Positionspapier des Fahrgastverbands PRO BAHN
– März 1997 –
Forderungen des Fahrgastverbands PRO BAHN an einen zukünftigen MVV-Tarif
Ein Nahverkehrstarif muß so einfach sein, daß ihn auch der Gelegenheitsfahrgast versteht. Derzeit erfüllt der MVV-Tarif diese Bedingung nicht. Darüber hinaus setzt der Tarif die Kunden des MVV sachlich nicht nötigen Ungerechtigkeiten aus. An vielen Stellen des Verbundgebietes werden die Bürger dadurch von einer stärkeren Nutzung des öffentlichen Verkehrs abgeschreckt. Trotz eines guten Leistungsangebots des MVV werden zahlreiche Wege mit dem PKW zurückgelegt.
Günstige Angebote wie die Grüne Karte, Tageskarten und Mehrtageskarten oder auch der Jugendpaß werden von der MVV GmbH und den im MVV zusammengeschlossenen Aufgabenträgern nicht aggressiv genug beworben. Diese Angebote könnten bei richtigem Marketing verstärkt zum Umsteigen auf den öffentlichen Nahverkehr beitragen. Die Darstellung der einzelnen Tarifangebote ist selbst im MVV-Fahrplanbuch zu unübersichtlich.
An eine geplante Reform der Struktur des MVV-Tarifs stellt PRO BAHN folgende Mindestanforderungen:
Grundsätzliche Überlegungen
zur Tarifstruktur
- A - Räumliche Aufteilung
Für den MVV-Tarif bestehen folgende Möglichkeiten einer geographischen Aufteilung:
Negativbeispiel 1: Haar - Ottendichl - Gronsdorf (Fahrweg der Buslinie 242)
Haar liegt auf der Innenraumgrenze, Ottendichl außerhalb, Gronsdorf im Innenraum. Alle genannte Orte gehören zur Gemeinde Haar. Eine Kurzstreckenfahrt auf der Linie 242 ist also günstig. Für Fahrten nach München mit der S-Bahn wird aber bis zum Bahnhof das Auto genutzt, da ansonsten der doppelte Fahrpreis zu zahlen ist.
Negativbeispiel 2: Eching
Der S-Bahnhof Eching liegt auf der Grenze zwischen erster und zweiter Außenzone. Alle übrigen Echinger (Bus-) Haltestellen liegen in der zweiten Außenzone. Das macht jeden Ortsbusverkehr als Zubringer zur S-Bahn sofort unsinnig und fördert das Zuparken des Bahnhofs.
Aus dem zweiten Beispiel folgt auch, daß Haltestellen auf Tarifgrenzen nicht immer von Vorteil sind. Auf Tarifgrenzen sollten aber Haltestellen liegen, die sich unmittelbar an politischen Grenzen befinden (z. B.: Karlsfeld oder Gronsdorf) und deren fußläufiges Einzugsgebiet auf beiden Seiten der Grenze liegt.
Nach Möglichkeit sollte
keine Tarifgrenze durch geschlossen besiedelte Gebiete mit Erschließung
in beiden Richtungen verlaufen. Beispielsweise sollte die Tarifgrenze nicht
zwischen Eching und Neufahrn sondern in den besiedlungsarmen Gebieten nördlich
oder südlich liegen. Die Zonenaufteilung muß mehr mit den geographischen
Gegebenheiten übereinstimmen (negatives Beispiel: Flughafen).
- B - Fahrscheine
Die Anzahl der verschiedenen
Einzelfahrscheine sollte reduziert werden. Dies könnte durch Zusammenfassen
mehrerer Tarifzonen zu einer Preisstufe geschehen.
Beim MVV gilt derzeit für Kurzstrecken- und Normaltarif die gleiche Streifenkarte. Für Kinder gibt es eine eigene Karte. Im Normaltarif liegen die Rabatte für Kinder deutlich über 50 %. Eine Einbindung des Kindertarifs auf die normale Streifenkarte würde bei solch hohen Rabatten einen Grundpreis für Erwachsene von 3 Streifen erfordern (Normaltarif). Der Kurzstreckentarif ist mit 50 % des Normaltarifs (unterste Preisstufe) ebenfalls günstiger als in anderen Verbünden.
Grundsätzlich soll weiterhin
jeder Preisstufe für Einzelfahrscheine eine entsprechende Anzahl zu
entwertender Streifen auf der Streifenkarte entsprechen.
Die Umwandlung der heute angebotenen Tageskarten in 24-Stunden-Karten ist anzustreben. Mitnahmeregelung und Ausschlußzeiten dieser Regelung können diskutiert werden. Die Zahl der für unterschiedliche Gebiete gültigen Tageskarten sollte erweitert werden (Innenraum plus einen Teil des Außenraums als zusätzliche Preisstufe). Die Tageskarte ist neben dem Einzelfahrschein der Fahrschein für Gelegenheitsfahrer und so ein Mittel, um Neukunden den Einstieg zu erleichtern. Sie ermutigt Touristen zur Nutzung des MVV.
Neben der 24-Stunden-Karte
können auch 3-Tages-Karten bzw. 72-Stunden-Karten angeboten werden.
Im Gegensatz zur heutigen Praxis sollten sie dann aber in allen Preisstufen
und an allen Verkaufsstellen zu erhalten sein.
In anderen Verkehrsverbünden gibt es teilweise großzügigere Mitnahmeregelungen außerhalb von Ausschlußzeiten als beim MVV. Die Möglichkeit der Übertragung auf andere Personen erzeugt nur geringe Einnahmeausfälle, kann aber Verwaltungskosten einsparen. Allerdings sollten Zeitkarten (auch die Grüne Karte) wahlweise personenbezogen zu erwerben sein. Dies reduziert die Nachteile für die Fahrgäste bei Verlust oder Vergessen der Zeitkarte.
Auch bei Zeitkarten ist die Tarifgeometrie zu überprüfen. Die Grenzen des Bartarifs müssen zumindest zu den Grenzen im Zeitkartentarif passen. In einigen anderen Verbünden sind diese Grenzen identisch. Eine Vergrößerung der Zonen würde eine flexiblere Benutzung erlauben. Als positive Folge ergibt sich eine Verminderung des P+R-Verkehrs und eine stärkere Nutzung des MVV auch in der Freizeit.
Die Bindung an Kalenderwoche
bzw. -monat sollte aufgehoben werden.
Die Grüne Karte
muß auf einem Preisniveau ähnlich dem heutigen beibehalten werden.
Ausschlußzeiten, Übertragbarkeit und Mitnahmeregelung sollten
so gestaltet werden, daß die Handhabbarkeit der verschiedenen Angebote
mit solchen Regelungen erleichtert wird. Ebenso sollten zusätzliche
Angebote geprüft werden, um die Lücke zum allgemeinen Zeitkartentarif
zu schließen. Eine Art Abonnement (12 Wertmarken zum Preis von 10
oder 11) muß auch hier eingeführt werden.
- C - Kurzstreckentarif
Bestand:
Vier Haltestellen, davon maximal zwei mit Schnellbahnen bilden eine Kurzstrecke. Außerhalb Münchens ist jede Fahrt innerhalb einer Gemeinde eine Kurzstrecke. An den Haltestellen sind die per Kurzstrecke erreichbaren Ziele aufgelistet, allerdings nicht im Regionalbusverkehr.
Es gibt Verzerrungen, Ungerechtigkeiten und für den ungeübten Fahrgast einige Fallen (z. B. Buslinien mit wechselnden Fahrtstrecken). Die Gemeinderegelung führt zu sehr unterschiedlich großen Zonen. Beispielsweise ist die Stadt Freising mit 40000 Einwohnern ein einziger Kurzstreckenbereich.
Ungerechtigkeiten – insbesondere
an der Innenraumgrenze – müssen wegfallen. Wenn auf einer Linie zwischen
A und B der Kurzstreckentarif gilt, so muß dies auch für leicht
abweichende Linienführungen gelten – und zwar in beide Richtungen.
Die Gemeinderegelung sollte modifiziert werden. Dies wäre im Außenraum
eine Kompensation zu Einahmeminderungen durch Verbesserungen im Normaltarif.
Bei der Darstellung des Kurzstreckentarifs an Haltestellen sollten grafische
Mittel eingesetzt werden.
- D - Sonstiges
Zumindest auf den DB-Strecken
innerhalb des Verbundes, also auch in der S-Bahn, muß die Bahncard
der Deutschen Bahn AG anerkannt werden. Eine Ermäßigung von
weniger als 50 Prozent (wie zum Beispiel beim Rhein-Main-Verkehrsverbund)
ist ein denkbarer Kompromiß. Eine weitergehende Regelung – die Anerkennung
in allen Verbundverkehrsmitteln – ist längerfristig anzustreben.
Beispiel: Von Unterschleißheim nach Weilheim fährt man bis Tutzing MVV-Tarif. Dies ist ohne Bahncard billiger als der DB-Tarif. Umgekehrt funktioniert dies nicht – es sein denn man wechselt in Tutzing bereits auf die S-Bahn – da in Weilheim MVV-Fahrscheine nicht zu erhalten sind. Diese Fahrscheine kann man im Zug auch nicht entwerten.
Von Pasing nach Weilheim
funktioniert dies auch nicht. Man ist verpflichtet, bei Fahrten nach Zielen
außerhalb des MVV DB-Fahrscheine zu erstehen, wo dies möglich
ist (also in Pasing, aber nicht in Unterschleißheim!). Eine pragmatische
Regelung dieser Frage würde den Tarifsprung an der MVV-Außengrenze
weniger schmerzlich machen. Die derzeit bestehende Grauzone (wo muß
man einen DB-Fahrschein lösen, wo darf man MVV fahren?) würde
aufgelöst.
Eine allgemeine Erweiterung des bestehenden MVV-Gebiets wird nicht befürwortet. Das Verbundgebiet ist sehr groß, und die Bevölkerungsdichte nimmt im Münchner Umland stärker ab als in vergleichbaren Ballungsräumen. Kann ein Ziel jedoch mit MVV-Verkehrsmitteln erreicht werden, sollten alle Verkehrsmittel (aus Richtung München) dorthin im MVV-Tarif sein. Negativbeispiele sind hier Bad Tölz oder Dorfen, wo die Schienenstrecken jeweils nicht im MVV sind obwohl die Orte mit MVV-Buslinien erreicht werden.
Ebenfalls sollte die Eingliederung
regionaler Zentren mit starkem Bezug zu München überlegt werden,
wenn diese unmittelbar außerhalb des MVV-Raums liegen (Beispiel:
Wasserburg/Inn).
In anderen Verbünden
ist die Nutzung zuschlagpflichtiger Fernzüge zumindest bei Interregio-Zügen
erlaubt. Dazu sollte ein (geringer) Zuschlag erhoben werden (z. B. 3 DM
im Bartarif und entsprechende Beträge für Zeitkarten).
Für Frankfurt gibt
es den Tarif "Frankfurt City", der Fernreisenden die Weiterfahrt zum Beispiel
mit städtischen Verkehrsmitteln ohne zusätzlichen Fahrschein
erlaubt. Dies sollte auch für den MVV, eventuell gegen einen geringen
Zuschlag, angeboten werden.
Für die Gebiete
unmittelbar außerhalb des MVV ist ein Übergangstarif MVV – DB
für Zeitkarten sinnvoll. Es muß – zunächst für den
Pendler – möglich sein von Rosenheim, Weilheim oder Augsburg mit einer
Karte bis zu BMW in München, DASA in Ottobrunn oder zu den Forschungsinstituten
in Garching zu fahren. Das Preisniveau einer solcher Übergangskarte
sollte sich am DB-Tarif orientieren. Der Kauf einer zusätzlichen MVV-Zeitkarte
muß aber entfallen.
Eine direkte Grenze mit
einem anderen Verkehrsverbund hat der MVV derzeit nur in Richtung Augsburg.
Eine großzügigere Überlappung ist hier anzustreben. Längerfristig
sollte mit einem Augsburger Fahrschein der Münchner Hauptbahnhof und
mit einem Münchner Fahrschein der Augsburger Hauptbahnhof erreichbar
sein. In Zukunft könnten für die Strecken Richtung Rosenheim
und Ingolstadt ähnliche Regelungen interessant werden.
Mit dem derzeit wenig
bekannten Jugendpaß können Jugendliche für einen Monatspreis
von 3 Mark zum halben Preis den MVV nutzen. Dies ist sinnvoll, da beim
MVV der Preissprung vom Kinder- zum Erwachsenentarif sehr groß ist.
Hierdurch kann Kundenpotential in einer entscheidenden Altersstufe an den
öffentlichen Nahverkehr gebunden werden. Eine stärkere Werbung
gerade für dieses Angebot ist dringend notwendig.
Bei der Anerkennung besonderer
Angebote der DB (Schönes-Wochenend-Ticket, Bayern-Ticket) dürfen
Fahrgäste des MVV, die diese Angebote nutzen wollen, nicht schlechter
gestellt werden, als Fahrgäste anderer Verkehrsverbünde.
Anhang: Ein Tarifmodell
für den MVV
Vorbemerkung:
Das vorgestellte Tarifmodell soll nicht das einzig mögliche Tarifmodell sein. Es ist lediglich ein Tarifmodell, in das unsere Überlegungen eingeflossen sind. Zudem werden bewußt Optionen offen gelassen. Es gibt sicher gleich gut geeignete Tarifmodelle. Die Bewertung unterliegt letztlich subjektiven Kriterien. Das ideale Modell, das gerecht und einfach ist, und mit dem alle Betroffenen zufrieden sind, wird es nicht geben.
Im Folgenden gilt: | Alle DM-Beträge sind beispielhaft. Sie sind kein Tarifvorschlag des Fahrgastverbands PRO BAHN! |
Zoneneinteilung:
Prinzip: Eher mehr Zonen als weniger!
Im Außenraum zusätzlich radiale Zonengrenzen; jedoch nicht
auf den S-Bahn-Strecken sondern in den "Leerräumen" dazwischen und
möglichst entlang politischer Grenzen. Auf dem Abschnitt München
- Freising sollten so zum Beispiel 4 Zonen außerhalb der Stadt durchfahren
werden, insgesamt müßte für 6 Zonen bezahlt werden. Eine
wünschenswerte Aufteilung der Stadt München in mehrere Zonen
sollte durch eine Regelung Stadtgebiet = eine Tarifstufe (= 2 Zonen) kompensiert
werden.
Bartarif:
Preis- Einzelfahrschein Streifenkarte (15 DM) stufe Erw. Kinder Erw. Kinder A bis 2 Zonen 3,80 DM 1,70 DM 2 Str. = 3,00 DM 1 Str. = 1,50 DM B 3 bis 4 Zonen 6,00 DM 1,70 DM 3 Str. = 4,50 DM 1 Str. = 1,50 DM C 5 bis 7 Zonen 9,50 DM 3,80 DM 5 Str. = 7,50 DM 2 Str. = 3,00 DM D Gesamttarifgebiet 15,00 DM 3,80 DM 8 Str. = 12,00 DM 2 Str. = 3,00 DM
Der Kindertarif orientiert sich stark am Bestand. In anderen Verbünden
liegt er in der Regel bei 50 % des Erwachsenentarifs. Da bei Streifenkarten
die Streifenzahl nicht mehr linear zur Zonenzahl ist, sollte auf der Rückseite
der Streifenkarte abgedruckt sein, wieviele Streifen man für eine
bestimmte Zonenzahl braucht. Aufgrund der einfachen Struktur des Bartarifs
werden für diese Information lediglich vier Zeilen benötigt.
Kurzstrecke: (= Preisstufe K)
Entweder wird die Haltestellenregelung / Gemeinderegelung modifiziert oder die Bartarifzonen werden so verkleinert, daß eine Zone der Kurzstrecke entspricht. Letzteres erfordert aber eine deutlich engere Zoneneinteilung für den Bartarif als heute und eine andere Gestaltung der Preisstufen als oben vorgeschlagen.
Aus dem Prinzip "Kurzstrecke = 1 Streifen" und dem Vorschlag beim Preis
für die Einzelfahrt für Kinder ebenfalls mit einem Streifen auf
der normalen Streifenkarte zu beginnen folgt, daß ohne zusätzliche
Streifenkarte kein eigener Kinder-Kurzstreckentarif gestaltet werden kann.
Sollen Kinder für die Kurzstrecke weniger als 1,50 DM zahlen, müßte
für den gesamten Kindertarif wieder eine eigene Streifenkarte benutzt
werden.
24-Stunden-Karte:
Einstiegszone und alle Zonen, die mit Preisstufe A (Bartarif) erreichbar sind: | 10 DM |
Einstiegszone und alle Zonen, die mit Preisstufe B (Bartarif) erreichbar sind: | 15 DM |
Einstiegszone und alle Zonen, die mit Preisstufe C (Bartarif) erreichbar sind: | 20 DM |
Gesamttarifgebiet: | 25 DM |
Außerhalb des Zeitraums Montag bis Freitag, 6 - 9 Uhr gilt die
24-Stunden-Karte grundsätzlich für 2 Erwachsene und 3 Kinder
(oder beliebig viele eigene Kinder).
Zeitkarten:
Für 24-Stunden-Karte und Grüne Karte ist
auf jeden Fall eine Harmonisierung der Geltungsbereiche anzustreben. Dies
führt im Vergleich zur heutigen Tageskarte zu sinnvolleren Geltungsbereichen.
Aufgrund großzügigerer allgemeiner Mitnahmeregelungen können
dafür Partner- und Kindertageskarte entfallen.
© Edmund Lauterbach –
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