Dieser Text basiert auf einem Artikel für
die Pro-Bahn-Zeitung der Fahrgast 4/07
Bearbeitungsstand: 2.10.2007

 

Integral der BOB Fahrscheinkauf
Eine neue Wissenschaft
Holzkirchen ist nur die Spitze des Eisbergs
 von Edmund Lauterbach

 

Eine Verbindung – eine Fahrkarte

Wenn man von der Deutschen Bahn AG (DB) zu einer anderen Bahngesellschaft umsteigt, merkt man dies am Aussehen der Züge und häufig am Service in und um den Zug, aber nur selten beim Bahntarif. Meist erhält man auch heute eine durchgehende Fahrkarte am Automaten oder Schalter und muss sich nicht darum kümmern, dass man mit Zügen zweier verschiedener Unternehmen fährt.

So nimmt es der Reisende im Allgemeinen wahr, und so sieht auch der Gesetzgeber die Aufgabe der Eisenbahnunternehmen.

BOB – ein innovatives Konzept

Am Beispiel der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) zeigt sich seit letztem Jahr, dass es für den Fahrgast in vielen Fällen komplizierter werden kann, wenn er von der oder zur DB umsteigt. Die Bayerische Oberlandbahn bedient mit einem Flügelzugkonzept von München aus die Ziele Lenggries, Tegernsee und Bayrischzell. Bis Holzkirchen fährt sie parallel zur S-Bahn, die von der DB betrieben wird. PRO BAHN hatte ein solches Flügelzugkonzept vor Jahren vorgeschlagen. Mit den ausschließlich bei der BOB eingesetzten Integral-Triebwagen wurde es realisiert.

Die BOB befährt den Abschnitt von München bis Holzkirchen mit nur wenigen Halten und ist daher schneller als die S-Bahn. Zur Mangfalltalbahn von Holzkirchen nach Rosenheim, die wiederum von der DB betrieben wird, bietet die BOB direkte Anschlüsse – in Richtung München sogar am selben Bahnsteig. Bis zum 31. Juli 2006 war der Wechsel zwischen BOB und DB für den Fahrgast kein Problem, denn die BOB erkannte die Fahrscheine mit DB-Tarif zwischen München und Holzkirchen an.

BOB stellt Anerkennung ein

Zum 1. August 2006 hat die BOB die Anerkennung von DB-Fahrscheinen auf dieser Strecke eingestellt. Grund für die Änderung sind Differenzen zwischen den beiden Bahngesellschaften über die Abrechnung der Fahrgeldanteile. Nach Informationen von PRO BAHN hatte sich die DB geweigert, bei der Anerkennung des DB-Tarifs in den Zügen der BOB ihre Ausgleichszahlungen an die gestiegenen Fahrgastzahlen anzupassen. Weil die BOB schneller ist als die S-Bahn und gute Anschlüsse ins Mangfalltal bietet, nutzen viele Fahrgäste mit DB-Fahrscheinen die BOB bis Holzkirchen.

Ähnliche Probleme gibt es auch bei den Fahrgeldanteilen des Münchner Verkehrsverbundes (MVV), der von München bis Holzkirchen gilt. Der MVV-Tarif wird aber von der BOB weiterhin anerkannt. Insgesamt entspricht die Erlössituation der BOB auf diesem Streckenabschnitt allerdings bei Weitem nicht den Fahrgastzahlen.

Der neue Tarifdschungel

Seit August 2006 gilt bei allen durchgehenden Fahrten mit DB und BOB, die den MVV-Tarif überschreiten, der sogenannte "Tarif für Anstoßverkehre", (TBNE-Tarifwerk), ein Gemeinschaftstarif zwischen bundeseigenen und nicht bundeseigenen Bahnen. Der Fahrpreis setzt sich nun immer aus einem BOB- und einem DB-Anteil zusammen. Das galt schon bisher, wenn man über Holzkirchen hinaus ins Bayerische Oberland weiterfuhr. Da es südlich von Holzkirchen keine Umsteigestation zur DB gibt, war diese Tarifkombination für den Fahrgast ohne größere Nachteile. Ganz gleich, wo er in die BOB umstieg, es ergab sich immer der gleiche Preis zu seinem Fahrziel im Oberland.

Dieser "Anstoßtarif" gilt nun auch für den Streckenabschnitt München – Holzkirchen. An fünf verschiedenen Stationen kann man von der DB zur BOB umsteigen. Will man von einer S-Bahn-Station in der Münchner Innenstadt zu einem Bahnhof im Oberland, können sich so bis zu fünf unterschiedliche Preise für die gleiche Fahrstrecke ergeben.

Doch vorgesehen ist dieser Fall im Tarifwerk der DB nicht. Dort heißt es: "Anstoßverkehr im Sinne dieser Beförderungsbedingungen ist der Wechsel des Beförderers auf den Strecken der beteiligten Eisenbahnen auf aneinander anschließenden, nicht parallelbedienten Strecken." Zum neuen Tarifdschungel gehören auch die Unterschiede der Tarifsysteme. Ein Beispiel ist die Regelung über die kostenlose Mitnahme von Kindern: Bei der BOB gibt es – im Gegensatz zur DB – keine kostenlose Mitnahme eigener Kinder. Damit entstehen zwischen Verbindungen mit BOB-Anteil und reinen DB-Verbindungen, gerade wenn Kinder mitgenommen werden, enorme Preisunterschiede.

Schwarzfahrer wider Willen

Die Nahverkehrsautomaten der DB im Raum München verkaufen auch Fahrscheine ins BOB-Netz. Diese werden aber im Gegensatz zu den am Schalter oder an Fernverkehrsautomaten erworbenen Fahrscheinen bis Holzkirchen nach DB-Tarif berechnet. Offiziell dürfen mit einem solchen Fahrschein bis Holzkirchen die BOB-Züge nicht genutzt werden. Da dies für den Fahrgast nicht erkennbar ist, wird er ganz schnell und unbeabsichtigt zum Schwarzfahrer. Allerdings gibt die BOB in ihrem Tarifprospekt mit Stand vom 1.1.2007 nach wie vor an, dass "durchgehende Fahrausweise zwischen einem DB-Bahnhof und dem Oberland" weiterhin gültig sind.

Die neue Zugbindung

Einschränkungen gibt es aber auch bei Fahrscheinen, die am Schalter verkauft werden. Darin ist der Übergangspunkt von der DB zur BOB zwingend festgelegt. Wer das nicht beachtet, sitzt im jeweils parallel verkehrenden Zug des anderen Unternehmens ohne gültigen Fahrschein.

Direkter Anschluss – Fahrschein nicht erhältlich

Genauso wenig sieht das Tarifwerk "TBNE" für Anstoßverkehre den Fall vor, dass man zweimal das Verkehrsunternehmen wechselt. Doch genau dies ist für Fahrgäste aus dem Mangfalltal Alltag.

Tür an Tür halten in Holzkirchen die Züge der Mangfalltalbahn und der BOB. Die schnellste Verbindung vom Mangfalltal zu vielen Zielen in der Münchner Innenstadt, aber auch über München hinaus und zum ICE, bietet die BOB. Für diese Verbindungen werden überhaupt keine durchgehenden Fahrscheine zur Fahrt unter Einschluss der BOB-Züge ausgegeben. Wer also einen durchgehenden DB-Fahrschein kauft, muss mit der S-Bahn fahren und wird – reale Beschwerden von Fahrgästen beweisen es – bei der BOB als Schwarzfahrer behandelt. Die BOB verkauft im Zug keine Fahrscheine – wer sich verirrt und in eine Kontrolle gerät, kann nur noch darauf hoffen, dass der Zugbegleiter Kulanz walten lässt.

Der Besteller schaut weg

Das entstandene Tarifchaos müssen nun die Fahrgäste ausbaden. Die Bahnunternehmen "lösen" ein Problem, das sie miteinander haben, indem sie es zu einem Problem ihrer Kunden machen. Und dies mit Wissen und Billigung des Bestellers. Motto der im öffentlichen Auftrag handelnden Bayerischen Eisenbahn-Gesellschaft (BEG) scheint zu sein, sich bei Tariffragen vornehm zurückzuhalten. Man verlässt sich darauf, dass die Unternehmen schon irgendeine Lösung finden werden. In einem regulierten Markt wie dem Schienennahverkehr Tarife und Einnahmeaufteilung von einer Kontrolle durch den Auftraggeber auszunehmen, kann aber auf Dauer nicht gut gehen. Ohne eine solche Kontrolle werden sich bei Tariffragen die Lasten immer mehr in Richtung Fahrgäste verschieben.

Der TBNE versagt ...

Unverständlich ist auch, wie eine solche Situation entstehen kann, obwohl DB und NE-Bahnen unter dem Dach des Tarifverbands der bundeseigenen und nicht bundeseigenen Eisenbahnen (TBNE) zusammenarbeiten. In der Juni-Ausgabe der DB-Zeitung "Regio Aktuell" wird der Geschäftsführer der TBNE, Bernd Rössner, mit folgendem Satz zitiert: "Ein attraktiver und damit eben durchgehender Tarif bietet die Chance, neue Kunden zu gewinnen." Zwischen Holzkirchen und München scheinen dann die Uhren rückwärts zu gehen – dort geschieht genau das Gegenteil.

Im selben Interview stellt Herr Rössner fest, dass ein Anstoßtarif nur noch in Ausnahmefällen sinnvoll ist. Der TBNE muss sich fragen lassen, warum dann im BOB-Netz diese Tarifform zulasten der Fahrgäste ausgeweitet wurde. Es wird Zeit, dass die von dieser Organisation und damit auch von DB und BOB vertretene Tariftheorie in eine dementsprechend kundenfreundliche Praxis umgesetzt wird.

... weil der Gesetzgeber versagt hat

Verständlich wird der Vorgang allerdings, wenn man sich die gesetzliche Grundlage des TBNE ansieht. In wachsweicher Form bestimmt § 12 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes, dass die Unternehmen "verpflichtet sind, daran mitzuwirken, daß im Personenverkehr durchgehende Tarife aufgestellt werden." Dass es dabei zu Konflikten und Problemen kommen kann, ist nicht vorgesehen. Dementsprechend gibt es weder eine Aufsichtsbehörde, die ein Recht zum Eingreifen hat, noch ein Verfahren, mit dem eine Einigung gefördert werden kann.

Beispiel Schweiz und Großbritannien

Solch eine kundengerechte Tarifzusammenarbeit verschiedener Bahn- und Busunternehmen gibt es beispielsweise in unserem Nachbarland Schweiz schon seit Jahrzehnten. In Großbritannien hat der Gesetzgeber der Bahnreform von 1994 das Problem erkannt und – wenn auch nicht perfekt – geregelt.

Da auch in Deutschland der Übergang zwischen verschiedenen Bahngesellschaften immer mehr zum Normalfall wird, sollten sowohl der TBNE als auch die Aufgabenträger nicht nur in Worten, sondern auch in Taten für eine der Schweiz vergleichbare Tariflandschaft eintreten. Genauso wie PRO BAHN für eine unternehmensunabhängige Infrastruktur eintritt, ist auch ein unternehmensübergreifender Tarif und ein unabhängiger Fahrscheinvertrieb anzustreben. Dies sind aber politische Fragestellungen. Wenn man wie in Bayern hofft, dass Bahnunternehmen dies unter sich regeln können, werden es immer die Fahrgäste sein, die letztlich die Probleme ausbaden müssen.

PRO BAHN mahnt

PRO BAHN Oberbayern hat eine Analyse der Situation zwischen München und Holzkirchen veröffentlicht. Den Forderungen nach einer Änderung des momentanen Zustands wurde mit einer Pressemitteilung Nachdruck verliehen. Auch wenn bisher nur die BOB zu einem Dialog bereit war und von anderen Beteiligten keine Reaktion erfolgte, wird PRO BAHN die Problematik weiter thematisieren und nicht lockerlassen.

Eine Beibehaltung der jetzigen Situation kann aus Sicht der Fahrgäste nur als Scheitern beurteilt werden. Ebenso ist es aber als Scheitern zu sehen, wenn der Aufgabenträger zulässt, dass ein von ihm beauftragtes Unternehmen mittels einer unfairen Erlösaufteilung so benachteiligt wird. Konzernzentralen sind nicht beliebig geduldig, wenn es solche Probleme gibt.

 

 Info 

Die ausführliche Problemdarstellung von PRO BAHN und eine Liste von Beispielen findet man im Internet unter http://www.pro-bahn.de/oberbayern/tarif-m-holzk/.

 

 Fahrkartenkauf in der Praxis 

Bruckmühl – Germering-Unterpfaffenhofen: Die Fahrplanauskunft liefert zahlreiche Verbindungen mit DB-Zügen zum Preis zwischen 12,40 Euro und 19 Euro bei einer Reisezeit von 85 bis 120 Minuten.

Die schnellste Verbindung besteht aber mit einer Reisezeit von 75 Minuten mit dem BOB-Zug, der von Holzkirchen bis zur Donnersbergerbrücke benutzt wird. Einen durchgehenden Fahrschein erhält man vor Fahrtantritt nur in Form des Bayern-Single-Tickets zu 17 Euro, das aber unter der Woche für die Verbindungen vor 9 Uhr nicht gilt.

Bruckmühl – München Hbf: Auch hier besteht häufig die schnellste Verbindung mit der BOB ab Holzkirchen und kostet 11,20 Euro. Die Fahrt mit der S-Bahn ab Holzkirchen würde nur 9,60 Euro kosten.

Bruckmühl – Hamburg Hbf: Benutzt man DB-Züge als Zubringer zum ICE ab München, kostet die Fahrt 119 Euro. Damit ist der höchste innerdeutsche Fahrpreis bei der DB erreicht. Um 9.32 Uhr ab Bruckmühl besteht die Verbindung aber nur über Holzkirchen und mit der BOB. Dafür benötigt man zwei Fahrkarten, die zusammengerechnet 130,20 Euro kosten. Wer Sparpreise nutzen will, bekommt die durchgehende Fahrt mit DB-Zügen ab 29 Euro. Für Verbindungen mit der BOB werden solche Fahrkarten hingegen nicht angeboten.

Bad Tölz – Büsum: Für diese Verbindung gibt es keine durchgehende Fahrkarte, denn nicht nur der BOB-Abschnitt von Bad Tölz bis München, sondern auch der Abschnitt von Heide nach Büsum ist nach dem Anstoßtarif zu berechnen.

München, Rosenheimer Platz – Bad Tölz: Die Station Rosenheimer Platz wird von der S-Bahn bedient. Auf die Züge nach Bad Tölz kann man am Hauptbahnhof, in Holzkirchen und dazwischen an weiteren Stationen umsteigen, sodass jeweils unterschiedliche Fahrpreise entstehen:

  • Umstieg Hauptbahnhof 10,90 Euro
  • Umstieg Donnersbergerbrücke 11,50 Euro
  • Umstieg Siemenswerke 12,50 Euro
  • Umstieg Holzkirchen 12,70 Euro (über München-Harras) oder 11,20 Euro (über München-Giesing).

Wer an der falschen Station umsteigt, fährt eine Teilstrecke ohne gültigen Fahrschein und wird gegebenenfalls mit einem Erhöhten Beförderungsentgelt von 40 Euro bestraft.

Touchscreen-Automaten, die den Fahrschein nach der gefundenen Verbindung ausstellen, finden den Umstieg an der Donnersbergerbrücke und verlangen regelmäßig 11,50 Euro. Der billigere Umstieg am Hauptbahnhof muss durch eine zusätzliche Eingabe des Umsteigebahnhofs angefordert werden.

Fahrkarten ins Oberland werden aber auch an älteren Nahverkehrsautomaten ausgegeben, an denen das Ziel über eine Tastenkombination eingegeben wird – hier wird nur die teuerste Variante für 12,70 Euro ausgegeben, die zugleich nur für die langsamste Verbindung ist.

(Alle Preise ohne Ermäßigung, Preisstand 1.10.2007)
 

Artikel als PDF-Datei (Originallayout / 472 KB)

 


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