In der Politik gibt es ein Thema, über das schon seit
Jahren mit aller Regelmäßigkeit diskutiert wird, da es
immer wieder aktuell ist: Die Renten. Löcher in den Kassen
der Rentenversicherungsträger zwingen die verantwortlichen
Politiker zu immer neuen Maßnahmen, um die Renten sicher zu
machen, was immer damit auch gemeint ist. Jedenfalls kann
das System der gesetzlichen Altersrente nicht schon dadurch
als sicher eingestuft werden, indem eine regelmäßige Renten-
auszahlung zum Monatsersten gewährleistet ist, vor allem
wenn dies nur durch ständige Erhöhung des Beitragssatzes
auf der Einnahmeseite bzw. durch drastische Leistungskürzungen
auf der Ausgabenseite erreicht wird. Der heutige
Beitragszahler will auch die Sicherheit, daß er später als
Rentenempfänger nicht nur einen Betrag erhält, der aus
Sicht der Rentenversicherungsträger finanzierbar ist, sondern
der einen angemessenen Gegenwert für seine geleisteten
Beiträge darstellt.
Ab welcher Höhe eine Rente als angemessen erachtet werden
kann, ist nicht analytisch ermittelbar. Beliebt ist aber
ein Vergleich der Rentenauszahlungen mit den zu erwartenden
Leistungen einer Lebensversicherung, wenn die Rentenversiche-
rungsbeiträge an ein entsprechendes privates Versicherungs-
unternehmen gezahlt und verzinst würden.
In einer diesbezüglichen Modellrechnung von SCHALLÖHR
erscheint die gesetzliche Altersrente nicht gerade lohnend.
Leistet ein Selbständiger ab 1989 laufend Beiträge an die
Rentenkassen, muß er bei einem Rentenbeginn mit 65 Jahren
zwischen 88 und 99 Jahre alt werden, damit er seine
Einzahlungen mit einer bis zum Rentenbeginn jährlichen
Verzinsung von 6 % zurückerhält. Bei einer Rente von einer
Lebensversicherung ist die Rückzahlung deutlich früher
abgeschlossen, selbst wenn man aus risikotheoretischen
Gründen etwas älter werden muß, als die durchschnittliche
Lebenserwartung hoffen läßt.
Abhängig von der Anzahl der Beitragsjahre; je mehr Beitragsjahre, umso länger muß die Rentnerphase sein.
Abhängig Beschäftigte tragen zwar nur die Hälfte des
Beitrags, so daß ihre Rentenphase nur halb so lang dauern
müßte, um ihren Beitragsanteil zurückzuerhalten. Um aber
einen korrekten Vergleich zu ermöglichen, muß dem Kapitalrückfluß
auch der Arbeitgeberteil des Beitrags gegenübergestellt werden.
Früher war die gesetzliche Rentenversicherung noch
günstig. Beispielsweise mußte man 1965 für eine Monatsrente
in Höhe von 100 DM 11.970 DM zahlen, während im Jahre 1989
schon 20.117 DM fällig waren. Das entspricht einer Verteuerung
um ca. 68%. Auch MERKLEIN meint hierzu, daß sich
die gesetzliche Altersrente für die Rentner der 80-er Jahre
noch sehr gelohnt hat, während sie für die jetzt jüngere
Generation sehr kostspielig wird.
Selbst wenn man sich über die einzelnen Rentabilitätsberechnungen
uneinig sein kann, wird doch eines deutlich:
entweder entstehen bei gleichbleibendem Rentenrecht wegen
dem aus verschieden Gründen (allen voran die Geburtenentwicklung)
immer schlechter werdenden Verhältnis von Beitragszahlern
zu Rentenempfängern große Finanzierungsprobleme seitens
der öffentlichen Rentenversicherungsträger oder das
Rentenrecht muß - natürlich zu Ungunsten der
Rentner und/oder Beitragszahler - geändert werden. Dies
sorgt immer wieder bei einem Großteil der Bevölkerung für
Unruhe und ist somit auch zu einem brisanten Thema für die
Sozialpolitiker geworden.
Abgesehen von der Kapitulation Deutschlands 1945, bei der
das Vermögen der Rentenversicherung verloren ging, werden
besonders zwei Zeitpunkte mit der Rentenkrise in Verbindung
gebracht. MERKLEIN sieht schon in der Rentenreform von 1957
den wahren Beginn der Krise. Dabei werden nicht die damali-
Vgl. § 1385 Abs. 4 RVO bzw. § 112 Abs. 4 AVG
Vgl. Schallöhr, Knut M.: Ist die gesetzliche Rentenversicherung noch die geeignete Alterssicherung für Selbständige?, Starnberg 1989, S. 6 ff.
Vgl. Merklein, Renate: Die Rentenkrise, Hamburg 1986, S. 77 f.
Vgl. Roth, Richard: Rentenpolitik in der Bundesrepublik: Zum Verhältnis zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und der Gestaltung eines sozialstaatlichen Teilbereichs 1957-1986, Marburg 1989, S. 25
gen Rentenerhöhungen an sich (die Dynamisierung der Rente
wurde eingeführt) bemängelt, sondern die Art, wie diese
finanziert wurden. Bis dahin hatten nämlich die Alterskassen ihren
Reservebestand von nahe Null am Kriegsende bis
auf 20 Monatsausgaben aufgestockt. Eine Reserve gegen das
Überalterungsrisiko wurde nun für immer unwichtiger gehalten und
daher nach und nach auf den derzeitigen Stand von
rund einer Monatsausgabe gesenkt. Die dadurch frei werdenden
Mittel konnten rechtzeitig zur Bundestagswahl 1957 für
Rentenerhöhungen genutzt werden.
Ebenso sorgte vor der Bundestagswahl 1972 eine Rentenreform für
weiteres Aufsehen. Neben den leistungserhöhenden
Maßnahmen (Einführung der flexiblen Altersgrenze von 63
Jahren und Rente nach Mindesteinkommen, Abschaffung des
Rentnerbeitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung)
wurde noch eine leider nur kurzfristig kapitalbringende
Regelung beschlossen: die gesetzliche Rentenversicherung
wurde auch solchen Personen zugänglich gemacht, denen
bisher ein Beitritt verwehrt war, wie z.B. den Selbständigen.
Bis Ende 1975 konnten diese durch billige Einmalbeiträge die
Rentenbeiträge für vergangene Jahre nachzahlen
und sich so einen damals noch sehr rentablen Rentenanspruch
sichern, welcher später die Kassen belasten wird.
Obwohl sich die finanziellen Schwierigkeiten auf die
gesamte gesetzliche Rentenversicherung erstrecken (der
Beitragssatz wird nicht nach Rentenarten getrennt kalkuliert),
wird in dieser Arbeit das Problem weitgehend aus
Sicht des wichtigsten Teilbereichs, die Altersrente,
betrachtet. Dennoch gibt es Lösungsansätze, die auch über
diese Partie hinaus wirken und sogar das komplette staatliche
Rentensystem betreffen können.
Vgl. Merklein, Renate: a.a.O., S. 98 ff.; Einen Zusammenhang zwischen Rentenreform und Bundestagswahl sah auch:
Roth, Richard: a.a.O., S. 36
Wurde inzwischen wieder eingeführt
Vgl. Petersen, Hans-Georg: Sicherheit der Renten? Die Zukunft der Altersversorgung, Würzburg - Wien 1981,
S. 27 ff.
Auf die Behandlung von Sonderfällen, z.B. Regelungen für
Knappen und deren eher geringen Auswirkungen auf die
Rentenfinanzen wurde aus Platzgründen verzichtet. Vielmehr
wird bei den meisten Betrachtungen eine standardisierte
Modellwelt zugrundegelegt, um die wesentliche Problematik
verständlicher darzustellen.
Nach Klärung einzelner Grundfragen (Kapitel 2 und 3) sollen
zuerst mögliche Finanzierungsprinzipien (Kapitel 4) und
dann die Problemursachen aus der Praxis heraus dargestellt
werden (Kapitel 5). In Kapitel 6 werden Lösungswege für
eine vor allem langfristig stabile Rentenfinanzierung
gesucht und gewürdigt.
2. Zielsetzung der gesetzlichen Altersrente
2.1 Die Sicherung der Grundbedürfnisse
Der Hauptzweck der gesetzlichen Altersrente liegt in ihrer
Lohnersatzfunktion für Menschen, die aus Altersgründen
einer Beschäftigung gegen Entgelt nicht mehr oder nur noch
im geringen Maße nachgehen können. Nach der ursprünglichen
Idee der Kaiserlichen Botschaft von Wilhelm I vom 17.
November 1881, einem historisch ersten Ansatz zur Lösung
drängender sozialer Probleme, hieß es, daß denjenigen,
welche durch Alter erwerbsunfähig wurden, ein höheres Maß
an staatlicher Fürsorge zugute kommen soll. Nur das bloße
Erreichen eines bestimmten Lebensalters sollte demnach also
nicht genügen. Erst im Gesetz, betreffend die Invaliditäts-
und Alterssicherung vom 22.7.1889 wurde bestimmt, daß die
Altersgründe schon allein durch Vollendung des 70. (ab
1911: des 65.) Lebensjahres gegeben waren. Dafür mußte aber
eine Wartezeit eingehalten werden, d.h. nur wenn während
des Arbeitslebens über mehrere Jahre, die Wartezeit,
Rentenbeiträge entrichtet wurden, war man berechtigt, Ren-
Damals betrug sie für die Altersrente, abgesehen von
Einführungsbestimmungen in der Anfangsphase, 30 Jahre.
tenzahlungen des Staates zu erhalten.
Besonders in den Zeiten steigenden Wohlstands der Nach-
kriegsjahre stellt sich nun die Frage, wie das Versorgungs-
niveau der Rentner im Vergleich zu den Lebensbedingungen
der arbeitenden Bevölkerung aussehen soll. Anfangs ging es
"nur" um die Sicherung der üblichen Bedürfnisse zum Überleben
für die "Alten", da die Großfamilien, in denen sie bis
dahin versorgt wurden, aus gesellschaftlichen Gründen
(zunehmende Industrialisierung und damit verbundene Landflucht
der jüngeren Bevölkerung) immer mehr verschwanden.
Heute aber würde eine Versorgung auf solchem Niveau gerade
nur als das Existenzminimum bezeichnet werden, mit dem kaum
jemand zufrieden wäre. So entstand eine Rente, die sich vor
allem an dem vom Rentenempfänger bisher erreichten Lebensstandard
- gemessen an seinen bisherigen vom Einkommen
abhängigen Beiträgen - orientieren soll. Dennoch ist die
Rente kein vollständiger Lohnersatz; sie bietet nur eine
Sicherung individueller, aufgrund des bisherigen Lebensstandards
gegebenen Grundbedürfnisse. So lag das Nettorentenniveau bei 45
Versicherungsjahren mit Durchschnittsverdienst bei 72,3 % im
Jahre 1989, d.h. die Altersrente
betrug nur knapp Dreiviertel dessen, was einem bisher als
Einkommen zur Verfügung stand. Um den erreichten Lebensstandard im
Alter vollkommen zu erhalten, muß also für
weitere Einnahmequellen zum Lebensabend (z.B. durch
betriebliche Altersversorgung, private Lebensversicherung)
gesorgt werden. Man muß aber auch berücksichtigen, daß es
während der Erwerbsphase Kosten gab, die nicht direkt zum
Wohlstand des Erwerbstätigen beitrugen und nun im Alter
wegfallen. Dazu zählen vor allem Werbungskosten, die nur
dem Nachgehen einer Erwerbstätigkeit dienen, wie z.B.
Fahrtkosten zur Arbeitsstätte.
In Anbetracht der Finanzierungsprobleme muß geprüft werden,
Zur historischen Entwicklung vgl. Petersen, Hans-Georg: a.a.O., S. 21 ff.
Vgl. ebenda, S. 15 f.
Vgl. Roth, Richard: a.a.O., S. 325
ob eine Änderung unseres Rentenniveaus mit entsprechender
Beitragsanpassung diese Schwierigkeiten in irgendeiner
Weise beeinflußt. Eine Erhöhung in Richtung staatlicher
Vollversorgung - das Rentenniveau ist so hoch, daß kaum ein
Rentner Einkünfte neben der gesetzlichen Altersrente
wünscht - wird immer unvorstellbarer. Es wächst der Unmut
über eine unrentable Geldanlage, wie sich die gesetzliche
Altersrente für die heutigen Beitragszahler darstellt, mit
dem Anlagevolumen. Außerdem ist es sehr fraglich, ob eine
gesetzliche Altersrente auf diesem Niveau Staatsziel sein
kann. Der GESAMTVERBAND DER DEUTSCHEN VERSICHERUNGSWIRT-
SCHAFT e.V. weist darauf hin, daß "in einer sozial
verpflichteten Marktwirtschaft .. das Gesamtsystem
der sozialen Sicherung von der staatlichen und der privaten
Vorsorge gemeinsam getragen [wird]" und hält sogar noch
"eine Gewichtsverlagerung ... zur individuellen Vorsorge
... wegen der demographischen Strukturverschiebungen" für
"unerläßlich."
Diese Argumentation wird auch von LORENZ unterstützt.
Unter anderem weist er, bezugnehmend auf das Bundesverfassungs-
gericht, darauf hin, "daß das Sozialstaatsprinzip
nicht zur Expansion der Sozialversicherung zwingt" und
sieht in einer staatlichen Totalversorgung sogar verfassungsrecht-
liche Bedenken aufgrund einer Art Bevormundung
für die Bürger und eingeschränkter Berufsfreiheit der
privaten Versicherer.
Bei von Anfang an niedrig gehaltenen Rentenniveau und
Beiträgen wären die zur Diskussion stehenden absoluten
Fehlbeträge in den Rentenkassen zwar kleiner, aber das
Grundproblem, nämlich das sinkende Verhältnis von Beitragszahlern
zu Rentenempfängern, bliebe bestehen. Auch hier
wären Reformmaßnahmen zwingend geboten, selbst wenn dann
deren Bedeutung für Politiker und Bevölkerung nicht so
Vgl. Kapitel 1
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV; Hrsg.): Die deutsche Versicherungswirtschaft - Jahrbuch 1990, Karlsruhe o.J., S. 17
Vgl. Lorenz, Egon: Das "Drei-Säulen-Prinzip" als Konzept der Daseinssicherung, Karlsruhe 1981, S. 12 ff.
gravierend ist.
Wollte man deshalb jetzt noch Senkungen durchführen, wäre
dies eine ungerechte Benachteiligung der Rentner, welche
bisher auf eine adäquate Altersrente vertrauen
konnten.
2.2 Die Rolle des Staates in der Altersvorsorge
Da die Sorgen über die künftige Entwicklung der gesetzlichen
Rentenversicherung immer größer werden, stellt sich
die Frage, welche Gründe in Anbetracht der Zielsetzung für
eine staatliche Organisation sprachen.
Die Motive für die Einführung einer Rentenversicherung
ergaben sich bereits in den 80-er Jahren des vergangenen
Jahrhunderts. Die durch Auflösung der Großfamilien wegfallende
Versorgung der Alten brachte diesen große Armut, da
die neu entstandene Arbeiterklasse in den Städten die
Eltern auf dem Lande nicht mehr unterstützen konnte
(manchmal auch nicht mehr wollte). Dieses Versagen der
Gesellschaft führte schließlich zur Einführung des Gesetzes,
betreffend die Invaliditäts- und Alterssicherung vom
22.7.1889, dem Ursprung der heutigen gesetzlichen
Rentenversicherung. Die marktwirtschaftliche Ordnung, welche die
deutsche Wirtschaft trotz einiger Fehlentwicklungen stark
ankurbelte, sollte nicht gefährdet werden. Nach diesem
Gesetz waren alle Arbeiter ab dem 16. Lebensjahr
versicherungspflichtig; finanziert wurden die Renten durch Beiträge
von Arbeitgeber und -nehmer und dem Reichszuschuß. Es war
ein staatliches System mit Zwang.
Die obigen Ausführungen können zwar die Beweggründe für die
seinerzeitige Einführung einer kollektiven Altersvorsorge
andeuten, aber warum diese staatlich sein muß, ist bisher
noch unklar. Zwang reicht alleine als Grund nicht aus, da
man die Arbeiter auch zum Beitritt zu einer privaten
Versicherung, die Altersrente leistet, hätte zwingen kön-
Vgl. Petersen, Hans-Georg: a.a.O., S. 16
Vgl. ebenda, S. 21 ff.
nen. PETERSEN sah das Problem eher darin, daß es damals
wegen der hohen Risiken infolge teilweise katastrophaler
Lebensverhältnisse nur ein geringes Angebot an ausreichender
Altersvorsorge seitens privater Lebensversicherungsunternehmen
gab. Auch wäre es ohne dem sicherlich schwer
durchzusetzenden Kontrahierungszwang schwierig, für
besonders schlechte Risiken (Kranke etc.) einen Versicherer zu
finden, so daß letztendlich aus sozialer Sicht eine staatliche
Pflichtversicherung die geeignetste Organisationsform
war. Das Versichertenkollektiv ist dann so umfassend, daß
die schlechten Risiken vom Einzelnen mitgetragen werden
können.
Ein weiterer Aspekt für ein staatliches System mit
Versicherungspflicht ist die bessere Integrationsmöglichkeit von
Umverteilungsmaßnahmen, um die soziale Gerechtigkeit des
Systems zu steigern. Beispielsweise "sind die Bürger eines
sozialen Rechtsstaats ... verpflichtet, die verminderte
Vorsorgetätigkeit bestimmter Dienstleistender (Bundeswehr,
Ersatzdienst etc.), die diese Dienste für die Gemeinschaft
tun, soweit wie möglich zu restituieren." Diese Umverteilung zu
rentenrechtlichen Gunsten bestimmter Personengruppen ist eine soziale
Aufgabe und somit von einer staatlichen Institution durchzuführen. Es
wäre auch kaum vorstellbar, daß in unserer auf freien Wettbewerb
basierenden
Marktwirtschaft durch gesetzlich festgelegte Umverteilungen
gar nachträglich auf die Leistungen privater Lebensversicherer
Einfluß genommen wird.
Die ersten Jahre nach dem zweiten Weltkrieg waren für die
Organisationsform der allgemeinen Alterssicherung auch von
maßgebender Bedeutung . War die gesetzliche Rentenversicherung
ursprünglich noch nach dem Kapitaldeckungsverfahren
konzipiert, bei dem jede Versichertengeneration sich einen
Vgl. ebenda, S. 37 f.
Helten, Elmar: Alterssicherung bei sich ändernden Rahmenbedingungen - Einführung in die Themenstellung -, in: Alterssicherung bei sich ändernden Rahmenbedingungen, Referate der Fachtagung des Bundesverbandes Deutscher Volks- und Betriebswirte e.V., hrsg. v. Elmar Helten und Bernd Kaluza, Karlsruhe 1984, S. 6
Kapitalstock für das Alter schaffte, mußte dies nun aufgegeben werden.
Schon während des Krieges nutzten die Nazis
den Kapitalfonds der Rentenversicherung zur Kriegsfinanzierung. In den
Nachkriegsjahren fielen die Reste der Inflation zum Opfer.
So sprachen aus damaliger Sicht besonders folgende Gründe
für den Übergang zum Umlageverfahren, bei dem nun die
Rentenauszahlungen einer Periode weitgehend von den Beiträgen derselben
finanziert wurden und damit eine privatwirtschaftliche
Organisation der Altersrente erschwert,
wenn nicht gar unmöglich wurde:
Die Rentner, deren Kapitalstock jetzt vernichtet war,
konnten - zumindest in einem sozialen Rechtsstaat - nicht
einfach in die Armut geschickt werden. Versprach man den
damaligen Beitragszahlern, daß ihre Renten von den Beiträgen der
Folgegeneration finanziert werden, konnten ihre
Beiträge zur sofortigen Zahlung von Altersrenten verwendet
werden. Die negativen Folgen für die Rentner durch den
Verlust der Kapitalansammlung konnten somit weitgehend
gelindert werden.
Außerdem wurde die Notwendigkeit eines Kapitalstocks zur
Rentenfinanzierung in Frage gestellt. Bis dahin nämlich war
ein Zugriff auf das vorhandene Deckungskapital nicht nötig,
um die laufenden Renten auszuzahlen, da hierfür die Einnahmen von der
ständig steigenden Anzahl an Beitragsmitgliedern ausreichten.
Zusätzlich ließen die schlechten
Erfahrungen mit Krieg, Naziherrschaft und Inflation das
Risiko eines Kapitalverlustes gegenüber den Sicherheitsvorteilen,
die dieses System vor allem bei demographischen
Schwankungen bietet, zu groß erscheinen.
Vgl. Homburg, Stefan: Theorie der Alterssicherung, Berlin Heidelberg 1988, S. 9 f.
Zur Nachkriegsentwicklung: Vgl. Petersen, Hans-Georg: a.a.O., S. 51 ff.
3. Grundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung
Organisatorisch gesehen liegen Auszahlung und Finanzierung
der gesetzlichen Altersrente im Aufgabenbereich der gesetzlichen
Rentenversicherung mit ihren verschiedenen Versicherungsträgern (vor
allem die Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte (BfA) in Berlin und die einzelnen
Landesversicherungsanstalten für die Arbeiter).
Schon im Grundgesetz lassen sich Fundstellen bezüglich der
Sozialversicherung (und damit auch der gesetzlichen Renten-
versicherung) aufzeigen. Während in den Artikeln 20 Abs. 1
und 28 Abs. 1 GG nur bestimmt wird, daß die BRD und die
verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern einem sozialen
Rechtsstaat entsprechen, ist in den Artikeln 74 Nr. 12, 87
Abs. 2 und 120 GG konkret die Sozialversicherung betroffen.
Genaue Bestimmungen über die gesetzliche Rentenversicherung
befinden sich vor allem in der Reichsversicherungsordnung
(RVO), viertes Buch (Rentenversicherung der Arbeiter -
Arbeiterrentenversicherung), im Arbeiterrentenversicherungs-
Neuregelungsgesetz (ArVNG), im Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) und
im Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG).
Diese Gesetze treten am 01.01.1992
außer Kraft und werden durch das Sozialgesetzbuch, sechstes
Buch (SGB VI) ersetzt, welches dann vollständig in Kraft
tritt.
Im übersichtlich gegliederten SGB VI werden die Anspruchs-
voraussetzungen für die verschiedenen Altersrenten
(Regelaltersrente, Altersrente für langjährig Versicherte,
Schwerbehinderte, Arbeitslose usw.) in den §§ 35 - 42
geregelt.
Anm.: Das SGB VI ist als Artikel 1 des RRG 1992 vom 18.12.1989 verkündet worden (gemäß Theobald/Typelt
(Hrsg.): Sozialversicherungsvorschriften - SozV -, Stuttgart u.a. 1990, SGB VI S. 1)
Vgl. ebenda, Hinweise zum RRG 1992 S. II ff.
Auf weitere die Gesetzgebung betreffende Besonderheiten durch die deutsche Einigung wird im Kapitel 5.2 hingewiesen.
3.2 Berechnung der gesetzlichen Altersrente
Die wichtigste Aufgabe der sozialen Rentenversicherung ist
die Unterhaltssicherung der Arbeitnehmer im Alter. Die Höhe
der Altersrente richtet sich u.a. nach der Länge der
Erwerbsphase (Anzahl der Versicherungsjahre Vj) und den
dabei erzielten Einkünften. Beim Einkommen interessiert
nicht die absolute Höhe, sondern das prozentuale Verhältnis
des Bruttoarbeitsentgelts des Versicherten zum durchschnittlichen
Bruttoarbeitsentgelt aller Versicherten ohne
Auszubildende und Anlehrlinge während der zurückgelegten
Beitragszeiten (persönlicher Vomhundertsatz pV). Damit
soll die Rente "entsprechend der Stellung des Versicherten
in dem Einkommensgefüge bestimmt werden, die er während
seiner gesamten Erwerbstätigkeit inne hatte."
Neben diesen beiden individuellen Berechnungsfaktoren
bestimmen noch die allgemeine Bemessungsgrundlage (aB) und
der Steigerungssatz (St) die Höhe einer Rente. Der Steigerungssatz hängt
von der Rentenart ab, die bezogen werden
soll (z.B. bei Altersruhegeld: 1,5). Mit Hilfe der allgemeinen
Bemessungsgrundlage (z.B. 30.709 DM für das Jahr
1989), die sich nach der allgemeinen Lohnentwicklung richtet, sollen die
Rentner "am wirtschaftlichen und technischen Fortschritt" teilhaben.
Einfach dargestellt wird die Jahresrente durch Multiplikation dieser vier
Faktoren und anschließender Division durch 100 ermittelt:
Vj x pV/100 x aB x St
---------------------
Vgl. Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV; Hrsg.): Versicherungen - staatlich und privat - Wissenswertes für DDR-Bürger, 2. Aufl., o.O. 1990, S. 9
Vgl. § 32 Abs. 1 Satz 1 AVG bzw. § 1255 Abs. 1 Satz 1 RVO
Petersen, Hans-Georg: a.a.O., S. 59 f.
Helten, Elmar: a.a.O., S. 6
Ab 1992 gilt eine mathematisch umgewandelte Formel, die
aber die gleichen Berechnungsprinzipien befolgt und somit
bei identischen rentenrechtlichen Voraussetzungen zum selben
Ergebnis führt. Nur enthält diese Formel außerdem einen
Zugangsfaktor, der eine vorzeitige (Faktor <1) oder
aufgeschobene (Faktor >1) Rentenbeanspruchung berücksichtigt.
Anspruch auf gesetzliche Rente haben nur Versicherte und
deren Hinterbliebene. Versicherungspflichtige Personen sind
vor allem Arbeiter und Angestellte in der Erwerbsphase,
versicherungsbefreit sind vor allem Beamte und viele Selbständige.
Für nicht versicherungspflichtige Personen
besteht die Möglichkeit zur freiwilligen
Versicherung.
Neben der Auszahlung von Altersrente erfüllt die gesetzliche
Rentenversicherung weitere Aufgaben, wie z.B. die
Versorgung von Hinterbliebenen, Berufs- oder Erwerbsunfähigen
und die Finanzierung von Rehabilitationsmaßnahmen zur
Erhaltung der Berufs- bzw. Erwerbsfähigkeit. Inwieweit
diese Leistungen auch für die Zahlungsschwierigkeiten der
gesamten gesetzlichen Rentenversicherung ursächlich sind,
oder in welchem Maße diese von den Problemursachen der
Zur Rentenberechnung: Vgl. Müller, Eugen, Nachtigal, Gert und Hansen, Volker: Rentenreformgesetz 1992:
Erläuterungen für die Praxis mit vollem Gesetzestext, Köln 1990, S. 84 ff.
Genaueres und Ausnahmen: siehe § 1227 ff. RVO, § 1 ff. ArNVG, § 2 ff. AVG, § 1 ff. AnVG und (ab 1992) § 1 ff.
SGB VI
Vgl. § 1233 RVO, § 10 AVG bzw. § 7 SGB VI
Vgl. §§ 13, 22, 40 AVG, §§ 1236, 1245, 1263 RVO bzw. §§ 9, 43, 44, 46 SGB VI (ab 1992)
Altersrente betroffen sind, wird aus Platzgründen nur kurz
dargestellt.
Rehabilitationsleistungen tragen sicherlich zu keinen
Zahlungsproblemen bei, da diese gerade zum Ziel haben,
Beitragszahler länger in der Erwerbsphase zu halten.
Dadurch erhöht sich die Zahl der Beitragszahler und senkt
sich die Zahl der Rentenempfänger aus Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit.
Der Zusammenhang zwischen Alters- und Berufsunfähigkeitsrente
besteht darin, daß ein Berufsunfähiger bis zum
Ende seines 60. Lebensjahres Berufsunfähigkeitsrente mit
Steigerungssatz 1 bezieht, danach aber eine Altersrente für
Berufsunfähige mit Steigerungssatz 1,5 beziehen kann, wenn
eine Wartezeit von 35 Jahren erfüllt ist. Für Erwerbslose
gilt entsprechendes mit dem Unterschied, das der Steigerungssatz
von Beginn an 1,5 beträgt. So gesehen muß die
gesetzliche Altersrente teilweise das Risiko der Berufs-
und Erwerbsunfähigkeit tragen.
Bei der Hinterbliebenenrente ist der Zusammenhang zur
Altersrente und deren Finanzierungsprobleme stärker. Steigt
beispielsweise aufgrund der Geburtenentwicklung das Verhältnis
der alten zur jungen Bevölkerung, ist sicher auch
ein Anstieg der Hinterbliebenenrenten zu erwarten.
In der Diskussion um die Finanzierungsprobleme sind die
sogenannten Fremdleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung
immer wieder Streitpunkt. MERKLEIN meint damit
besonders die Tatsache, daß Arbeitslose unter bestimmten
Bedingungen schon mit Vollendung des 60. Lebensjahres
Altersrente erhielten; d.h. die gesetzliche Rentenversicherung
übernimmt z.T. das Arbeitsmarktrisiko, was eigentlich
Aufgabe der Bundesanstalt für Arbeit ist. ROTH erkennt
aber an, daß die hierdurch verursachten versicherungsfremden
Kosten wenigstens teilweise durch den Bundeszuschuß an
Vgl. §§ 24, 25 Abs. 1 u. 7, 30 Abs. 1 u. 2, 31 Abs. 1 AVG bzw. §§ 1247, 1248 Abs. 1 u. 7, 1253 Abs. 1 u. 2
und 1254 Abs. 1 RVO
siehe § 25 Abs. 2 AVG, § 1248 Abs. 2 RVO
Vgl. Merklein, Renate: a.a.O., S. 139
die Rentenversicherung gedeckt werden.
Insgesamt bleibt festzustellen, daß eine Saldenbildung
zwischen Einnahmen und Ausgaben - getrennt nach einzelnen
Rentenarten - kaum möglich ist, da die Beiträge entsprechend dem
Finanzbedarf der gesamten gesetzlichen Rentenversicherung
bemessen werden. Es können also monetäre
Probleme nur seitens der Leistungen nach Rentenarten
differenziert untersucht werden.
3.4 Grundlagen der Finanzierung
Haupteinnahmequelle der gesetzlichen Rentenversicherung
sind die Beiträge der Versicherten (1989: 78,9 % der
Gesamteinnahmen). Zweite Quelle ist der Bundeszuschuß
(18,4 %); sonstige Einnahmen (z.B. Vermögenserträge, weitere
Erstattungen des Bundes) steuerten 1989 2,7 % bei.
Die Beiträge werden als Vomhundertsatz (Beitragssatz 1991:
18,7 %; ab 1.April: 17,7 %) des beitragspflichtigen Einkommens
(i.d.R. das Bruttoeinkommen) erhoben, welches aber
nur bis zur Bemessungsgrenze (1991: DM 78.000,- im Jahr)
berücksichtigt wird. Im Normalfall wird der so berechnete
Beitrag je zur Hälfte von Arbeitgeber und Arbeitnehmer
bezahlt. Selbständige tragen die Beiträge allein, und
freiwillig Versicherte können die Höhe ihrer Beiträge in
Grenzen selbst wählen.
Während die Bemessung des Bundeszuschusses i.d.R. an die
Entwicklung des durchschnittlichen Bruttolohnes (und ab
1992 zusätzlich an die Dynamik des Beitragssatzes) gebunden
ist, richtet sich der Beitragssatz nach den zu erwarten-
Vgl. Roth, Richard: a.a.O., S. 18
Vgl. Müller, Eugen, Nachtigal, Gert und Hansen, Volker: a.a.O., S. 111
Vgl. § 1385 Abs. 3 RVO, § 112 Abs. 3 AVG
Vgl. Barmer Ersatzkasse (Hrsg.): Die Barmer, Ausgabe West, Heft 4, 1990, S. 12
Vgl. §§ 1385 Abs. 4, 1405a, 1407 RVO, §§ 112 Abs. 4, 127a, 129 AVG
Vgl. Müller, Eugen, Nachtigal, Gert und Hansen, Volker: a.a.O., S. 129
den Aufwendungen, die nicht von Bundeszuschuß oder Erstattungen gedeckt
sind. Dabei soll noch eine Schwankungsreserve mindestens in Höhe der
durchschnittlichen Aufwendungen der Versicherungsträger
für einen Kalendermonat vorhan-
den sein, "mit deren Hilfe kurzfristige Einnahmen- und
Ausgabenschwankungen bewältigt werden sollen." Der Beitragssatz
hat also die nicht unbedeutende Aufgabe, als
letzter zu berechnender Einnahmefaktor den Saldo zwischen
Einnahmen und Ausgaben der Versicherungsträger auszugleichen.
Reichen die gesamten Einnahmen dennoch nicht aus, um die
Leistungen zu finanzieren, werden die fehlenden Mittel vom
Bund aufgebracht (Bundesgarantie), so daß die Leistungsempfänger
sich jeder Zeit auf pünktliche Zahlungen verlas-
sen können.
Eine Möglichkeit zur Angleichung von Einnahmen und Ausgaben
besteht zwischen der Rentenversicherung der Arbeiter und
der für Angestellte im Finanzausgleich. Ist entweder bei
der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte oder bei der
Gesamtheit der Landesversicherungsanstalten für Arbeiter
die Schwankungsreserve kleiner als 1,5 (ab 1992: 0,5)
Monatsausgaben, muß die jeweils andere Versicherung den
Fehlbetrag insoweit aufbringen, als bei dieser eine Schwankungsreserve
über 1,5 (ab 1992: 0,5) Monatsausgaben ermittelt wurde.
Eine unterschiedliche Entwicklung ist vor allem
deshalb möglich, weil der Beitragssatz für die gesamte
gesetzliche Rentenversicherung berechnet wird, beide
Versicherungsträger aber ein anderes Verhältnis Beitragszahler
- Rentner haben. Bei diesem Verfahren bleibt aber der
Gesamtsaldo der gesetzlichen Rentenversicherung unberührt.
Vgl. § 1383 RVO, § 110 VAG; ab 1992: die liquiden Mittel der
Schwankungsreserve sollen einer durchschnittlichen Monatsausgabe
entsprechen; vgl. § 158 Abs. 1 i.V.m. § 216 f. SGB VI
Müller, Eugen, Nachtigal, Gert und Hansen, Volker: a.a.O., S. 132
Vgl. § 1384 RVO, § 111 AVG
Vgl. Müller, Eugen, Nachtigal, Gert und Hansen, Volker: a.a.O., S. 132
4. Finanzierungsprinzipien
4.1 Das Prinzip des konstanten Rentenniveaus
Aufgrund der sich verschlechternden Finanzlage in der
gesetzlichen Rentenversicherung muß geprüft werden, inwieweit die
gewählte Finanzierungsstruktur die Zahlungsprobleme
beeinflußt, und ob alternative Finanzierungsformen
die gesetzliche Altersrente, welche ab jetzt ausschließlich
betrachtet werden soll, stabiler gestalten würden.
In Deutschland wird mit Hilfe der allgemeinen Bemessungs-
grundlage weitgehend das Rentenniveau (RN) konstant gehal-
ten. Schwankungen treten nur deshalb auf, weil die Entwick-
lung der allgemeinen Bemessungsgrundlage nur mit Verzöge-
rung der Dynamik der Löhne folgt. Werden im vereinfachten
Modell die gegenwärtigen Renten nur aus den laufenden
Beiträgen bezahlt (kein Bundeszuschuß etc.), hängt der
Beitragssatz (BS) nur noch von der Anzahl der Rentner und
Erwerbstätigen ab, denn es gilt:
dR E x dL x BS / R E x BS
RN = -- = --------------- = ------ = RN;
dL dL R
R
=> BS = RN x - ; wobei
E
E= Anzahl der Erwerbstätigen R= Anzahl der Rentner
dL= durchschnittl. Bruttolohn dR= durchschnittl. Rente.
Siehe auch Homburg, Stefan: a.a.O., S. 15 ff.; HOMBURG verwendete aber ein sehr einfaches Modell, wo Erwerbs- und Rentenphase gleich lang sind und alle Erwerbstätigen gleichzeitig am Periodenende die Rentner der abgelaufenen Periode (= 30 Jahre) ersetzen.
Vgl. § 1255 Abs. 2 Satz 3 RVO bzw. § 32 Abs. 2 Satz 3 AVG
Da RN gemäß Modell konstant ist, bestimmen nur noch die
Variablen R und E die Beitragssatzhöhe. Dabei wirken sich
Schwankungen der Erwerbstätigenzahl umgekehrt proportional,
Änderungen der Rentneranzahl direkt proportional auf den
Beitragssatz aus. Beispielsweise muß bei einer Verdoppelung
der Rentneranzahl das erhöhte Rentenvolumen mittels zwei-
fachem Beitragssatz aufgebracht werden. Dieses System wird
daher empfindlich auf die erwarteten Änderungen der Bei-
tragszahler - Rentner - Relation reagieren, so daß es unter
diesen Gesichtspunkten als ungeeignet erscheint und andere
Finanzierungsmodelle entwickelt werden müssen. Selbst stei-
gendes Pro-Kopf-Einkommen würde nicht helfen, den durch
steigenden Rentnerquotienten (Verhältnis der Anzahl an
Rentnern zur Anzahl an Beitragszahler) finanziellen Mehrbe-
darf zu decken, da Lohnerhöhungen die Renten entsprechend
anheben.
Erwartungen auf eine gute Rendite müssen entsprechend
gedämpft werden. Sie errechnet sich aus den erhaltenen
Renten und den geleisteten Beiträgen während der Erwerbs-
phase. Über die allgemeine Bemessungsgrundlage ist die
Rendite abhängig von der Entwicklung des durchschnittlichen
Bruttolohnes aller Arbeitnehmer während der gesamten
Erwerbs- und Rentenphase. Liegt z.B. die Lohnsteigerung bei
konstant 5 % jährlich, so beträgt die Rendite der Renten
ebenfalls 5 %.
Dies gilt aber nur dann, solange der Rentnerquotient genau
dem Verhältnis der durchschnittlichen Zeitdauer von Renten-
und Erwerbsphase entspricht, da nur dann die Barwerte von
Rente und vorher geleisteten Beiträgen übereinstimmen. Bei
Arbeitnehmern, in deren Erwerbsphase relativ mehr Rentner
zu finanzieren sind, ist dadurch die Rentenrendite geringer
als die Lohnsteigerungsrate, weil ihre durch höheren Bei-
Rentenzahlungen bzw. Beiträge ergeben durch Abzinsung mit der Lohnsteigerungsrate den Barwert.Dauert die Erwerbsphase z.B. 40 Jahre, die Rentenphase 10 Jahre und beträgt der Rentnerquotient 0,25, so liegt im vorliegenden Modell der durchschnittliche Beitrag bei einem Viertel der durchschnittlichen Rente; er wird dafür über einen vierfach längeren Zeitraum als die Rentenphase geleistet.
tragssatz entstandenen Mehrbeiträge bei Berechnung ihrer
Rente nicht berücksichtigt werden.
Deshalb scheint dieses System auch hinsichtlich der
Rendite für die jetzigen Beitragszahler ungeeignet, da die
durch Lohnsteigerungen erzielte Rendite durch demogra-
phische Wandelungen reduziert oder gar unter Null gedrückt
wird.
Werden die Rentenleistungen nur mit dem Arbeitnehmerteil
der Beiträge verglichen, erhöht sich zwar die Rendite, sie
unterliegt dennoch den Einflüssen des steigenden Rentner-
quotienten. Da die Bestimmungen, wer die Beitragslast zu
tragen hat, keine Eigenheit des Umlageverfahrens sind, wird
beim Vergleich der Finanzierungsprinzipien davon ausgegan-
gen, daß der Beitrag ganz vom Arbeitnehmer zu leisten ist.
Außerdem sollen Bundeszuschüsse und sonstige Einnahmen,
welche den Beitragssatz senken, nicht existieren. Zum einen
stehen sie teilweise für versicherungsfremde Leistungen
(z.B. Kinderzuschüsse gemäß § 117a AVG), zum anderen stel-
len sie gesamtwirtschaftlich kaum eine Entlastung dar, weil
sie - abgesehen von geringen Vermögenserträgen - auch
irgendwie finanziert werden müssen. Zudem sind auch sie
nicht zwingender Bestandteil des Umlageverfahrens. Würden
sie hier dennoch angerechnet, so müßten im Kapitaldeckungs-
verfahren entsprechende Beitragszuschüsse des Staates be-
rücksichtigt werden, um einen korrekten Vergleich zu
gewährleisten.
4.1.2 Kapitaldeckungsverfahren
Hier ist der Beitragssatz unabhängig von Anzahl der Rentner
und Beitragszahler, da die Altersrenten von jeder Rentner-
generation durch ihre eigenen verzinsten Beiträge finan-
ziert werden. Gibt es z.B. verhältnismäßig viele Rentner,
haben früher entsprechend viele Erwerbstätige für sich
Reformmaßnahmen, die die Renten zusätzlich senken, bleiben
hier außer acht, da diese im Modell des konstanten
Rentenniveaus nicht vorgesehen sind.
einen Kapitalstock aufgebaut, von dem sie jetzt als Rentner
leben, ohne die jetzt relativ wenigen Erwerbstätigen zu
belasten.
Schwierigkeiten bereitet hier nur, den Beitragssatz so zu
bemessen, daß das Rentenniveau konstant gehalten wird. Da
nach diesem Prinzip die durchschnittliche Rentenhöhe von
der Bruttolohnentwicklung abhängt, und zugleich die anhand
der statistischen Lebenserwartung zu schätzenden Rentenaus-
zahlungen den Beiträgen plus deren Zinserlösen entsprechen
sollen, muß dazu die Entwicklung des Marktzinses und der
allgemeinen Lohnentwicklung bis zur Gesamtdauer von
Erwerbs- plus Rentenphase vorhergesagt werden. Diese Kal-
kulation müßte jährlich - getrennt nach Geburtsjahrgängen -
erfolgen, da für jeden Jahrgang die Zins- und Lohnentwick-
lung während seiner Erwerbs- und Rentenphase individuell
ist. Der Beitragssatz wäre damit nicht für alle gleich.
Jeder Schätzfehler, der in den Folgejahren nicht ausge-
glichen wird, führt unweigerlich zu Finanzierungslücken
bzw. -überschüssen.
Wären allgemeine Lohnsteigerungsrate und Marktzins gleich,
führte diese Vorgehensweise immer dann zu günstigeren
Beitragssätzen als im Umlageverfahren, wenn der Rentnerquo-
tient kleiner ist als das durchschnittliche Verhältnis von
Dauer der Rentenphase zur Länge der Erwerbsphase. Hätte man
z.B. 35 Erwerbsjahre Zeit, um sich eine 15-jährige Alters-
ruhe eines bestimmten Niveaus zu finanzieren, wäre das
Kapitaldeckungsverfahren günstiger, sobald im Umlageverfah-
ren weniger als 35 Erwerbstätige für 15 Rentner aufkommen
müßten. Man sieht, daß selbst dieses durch eher günstig
gewählte Vorgaben ermittelte Verhältnis von 2,33 zu 1 in
Zukunft stark unterschritten wird, so daß daher das
Kapitaldeckungsverfahren zu kleineren Beitragssätzen führt.
Die durchschnittliche Rendite entspricht hier dem Zinssatz,
Vgl. Homburg, Stefan: a.a.O., S. 27
Siehe hierzu Schallöhr, Knut: Ist die..., a.a.O., S. 16; demnach müssen schon 1990 nur zwei, im Jahr 2020 gar nur ca. 1,2 Beitragszahler einen Rentner finanzieren.
zu dem das für das Alter bestimmte Kapital angelegt werden
kann. Vergleicht man nun die Bruttolohnentwicklung mit den
Zinsen, bringen selbst kurzfristige Kapitalanlagen eine
höhere Rendite als die Lohnentwicklung im Umlageverfah-
ren noch ohne Abwertung durch ungünstigen Rentnerquotienten
bringen würde.
4.2 Das Prinzip des konstanten Beitragssatzes
Wird von den Beitragszahlern immer der gleiche Prozentsatz
ihres Einkommens der Rentenversicherung zugeführt, und
werden dann diese Mittel an die Rentner sofort weitergelei-
tet (konstanter Beitragssatz mit Umlageverfahren), so folgt
aus der o.g. Gleichung (RN = BS x E / R), daß hier das
Rentenniveau (RN) auch nur vom Verhältnis Erwerbstätige -
Rentner abhängt. Steigende Rentnerzahlen und sinkende
Anzahl der Beitragszahler benachteiligen im Gegensatz zum
Fall des konstanten Rentenniveaus (mit Umlageverfahren) nur
die Rentnergeneration, weil ein geringeres Beitragsaufkom-
men auf mehr Rentner verteilt werden muß. Die Erwerbstäti-
gen bleiben hier von negativen Auswirkungen verschont, da
deren Beitragssatz bestimmungsgemäß fix ist. Lohnerhöhungen
bewirken zwar eine Anhebung der Renten und gleichen somit
Verluste durch steigenden Rentnerquotienten aus, aber das
Rentenniveau selbst bleibt unverändert.
Die Rendite hängt wie in Kapitel 4.1.1 von der Steigerungs-
rate des durchschnittlichen Bruttolohns und von der Dif-
ferenz zwischen Rentnerquotient und Verhältnis von Renten-
phasen- zu Erwerbsphasendauer ab, da dieser Zusammenhang
speziell durch das Umlageverfahren entsteht. Hier aber
werden die Rückzahlungen (= Renten) und nicht die Beiträge
von dieser Differenz beeinflußt, so daß Rendite der Alten,
siehe Institut der deutschen Wirtschaft (Hrsg.): Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, Ausgabe 1989, Köln 1989, Tabellen 30 u. 116
die mit relativ vielen anderen Rentnern Altersruhegeld
beziehen, kleiner als die Bruttolohnsteigerungsrate
ist.
4.2.2 Kapitaldeckungsverfahren
Hier werden die Beiträge anstelle zur sofortigen Rentenfi-
nanzierung zum Aufbau eines Kapitalstocks verwendet. Bean-
tragt ein Erwerbstätiger Rente, wird seine monatliche Rente
so berechnet, daß er nach anhand der durchschnittlichen Le-
benserwartung errechneten Anzahl von Jahren seine Beiträge
samt Zinsen zurückerhält. Das Rentenniveau ist dann von der
allgemeinen Lohnentwicklung und dem Kapitalzins abhängig.
Steigen die Löhne beispielsweise sprunghaft an, sinkt das
Rentenniveau, weil sich die Lohnerhöhung nur langsam über
die Beitragseinnahmen auf die durchschnittliche Rente aus-
wirken.
Wann bei konstantem Beitragssatz das Kapitaldeckungsver-
fahren im Vergleich zum Umlageverfahren Vorteile bringt,
darüber gelten generell die gleichen Aussagen wie in
Kapitel 4.1.2 mit dem Unterschied, daß die Lohn- und
Zinsentwicklung das Rentenniveau und nicht den Beitragssatz
beeinflußt.
Es ist einleuchtend, daß auch hier die Rendite dem Zins am
Kapitalmarkt entspricht. Sie ist also in jeder Variante des
Kapitaldeckungsverfahrens gleich.
Im Umlageverfahren besteht außerdem die Möglichkeit, statt
den Beitragssatz oder das Rentenniveau festzusetzen, den
Beitragssatz so berechnen, daß die Rendite der laufenden
Renten dem herrschenden Marktzins entspricht. Die Rentner
erhalten also eine Rente in der Höhe, wie sie bei ent-
sprechender Kapitalanlage ihrer Beiträge zu erzielen wäre.
Finanziert wird sie dennoch aus den laufenden Beiträgen der
Erwerbstätigen. Weil aber im Umlageverfahren die Beiträge
auch von der Entwicklung der Bevölkerungsstruktur abhängen,
muß der Beitragssatz in dem Maße erhöht werden, wie sich
der Rentnerquotient verschlechtert. Sonst würde die Rendite
der laufenden Renten unter den Marktzins sinken.
Zusätzlich sorgt die Abweichung zwischen Marktzins und
Bruttolohnsteigerungsrate für steigende Beitragssätze im
Äquivalenzprinzip. Liegt nämlich der Zins über der Lohn-
steigerungsrate, so kann nur ein im Vergleich zum Umlage-
verfahren mit konstanten Beitragssatz bzw. Rentenniveau
höherer Beitragssatz die Renditen für die Rentnergeneration
auf Marktzinsniveau halten.
Da diese tatsächlich beobachtbare Diskrepanz zwischen
Marktzins und Lohnentwicklung wie bereits dargestellt
langfristiger Natur ist und auch die derzeitige Geburten-
entwicklung künftig einen steigenden Rentnerquotienten zur
Folge hat, müßte im Äquivalenzprinzip der Beitragssatz in
jeder Periode angehoben werden. Dies führt zu einem Auf-
schaukeln des Beitragssatzes, weil jede dieser Erhöhungen
weitere Steigerungen impliziert. Denn jede Beitragsmark
bringt aufgrund der Renditeerwartung eine direkte Renten-
forderung mit sich. Letztendlich würde der Beitragssatz
explosionsartig die 100 % - Marke überschreiten. Die Forde-
rung Rendite entspricht dem Marktzins wäre nicht zu erfül-
len.
Im umgekehrten Fall, wenn durch ständig steigende Bevölke-
rungszahl, durch niedrige Zinsen und große Lohnsteigerungen
der Beitragssatz gesenkt werden könnte, würde dies auch die
Rentenforderungen der Noch - Erwerbstätigen senken und
damit in deren Rentenphase den Beitragssatz zusätzlich
drücken usw. Der Beitragssatz und das Rentenniveau sinken
extrem tief ab, was aber dem Zweck eines Rentensystems
widerläuft.
Das Äquivalenzprinzip kann also nur in dem unrealistischen
Fall angewendet werden, wo die für die Berechnung des Bei-
tragssatzes relevanten Größen keinem dauerhaften Trend
unterliegen.
4.4 Die Konsequenzen für die Praxis
Unter rein theoretischen Gesichtspunkten hat jedes Finan-
zierungsprinzip seine Vorteile. Welches in der Praxis das
günstigste ist, hängt von gegebenen Entwicklungen der
Bevölkerung, Zinsen, Löhne etc. und von verteilungspo-
litischen Aspekten ab. Im vereinfachten Modell, in dem die
Steigerungsrate der Bruttolöhne dem Marktzins entspricht,
die Bevölkerungszahl konstant bleibt, alle im gleichen
Lebensjahr in die Erwerbsphase treten bzw. Rentenempfänger
werden und alle genau mit Erreichen eines bestimmten Alters
sterben (es gleichen sich dann die Verhältnisse Rentner -
Beitragszahler und Rentendauer - Erwerbsdauer), führt jedes
der fünf dargestellten Finanzierungssysteme zu gleichem
Beitragssatz, Rentenniveau und Rendite.
Die Frage, ob Umlage- oder Kapitaldeckungsverfahren insge-
samt günstiger ist, muß anhand der tatsächlichen Größen
Rentnerquotient, Marktzins und Lohnsteigerungsrate ermit-
telt werden. Das Kapitaldeckungsverfahren ist im Gegensatz
zum Umlageverfahren in dem Maße vorteilhafter, wie der
Marktzinssatz die Lohnsteigerungsrate übersteigt bzw. das
Verhältnis Rentner - Beitragszahler größer ist als Renten-
dauer zu Erwerbsdauer.
Im Umlageverfahren bestimmt die Auswahl zwischen konstantem
Beitragssatz, konstantem Rentenniveau und Äquivalenzprinzip
nur, welche Größe (Beitragssatz, Rentenniveau oder Rendite)
fix ist. Die jeweils anderen ergeben sich dann anhand der
externen Variablen. Es wird damit bestimmt, ob Rentner oder
Beitragszahler die Finanzierungsprobleme der gesetzlichen
Rentenversicherung zu tragen haben.
Im Kapitaldeckungsverfahren legt die Wahl des Finanzie-
rungsprinzips fest, ob eine Änderung des Marktzinses oder
Vgl. Homburg, Stefan: a.a.O., S. 25
der Lohnsteigerungsrate das Rentenniveau oder den Beitrags-
satz beeinflußt. Die Rendite bleibt davon unberührt.
Primär ist zwischen Kapitaldeckungs- und Umlageverfahren zu
entscheiden, denn nur dies entscheidet maßgeblich über die
Fähigkeit des Versicherungssystems, langfristig den Rent-
nern ein ausreichendes Altersruhegeld zu sichern, ohne
dabei die Beitragszahler unvertretbar zu belasten.
Die sekundäre Wahl, bei der die festzusetzende Variable
ermittelt wird, ist nur im Umlageverfahren von größerer
Bedeutung, weil sie da bestimmt, welcher Personenkreis
durch demographische Veränderungen betroffen wird, ob z.B.
ein Beitragszahlerschwund durch höhere Beiträge der
Erwerbstätigen oder durch gesenkte Renten der älteren
Bevölkerung ausgeglichen wird.
Bei Betrachtung aller aufgeführten Aspekte ist in der
heutigen Lage das Kapitaldeckungsverfahren die geeignete
Finanzierungsform. Wegen der leichteren Verfahrensweise
wäre hier ein konstanter Beitragssatz einem konstanten
Rentenniveau vorzuziehen, da dann die Prognose der Lohn-
und Zinsentwicklung für die folgenden Jahrzehnte entfällt.
Es darf aber nicht vergessen werden, daß in der Realität
eine Wahl zwischen den möglichen Finanzierungskonzepten
einer gesetzlichen Altersrente anhand der hier gezeigten
Kriterien nur sehr eingeschränkt möglich ist. Es kann vor
allem dann, wenn ein gesetzliches Rentensystem schon vor-
handen ist, nicht einfach vom Umlageverfahren zum Kapital-
deckungsverfahren übergegangen werden, nur weil sich eine
Verschlechterung der Beitragszahler - Rentner - Relation
anbahnt. Dies würde den Verlust der bisher im Umlage-
verfahren erzielten Rentenanwartschaften bzw. eine Doppel-
belastung der Beitragszahler (Beiträge zur Finanzierung der
Rentnergeneration und der eigenen Rente) bedeuten. Außerdem
führen kurzfristige, sozialpolitische Gegebenheiten, wie
sie sich z.B. in der Nachkriegszeit ergaben, zu anderen
Vgl. Kapitel 2.2
Ergebnissen, als dies bei rein theoretischer Betrachtung
der Fall wäre.
5. Einflüsse auf das Finanzierungssystem
5.1 Die demographische Entwicklung
Wie im vergangenen Kapitel deutlich wurde, hängt im deut-
schen Rentensystem bei konsequenter Anwendung des Prinzips
des konstanten Rentenniveaus im Umlageverfahren der Bei-
tragssatz weitgehend vom Rentnerquotienten ab. Dieser Quo-
tient wiederum wird in einem noch nicht geklärten Ausmaß
von der Bevölkerungsentwicklung bestimmt, wobei die genau-
eren Zusammenhänge in diesem Abschnitt aufgezeigt werden
sollen. Da hauptsächlich die Altersrente betrachtet wird,
sei zur Vereinfachung gegeben, daß alle Alten im Sinne des
Altenquotienten (zahlenmäßige Relation von alten Menschen
zu Personen im erwerbsfähigen Alter) Rentner sind und alle
jüngeren nach ihrer Ausbildung einem Beruf nachgehen und
Beiträge zahlen. Alten- und Rentnerquotient gleichen sich
dann. Weiterhin soll gelten, daß alle Menschen im gleichen
Lebensalter (z.B. 75 Jahre) sterben.
Wichtige Bestimmungsgrößen für die demographische Struktur
einer Bevölkerung sind die Sterbefälle und die Geburten,
aus denen sich durch Saldierung die Wachstumsrate (bzw. im
negativen Sinn die Schrumpfungsrate) im Verlaufe einer
Periode ermitteln läßt. Vor der Untersuchung, inwieweit
diese Wachstumsrate über den Alters- und Rentnerquotienten
die Rentenfinanzen beeinflußt, muß zwischen zwei Problem-
betrachtungen unterschieden werden:
1)Als das Kernproblem wird nicht die absolute Höhe des
Zum tatsächlichen Verhältnis zwischen Alten- und Rentnerquotient: Vgl. Schmähl, Winfried: Volkswirtschaftliche Aspekte der Finanzierung der Sozialen Rentenversicherung, in: Alterssicherung bei sich ändernden Rahmenbedingungen, Referate der Fachtagung des Bundesverbandes Deutscher Volks- und Betriebswirte e.V., hrsg. v. Elmar
Helten u. Bernd Kaluza, Karlsruhe 1984, S. 54 ff.
Rentnerquotienten, sondern hauptsächlich dessen Schwan-
kungen angesehen. Hier werden die durch wechselnde
Beitragssätze entstehenden verschiedenen Rentenrenditen
unterschiedlicher Geburtenjahrgänge als sozial ungerecht
angesehen. Bliebe der Rentnerquotient konstant, gibt es
bei dieser Betrachtung selbst bei besonders ungünstigem
Verhältnis keine Finanzierungsschwierigkeiten. Der Bei-
tragssatz bliebe (bei unverändertem Rentenniveau) eben-
falls konstant, so daß sich nie eine bestimmte Schall-
grenze bilden kann, die vor allem aus politisch-psycho-
logischen Gründen nicht überschritten werden darf.
2)Neben den Problemen aus 1) spielt auch der absolute
Rentnerquotient eine Rolle, da bei bestimmten Geburten-
raten - selbst wenn diese langfristig unverändert blei-
ben - eine Rentenfinanzierung mit vertretbaren Rentenni-
veau und Beitragssatz kaum möglich ist.
zu 1) Unter Zugrundelegung des oben erwähnten Modells läßt
sich zumindest theoretisch beweisen, daß eine perioden-
mäßige Veränderung der Bevölkerungszahl um einen langfris-
tig konstanten Prozentsatz für sich noch nicht zu
Schwankungen des Altenquotienten führt. Reduziert sich
beispielsweise die Bevölkerung jährlich um 5%, bleibt auch
der Altenquotient unverändert, wie folgende Betrachtung
zeigt:
Jahr für Jahr verringert sich die absolute Geburtenzahl um
5% gegenüber dem Vorjahr, so daß auch, wenn dieses Gesetz
entsprechend lange gilt, sich die Anzahl der Menschen jedes
beliebig betrachtbaren Alters jährlich um den gleichen
Prozentsatz sinkt. Genauso entwickeln sich dann zufällig
wählbare Altersgruppen (Alte, Nichtalte etc.), da ja die
jeweils zusammengefaßten Jahrgänge einer Gruppe gleich
schrumpfen. Solange sich also die Anzahl der Alten mit
gleichen Prozentsatz wie die der Erwerbstätigen verändert,
bleibt der Altenquotient konstant, und für die Rentenfinan-
zierung entstehen keine Probleme. Leider ist aber eine
derartige Starre der Schrumpfungsrate über einen so langen
Zeitraum unrealistisch.
Änderungen der Wachstumsrate führen hingegen zu Schwankun-
gen im Altenquotienten und damit im Rentnerquotienten.
Steigt die Wachstumsrate, sinkt der Altenquotient. Daher
ist auch der Fall denkbar, daß trotz steigender Bevölke-
rungszahl der Rentnerquotient mit steigt, nämlich dann,
wenn während eines hinreichend langen Zeitraums die Wachs-
tumsrate sinkt, der Wert aber größer 1 bleibt.
Genau betrachtet kommt es also für die durch die demogra-
phische Entwicklung bedingten Finanzierungsprobleme nicht
auf das (negative) Bevölkerungswachstum an, sondern auf die
Änderung der Wachstumsrate.
zu 2) Im vorhergehenden Absatz wurde zwar gezeigt, daß ein
konstantes Bevölkerungswachstum (in der standardisierten
Welt entspricht dieses der Geburtensteigerungsrate) zu
konstantem Rentnerquotienten führt, die Höhe blieb aber
außer acht. Bei langfristiger Konstanz der Geburtensteige-
rungsrate kann jeder Rate genau ein Altenquotient zugeord-
net werden. Je größer sie ist, desto kleiner wird der
Altenquotient und damit die Belastung für die Beitragszah-
ler. Ist das Bevölkerungswachstum gleich Null, dann gibt es
für jedes Lebensalter die gleiche Anzahl von Menschen, d.h.
der Rentnerquotient entspricht hier dem Zeitverhältnis von
Renten- und Erwerbsphase. Ist die Rentenphase aufgrund der
allgemeinen Lebenserwartung durchschnittlich zehn Jahre
lang, beträgt dann der Altenquotient 0,25, wenn die
Erwerbsphase im Mittel 40 Jahre dauert. Bei einem Rentenni-
veau von 75 % ergibt dies nach der Formel aus Kapitel 4.1.1
einen Beitragssatz von 18,75 %. Läge dagegen ein Geburten-
rückgang wie in den Jahren von 1967 bis 1977 dauerhaft
vor, hätte der Altenquotient einen Wert von 0.83. Unter
ceteris-paribus-Bedingungen müßten die Erwerbstätigen mehr
als 3,3-mal soviel Rentner finanzieren, und der dazu nötige
Beitragssatz von 62 % wäre nie einhaltbar.
In der Realität liegt keine langfristig konstante Wachs-
Berechnet aus Institut der deutschen Wirtschaft: a.a.O., Tabelle 2; demnach beträgt der durchschnittliche jährliche Geburtenrückgang von 1967 (1,02 Mio. Lebendgeburten) bis 1977 (0,58 Mio.) ca. 5,4 %
tumsrate vor. Betrachtet man die tatsächliche Geburtenent-
wicklung, ist leicht abzusehen, wann die maximale Belastung
der Beitragszahler zu erwarten ist. Die geburtenstarken
Jahrgänge der 60-ger Jahre werden dann ihre Rente beantra-
gen, welche von den folgenden, schwächeren Jahrgängen
getragen werden muß. Nach Schätzungen des Statistischen
Bundesamts kommen im Jahre 2030 auf 100 Personen im Alter
von 25 bis 64 Jahre 53 Personen, die 65 und älter sind.
1991 beträgt nach der selben Schätzung das Verhältnis noch
100 zu 28. Wegen der leicht steigenden Geburtenrate seit
Ende der 70-ger ist das Ergebnis nicht ganz so fatal wie in
obiger, theoretischer Betrachtung: Der Altenquotient ver-
doppelt sich "nur", so daß dennoch ohne Gegenmaßnahmen mit
einem starken Anstieg der Beitragssätze gerechnet werden
müßte.
Weiteren Einfluß auf den Altenquotienten nimmt neben der
Geburtenentwicklung der medizinische Standard eines Landes.
Steigt durch diesen - evt. unterstützt von einer allgemein
gesünderen Lebensweise - das durchschnittliche Sterbealter,
belastet dies zusätzlich wegen der verlängerten Rentenphase
die Erwerbstätigen. Will man Beitragserhöhungen vermeiden,
muß man das Zeitverhältnis von Erwerbs- und Rentenphase
konstant halten, indem das Renteneintrittsalter von Zeit zu
Zeit heraufgesetzt und/oder der Beginn der Erwerbsphase
vorverlegt wird (z.B. durch kürzere Ausbildungszeiten).
Bleibt noch die Frage, warum es in den 70-er Jahren zu
einem derartigen Geburtenrückgang kam, der die Finanzierung
der Altersruhe künftig erschwert. Allgemein gelten neben
Ausbreitung der "Pille" Massenerscheinungen, wie z.B. der
durch Umweltverschmutzung, weltpolitische Lage etc. hervor-
gerufene Lebensfrust, der Wandel zur Freizeitgesellschaft,
in der Kinder stören und Geld kosten, als geburtenhemmend.
Zusätzlich erkennt PETERSEN das Phänomen, daß nicht nur die
Geburtenzahl Auswirkungen auf das Rentenfinanzierungssystem
Errechnet nach: Statistisches Bundesamt: Entwicklung der Gesamtbevölkerung von 1987 bis 2030 (Tabelle), Basis:
31.12.1986, Deutsche nach Modell I, Ausländer nach Modell D, Wiesbaden o.J.
zeigt, sondern daß letzteres selbst die Gebärfreudigkeit
der Mütter abnehmen läßt. Die Rolle der Kinder als indivi-
duelle Altersvorsorge durch das kollektive Rentensystem
fällt nämlich weg, solange bei der Bemessung der persönli-
chen Rente die Anzahl der aufgezogenen Kinder nicht stärker
rentenerhöhend berücksichtigt wird, und Ledige sowie kin-
derlose Ehepaare die öffentliche Altersvorsorge - dann
getragen von Kindern anderer - gleichsam in Anspruch nehmen
können.
Noch vor dem Beitritt der fünf neuen Bundesländer zur
Bundesrepublik trat zum 1. Juli 1990 die Währungs-, Wirt-
schafts- und Sozialunion in Kraft. Neben der Einführung der
D-Mark in der ehemaligen DDR und dem Beschluß anderer wirt-
schaftspolitischen Maßnahmen wurde die Schaffung eines
gesamtdeutschen Rentensystems zum Ziel gesetzt. Durch die
Ausweitung der Bevölkerung und der damit neu entstehenden
Bevölkerungsstruktur und -entwicklung, aber auch durch die
neue Bemessung der Ostrenten in Verbindung mit der neuen
wirtschaftlichen Situation der ostdeutschen Erwerbstätigen
besteht nun die Möglichkeit der Be- oder Entlastung der
Rentenfinanzlage.
Die Bevölkerungszahlen blieben in der DDR und BRD seit dem
Jahre 1975 etwa konstant. Der westliche Geburtenmangel
wurde dabei von Zuwanderungen aus dem Ausland ausgeglichen.
Von 1950 bis 1975 stieg jedoch die Bevölkerung der alten
BRD von ca. 51 Mio. auf knapp 62 Mio., während sie in der
DDR im gleichen Zeitraum von 18,4 Mio. auf 16,8 Millionen
sank. Insgesamt ergab sich dadurch im Jahre 1987 ein
Vorteil für die DDR, da sie mit 0,26 einen günstigeren
Vgl. Petersen, Hans-Georg: a.a.O., S. 116 ff.
Altenquotienten vorwies als die damalige BRD mit 0,28. Bei
sonst gleichem Rentensystem betröge dort der Beitragssatz
somit nur ca. 17,4 % statt 18,75 % wie im Westen, d.h. von
dieser Seite her betrachtet bringt die "Rentenunion" Vor-
teile.
Dennoch soll nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung
die für 1992 geplante Angleichung des Rentenrechts in West-
und Ostdeutschland die westlichen Beitragszahler mit 12
Mrd. DM zu belasten drohen. Ostdeutsche erhalten demnach
eine höhere Rente, als die Beitragszahler der neuen Länder
finanzieren können.
Vor der Einigung erhielten die Rentner der DDR eine Rente,
die ihnen unter Berücksichtigung herabsubventionierter
Preise der Güter des täglichen Bedarfs und billiger Mieten
nur eine Grundversorgung ermöglichte. Sie wurde nach
anderen Gesichtspunkten als im Westen berechnet. Damit ein
einheitliches, gesamtdeutsches Rentensystem mit den nach
der Währungsunion im Osten zu erwartenden Preissteigerungen
eine Armut der dortigen Rentner verhindert, muß im Überlei-
tungsgesetz zwischen finanzierbaren und sozial erforderli-
chen Maßnahmen abgewogen werden.
Neben der Einführung des flexiblen Altersruhegeldes für
Männer ab 63 Jahren gehört zu den rentenerhöhenden Maßnah-
men, daß auch im Osten die Rentenentwicklung an die
wirtschaftliche Dynamik gekoppelt wird. Die hierfür heran-
gezogene Maßzahl, nämlich die Steigerungsrate des durch-
schnittlichen Bruttolohns, muß vorerst getrennt nach beiden
Teilgebieten für eine gespaltene Rentenentwicklung ermit-
telt werden, solange die Lohnsteigerungsraten stark differ-
ieren. Zuerst muß eine allgemeine Bemessungsgrundlage
Vgl. Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV; Hrsg.): Statistisches Taschenbuch der Versicherungswirtschaft 1990, Karlsruhe 1990, Tabellen 85 u. 86; für die Ermittlung der Altenquotienten wurde jeweils die Anzahl der mindestens 65-jährigen durch die Anzahl der 25- bis 64-jährigen dividiert.
Vgl. o.V.: 1993 steigen die Rentenbeiträge, in: SZ, 1.3.91, S. 33
Vgl. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen: DDR Handbuch, Bd. 2, 3.Aufl., Köln 1985, S. 1120
Vgl. Forster, Jürgen: Rentenunrecht in Ost und West, in: SZ, 4.4.91, S. 29
eigens für den Osten ermittelt werden, solange dort ein
anderes Lohnniveau herrscht. Andernfalls wären Verschiebun-
gen des Rentenniveaus zwischen Ost und West die Folge.
Vorerst sind die Renten der neuen Bundesländer außerplan-
mäßig zum 1.1. und 1.7.1991 jeweils um 15 % erhöht worden,
da noch keine Statistik über die Lohnentwicklung vorhanden
ist.
Gleichzeitig sorgen vor allem der Wegfall einer Mindestsi-
cherung, welche nach Herstellung einheitlicher Einkommens-
verhältnisse und Angleichung an das neue Preisniveau 875 DM
statt wie früher 330 DM betragen würde, sowie die niedri-
gere Zurechnung für Zeiten der Kindererziehung, Pflege und
Invalidität für eine Senkung der Rentenhöhe, so daß für
einen bestimmten Personenkreis die neue Rente niedriger ist
als zu DDR-Zeiten. Als Ersatz hierfür ist ein Sozialzu-
schlag auf die Rente vorgesehen, der zwar von der gesetz-
lichen Rentenversicherung ausgezahlt, aber aus Steuergel-
dern finanziert wird, da dies nach westlichem Maß eher eine
Leistung der Sozialhilfe darstellt.
Langfristig steht fest, daß zwecks Gleichstellung der
Ost- mit den Westrentnern alle Rentenansprüche, die nur aus
altem DDR-Recht entstanden, nach und nach aufgehoben
werden sollen.
Auf die Beitragszahler im Westen werden sich die Verluste
des östlichen Rentensystems, welche vor allem auch durch
die rapide steigende Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern
bedingt sind, erst ab 1992 auswirken. Sie werden dann nicht
mehr vom Bund bezahlt, sondern "innerhalb des gesamtdeut-
schen Finanzverbunds aufgefangen und aus westdeutschen
Rentenkassen gedeckt, die sich auch durch die zahlreichen
ostdeutschen Zuwanderer und Pendler füllten." Aber auf
lange Sicht, vor allem wenn die Arbeitsmarktprobleme gelöst
Vgl. o.V.: Ost-Renten deutlich gestiegen, in: SZ, 7.8.91, S. 26
Vgl. o.V.: Ost-Renten deutlich gestiegen, in: SZ, 7.8.91, S. 26
Zu den rentenmindernden Maßnahmen im Osten: Vgl. Forster, Jürgen: a.a.O., S. 29
O.V.: Ein gesamtdeutsches Rentensystem, in: SZ, 10.4.91, S. 29
sind, wird sich die deutsche Einigung nicht negativ auf die
westlichen Renten auswirken. Wenn eines Tages der wirt-
schaftliche Umbruch vollzogen ist und West und Ost sich im
Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt entsprechen (wenn nicht gar
der Osten mit Hilfe von Technik des neuesten Standes den
Westen überholt), wird die eher günstige Bevölkerungsstruk-
tur zum Tragen kommen.
Eine wesentliche Rolle spielt auch die Entwicklung der
Arbeitslosen- und Beschäftigtenzahlen für die Finanzen der
gesetzlichen Altersrente. Nach BßCKER hat die schlechte
Entwicklung am Beschäftigungsmarkt die guten Einflüsse der
Bevölkerungsentwicklung von 1975 bis 1985 (leichtes Sinken
des Altenquotienten) auf die Rentenfinanzen überkompen-
siert. Ohne die durch steigende Arbeitslosigkeit bedingten
Verluste am Beitragsaufkommen und ohne den zusätzlichen
Rentnern - Arbeitslose können unter bestimmten Vorausset-
zungen (u.a. in den letzten eineinhalb Jahren mindestens 52
Wochen ohne Arbeit) schon nach Vollendung des 60. Lebens-
jahres Altersrente beziehen - würde der Beitragssatz der
gesetzlichen Rentenversicherung nur ca. 16 % statt 18,7 %
betragen.
Die Möglichkeit, als Arbeitsloser vorzeitig Altersrente
beantragen zu dürfen, wird genauso wie die flexible
Altersgrenze ab 63 Lebensjahren einerseits begrüßt, da
damit der angespannte Arbeitsmarkt entlastet wird. Anderer-
seits wird aber kritisiert, daß damit die Probleme des
Arbeitsmarkts bzw. des Arbeitsamts auf die Rentenversi-
cherer abgewälzt werden. Zwar leistete der Staat z.B. im
Jahre 1985 2,9 Mrd. DM an Rentenversicherungsbeiträgen für
die damals 2,3 Millionen Arbeitslosen (der Beitragsverlust
in den Rentenkassen betrug dennoch 9,8 Mrd. DM), für
Mehraufwendungen, die durch die zusätzliche Anzahl von
Rentenfällen entstehen, zahlt er aber nichts.
In einem Modell für die westlichen Bundesländer wird die
künftige Entwicklung der Arbeitslosenquote eher günstig
eingeschätzt. Demnach wird diese im Jahre 2030, je nach
Vgl. § 1248 Abs. 2 RVO, § 25 Abs. 2 AVG bzw. § 38 SGB VI
Vgl. Bäcker, Gerhard: Vorwort, in: Roth, Richard: a.a.O., S. 8
Vgl. Petersen, Hans-Georg: a.a.O., S. 103 f.
Vgl. Studiengesellschaft für Information und Fortbildung e.V. und andere (Hrsg.): Staat - Gesellschaft - Wirtschaft, Zahlen, Daten, Fakten; Stuttgart 1987, S. 87
angenommenen Szenario, zwischen 1,2 und 1,9 % liegen, so
daß langfristig eine diesbezügliche Entlastung der Renten-
finanzen zu erwarten ist. Gleichzeitig wird aber befürch-
tet, daß auf kürzere Sicht der aktuelle Konjunkturauf-
schwung nicht lange genug andauern wird, um ausreichend
Arbeitsplätze zu schaffen. Hinzu kommen die Umstruk-
turierungsprobleme des Beitrittsgebiets, welche die
Arbeitslosenzahl vorerst in die Höhe treiben und ab 1992
die Rentenkassen direkt belastet.
Neben den Arbeitslosen ist zusätzlich die stille Reserve -
das sind arbeitswillige Nichtarbeiter, die aber nicht
arbeitslos gemeldet sind - für Beitragsverluste der Renten-
kassen verantwortlich. Dazu zählen insbesondere Hausfrauen
als potentielle Arbeitskräfte, die bei entsprechender Be-
schäftigung Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung
zahlen müßten, die Rente daraus aber erst im Alter erhal-
ten. Wäre die gesamte stille Reserve (für 1990: 1,4
Millionen Personen) versicherungspflichtig beschäftigt,
würde sich die Zahl der Beitragszahler immerhin um ca.
5,5 % erhöhen, was zumindest mittelfristig eine Entlastung
wäre. Hinzu kommt, daß bei Tod des Ehemannes der eigene
Anspruch auf Altersrente der Frau ruht (also keine Alters-
rente ausbezahlt wird), wenn für diese Altersrente eine
ungünstigere Zurechnungszeit als für die Witwenrente
gilt. Im Extremfall werden Beiträge bezahlt, ohne daß es
eine Gegenleistung in Form von Altersrente dafür gibt. Der
positive Effekt schmilzt in dem Maß, wie die Beiträge der
Ex-Hausfrauen später zu tatsächlichen Rentenauszahlungen
führen. Zum Problem führt das ganze, wenn in weiterer
Zukunft die Frauen (z.B. durch Wertewandel in der Familie)
Vgl. Eichner, Harald, und Richter, Siggi: Bedrohung für Millionen. Mit Massenarbeitslosigkeit ins nächste Jahrtausend, Bonn 1989, S. 40
Vgl. Studiengesellschaft für Information und Fortbildung e.V.: a.a.O., S. 77
Vgl. ebenda, S. 78
Vgl. § 1280 Abs. 1 RVO, § 57 Abs. 1 VAG; Anmerkung: Genauso ist auch möglich, daß die Witwenrente ruht und die Altersrente ausbezahlt wird; dies führt aber zu keinem Vorteil aus Sicht der Altersrente und bleibt daher außer Betracht.
aus dem Berufsleben sich zurückziehen und somit wieder
Beitragslücken verursachen.
Eine weitere Kennzahl des Arbeitsmarkts, welche für die
Finanzierung der Altersrenten Bedeutung erlangt, ist die
Lohnsteigerungsrate. Auf dem ersten Blick bewirken stark
steigende Durchschnittslöhne und dadurch erhöhte Beitrags-
einnahmen keine Entlastung, da die Höhe der laufenden
Renten über die allgemeine Bemessungsgrundlage an die
Lohnentwicklung gekoppelt ist und somit diese Mehreinnahmen
an die Rentner weitergeleitet werden. In der Praxis erfolgt
die Angleichung aber erst mit einer Verzögerung. Beispiels-
weise werden Lohnsteigerungen vom Jahre 1991 gegenüber 1990
erst Mitte 1992 von der allgemeinen Rentenbemessungsgrund-
lage nachvollzogen. Diese Zeitverschiebung bringt einen
Finanzierungsvorteil, solange die Lohnsteigerungsrate sich
erhöht, da die daraus resultierende Rentenerhöhung erst zu
einem späteren Zeitpunkt erfolgt, das Plus an Beitragsein-
nahmen aber sofort verfügbar ist.
Bei sinkenden Lohnsteigerungsraten übersteigt die Steige-
rungsrate der Renten (=höhere Lohnsteigerungsrate vom vor-
letzten zum letzten Kalenderjahr) die der Löhne, was dann
durch höhere Beitragssätze ausgeglichen werden muß.
Die in der Vergangenheit beobachtbare Senkung der Wochenar-
beitszeit und die Erhöhung der jährlichen Urlaubstage
wirkt negativ auf eine gute, vor allem durch steigende
Produktivität bedingte Lohnentwicklung. Technischer
Fortschritt wird dazu genutzt, gleichen Output mit geringe-
rem Zeitaufwand pro Mitarbeiter zu produzieren, anstatt die
Produktionsmenge oder die Qualität zu erhöhen. Dadurch
entgehen den Rentenkassen Beitragseinnahmen und der Bei-
tragssatz muß erhöht werden, weil die Rentenanpassung an
die schlechtere Lohnentwicklung nur mit Verzögerung
erfolgt.
Vgl. § 1255 Abs. 2 Satz 2 u. 3, § 32 Abs. 2 Satz 2 u. 3
Institut der deutschen Wirtschaft: a.a.O., Tabelle 15
Schmähl, Winfried: a.a.O., S. 40 f.
5.4 Sonstige externe Einflüsse
Neben den bisher gezeigten Beeinträchtigungen der Finanzie-
rung der gesetzlichen Altersrente - nach wie vor gilt die
drohende Vergrößerung des Rentnerquotienten als Hauptübel -
sind noch andere Erscheinungen zu betrachten, wenngleich
deren Wirkung auf die Rentenfinanzen von nicht allzu großer
Bedeutung ist.
Zuerst soll hier kurz das Inflationsproblem betrachtet
werden. Im Falle einer schleppenden Inflation, wie sie in
der Praxis beobachtbar ist, sind keine direkten Verluste zu
erwarten. Bei den Einnahmen und Ausgaben handelt es sich um
Nominalgrößen, deren Betrag sich durch Geldentwertung nicht
unmittelbar verändert. Außerdem ist im Umlageverfahren nur
ein relativ kleiner Kapitalstock (die Schwankungsreserve in
Höhe von 1,5 Monatsausgaben) vorhanden, der von Inflation
bedroht ist. Zudem ist durch liquide Anlage der Schwan-
kungsreserve auch noch ein Zinsgewinn zu erzielen, der
den Inflationsverlust sogar überkompensiert, wie ein Ver-
gleich von Zinssatz und Inflationsrate zeigt.
Setzt man voraus, daß die Geldentwertung sich in den
Lohnverhandlungen entsprechend niederschlägt, entsteht für
die Rentenfinanzen ein Vor- bzw. Nachteil, je nachdem ob
eine steigende oder sinkende Inflationsrate die allgemeine
Lohnentwicklung beeinflußt (Vgl. Kap. 5.3).
Wäre die Geldentwertung so stark, daß bei jährlicher
Rentenanpassung die Rentnerversorgung z.B. ab dem siebten
Monat gefährdet ist, muß die regelmäßige Anpassung der
allgemeinen Bemessungsgrundlage in kürzeren Abständen
stattfinden, um die Renten schneller an die Lohndynamik zu
koppeln.
Eine Hyperinflation, wie sie sich etwa während der Welt-
wirtschaftskrise nach dem ersten Weltkrieg ereignete, soll
hier außer Betracht bleiben. Sie liegt nicht vor und kann
auch nicht in Zukunft erwartet werden. Es wäre zu kompli-
Vgl. § 110b AVG bzw. § 1383b RVO
Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft: a.a.O., Tabellen 37 und 116
ziert, ein unter solchen Bedingungen funktionierendes
Alterssicherungssystem zu konzipieren.
Eine andere Möglichkeit negativer Einflüsse entsteht durch
die Politiker selbst. Da nach und nach der Anteil der
älteren Bevölkerung zunimmt und diese dann einen beträcht-
lichen Anteil der Wähler stellen werden, besteht die
Versuchung, ihnen ein hohes, von Minderheiten zu finanzie-
rendes Alterseinkommen zu versprechen und - bei erfolg-
reicher Wahl - durchzusetzen.
Kurzfristig betrachtet entsteht Schaden auch durch immer
geringeres Vertrauen der jüngeren Bevölkerung in die
Sicherheit der gesetzlichen Altersrente. Diesen potentiel-
len Beitragszahlern wird klar, daß sie später als Rentner
einer sehr unsicheren Versorgung durch die gesetzliche
Rentenversicherung unterliegen. Dies und die Gefahr stei-
gender Beitragssätze fördert den Drang, sich der gesetz-
lichen Rentenversicherung entziehen zu wollen, sei es durch
Schwarzarbeit oder durch Beschäftigung in freien Berufe.
Das führt zwar auch zu geringeren Ansprüchen an die
gesetzliche Rentenversicherung, aber erst mit großer Zeit-
verschiebung.
6. Lösungsansätze zur Bewältigung der Rentenkrise
6.1 Das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992)
Daß die Leistungsfähigkeit des heutigen Systems der gesetz-
lichen Alterssicherung ohne Anpassung "an die sich ändern-
den sozialen, ökonomischen und vor allem demographischen
Rahmenbedingungen" in Zukunft stark gefährdet würde, haben
die Politiker rechtzeitig erkannt. Deshalb schuf die Regie-
rungskoalition (in Zusammenarbeit mit der SPD) das "Gesetz
Vgl. Claassen, Emil-Maria: Rentenversicherung und volkswirtschaftliche Kapitalbildung, Karlsruhe 1981, S. 5
Müller, Eugen, Nachtigal, Gert und Hansen, Volker: a.a.O., S. 9
Vgl. Schallöhr, Knut M.: Bringt die Rentenreform schmerzliche Einbußen?,
Starnberg 1989, S. 3
zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung
(Rentenreformgesetz 1992 - RRG 1992)", welches am
18.12.1989 mit breiter Mehrheit verabschiedet wurde. Dieses
stellt aber nur einen ersten Schritt dar, um die Finanzie-
rung der Renten bis zum Jahre 2010 zu gewährleisten. Später
liegende Probleme, die vor allem dann entstehen, wenn die
geburtenstarken Jahrgänge aus den 60-er Jahren in Rente
gehen, müssen durch weitreichendere Maßnahmen gelöst wer-
den. Leider spricht noch niemand davon, wann diese ent-
wickelt und durchgeführt werden. So ist zu befürchten, daß
statt durch frühzeitige Systemwandelungen vorbeugend zu
agieren, so lange gewartet wird, bis nur noch kurzfristige
Maßnahmen die Finanzierungsnöte lindern, aber nicht mehr
beheben können.
Wie bereits erwähnt, löst das weitgehend am 1.1.1992 in
Kraft tretende RRG 1992 das bis dahin geltende 4. Buch der
Reichsversicherungsordnung, das Angestelltenversicherungs-
gesetz und Reichsknappschaftsgesetz ab und schafft dafür
das für alle Versicherte geltende Sozialgesetzbuch VI.
Trotz des oben erwähnten Zwecks des Reformgesetzes enthält
dieses auch Maßnahmen, die die Renten verbessern und somit
die Finanzierungsprobleme eher verschärfen. Auf jede ein-
zelne Besonderheit des Gesetzes hinzuweisen würde den
Rahmen dieses Kapitels sprengen. Es soll hier eher eine
Auswahl der wichtigsten Neuerungen erfolgen, von denen die
gesetzliche Altersrente vorteilhaft betroffen ist.
Eine der Öffentlichkeit am bekanntesten Neuregelungen ist
die Rentenanpassung an die Nettoentwicklung der durch-
schnittlichen Löhne und Gehälter (§ 68 SGB VI). Dies wurde
nötig, weil sich durch die bisher angewendete Bruttolohn-
orientierung die Entwicklungen der Nettoentgelte und der
verfügbaren Renten in ungerechter Weise zu Gunsten letzte-
rer auseinanderentwickelten. Die Abgabenbelastung aus
Steuern und Sozialbeiträgen stieg bei den Beitragszahlern
stärker als die Abzüge von den Renten (schrittweise Einfüh-
Zum Ziel des RRG 1992: Vgl. Müller, Eugen, Nachtigal, Gert und Hansen, Volker:
a.a.O., S. 9 f.
rung eines eigenen Krankenversicherungsbeitrags; von der
Bruttolohnentwicklung abweichende und zeitlich verschobene
Anpassungen). Künftig wird mittels Berücksichtigung der
Abgabenbelastung der Renten und Löhne der aktuelle Renten-
wert so festgesetzt, daß sich Nettolohn und verfügbare
Rente parallel entwickeln, was Einbußen bei den Rentnern
und damit eine sofortige Entlastung der Versicherungsträger
mit sich bringt. Diskretionäre Eingriffe seitens des
Gesetzgebers in die Dynamik der Renten können daraufhin
unterbleiben.
SCHALLÖHR nennt die Einführung der neuen Regelaltersgrenze
von 65 Jahren i.V.m. einer neuen Regelung zur vorzeitigen
Inanspruchnahme der Altersrente als eine der gravierendsten
Änderungen im RRG 1992. Früher war für Männer das normale
Renteneintrittsalter gleichfalls 65 Jahre, doch konnte seit
1972 mit 63 Jahren Altersrente beziehen, wer bis dahin 35
Versicherungsjahre nachwies. Diese Voraussetzung lag bei
den meisten vor, so daß die Mehrheit vorzeitig Rente
beantragte. Dabei mußten nur geringe Abzüge (4-5 %) in Kauf
genommen werden, die sich nur aus der verkürzten Erwerbs-
phase ergaben. Die um zwei Jahre längere Rentenauszahlung
wurde nicht berücksichtigt.
Vgl. Müller, Eugen, Nachtigal, Gert und Hansen, Volker: a.a.O., S. 87 ff.
Vgl. Schmähl, Winfried: a.a.O., S. 73
Für Frauen und Arbeitslose wird die Umstellung noch härter
ausfallen. Konnte dieser Personenkreis i.d.R. bisher im
Alter von 60 Jahren erstmals Altersruhegeld beziehen, gilt
auch für ihn künftig die neue Grenze von 65 Jahren. Damit
wird die nicht zu rechtfertigende Bevorzugung von Frauen
bzw. die Belastung der Rentenkassen durch systemfremde
Arbeitslosigkeit abgeschafft.
Um einen weichen, gerechteren Übergang zum neuen Regelal-
ter zu erreichen, werden die bisherigen Altersgrenzen von
60 und 63 Jahren, nach Geburtsjahr und -monat abgestuft,
angehoben. Die neue Grenze von 65 (statt 63 Jahren) gilt
erst für ab November 1944 Geborene, bei Frauen und Arbeits-
losen ist das neue Einstiegsalter für Jahrgänge ab November
1952 relevant.
Grundidee dieser Neuerung ist das Zurechtrücken des
Verhältnisses zwischen den Längen der Erwerbsphase und der
Rentenphase. Eine immer länger dauernde Ausbildung und
steigende Lebenserwartung läßt die bisherige Regelung nicht
mehr finanzierbar erscheinen.
Wer künftig dennoch vorzeitig in Rente gehen will - ein
Rentenbeginn mit 62 Jahren ist generell ab dem 1. Januar
2013 möglich - dem wird die schon durch die geringere
Anzahl an Versicherungsjahren niedrigere Rente noch um
0,3 % je Monat, um den die Rente vorgezogen wird, gekürzt.
Bei 3 Jahren verringert sich die monatliche Rente dadurch
um 10,8 %. Dies soll zum einen abschreckend wirken, zum
anderen ein Ausgleich für die längere Rentenphase sein.
Im Gegensatz zu SCHALLÖHR behaupten MÜLLER, NACHTIGAL und
HANSEN, daß dieser Abschlag versicherungsmathematisch zu
gering ist, hier also der Gesetzgeber sparsamer hätte sein
können. Dafür wurde aber der Zuschlag bei verzögerter
Beantragung von bisher 0,6 % auf 0,5 % je Monat gesenkt.
Vgl.§ 41 Abs. 1 u. 2 SGB VI
Vgl. § 41 Abs. 3 SGB VI
Vgl. Schallöhr, Knut M.: Bringt die Rentenreform..., a.a.O., S. 11 ff.
Vgl. Müller, Eugen, Nachtigal, Gert und Hansen, Volker: a.a.O., S. 53
Als Reaktion auf länger werdende Ausbildungszeiten der
Studenten hat hier der Gesetzgeber Kürzungen bei deren
Bewertung vorgenommen. Bisher konnte man während der Aus-
bildung ab dem vollendeten 16. Lebensjahr, welche bis zu
einer Dauer von 13 Jahren (je 4 Jahre Schule und Fach-
schule, 5 Jahre Hochschule) angerechnet wurde, Rentenan-
wartschaften erwerben, ohne einen Pfennig Beitrag dafür zu
leisten. Diese Zeit wird bis heute bei der Rentenberechnung
so berücksichtigt, als verfügte man über ein Erwerbseinkom-
men in Höhe von 90 % des Durchschnitts aller Versicherten.
Künftig, nach einer 12-jährigen Übergangsphase mit stufen-
weiser Begrenzung, werden von der Ausbildung maximal 7
Jahre (jedoch ohne Einzelbegrenzungen) rentenrechtlich
anerkannt, was bei einem Großteil der Hochschulabsolventen
(Durchschnittsalter 27 bis 28 Jahre) zu Fehlzeiten führt.
Für diese kann aber der Versicherte freiwillige Beiträge
nachentrichten.
Zusätzlich wird die Höhe der Anrechnung ebenfalls stufen-
weise von 90 % auf 75 % (erreicht im Jahre 2004) gesenkt,
so daß beispielsweise die neunjährige Ausbildungszeit eines
Akademikers laut SCHALLÖHR um insgesamt 35 % niedriger
bewertet wird als bisher. Sie ergibt eine Rente von 189 DM
statt 291 DM.
Der Zeitpunkt, in dem diese Maßnahme entlastend auf die
Rentenkassen wirkt, hängt auch davon ab, wieviele Akademi-
ker ihre eventuell entstandenen beitragsfreie Zeiten mit
freiwilligen Nachzahlungen belegen wollen. Am besten wäre,
keiner nützt diese Regelung, denn die dadurch entgehenden
Beitragseinnahmen wären momentan noch verkraftbar. Dagegen
ist eine langfristige Entlastung des Systems durch niedri-
gere Rentenansprüche viel wichtiger, da die Finanzierungs-
probleme durch die Bevölkerungsentwicklung sich weiter
verschärfen werden. Wenn der Rentnerquotient später mal
sehr groß ist, können dann die freiwilligen Nachzahlungen
der dann wenigen Hochschulabsolventen die Zusatzansprüche
Zur Reform bezüglich der Ausbildungszeiten: Vgl. Schallöhr, Knut M.: Bringt die Rentenreform..., a.a.O., S. 25 f.
der vielen Rentner, die aus deren Nachzahlungen entstanden,
nicht decken.
Schließlich werden noch die Rentenbewertung und die Bei-
tragsberechnungsgrundlage für Zeiten der Arbeitslosigkeit
neu festgelegt. Auf diesem Sektor tritt eine Ersparnis ein,
nämlich einerseits durch eine den Arbeitslosen zumutbare
Senkung der Rentenhöhen aufgrund geringerer Überbewertung
der Arbeitslosenzeiten, andererseits durch höhere Beitrags-
forderungen mittels höherer Berechnungsgrundlagen. Während
noch bis 1994 der Rentenversicherungsbeitrag der Arbeitslo-
sen anhand der von ihnen erhaltenen Lohnersatzleistungen
(beispielsweise beträgt das Arbeitslosengeld nur 63 bis
68 % des ausfallenden Nettolohns) ermittelt und für die
spätere Rentenhöhe aber der den Ersatzleistungen zugrunde-
liegende Bruttolohn angerechnet wird, gibt es ab 1998, nach
einer Übergangsphase, eine parallele Beitragsberechnung und
Anrechnung für die Rente auf Basis von 80 % des vor der
Arbeitslosigkeit bezogenen Bruttoentgelts. Auch hier wird
künftig die gesetzliche Rentenversicherung durch herr-
schende Arbeitslosigkeit nicht mehr belastet.
Eine fragwürdige Reformmaßnahme ist die Möglichkeit für
Frauen, ab 1992 Beiträge nachzuzahlen, falls sie sich bei
Heirat bis 1967 ihre bis dahin geleisteten Beitragszahlun-
gen zurückzahlen ließen. Bisher war dies nur möglich, wenn
die Frau inzwischen wieder eine versicherungspflichtige Be-
schäftigung aufgenommen hat.
Der Ausschluß von Frauen ab 65 und solchen, denen bereits
eine Vollrente wegen Alters bewilligt wurde - die Renten-
last würde sich sofort erhöhen - sowie die Befristung bis
1995 - die angesprochenen Frauen sollen möglichst bald
Beiträge nachzahlen - lassen darauf schließen, daß diese
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV; Hrsg.): Versicherungen..., a.a.O., S. 19
Vgl. Müller, Eugen, Nachtigal, Gert und Hansen, Volker: a.a.O., S. 71 f.
Vgl. Schallöhr, Knut M.: Bringt die Rentenreform..., a.a.O., S. 8
Vgl. Müller, Eugen, Nachtigal, Gert und Hansen Volker: a.a.O., S. 126
Vgl. Sturm, Norbert: Berufstätige Frauen können Rentenfehler korrigieren, in: SZ, 30./31.3./1.4.1991, S. 32
Maßnahme als kurzfristige Entlastung der Kassen gedacht
ist. Längerfristig wird sie diese Regelung in ähnlicher
Weise belasten wie Anfang der 70-er Jahre die Öffnung der
gesetzlichen Rentenversicherung für Hausfrauen und Selb-
ständige. Auch damals war es möglich, sich (bis Ende 1975)
durch günstige Einmalbeiträge Rentenanwartschaften zu
sichern, was im Nachhinein zu erheblichen Lasten führte und
noch führen wird. STURM stellt ein Beispiel dar, bei dem ab
1992 eine einmalige Nachzahlung für die Jahre 1947 bis 1951
in Höhe von 8400 DM genügt, um allein dadurch einen
monatlichen Rentenanspruch in Höhe von 352 DM (=4224 DM pro
Jahr!) für das ganze Rentnerleben zu erwerben.
Um insgesamt die Wirksamkeit der Reformen genau beurteilen
zu können, muß noch ein paar Jahre abgewartet werden. Laut
SCHALLÖHR steht bisher nur fest, daß durch das Gesetz
sowohl Rentner, Beitragszahler als auch die Steuerzahler
(der Bundeszuschuß wird dann auch an die Dynamik des
Beitragssatzes gekoppelt) Einbußen tragen müssen. Schätzun-
gen besagen, daß bis zum Jahr 2000 174 Milliarden DM der
Rentenversicherung fehlen. Durch Leistungsveränderungen
sollen über 100 Milliarden DM gespart werden, mit Ein-
nahmeerhöhungen sollen weitere Milliarden gewonnen werden.
Dennoch steigt der Beitragssatz voraussichtlich auf 21,4 %
im Jahr 2010 und wird dann - sollten zusätzliche Reformen
ausbleiben - stark weitersteigen. Ohne RRG 1992 läge der
Beitragssatz in 20 Jahren bei ca. 25 %.
Bleibt noch anzumerken, daß die Rentenreform aus vielen
Einzelmaßnahmen von geringerem bis mittleren Ausmaß
besteht, tiefgreifendere Systemumstellungen der Altersvor-
sorge, wie sie ab Kapitel 6.3 vorgeschlagen werden, sind
nicht enthalten. Es ist sogar eine Festigung des vom
Vgl. Sturm, Norbert: a.a.O., S. 32
Vgl. Schallöhr, Knut M.: Bringt die Rentenreform..., a.a.O., S. 10 u. S. 40
Errechnet anhand der Schätzungen des statistischen Bundesamts über die Entwicklung der Bevölkerung. Demnach steigt der Altenquotient (ab 65-Jährige im Verhältnis zu 25 bis 64-Jährige) von 0,27 in 1990 auf 0,37 in 2010); Vgl. hierzu Statistisches Bundesamt: a.a.O.
Rentnerquotienten stark beeinflußten Umlageverfahrens zu
beobachten.
6.2 Die alternative Rentenformel
Eine neue Möglichkeit, auf der Ausgabenseite gerechte
Einsparungen vorzunehmen, wäre bei Berechnung der indivi-
duellen Rentenhöhe die Berücksichtigung der Beitragssätze,
die während der Erwerbsphase Grundlage eigener Beiträge
waren. Hintergrundgedanke ist, daß die besonders geburten-
starken Jahrgänge, in deren Erwerbsleben die Last der
Altenversorgung noch auf viele Schultern verteilt wurde,
als Ausgleich später bei eigenem Rentenbezug Minderungen
hinnehmen müssen. Schließlich haben diese während ihrer
Erwerbsphase aufgrund günstigerer Rentenbeiträge die Gele-
genheit, durch zusätzliche, private Vorsorgemaßnahmen ihre
Altersruhe finanziell abzusichern.
Von jedem Rentenantragsteller wird der Durchschnitt aller
Beitragssätze ermittelt, anhand derer seine gesamten Bei-
träge berechnet wurden. Daraufhin wird die prozentuale
Abweichung zu einem noch zu bestimmenden Soll-Beitragssatz
ermittelt, was dann zu entsprechenden Rentenabzügen bzw.
Zuschlägen führt. Diese Regelung sollte erst mit einiger
Verzögerung angewendet werden (z.B. ab dem Jahr 2010), um
den Versicherten Gelegenheit zu geben, die zu erwartenden
Verluste durch eigene Vorsorge zu mildern.
Für die Ermittlung des Soll-Beitragssatzes bietet sich
vorerst folgende Methode an:
Es wird der Beitragssatz als Soll verwendet, der sich in
einer standardisierten Modellwelt ergäbe, in der jedes Jahr
die gleiche Anzahl an Lebendgeburten erfolgt und aufgrund
gleichbleibender Sterbetafeln die Altersstruktur und damit
der Rentnerquotient langfristig konstant bleiben. Er ist
dann nur noch von den Längen der Erwerbs- bzw. Rentenphase
und dem Rentenniveau abhängig. Beispielsweise ergibt sich
Vgl. Müller, Eugen, Nachtigal, Gert und Hansen, Volker: a.a.O., S. 112
bei einer 40-jährigen Erwerbsphase mit anschließend 10-
jähriger Rente und einem Rentenniveau von 75 % ein Bei-
tragssatz von 10/40 * 75 % = 18,75 %. Werden die Bundes-
zuschüsse angerechnet, muß er noch gesenkt werden.
Durch einen Vergleich des individuellen Beitragssatzdurch-
schnitts mit dieser Größe sollen Vor- bzw. Nachteile
einzelner Jahrgänge, die sich durch Schwankungen in der
Geburtenzahl ergeben, ausgeglichen werden.
In der Praxis führt dieses Vorgehen leider nur zu kurzem
Erfolg. In den ersten Jahren ab 2010 werden noch solche
Rentner überwiegen, bei denen die günstigen Beitragssätze
bis Mitte der 80-er Jahre zu Abzügen bei den Renten-
ansprüchen führen. Doch danach führt dieses System sogar zu
einer Verschärfung der Finanzlage, da die Rentnergemein-
schaft in immer stärkerem Ausmaß von den hohen Beitragssät-
zen ab Mitte der 90-er Jahre belastet sein wird, der
Beitragssatzdurchschnitt daher Werte über 18,75 % erreicht.
Wird gar das aufgrund der Bundeszuschüsse niedrigere Soll
herangezogen, steigen die Renten sofort ab Anwendung des
Gesetzes.
Der Fehler dieses Verfahrens liegt in der falschen
Bestimmung des Soll-Beitragssatzes. Dieser ist nur in der
Lage, Auswirkungen kurzfristigerer Schwankungen der Bevöl-
kerungsentwicklung auf die Rentenfinanzierung abzu-
schwächen, wobei der Altenquotient um einen bestimmten
Durchschnittswert langfristig pendelt. Im Gegensatz dazu
wird in der Realität ein starkes Ansteigen des Altenquo-
tienten erwartet.
Dieser Anstieg unterliegt selbst Schwankungen, ähnlich dem
schlangenförmigen Konjunkturverlauf um eine nach oben zei-
gende Gerade , deren höchster Ausschlag dann ist, wenn die
60-er Jahrgänge in Rente sind. Eine Entspannung wird erst
eintreten, wenn der Großteil dieser Generation gestorben
ist.
Gelingt es, den schwankungsbereinigten Anstieg des Alten-
quotienten bei der Bestimmung des Soll-Beitragssatzes mit
einfließen zu lassen (er wäre dann deutlich über 18,75 %)
Es wird unterstellt, daß sich Alten- und Rentnerquotient proportional zueinander verhalten.
und wird sonst w.o. verfahren, so läßt sich zwar das
Grundübel für die Rentenkassen nicht beseitigen, jedoch
lassen sich Spitzenbelastungen, wie für die Zeit um das
Jahr 2030 erwartet, vermeiden.
Als erstes muß für den Beobachtungszeitraum von 1960
(frühest möglicher Beginn der Erwerbsphase derjeniger,
welche ab 2010 in Rente gehen) bis etwa 2050 (dann stammen
die Rentner aus Jahrgängen mit gleichmäßigerer Geburtenent-
wicklung) der jährliche Altenquotient ermittelt bzw. ge-
schätzt werden. Anschließend werden mittels linearer
Regression die Quotienten einer geglätteten Entwicklung
berechnet. Ab dem Jahr 2010 werden dann bei jedem Rentner
die tatsächlichen mit den hypothetischen Beitragssätzen aus
seiner Erwerbsphase verglichen. Letztere werden an Hand dem
Verhältnis beider Altenquotienten je Jahr berechnet. Die
durchschnittliche Abweichung schlägt sich dann entsprechend
auf die Rentenhöhe nieder. Dadurch ergeben sich Verschie-
bungen des Rentenvolumens von besonders kritischen Zeiten
zu Jahren mit relativ günstigem Altenquotienten.
Zu Einsparungen insgesamt führt diese Methode nur, wenn
alle errechneten Kürzungen, nicht aber die Rentenerhöhungen
tatsächlich vollzogen werden. Die Kürzungen sind vertret-
bar, weil nur diejenigen davon betroffen sind, welche
vorher von relativ günstigen Beitragssätzen profitierten.
Die Nicht-Anhebung ist hinzunehmen, weil die Betroffenen
nicht schlechter dastehen als ohne die neue Rentenberech-
nungsmethode. Ihr Vorteil liegt immer noch darin, daß in
deren Erwerbsphase der Beitragssatz sinkt, weil den Rent-
nern aus geburtenstarken Jahrgänge die Rente gemindert
wurde.
Abschließend betrachtet bleibt doch fragwürdig, ob sich der
Verwaltungsaufwand dieses Systems für die eher geringen
Einsparungen lohnt. Selbst wenn man sich für die Durchfüh-
rung entschließt, kann sie nur ergänzend wirken. Um künftig
hohe Beitragssätze zu vermeiden, müssen andere Maßnahmen
bis hin zur völligen Neugestaltung der Altersvorsorge
ergriffen werden.
6.3 Reduzierung bzw. Abschaffung staatlicher Rentenversi-
cherungsleistungen
Angesichts der auf die Rentenkassen zukommenden Finan-
zierungsprobleme muß geprüft werden, ob sich der Staat
nicht einfach durch einen Rückzug vom System der gesetz-
lichen Altersvorsorge der Schwierigkeiten entledigen kann.
In Frage kommt auch ein teilweiser Ausstieg in Form von
Beitrags- und Leistungskürzungen, um so das Volumen der
gesetzlichen Rentenversicherung samt den damit verbundenen
Sorgen zu verringern. Dies bietet sich umso mehr an, wie
durch gestiegenem allgemeinen Wohlstand die Bevölkerung in
der Lage ist, während der Erwerbsphase eigene Altersvor-
sorge zu betreiben. Außerdem spielt in der heutigen
Gesellschaft die betriebliche Altersvorsorge eine immer
größere Rolle. Auch CLAASSEN meint, daß ein wohlfahrts-
orientierter Staat sein gesetzliches Rentenversicherungs-
system abbauen müßte, da es weder (zumindest langfristig)
für die Versicherten noch für die gesamte Wirtschaft (wegen
geringerem Kapitalangebot) von Vorteil ist.
Der schwächste Schritt in Richtung eines Rentenabbaus wäre
die Abschaffung der jährlichen Rentenanpassung an die
Lohnentwicklung z.B. ab 2010, d.h. nur der reale Wert der
Rentenleistungen wird gesenkt. Ohne steigendem Altenquo-
tienten könnte dadurch der Beitragssatz jährlich ent-
sprechend der Nettolohnsteigerung gesenkt werden. Geht
man von einer jährlichen Steigerungsrate von nur 2 % aus,
ergibt dies nach 20 Jahren einen 49 % höheren Lohn, während
andererseits der Altenquotient in den Jahren von 2010 bis
2030 "nur" um 40 % anwächst. Hieraus resultiert insgesamt
eine Senkung des Beitragssatzes um 6 %. Läge er 2010 bei
den geschätzten 21,4 % (aus Kapitel 6.1), beträgt er um
2030 ca. 20,1 %. Nur anhand des gestiegenen Altenquotienten
hätte er einen Wert um 30 %.
Vgl. Claassen, Emil-Maria: a.a.O., S. 10
Es wird angenommen, daß immer der gleiche Anteil der Rentenausgaben durch Beitragseinnahmen gedeckt wird.
Denn: 1 - (1,4 x 1/1,49) = 0,06
Vorteil dieser Methode ist, daß die Einbußen für die
Rentner relativ langsam und erst spät zunehmen. Für die
heute Erwerbstätigen gilt, daß der reale Wert ihrer Rente
um so mehr schmilzt, je später sie die in Rente gehen.
Andererseits verlängert sich dadurch die Zeit für ent-
sprechende Ausgleichsmaßnahmen im privaten Bereich. Was den
Beitragssatz betrifft, kann dieser auf erträglichem Niveau
um ca. 20 % gehalten werden.
Dennoch darf nicht vergessen werden, daß unter Renditege-
sichtspunkten auch diese Vorgehensweise nicht besonders gut
abschneidet. Die heutigen Beitragszahler werden schwer
einsehen, daß sie für ihre hart erwirtschafteten Beiträge
wenig Gegenleistung erwarten können. Der künftige Beitrags-
satz wird sie später als Rentner nicht mehr interessieren.
Aber hierin liegt ja gerade das Dilemma der gesetzlichen
Rentenversicherung mit Umlageverfahren. Bleibt alles beim
Alten, so sind unzumutbare Beitragssätze zu erwarten.
Werden Gegenmaßnahmen getroffen, so geht dies zu Lasten der
Rentner.
Zieht man hieraus die Konsequenz, ein System dieser Form
abzuschaffen, geht dies auch nur auf Kosten von mindestens
einer Bevölkerungsgruppe. Würden sofort alle Rentenzahlun-
gen gestoppt, werden die Rentner mit einem Schlag ins
soziale Elend gestürzt und die Erwerbstätigen um ihre
Anwartschaften gebracht. Werden die Zahlungen erst später
(z.B. ab 2020) eingestellt, so daß die heutigen Rentner und
älteren Beitragszahler noch verschont bleiben, bestehen
zwei Möglichkeiten zur Finanzierung der Renten bis zur
Abschaffung:
Sie erfolgt weiterhin zum Großteil über die Beiträge der
Erwerbspersonen, was besonders bei den jüngeren zu großer
Unmut führen wird.
Oder die Steuerzahler, welche schon über den Bundeszuschuß
einen Teil der Rentenversicherung mittragen, übernehmen die
Beiträge zumindest derjeniger, welche aufgrund ihres Alters
später vom Rentensystem nicht mehr profitieren können.
Hierdurch wird zwar das Problem außerhalb des Wirkungs-
kreises der gesetzlichen Rentenversicherung verlagert, den-
noch werden die gleichen Personen - nur in anderer Rolle -
benachteiligt. Weil es mehr Steuerzahler als Beitragszahler
gibt, mindert sich die Last des Einzelnen, dafür sind mehr
Bürger davon betroffen. Ein Rechenbeispiel aus 1988 soll
die zusätzliche Steuerbelastung darlegen. Damals betrug
das Steueraufkommen insgesamt 488,1 Mrd. DM, davon
290,5 Mrd. als direkte Steuern. Die Erwerbsgeneration
leistete Rentenbeiträge in Höhe von 156,5 Mrd. DM.
Dementsprechend stiege bei rein steuerfinanzierter Renten-
versicherung die Steuerlast um durchschnittlich 32,1 %, bei
Finanzierung nur über Erhöhung der direkten Steuern müßten
diese um 53,9 % angehoben werden. Künftig würden die Folgen
für den Steuerzahler noch stärker ausfallen.
Eine Zwischenlösung, nämlich eine stetige Reduzierung der
Renten ab 2010 bis auf Null würde den Widerstand bei den
heutigen Beitragszahlern mindern, da sie später wenigstens
noch geringe Gegenleistungen erwarten können. Aus Sicht des
Steuerzahlers verlängert sich die Belastung. Zudem wird
der Vorgang erst dann abgeschlossen sein, wenn der Gipfel
der Finanzierungsprobleme überschritten sein wird.
Ein ähnlicher Reformvorschlag stammt von FRIEDMAN. Während
einer Übergangsphase sinken die Versicherungsabgaben. Bei-
träge, die nach der Annahme der Reform geleistet werden,
bleiben bei der späteren Rentenberechnung unberücksich-
tigt.
Der Nutzen bei jeder Form der Abschaffung tritt erst nach
ihrer Vollendung ein, wenn kein Lebender mehr durch Renten-
verlust oder Steuerbelastung benachteiligt und die Alters-
vorsorge in neuer Art betrieben wird, die nicht auf
Änderungen des Altenquotienten reagiert.
Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft: a.a.O., Tabelle 40
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV; Hrsg.): Statistisches Taschenbuch..., a.a.O., Tabelle 106
Vgl. Friedman, Milton: Second Lecture, 94th US Congress, 2nd session, August 1976 (zitiert nach Claassen, Emil-Maria: a.a.O., S. 12)
Alle Maßnahmen müßten aber früh, weit vor Inkrafttreten
beschlossen werden, um der Bevölkerung Gelegenheit zu
bieten, sich anderweitig sozial abzusichern (durch Sparen,
Anhäufung von Vermögen oder den Abschluß einer Lebensver-
sicherung).
6.4 Übergang zum Kapitaldeckungsverfahren
Falls sich abzeichnen sollte, daß eine Mehrheit der Bevöl-
kerung nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, ohne
staatlichem System für den Ruhestand vorzusorgen, müssen
andere Maßnahmen als die Abschaffung der gesetzlichen
Rentenversicherung getroffen werden. Da - wie bereits
festgestellt - das Hauptproblem in der empfindlichen Reak-
tion des Umlageverfahrens auf die demographische Entwick-
lung liegt, ist zu klären, ob eine Umstellung unseres
Alterssicherungssystems zum staatlich organisierten Kapi-
taldeckungsverfahren die Lösung bringt.
Sicher blieb uns jede Diskussion über die künftige
Entwicklung des Beitragssatzes erspart, wäre die gesetz-
liche Rentenversicherung von Anfang an mit Kapitaldeckung
organisiert, denn dann schaffen sich die geburtenstarken
Jahrgänge selbst ein Finanzpolster für die kritischen Jahre
um 2030. Die Erwerbstätigen müßten später nicht die Massen
an Rentnern finanzieren. Der Beitragssatz könnte konstant
gehalten werden, die Höhe richtet sich bei unveränderten
Marktzins und Lohnsteigerungsrate nur nach dem gewünschtem
Rentenniveau.
So aber stehen wir in der Übergangsphase vor schwer
lösbaren Problemen, die ähnlich wie bei einer Systemauflö-
sung gelagert sind. Sie geht entweder zu Lasten der
Rentner, weil die laufenden Beiträge statt für deren
Versorgung zum Aufbau eines Kapitalstocks verwendet werden,
oder die Beitragszahler tragen eine entsprechende Doppelbe-
lastung, falls der Steuerzahler nicht für die Finanzierung
der Renten beansprucht wird, für die noch kein oder zu
wenig Kapital angesammelt werden konnte.
Für die künftigen Generationen ist eine Umstellung von
Vorteil. Der Marktzinssatz liegt sicher über der Stei-
gerungsrate der künftigen Nettolöhne und der Rentnerquo-
tient übersteigt noch lange das Zeitverhältnis Rentenphase
zu Erwerbsphase. Andere Gefahren, etwa durch Inflation,
Kriege oder Kapitalmißbrauch durch den Staat sind gering
einzuschätzen.
Da diese Vorteile aufgrund einer langen Übergangsphase
wahrscheinlich nicht rechtzeitig genossen werden können und
so ihr Nutzen in einem fragwürdigen Verhältnis zu den
Schwierigkeiten der Umstellung stehen, würde diese Reform
zu starkem Widerstand in der Bevölkerung führen.
Andererseits ist es nicht notwendig, eine hundertprozentige
Kapitalisierung einzuführen. Bliebe der Rentnerquotient
konstant, müßte im Kapitaldeckungsverfahren nicht auf den
Kapitalstock zurückgegriffen werden, da dann die Rentenaus-
gaben den laufenden Beiträgen entsprächen. Ein Abbau ist
nur insoweit nötig, wie der Rentnerquotient steigt. Ganz
aufgezehrt würde er nur in dem unrealistischen Fall, bei
dem wo keine Nachkommen existieren. Demnach genügt die
Einführung einer Mischform zwischen Umlage- und Kapital-
deckungsverfahren. Die Rentenhöhe wird wie im Umlageverfah-
ren berechnet, aber beim Beitragssatz wird zusätzlich die
langfristig erwartete Bevölkerungsentwicklung mit einkalku-
liert, um in relativ guten Zeiten einen kleineren Kapital-
stock aufzubauen, der später, wenn es besonders viele Alte
zu versorgen gibt, genutzt werden kann . Das führt zwar
anfangs zu überhöhten Beitragssätzen, ist aber sozial
zumutbarer als die Übergangsprobleme einer vollständigen
Kapitalisierung und immer noch besser als im nächsten
Jahrhundert überdimensionale Beiträge fordern zu müssen.
Daß dieser Weg wenigstens tendenziell als Lösung erkannt
wird, zeigen die kritischen Stimmen einiger Politiker zu
der im April dieses Jahres trotz der schlechten Aussichten
Vgl. Claassen, Emil-Maria: a.a.O., S. 12
vorgenommenen Beitragssatzsenkung.
Im Übrigen entspricht er ein wenig dem Vorschlag aus
Kapitel 6.2 (Rentenkürzungen in kritischen Zeiten mit der
Möglichkeit zur privaten Vorsorgeergänzung). Anstelle des
vorsorglichen Sparens treten die zusätzlichen Beitragsfor-
derungen, welche aber spätere Leistungseinbußen vermeiden.
Die komplizierte Rentenberechnung fällt weg, dafür muß der
Beitragssatz anhand von Prognosen am besten so ermittelt
werden, daß er langfristig (etwa bis zum Jahr 2050)
konstant bleibt, der Kapitalstock also nicht unter Null
gerät. Falls danach sich die Geburtenrate wieder normali-
siert hat, kann der Beitragssatz wieder nach herkömmlicher
Methode berrechnet werden. Sobald aber sich erste Anzei-
chen für einen stärkeren Geburtenrückgang ergeben, so muß
sofort mit dem Aufbau eines neuen Kapitalpuffers begonnen
werden.
Da die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung und
die damit verbundenen Erhöhungen des Beitragssatzes schon
länger ein Reizthema waren, gibt es auch eine entsprechende
Anzahl von Reformvorschlägen, die zur Entlastung der Ren-
tenkassen beitragen (sollen). Eine Auswahl bisher nicht
genannter ßnderungs- bzw. Neuerungsmöglichkeiten soll im
Folgenden dargestellt werden:
In der Literatur ist besonders die Idee verbreitet, einen
Maschinenbeitrag (auch Wertschöpfungsbeitrag genannt) der
Arbeitgeber einzuführen. Dieser soll entweder anstelle oder
zuzüglich zum bisherigen Arbeitgeberbeitrag kommen. Damit
sollen Verluste für die Rentenversicherung durch immer
stärkere Kapitalisierung der Produktionen i.V.m. Wegratio-
nalisierung von Arbeitsplätzen ausgeglichen werden. Dadurch
würden die aufgrund lohnabhängiger Beiträge wettbewerbs-
siehe auch § 287 Abs. 1 SGB VI; demnach soll der für 1992
errechnete so lange gelten, bis er erhöht werden
muß.
mäßigen Nachteile der lohnintensiven Fertigungen wegfallen,
was insgesamt der Förderung von Arbeitsplätzen dienen soll.
Dennoch ist dieser Vorschlag abzulehnen. Hauptnachteil
ist, daß hier am Rentenrecht und System selbst nicht viel
geändert wird. Es wird nur versucht, Systemfehler mittels
neuer Geldquellen zu finanzieren. Jeder Arbeitgeber würde
versuchen, diese (zusätzlichen) Kosten genau wie die
sonstigen Lohnnebenkosten entweder durch Preissteigerungen
oder durch gemäßigtere Lohnerhöhungen von sich abzuwälzen.
Gelingt dies nicht, werden Investitionen zurückgenommen und
die Zahl der Konkurse steigen. Die Beschäftigungsmöglich-
keiten sinken, was man mit diesem Reformvorschlag gerade
vermeiden wollte. Die Last trägt in jedem Fall der Arbeit-
nehmer.
Zusätzlich würden zwei weitere Effekte das Plus an
Beschäftigten bei stärkerer Hinwendung zu arbeitsintensive-
ren Produktionsmethoden mindestens teilweise kompensieren:
Die internationale Wettbewerbsfähigkeit und die Wachs-
tumschancen unserer Wirtschaft werden behindert, da fort-
schrittliche Innovationen erschwert würden. Außerdem fallen
Arbeitsplätze weg, welche durch Rationalisierungsinves-
titionen erst entstehen.
Petersen sieht den einzigen Vorteil dieser Maßnahmen auf
psychologischer Seite, daß nämlich Preisabwälzungen der
Unternehmen an die Verbraucher von diesen eher hingenommen
werden als eine Abgabenerhöhung.
Selbst wenn durch diese Maßnahme tatsächlich mehr
Arbeitsplätze erhalten bleiben, ist noch nicht klar, ob die
Wohlfahrt insgesamt steigt. Gesamtwirtschaftlich ist es
besser, durch einen hohen Grad an Produktivität und inter-
nationaler Konkurrenzfähigkeit ein generationsbedingtes
Arbeitslosenheer zu finanzieren als mit zweifelhaften
Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen einen volkswirtschaft-
lichen Abstieg zu beschwören. Und aus Sicht der gesetz-
Vgl. Merklein, Renate: a.a.O., S. 155 f.
Zum Maschinenbeitrag und der Kritik: Vgl. Petersen, Hans-Georg: a.a.O., S. 161 ff.;
vgl. auch Schmähl, Winfried: a.a.O., S. 66 ff.
Vgl. Petersen, Hans-Georg: a.a.O., S. 163
lichen Rentenversicherung wurde schon im RRG 1992 Maßnahmen
beschlossen, die die Belastung der Rentenkassen durch
Arbeitslose stark mindert.
Ein weiterer Vorschlag betrifft eine verstärkte Besteuerung
der Altersrenten. Diese Idee steht im engen Zusammenhang
mit der Rentenanpassung und ist nur bei bruttolohnorien-
tierter Rente sinnvoll. Motiv ist, die auseinanderklaffende
Entwicklung von verfügbaren Einkommen und Renten zu been-
den.
Bisher wurde bei den Renten nur deren Ertragsanteil,
nämlich "die Differenz zwischen dem Jahresertrag der Rente
und dem Betrag, der sich bei gleichmäßiger Verteilung des
Kapitalwertes der Rente auf ihre voraussichtliche Laufzeit
ergibt", besteuert. Nach Abzug verschiedener Steuerfrei-
beträge ergibt sich i.d.R. ein steuerpflichtiges Altersein-
kommen in Höhe von null DM. Dieser Diskrepanz zwischen
den Gesamtbelastungen von Erwerbs- und Renteneinkommen soll
mit einer höheren Rentenbesteuerung entgegengewirkt werden.
Dies könnte durch Senkung der Freibeträge, Einführung einer
Vollbesteuerung mit erhöhten Freibeträgen oder einer Teil-
besteuerung geschehen. Dabei wäre die Vollbesteuerung die
gerechteste Methode, da nur hier wirklich eine Gleich-
stellung zwischen Erwerbseinkommen und Altersrente erfolgt.
SCHMÄHL hingegen befürwortet die Teilbesteuerung, bei der
die einzelnen Teile der gesamten Alterseinkünfte (Renten
aus Zusatzversorgungen, Pensionen, Renten aus der gesetz-
lichen Rentenversicherung etc.) mit geringerem Vorleis-
tungsanteil mehr besteuert werden als solche mit höherer
Vorleistung (Beiträge etc.). Eine Vollbesteuerung lehnt er
ab, weil dies eine Rücknahme der Vorsorgeprämie (gemeint
ist die mindestens teilweise Absetzung der Vorsorgeaufwen-
dungen vom steuerpflichtigem Erwerbseinkommen) wäre.
Petersen, Hans-Georg: a.a.O., S. 76
Vgl. ebenda, S. 76 ff.
Vgl. Schmähl, Winfried: a.a.O., S. 75;
Vgl. auch Helten u.a.: Plenumsdiskussion (Protokoll), in: Alterssicherung bei sich ändernden Rahmenbedingungen, Referate der Fachtagung des Bundesverbandes Deutscher Volks- und Betriebswirte e.V., hrsg. v. Elmar Helten und Bernd Kaluza, Karlsruhe 1984, S. 158 f.
Diese Steuerbegünstigung ist aber nicht als Prämie anzuse-
hen, denn i.d.R. wird Einkommen aus der Steuerpflicht
genommen, was einem (im Fall der Rentenbeiträge per Gesetz)
nicht sofort zur Verfügung steht.
Ein Problem liegt noch bei der Verwendung des zusätzlichen
Steueraufkommens, denn entlastend für die gesetzliche Ren-
tenversicherung wirkt die Steuerreform der Renten nur, wenn
die Mehreinnahmen direkt, z.B. in Form von erhöhten Bundes-
zuschüssen, ihren Kassen zufließen. Nachdem diese Zuschüsse
aber nur vom Bund geleistet werden, die Steuereinnahmen
aber allen Gebietskörperschaften zustehen, sind Schwierig-
keiten im Finanzausgleich zwischen Bund, Länder und Gemein-
den zu erwarten.
Dieser Nachteil wird bei (alternativer) Einführung der
Nettorentenanpassung vermieden. Aber unter der Annahme, daß
beide Verfahren (Vollbesteuerung der Renten versus An-
gleichung der Entwicklung von Nettolohn und verfügbarer
Rente) den gleichen Entlastungseffekt mit sich bringen und
keine Durchführungsprobleme bestehen, ist unter sozialen
Gesichtspunkten die Steuer vorzuziehen, da hier besonders
wohlhabende Rentner stärker betroffen sind und geringe
Alterseinkünfte verschont würden.
Ein anderer Vorschlag von Mitgliedern des Sozialbeirats
sowie den Sozialpolitikern der Parteien führt letztendlich
auch zu Steuererhöhungen: ein höherer Bundeszuschuß soll
demnach die Beitragszahler entlasten. Verwirklicht wurde
diese Idee im RRG 1992, wonach in Zukunft sich der
Bundeszuschuß auch nach der Höhe des (steigenden) Beitrags-
satzes richtet. Es ist davon auszugehen, daß der Bund
seine Mehrbelastung an die Zahler in Form von direkten
und/oder indirekten Steuern weitergibt. Die Rentenkassen
werden entlastet, die Beitragssätze steigen nicht so
schnell, dennoch bleibt der Gesamteffekt für die Beitrags-
zahler aufgrund erhöhter Steuerbelastung gering. Entlastun-
Vgl. Schmähl, Winfried: a.a.O., S. 76; siehe auch Helten u.a., a.a.O., S. 167
Vgl. Merklein, Renate: a.a.O., S. 156
Vgl. § 213 Abs. 2 Satz 2 SGB VI
gen ergeben sich nur dadurch, daß auch der Personenkreis
(Selbständige, Beamte...) zur Rentenfinanzierung stärker
als bisher herangezogen wird, welcher sonst nicht an der
gesetzlichen Altersvorsorge teilnimmt.
Überhaupt mag die teilweise Finanzierung über Steuern
wegen fehlender Gegenleistungen ungerecht erscheinen. Da
aber nur die versicherungsfremden Leistungen gedeckt werden
sollen, und außerdem die Rentenfinanzierung ein sozia-
les Problem darstellt, ist aus Sicht der gesamtwirtschaft-
lichen Einkommensverteilung die Belastung aller leistungs-
fähigen Bevölkerungsteile zu rechtfertigen. Allerdings ist
aus dem gleichen Grund auf eine Anhebung indirekter Steuern
zu verzichten, denn sonst würden vermehrt auch Geringver-
diener und Rentner belastet.
Der Kombination aus der Herabsenkung staatlicher Renten-
leistungen und stärkerer Gewichtung der Steuern als Finan-
zierungsquelle entspringt die Idee der steuerfinanzierten
Grundrente, mit der nur noch die Mindestversorgung jedes
Rentners sichergestellt werden soll. Zusätzliche Leistungen
müßten anderweitig erworben werden. Hier entstände ein
deutlich geringeres Rentenvolumen und die Probleme durch
die schlechte demographische Entwicklung würden sich auf
mehr Personen verteilen.
Andererseits ergäben sich beinahe die gleichen Schwierig-
keiten einer Übergangsphase wie bei der Totaleinstellung
gesetzlicher Leistungen (siehe Kapitel 6.3). Würden
sonstige Altersbezüge bei Berechnung der gesetzlichen
Altersrente diese im Extremfall bis auf Null herabsetzen,
ähnelt dieses Verfahren dann dem Sozialhilfesystem und
dürfte deshalb schon aus psychologischen Gründen auf star-
ken Widerstand stoßen.
Vgl. Kapitel 3.2 (Fußnote 36)
Vgl. Petersen, Hans-Georg: a.a.O., S. 159 f.
Vgl. Biedenkopf, Kurt H.: Die neue Sicht der Dinge. Plädoyer für ein freiheitliche Wirtschafts- und Sozialordnung, München, Zürich 1985, S. 400 ff. (zitiert nach Roth, Richard: a.a.O., S. 13)
Eine Hilfsaktion ganz anderer Art schlägt PETERSEN vor.
Demnach soll in Zeiten mit hohem Rentnerquotienten die Zahl
der Beitragszahler erhöht werden. Dabei denkt er vor allem
an verheiratete Frauen, die älter als ca. 35 Jahre sind und
somit die Erziehung ihrer Kleinkinder schon hinter sich
haben. Die (Wieder-) Eingliederung dieser Frauen soll mit
staatlichen Maßnahmen gefördert werden, während sozial- und
steuerrechtliche Sanktionen arbeitsunwillige Ehefrauen
bestrafen.
Die hiermit erzielbaren Entlastungen durch kurz- bis
mittelfristige Mehreinnahmen, welche später auch Ausgaben
zu Folge haben, sind nicht zu überschätzen. Die Arbeitslo-
sigkeit wird nur langsam zurückgehen und ein gänzliches
Verschwinden ist nicht in Sicht. Daher bleibt zweifel-
haft, wie groß die Aufnahmefähigkeit der Wirtschaft gegen-
über dem neuen Arbeitnehmerpotential ist. Aufgrund dieser
Sachlage sind Sanktionen nicht angebracht und der Erfolg
bildungsfördernder Maßnahmen nicht gesichert.
Anders verhält es sich bei den geburtenfördernden Reform-
vorschlägen des Rentenrechts, um in schlechten Zeiten den
Altenquotienten zu drücken. Sie führen zwar auch zu einem
Plus an Arbeitswilligen, doch dürften diese den Großteil
ihrer Arbeitsplätze wegen der durch sie implizierten Güter-
nachfrage selbst schaffen, so daß tatsächlich ein Ansteigen
der Erwerbstätigenzahl zu erwarten ist.
Besonders geeignet ist eine Beitragsdifferenzierung nur
anhand der Kinderzahl der Beitragspflichtigen (gilt nur für
den Arbeitnehmeranteil), wonach kinderreiche Erwerbstätige
weniger Beiträge leisten müssen als kinderarme. Läßt sich
wenigstens eine aufkommensneutrale Regelung durchsetzen, so
steigt insgesamt die Belastung der Erwerbstätigen nicht,
aber Anreize für mehr Kinderfreundlichkeit sind gegeben.
Bei sofortiger Einführung könnte die Entlastung durch mehr
Beitragszahler schon ab dem Jahr 2015 einsetzen.
Vgl. Petersen, Hans-Georg: a.a.O., S. 177 f.
Vgl. Kapitel 5.3
Zusätzlich könnten Abzüge bei der Rentenhöhe derjeniger,
welche für wenig oder keinen Nachwuchs sorgten, die Renten-
last senken. Dies sollte aber nur für Renten ab 2030
gelten, da die älteren Mitbürger, die früher in Rente
gehen, diese Maßnahme nicht mehr bei ihrer Familienplanung
einkalkulieren konnten.
Die alleinige Lösung kann auch diese Reform nicht bringen.
Ziel ist, die Geburtenentwicklung konstanter zu gestalten,
nicht durch einen herausragenden Babyboom (mit allen nega-
tiven Konsequenzen für die Umwelt etc.) die Renten billig
zu halten. Aber für den Fall, daß eine komplette System-
umstellung in Richtung Kapitaldeckungsverfahren (noch)
nicht erfolgt, ist sie denkbar als ergänzender Teil eines
mehrere Punkte umfassenden Pakets.
Bisherige Ausführungen haben gezeigt, daß unsere gesetz-
liche Rentenversicherung schwierigen Zeiten entgegensieht.
Wenn es nur bei den Reformmaßnahmen des RRG 1992 bleibt,
sind in weiterer Zukunft, besonders ab ca. 2030, entweder
starke Beitragssatzerhöhungen und/oder Leistungssenkungen
unvermeidlich. Selbst wenn nur eine jährliche Bruttolohn-
steigerungsrate von maximal 2 %, bis zum Jahr 2020 sogar
unter 1 % genügt, um trotz steigender Beitragssätze und bei
relativ gleichen sonstigen Abgaben einen konstanten Netto-
lohn zu erhalten, sind die Finanzierungsschwierigkeiten von
erheblichem Ausmaß. Einerseits dürfte die tatsächliche
Lohnsteigerungsrate künftig höher liegen, andererseits sind
damit auch Verluste durch Inflation aufzufangen. Außerdem
ist - unabhängig vom absoluten Bruttolohn - der psycholo-
gische Nachteil hoher Beitragssätze nicht von der Hand zu
weisen, so daß der Hang zur Schattenwirtschaft noch zuneh-
men wird.
Zu den geburtenfördernden Maßnahmen: Vgl. Petersen, Hans-Georg: a.a.O., S. 170 ff.
Vgl. Merklein, Renate: a.a.O., S 157 f.
Vgl. Schmähl, Winfried: a.a.O., S. 70 ff.
In Anbetracht dieser Aussichten ist es sehr unverständlich,
warum sich die Politiker mit der Einführung des RRG 1992
begnügen. Langfristige Maßnahmen, die über das Jahr 2010
hinaus wirken, werden zumindest vor der Öffentlichkeit
nicht diskutiert, vielleicht weil heute für Sorgen neben
der deutschen Einigung kein Platz ist. Doch je länger man
mit möglichen Gegenmaßnahmen wartet, umso komplizierter
werden deren Durchführung mangels ausreichender Vorlauf-
zeiten.
Es ist noch nicht einmal geklärt, was eine Sanierung der
gesetzlichen Rentenversicherung genau bedeutet. Für einige
liegt die optimale Lösung schon bei Steuererhöhungen, um
damit höhere Bundeszuschüsse, die den Beitragssatz entlas-
ten, zu finanzieren. Bei ganz enger Betrachtung ist dies
tatsächlich eine Entlastung der Rentenversicherungsträger.
Zählt man aber die Beitragszahler mit zur Institution
gesetzliche Altersvorsorge, wird die Entlastung durch die
zusätzlichen Steuerabgaben weitgehend rückgängig gemacht.
Schwierig ist auch, eine möglichst gerechte Reform zu
finden, denn jede Maßnahme birgt zumindest während einer
Übergangsphase Benachteiligungen für mindestens einen Per-
sonenkreis. Ist eine Reform gerecht, wenn sie die Schuldi-
gen an der Misere am härtesten trifft, bleibt immer noch
offen, wer die Finanzierungsprobleme verursacht hat. Sind
es die Politiker, die das Umlageverfahren eingeführt haben,
weil es damals der einfachste Weg war, oder die Eltern,
welche uns den Babyboom der 60-er Jahre bescherten, oder
die heutige Elterngeneration, die nur für wenig Nachwuchs
(spätere Beitragszahler) sorgen? Diese Frage wird ethisch
nicht zu klären sein. Aber die rein wirtschaftliche Lösung
muß dann so aussehen, daß die Reform für den Einzelnen umso
mehr Einbußen mit sich bringt, je mehr er als Beitragszah-
ler noch vom großen Kollektiv profitiert.
Alle erwähnten Reformvorschläge lassen sich grundsätzlich
in zwei Gruppen einteilen. Die eine hält weiter fest am
Prinzip des Umlageverfahren. Die Maßnahmen liegen bei
Einsparungen auf der Ausgabenseite und/oder Erschließung
neuer Einnahmequellen - zum Teil mit bevölkerungspoliti-
schen Hintergrund. Sie haben den Vorteil einer leichteren
Durchführung, genaueren Feinsteuerung und Dosierbarkeit.
Andererseits ist deren Wirksamkeit nicht zu überschätzen,
so daß eine Maßnahme allein für zufriedenstellende Entlas-
tungen nicht ausreichen wird. Die Folge ist ein hoher
Verwaltungsaufwand.
Die Reformen der zweiten Gruppe haben zum Ziel, die
gesetzliche Rentenversicherung vom Umlageverfahren zu be-
freien, sei es durch Übergang zum Kapitaldeckungsverfahren
oder gar durch Auflösung der staatlichen Altersvorsorge. Im
zweiten Fall blieb bewußt offen, ob als Ersatz ein staat-
licher Zwang zu privater Vorsorge (z.B. durch Abschluß
einer Lebensversicherung) gelten soll, denn diese Frage
betrifft nicht das Finanzierungsproblem der Rentenkassen,
sondern hängt eher davon ab, wieviele im Alter aufgrund
mangelnder Versorgung zum Sozialfall würden. Der Vorteil
dieser Reformen liegt darin, daß nach ihrer Vollendung die
Sicherung der Altersruhe von Änderungen in der Bevölke-
rungsstruktur unberührt bleibt. Allerdings sind derartige
Umstrukturierungen anfangs mit großen Durchführungsproble-
men verbunden. Beitragszahler, Rentner und/oder Steuerzah-
ler müßten mit starken Einbußen bzw. mit einer Doppelbelas-
tung rechnen.
Unter all diesen Gesichtspunkten ist es schwer, die opti-
male Lösung zu finden. Wie stark ein kapitalisiertes System
zu favorisieren ist, hängt letztendlich auch von der
Bevölkerungsentwicklung nach 2050 ab. Prognosen darüber
sind schwer zu fällen, unterliegt doch die Kinderfreudig-
keit auf lange Sicht ständig wechselnden Trends. Sollte
sich im nächsten Jahrhundert die jährliche Geburtenzahl
stabilisieren, ist eine totale Abkehr vom Umlageverfahren
nicht notwendig. Es ist auch zweifelhaft, ob sich die
Nachteile einer solchen Umstrukturierung lohnen, da diese
für die Umgehung der vor uns liegenden Finanzierungspro-
bleme zu spät kommen dürfte.
Daher liegt im goldenen Mittelweg die einzig geeignete und
praktisch durchführbare Reform. Das Umlageverfahren bleibt
prinzipiell erhalten, dennoch wird ein Kapitalstock aufge-
baut, der die späteren großen Finanzierungslücken verklei-
nert. Maßnahmen aus der ersten Gruppe wirken unterstützend.
Haupthindernis ist hierbei nur noch die Trägheit unserer
Politiker, denn nur sofortiges Handeln ermöglicht einen
Erfolg.