Es war zwar Vatertag, aber nicht nur Väter
waren dabei, als ein paar PRO BAHNer an Christi Himmelfahrt zwar nicht
in den Himmel, sondern nur in die Schweiz fuhren, um einen Teil des Appenzeller
Schmalspurnetzes zu bereisen. Alle Strecken zusammen wären für
eine Eintagsreise an der Grenze des Möglichen, aber von München
aus ist diese Gegend nahe genug, daß man auch ohne Übernachtung
einen schönen Eindruck bekommen kann. Gelobt sei der Allgäu-Schwaben-Takt,
der auch diese Gegend für uns zum gut erreichbaren Ausflugsgebiet
gemacht hat.
Bis St. Gallen war es eine Fahrt im bewährten EC „Angelika Kauffmann",
der ja für viele oberbayerische Schweiz-Ausflüge schon eine Institution
ist, berühmt für den SBB- Speisewagen mit reichlichem Frühstück
und dem Brotkorb zum Nachfassen. Abfahrt in München um 8:14 Uhr. Das
Wetter drohte mit Regen (und hielt das Versprechen leider auch), und von
den Güssen der Vortage quollen alle Gewässer gelbbräunlich
über.
In St. Gallen gab es erst einmal einen Schreck: „Busersatz". Aber eine
halbe Stunde später fuhr doch wieder ein Zug. Eine Mure hatte die
Strecke überschwemmt, aber die Störung war schnell buchstäblich
wieder bereinigt. In unserer Heimat hätte man das Ereignis sicher
zum Anlaß genommen, die Strecke endgültig stillzulegen, siehe
bekannte Beispiele in unserer Nähe.
Vor dem Bahnhofsgebäude, wie oft in der Schweiz, treffen sich die
Schmalspur- Anschlußlinien, zum einen die Fahrzeuge nach Trogen mit
straßenbahnartig engerem Profil, andererseits die Appenzellerbahn,
beide trotz gleicher Spurweite (ein Meter) ohne betriebliche Verbindung.
Gleich zu Beginn führt der Zug Richtung Appenzell steil auf Zahnstange
über eine Schleife einen Hang hinauf. Gerade dieser Abschnitt mit
einer besonders schönen Aussicht soll künftig durch einen Tunnel
im Adhäsionsbetrieb ersetzt werden; schön, ihn noch so erlebt
zu haben.
Bis Gais fährt die Bahn entlang der Straße und mitten durch
die Ortschaften, sicher nicht ganz leise, aber die Autos machen mindestens
soviel Lärm.
Das ist echte Flächenbahn! Ein ganzes Streckennetz auf Schmalspur,
Halbstundentakt von Dorf zu Dorf, moderne Triebzuggarnituren; es geht also.
Die drei bis vier Wagen je Zug waren nur auf Teilstrecken halbwegs gut
besetzt, es gab immer sofort Sitzplätze zusammen für die ganze
Gruppe von sieben Personen, manchmal waren wir ganz unter uns, und trotzdem
scheint niemand dieses Verkehrsmittel zusammenstreichen zu wollen.
Der Kanton Appenzell besteht aus den zwei Halbkantonen Außer-
und Innerrhoden; was das genau bedeutet, weiß wohl nur ein Eidgenosse
wirklich. Jedenfalls gibt es in Appenzell noch regelmäßig die
„Landsgemeinde", ein Treffen von Bürgern auf einem großen Platz,
die dort lebendige Demokratie veranstalten und gemeinsam persönlich
wichtige Entscheidungen treffen. Während der übrigen Zeit des
Jahres werden dort Autos abgestellt. Die Landschaft ist allgemein berühmt
für ihr lebhaftes Voralpen-Hügelrelief; auf den wirklich sattgrünen
Wiesen wächst das Gras, das wir nach Kuhdurchgang als würzigen
Käse kennen. Die Holzhäuser mit breiten Fensterbändern und
senkrechten Schubklappen statt Läden sind kennzeichnend gerade für
diese Gegend. Und über allem thront der Säntis, der an diesem
Tag leider in Regenwolken steckte.
Gais war der Ort für das Mittagessen. Hotel „Falken": gut bürgerlich
auf Schweizer Art, durchaus zu empfehlen. Hier fanden wir, daß die
Räume in den alten Häusern ziemlich niedrig sind; wahrscheinlich
kommt daher der Ruf der Appenzeller, klein zu sein. Tatsächlich waren
die Leute dort, die wir gesehen haben, durchaus normalwüchsig. Und
wir hatten auch niemanden beobachtet, der den Käse samt dem Teller
gegessen hat. Der Ort hat einen schönen Dorfplatz im Appenzeller Stil
mit geschweiften Giebeln, vor allem aber eine Schienenkurve von 180°,
eher schon eine Ecke, fast so eng wie in H0.
Die weitere Fahrt nach Appenzell, dort fährt eine Stichbahn ins
Gebirge nach Wasserauen und ein Streckenast mit dem zweiten noch verbliebenen
Zahnstangenabschnitt weiter bis nach Altstätten im Rheintal. Das letzte
Stück bis zum SBB-Bahnhof hat man leider stillgelegt - Brannenburger
Mißstände, sogar in der Schweiz. Es wurde früher zusammen
mit einer Straßenbahn des Ortes betrieben, die auch verschwunden
ist.
Wir fuhren aber in die andere Richtung weiter. Die Kehre von Urnäsch
ist weiter als in Gais, aber schöner, mitten in den Käsewiesen;
dort gab es deshalb eine halbe Stunde Fotohalt (im Regen). Der Rest der
Strecke führt weiter zum Normalspuranschluß in Gossau. Richtung
Weinfelden fuhren wir wieder auf Vollbahngleis unter anderem auf einer
großzügigen Schleife durch Bischofszell, die so weit auslädt,
daß zwischen den beiden Bahnhöfen des Ortes ein abgelegenes
Dorf erschlossen wird.
Weinfelden ist Sitz der rührigen und erfolgreichen Mittel-Thurgau-Bahn.
Das letzte Streckenstück mit einer kurzen verlorenen Stichfahrt war
die Verbindung nach Romanshorn zur Fähre.
Das Wetter hatte sich gebessert, auf den Bahnhöfen standen die
Möbel im Freien, und man wurde draußen bedient. Die Wolken drohten
noch, und auf dem Bodensee, wo es so oft dunstig ist, hatte man rundum
Sicht bis zu den fernsten Bergketten und zum Horizont. Aber am Säntis
hingen immer noch die Regenwolken. Der See war vom Regenwasser aus den
Zuflüssen braun und trüb, und Treibgut bis zu ausgewachsenen
Bäumen zwang das Fährschiff zu Umwegen.
Die Verbindung zwischen Friedrichshafen Hafenbahnhof und Hauptbahnhof
ist auch ein Erlebnis: sicher eine der interessantesten Vollbahnstrecken
weltweit. Zur Abwechslung reisten wir schließlich mit einem Interregio
nach Ulm und von dort im IC nach München zurück.
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