Dieser Text ist ein unveröffentlichter Artikelvorschlag
für die PRO BAHN Zeitung der Fahrgast.
Bearbeitungsstand: 17.1.2002

Verkehrsverbünde – wohin geht der Weg?
Bei den großen Verkehrsverbünden bewegt sich zu Zeit einiges. Wohin diese Bewegung führt ist aber noch nicht konkret absehbar. Die Verkehrsunternehmen betonen einerseits verstärkt ihre Eigenständigkeit, andererseits gibt es diverse Fusionsbestrebungen. Seit Jahren werden elektronische Tickets – womöglich sogar bundesweit einheitlich – vorhergesagt. Was bedeutet dies alles für den zunehmend mobilen Fahrgast, der immer öfter nicht nur mit "seinem" Verbund zurechtkommen muß?
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Jahreswechsel 2001/2002. Die Einführung des Euro als Zahlungsmittel bringt Änderungen bei den Nahverkehrstarifen mit sich. Bei einigen Verkehrsverbünden werden die Preise nur gerundet, bei anderen steht zum 1. Januar auch eine Preiserhöhung an. Auch die Vertriebswege für Fahrscheine werden auf ihre Euro-Verträglichkeit geprüft. Verkaufsautomaten müssen umgestellt oder neu beschafft werden. Das Fahrpersonal soll meist nicht durch zwei verschiedenen Währungen belastet werden. Zum Teil dient die Euro-Einführung hier auch als Begründung für grundsätzliche Änderungen.

Eine gemeinsame Strategie der Verbünde läßt sich bei diesen Änderungen nicht feststellen.

Wenn man recht häufig in mehr als einem Verkehrsverbund unterwegs ist, hat man sich in der Vergangenheit schon über einige Merkwürdigkeiten gewundert. Daß es unterschiedliche regionale Eigenheiten gibt und diese sich zum Teil auch in – oft historisch gewachsenen – Tarifregelungen wiederspiegeln, mag ja gut und richtig sein. Unverständlich ist jedoch, wenn in einem Verbund die Entwicklung in die eine Richtung geht und in einem anderen Verbund in die entgegengesetzte Richtung.

Betrachtet man den Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) und die Münchner Verkehrsverbund (MVV), so ist Fahrscheinverkauf im Fahrzeug ein Thema, bei dem im Rheinland offensichtlich richtig ist, was in Südbayern falsch sein soll. Wobei es eigentlich schon schön wäre, wenn man dies so pauschal sagen könnte. Leider muß man aber auch innerhalb der Verbünde noch einmal zwischen den einzelnen Verkehrsunternehmen differenzieren.

Im VRS haben die beiden großen kommunalen Unternehmen, KVB (Kölner Verkehrsbetriebe) und SWB (Stadtwerke Bonn Verkehrsbetriebe), den Euro-Start zum Anlaß für die Beschaffung einer neuen Automatengeneration genommen. Diese Automaten sind mit identischer Benutzeroberfläche ("Touchscreen") sowohl in den Stadtbahnfahrzeugen als auch an den Haltestellen zu finden. Außer der identischen Bedienung bieten diese Automaten den Vorteil, daß jetzt auch im Fahrzeug der Erwerb von Streifenkarten möglich ist.

Der Kauf von Streifenkarten im Fahrzeug war beim VRS bisher nur in den Regionalbussen möglich. Historisch war dies ursprünglich darin begründet, einen möglichst hohen Vorverkaufsanteil zu erzielen und so das Fahrpersonal in den Bussen und Straßenbahnen zu entlasten. Die erste Generation von Fahrzeugautomaten übernahm diese Strategie – zum Teil sicher auch aus technischen Gründen. Die immer geringere Rabattierung der Streifenkarten hat aber die ursprüngliche Absicht – Förderung des Vorverkaufs an Verkaufsstellen und stationären Automaten – stark relativiert.

Zur selben Zeit verläuft die Entwicklung im MVV genau anders herum. Bei der MVG (Münchner Verkehrsgesellschaft, vormals SWM – Stadtwerke München Verkehrsbetriebe) mußte das Fahrpersonal früher auch Streifenkarten verkaufen. Mit Einführung von Automaten zunächst bei der Trambahn, seit 1.1.2002 auch in den Bussen, kann man Streifenkarten nur noch aus stationären Automaten und an Verkaufsstellen erwerben.

Da fragt sich der Fahrgast dann schon, warum im Westen der Republik die Automaten mehr können als im Süden. Ebenso kann man fragen, warum die Einzel- und Tageskarten aus KVB- und SWB-Automaten schon entwertet sind (das ist dann definitiv kein "Vorverkauf" mehr), während man im MVV die entsprechenden Fahrscheine aus stationären Automaten erst unmittelbar vor Fahrtantritt entwerten muß. Im Raum München kann man also beispielsweise eine Tageskarte im Voraus zur Nutzung am nächsten Tag erwerben. Insbesondere Fahrgäste, die nicht zu den Stammkunden zählen, können sich so vielleicht einen hektischen Fahrscheinkauf in der oft knappen Zeit vor Abfahrt des Zuges ersparen.

Außer durch die großen kommunalen Unternehmen wird das Bild der Verbünde natürlich sehr stark von der Deutschen Bahn AG geprägt. In beiden Verbünden betreibt die DB AG Automaten, die sich von denen ihrer kommunalen Partner in Aussehen und Bedienung unterscheiden. Schon hier muß man aus Fahrgastsicht die Frage stellen, ob dies denn wirklich notwendig ist.

Es geht aber noch weiter:

Warum muß es all diese Unterschiede geben? Verfolgen die Verbünde oder gar die Unternehmen innerhalb der Verbünde unterschiedliche Strategien? Oder will jeder unbedingt seine eigene Lösung umsetzen, anstatt gute Lösungen von anderen zu übernehmen? Wie auch immer – der Fahrgast muß dafür büßen, indem in jeder Stadt wieder neu lernen muß, wie er an den richtigen Fahrschein kommt. Und wenn er meint, er hätte es in einem Verbund jetzt gelernt, dann gilt das auch nur, wenn er seinen Fahrschein immer beim demselben Unternehmen ersteht.

Was bringt die Zukunft für die Verkehrsverbünde, wenn diese offensichtlich immer weniger in der Lage sind, eine einheitliche Benutzeroberfläche für ihre Fahrgäste bereitzustellen? Eine stärkere Eigenständigkeit, ein Hang zur Selbstdarstellung, eine herausgekehrte "Corporate Identity" der Verkehrsunternehmen innerhalb eines Verbunds mag mit "fit sein" für den Wettbewerb begründbar sein. Nur: kundenfreundlich ist es nicht. Auch die Fusionsbestrebungen einiger kommunaler Unternehmen sowie zwischen der DB und einzelnen kommunalen Betreibern wird zukünftig eine Verbundregie eher erschweren.

Über den einzelnen Verbund hinaus schafft es offensichtlich auch ein Verband wie der VDV (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen) nicht, daß die Handhabung der verschiedenen Verbundtarife zumindest ähnlicher wird. Eher ist zur Zeit das Gegenteil der Fall.

Wohin geht der Weg bei den Fahrscheinen? Laut VDV und einiger seiner Mitgliedsunternehmen liegt die Zukunft des Nahverkehrsfahrscheins im elektronischen Ticket. Die Erfahrung und Beispiele wie oben geschildert zeigen jedoch, daß die Fahrgäste mißtrauisch sein sollten. Wenn man schon in der Gegenwart nichts ausrichten kann, so hofft man wenigsten auf die Zukunft. Absichtserklärungen und schöne Pressemitteilungen liegen im Öffentlichen Verkehr offensichtlich weiter von der harten Realität entfernt als in anderen Bereichen des täglichen Lebens.

Ein Verkehrsverbund, der es nicht schafft, über einen gemeinsamen Tarif hinaus seine Verkehrsunternehmen auch auf ein einheitliches Fahrscheinsortiment und eine zumindest ähnliche Automatenhandhabung festzulegen, ist aus Sicht der Fahrgäste kaum "Verbund" zu nennen. Ein darüber hinaus gehendes gemeinsames Marketing und öffentliches Auftreten sollte ebenfalls zum Selbstverständnis eines Verkehrsverbundes und seiner Unternehmen gehören.

Entsprechend der wachsenden Mobilität müssen Tarife und deren Handhabung bundesweit ähnlicher werden. Fahrscheine des Grundangebots müssen Fahrgäste auch in fremden Verbünden erstehen können, ohne einen Kurs in Tarif und Automatenbedienung absolviert zu haben. Der VDV sollte seine Bemühungen um Vereinheitlichung verstärken und nicht auf ein zukünftiges "elektronisches Ticket" warten. Schreibt man die augenblicklichen Tendenzen einiger Verbünde und Verkehrsunternehmen fort, so bekommen wir nicht ein, sondern zwanzig verschiedene elektronische Tickets.

Wenn Fahrscheinverkauf, Haltestellenansagen und andere kundenbezogene Dienstleistungen automatisiert werden oder ganz wegfallen, tauchen sie in den Stellenbeschreibungen für das Fahrpersonal nicht mehr auf. Das erleichtert wiederum die Einstellung von Personal zu niedrigeren Tariflöhnen. Ob dies alles auch längerfristig dem Kunden nutzt, wird nicht hinterfragt. Das hindert die Unternehmen und Verbünde aber nicht daran, Rationalisierungsmaßnahmen einseitig mit dem Kundennutzen zu begründen.

Konkurrenzfähige Unternehmen sind auch im Nahverkehr wünschenswert. Aber wenn sogar die Tarifeinheit in einem lange als Vorbild dienenden Verkehrsverbund wie dem MVV mittelfristig in Frage gestellt wird, müssen die Fahrgäste den Unternehmen ein deutliches "Halt, so nicht!" entgegenrufen.

Begrüßenswert sind Pläne wie in Nordrhein-Westfalen, die Tarife zumindest innerhalb eines Bundeslandes anzunähern und zu vereinfachen. Aber zum einen sollte sich die Ausdehnung von Verbünden am Mobilitätsverhalten der Bürger und nicht an politischen Grenzen orientieren. Und zum andern müssen solche Ideen zunächst einmal konkret ausformuliert und bewertet werden. Hierbei kann und will PRO BAHN gerne behilflich sein.


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