfekt vorgetragenen Klein-Zaches, der unter die Haut ging. .



Antonia stieg aus der U-Bahn, denn sie ist ja eine reale Person, und eine stürmische Begrüßung des Paares folgte. Als Antonia sang, senkte sich hinter ihr ein großer roter Bühnenvorhang herab. Den Liebesduetten Hoffmanns – Antonias wurde dramatischer Sinn gegeben, denn die Muse litt sichtlich unter dieser Annäherung. Antonias Vater Krespel war als komischer Alter charakterisiert. Respekt, dass die Regie auf den Auftritt des Franz verzichtete.


Doktor Mirakel beschwor Antonias Karriere in gespenstischer Atmosphäre. Eine Geige verkörperte ihre Hingabe an die Musik. Deutlich wurde herausgestellt, dass Mirakel vorhatte, Antonia zu töten. Die wehrte sich aber gegen den Einflüsterer. Eine stimmlich wie dramatisch großartiges Terzett Antonia – Mutter – Mirakel folgte, eines der besten, das ich je hörte, auch von der Orchesterbgleitung her. Das Publikum wollte applaudieren, doch der Dirigent ließ weiterspielen. Muse und Mirakel trafen sich: Hoffmann soll gerettet werden. Und dann verschwanden Hoffmann und die Mutter im Untergrund.



Und dann folgten die Auftakte, mit denen diese Oper normalerweise beginnt, allerdings ziemlich flott, fast fröhlich. Und dann folgten die Geister des Bieres und des Weines bei Lutter. Sah ich das richtig, dass die Muse und Hoffmann auf dessen Freunde einprügelten? Na gut, die preisen schließlich den Rausch, den Feind der Vernunft, und Hoffmann erkannte sein Dilemma.



Dann folgte das musikalisch beeindruckende Sextett, das sich im Laufe der chaotischen Aufführungsgeschichte dieser Oper eingeschlichen hatte, aber nicht von Jacques Offenbach sondern von Andreas Bloch stammt. Der Einsatz der Sechs und des Chores nach der Fermate gegen Ende erfolgte ziemlich synchron, was nicht immer gelingt. Applaus dafür. Die Muse sang aus vollem Herzen die Apotheose auf Hoffmann und die Asche seines Herzens in einem gewaltigen Finale.

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen bei und beim Fotografen...... Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Spontaner Riesenapplaus und viel Jubel.für das Ensemble. Elf Minuten Premierenapplaus sind schon überdurchschnittlich. Ein einzelner schnell ersterbender Buh-Ruf erklang, als das weibliche Regietrio auf die Bühne kam, aber niemand stimmte ein. Leider wurde er durch einen Vorhang demonstrativ guillotiniert. Ein gewagtes und innovatives Experiment war erfolgreich zu Ende gegangen. Wer diese Oper gut kannte, fand sie überhaupt nicht verfremdet, denn Hoffmanns Erlebnis wurden nur in anderer Reihenfolge und mit hin- und hergeschobenen Musiknummern erzählt, und wer diese Oper zum ersten Mal sah, war beeindruckt von der musikalischen Dichte und der mimisch gut verständlich präsentierten Handlung.

Sollte ich etwas nicht ganz richtig verstanden haben, bitte ich um Nachsicht. Es gab viel Überraschendes, Verblüffendes und auch Erhellendes.

















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