100 Tage Takt 10
bei der Münchner S-Bahn


–   Eine erste Bilanz   –

 

 

 
Herausgeber:  PRO BAHN
Regionalverband Oberbayern e. V.
Schwanthalerstraße 74
80336 München
März 2005

 


 


Randbedingungen behindern die S-Bahn

In den Jahren 2003 und 2004 wurden den Fahrgästen der Münchner S-Bahn über die Dauer von anderthalb Jahren zahlreiche Sperrungen und weitere Einschränkungen zugemutet. Der Fahrgastverband PRO BAHN fragt nach, welchen Gegenwert die S-Bahn-Kunden für diese schwierige Phase erhalten haben. Ziel der Maßnahmen war der Einbau eines neuen Signalsystems auf der Stammstrecke. Dieses neue System steht der S-Bahn nun seit 100 Tagen zur Verfügung. PRO BAHN sieht daher die Zeit für eine erste Bilanz gekommen.

Nebenbei sei angemerkt, dass weder MVV noch S-Bahn ihren Kunden aufgrund der Einschränkungen irgendwie preislich entgegengekommen sind. Die Fahrpreise im MVV steigen stärker an als die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten.

Von dem verbesserten Signalsystem hatten sich die Fahrgäste außer der erfolgten Taktverdichtung auf vier Streckenabschnitten während der Hauptverkehrszeit auch eine Stabilisierung des Fahrplans erhofft. Dies wäre insbesondere für die Mehrheit der Betroffenen, die von der Taktverdichtung nicht profitiert, ein wichtiger Ausgleich für die Lasten gewesen, die die S-Bahn-Kunden während der Umbauzeit tragen mußten.

Die Bilanz, die PRO BAHN nun zieht, ist leider nicht so positiv, wie die Fahrgäste sich das erhofft haben. Das liegt nicht daran, dass bei der S-Bahn-GmbH schlechte Arbeit geleistet wird. Im Gegenteil: im Vergleich zum Stillstand vergangener Jahrzehnte wurde viel getan. Die Probleme liegen eher in der Einbindung der Münchner S-Bahn in ein "System Deutsche Bahn AG". Hieraus leiten sich Strukturschwächen ab, die sich auch auf die S-Bahn und ihre Fahrgäste auswirken. So ist beispielsweise das Verhältnis zwischen der Durchführung des eigentlichen S-Bahn-Betriebes und den Zuständigkeiten des Unternehmensbereichs Netz der Deutschen Bahn AG nicht besonders transparent. Daher wird die S-Bahn-GmbH mit Rücksicht auf ihre Konzerneinbindung nicht immer offen sagen können, wo es wirklich hakt.

Ein weiterer Problembereich ist die Tatsache, dass nicht nur Entscheidungen der S-Bahn-GmbH die Fahrgäste direkt betreffen, sondern auch solche von Unternehmensbereichen der Deutschen Bahn, zu denen die Kunden keinen direkten Zugang haben. Beispielsweise werden die meisten Durchsagen an Bahnhöfen heute noch von Mitarbeitern von DB Netz gemacht. Dies ist den Fahrgästen in der Regel nicht klar, die in erster Linie den MVV und vielleicht noch die S-Bahn-GmbH kennen.

Als eine Teillösung schlägt PRO BAHN vor, Infrastruktur, die hauptsächlich für die S-Bahn da ist – zum Beispiel reine S-Bahn-Stationen – komplett der S-Bahn-GmbH zu übergeben. Ein positives Beispiel hierfür ist hier die Südostbayernbahn in Mühldorf. In Berlin und Hamburg verfügen auch die jeweiligen S-Bahn-Gesellschaften zum großen Teil auch über die Infrastruktur, die sie für ihren Betrieb benötigen. Aufgrund vieler Mischverkehrsstrecken, läßt sich dies nicht unmittelbar auf München übertragen – als eine Quelle für Anregungen kann es aber dienen.

Zu den Problemen der Konzernstruktur kommt die zunehmende Zentralisierung, die zwar vordergründig Kosten spart, aber nicht die Fehlertoleranz und Redundanz eines mehr verteilten Systems hat. Früher gab es den Fahrdienstleiter vor Ort, der Probleme direkt sah und flexibel reagieren konnte – heute werden große Teile des S-Bahn-Netzes ferngesteuert. Dass dies nicht immer funktioniert, wird den Fahrgästen öfter mal vor Augen geführt.


Störfälle – leider auch in diesem Winter Thema Nr. 1

Trotz der bekannten Hintergründe wie der Konzernstruktur kann PRO BAHN sich nicht erklären, warum es immer wieder zu Einbrüchen mit Ketten massiver Störfälle wie Ende Januar oder auch Ende Februar kommt. Schlimmer ist allerdings, dass der Eindruck entsteht, dass sich das DB-Management – von der S-Bahn-GmbH bis zu DB Netz – dies auch nicht erklären kann. Wo aber keine Erklärung ist, werden Gegenmaßnahmen nicht greifen und die Wahrscheinlichkeit, dass sich Störfälle wiederholen, bleibt bestehen.

Wenn auch das Gesamtphänomen nicht ohne Weiteres zu ergründen ist, so sind jedoch die meisten Störfälle zumindest technisch erklärbar. An diesen technischen Ursachen wird ja auch gearbeitet – Stichwort Stellwerk Ostbahnhof. Diese sicher nicht immer einfach zu handhabenden technischen Probleme müssen natürlich beseitigt werden. Tiefer liegende Ursachen sind von außen schwierig zu analysieren. Man kann daher nur hoffen, dass bei einer Situation wie "Kupplungsprobleme in Neufahrn" nicht deshalb darauf verzichtet wird, Regionalzügen als Ausgleichsmaßnahme halten zu lassen, weil DB Station&Service dafür zusätzliche Stationsentgelte von DB Regio verlangt.

Um nachhaltige Verbesserungen zu erzielen, darf man aber nicht an der (oft technischen) Oberfläche der Probleme bleiben, sondern muß tiefer nachforschen und sich auch über ein paar grundlegende Fragen des Systems Deutsche Bahn AG Gedanken machen. Wenn dies nicht geschieht, wird man sich nur von einem Problem zum nächsten hangeln. Und während man eines beseitigt, tauchen zwei neue auf.

PRO BAHN hat im Sinne einer Bilanz aus verschiedenen Quellen eine Liste der Störfälle der letzten 100 Tage erstellt. Zum größten Teil handelt es sich um Störfälle, bei denen es zumindest auf Teilstrecken zu Zugausfällen kam. Sofern es ermittelbar war, sind in einigen wenigen Fälle auch durch technische Störungen verursachte Verspätungen aufgeführt.

Störungen, die durch Notarzteinsätze, Unfälle, Personen im Gleis etc. ausgelöst wurden, sind in der Liste nicht enthalten. Diese immer wieder vorkommenden und durch die Bahnunternehmen nicht zu verhindernden Ereignisse addieren sich in den Auswirkungen für die Fahrgäste aber zu den technischen Störfällen. Dies führt zu einer zeitweise nicht mehr hinnehmbaren Gesamtbelastung.

Ebenfalls in der Liste enthalten sind, soweit ermittelbar, Störfälle in deren Folge es zu deutlichen Informationsmängeln kam. Auch Ursachen wie "Schienenbruch" müssen in der aufgetretenen Häufigkeit hinterfragt werden. Werden die Gleisanlagen noch einer ausreichenden Prüfung und Wartung unterzogen? An hochbelasteten S-Bahn-Strecken – insbesondere bei Mischverkehr mit Fern- und Güterzügen – müssen dabei andere Maßstäbe angelegt werden, als an das restliche Schienennetz.

In der Linienbilanz ist die S1 mit etwas Abstand am stärksten betroffen (insgesamt 38 Störfälle; zudem wurde sie an 8 Tagen deutlich länger aus dem Innenstadttunnel ausgesperrt als andere Linien). Das heißt, dass die S1 seit dem 12. Dezember im Durchschnitt öfter als jeden dritten Tag eine größere Störung hatte. Teilweise gab es mehrere unabhängige Störungen verteilt über den Tag und über den Linienweg. Man kann sich leicht überlegen, was dies für die betroffenen Fahrgäste bedeutet. Nach der S1 folgen auf den nächsten Plätzen der Störfallbilanz etwa gleichauf die Linien S6 und S7.

PRO BAHN fordert, dass sich zukünftige Ausbaumaßnahmen eher an den in der Störfallliste sichtbar werdenden Notwendigkeiten orientieren als daran, wo zufällig Platz für weitere Gleise ist, oder wo zufällig eine ICE-Strecke gebaut wird. Hierbei ist auch der Freistaat Bayern gefragt, die richtigen Prioritäten zu setzen. Dass es Problembereiche gibt, wo der Ausbau schwierig ist, und dass vereinzelt Widerstände existieren, darf nicht zum Aufweichen dieser Prioritäten führen. Wenn Probleme existieren, müssen sie angegangen und gelöst werden. Im Planungsprozeß ist manchmal etwas Flexibilität gefragt, anstatt auf schwer durchführbaren Planungen zu beharren.

Auf der anderen Seite der Bilanz stehen natürlich viele störungsfreie S-Bahn-Fahrten und viele pünktlich beförderte Fahrgäste. Zahlen dazu, ob das Takt-10-Konzept zu einer Steigerung der Fahrgastzahlen führt, kann man nach 100 Tagen leider noch nicht auswerten. Dazu ist eine breitere Datenbasis notwendig. Übergeordnetes politisches Ziel muß natürlich eine Verkehrsverlagerung weg von der Straße bleiben. Das zeigt unter anderem das aktuell diskutierte Thema Feinstaubbelastung. Auch wenn die Regierung von Oberbayern versucht das Thema herunterzuspielen, können die bestehenden EU-Regelungen nicht wegdiskutiert werden. PRO BAHN sieht in einen besseren Öffentlichen Nahverkehr ein wesentliches Element, die Probleme in den Griff zu bekommen. Eine S-Bahn, die wegen ihrer Störfälle in die Schlagzeilen gerät, ist dabei nicht hilfreich.

Die von PRO BAHN erarbeitete Störfallliste liegt im Internet unter
          http://www.pro-bahn.de/oberbayern/s-bahn/takt10/takt10-stoerliste.pdf


Information statt Marketing!

Die Störfallproblematik bei der S-Bahn wird noch einmal besonders beleuchtet, wenn man die Realität mit den Marketingaussagen der Deutschen Bahn AG vergleicht. Diese strotzen zum Teil nur so von vorauseilendem Selbstlob. Dass dies dann den Ärger der Fahrgäste noch steigert, und auch die Berichterstattung in den Medien beeinflußt, ist unausweichlich. PRO BAHN fordert, dass zumindest so lange auf diese Art von Marketing verzichtet wird, bis erwiesen ist, dass das System gut und zuverlässig funktioniert – auch bei Kälteeinbrüchen und Schneefall, zwei Gegebenheiten, die in München öfter mal vorkommen.

Eine klare und wertungsfreiere Informationsstratigie kommt auch bei den Kunden besser an. Bisher wird die Information oft durch Marketingsprüche verdeckt. Und die gute Arbeit, die bei der S-Bahn-GmbH geleistet wird, wird unter Wert verkauft. Letztlich zählen aber nicht die guten Absichten und das, was die Werbeabteilung daraus macht, sondern das, was beim Kunden ankommt.

Beispiel: Die Takt-10-Kampagne.

Die grundlegende Idee einer Vorabinformation über das seit 12. Dezember veränderte S-Bahn-System ist natürlich zu begrüßen. Die Kampagne in eine eher fragwürdige und irritierende Verpackung zu stecken, entspricht vielleicht dem Zeitgeist, hilft aber weder den Fahrgästen noch der S-Bahn. Wenn man sich beispielsweise die Takt-10-Broschüre anschaut, muß man feststellen, dass der Informationsanteil unter 50% liegt. Eine positive Darstellung der DB in der Öffentlichkeit wird von PRO BAHN begrüßt und gefordert. Aber es geht bei Takt-10 weniger um Image-Werbung, sondern um die Information von Leuten, die bereits Bahnkunden sind. Gerade diese werden die Broschüre aber eher als bunte Werbung, denn als sinnvolle Information einstufen.

Und wenn schon Image-Werbung, dann würde anstatt dem präsentierten "coolen Business-Image" eine bürgernähere Kampagne (Stichwort etwa "Unsere S-Bahn") sicher besser ankommen. Auch im Sinne des bereits angesprochenen übergeordneten Ziels einer Verkehrsverlagerung ist es wünschenswert, wenn die Menschen sich nicht nur mit ihrem Auto, sondern auch mit dem Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln identifizieren. Wenn man diesem Ziel näherkommt, wird das der S-Bahn vielleicht auch einiges an nicht immer gerechtfertigter Kritik ersparen. Eine solche Identifizierung wird einem normalen Fahrgast aber von der Deutsche Bahn AG (und auch von anderen Anbietern) nicht ganz einfach gemacht.

Der fragwürdige oder auf die falsche Zielgruppe ausgerichtete Informationsgehalt der Takt-10-Kampagne führt im Ergebnis dazu, dass Ziele wie Akzeptanz bei den Fahrgästen und rechtzeitige Vorabinformation nicht so erreicht werden, wie eigentlich beabsichtigt. Eine Nebenwirkung ist, dass beim Erleben eines Störfalls der gedankliche Vergleich mit den Sprüchen und Bildern einer solchen Werbebroschüre, dann den unweigerlich entstehenden Ärger noch etwas verstärkt. Das solche Werbekampagnen auch Geld kosten – letztlich also aus Fahrgeldeinnahmen und Steuern finanziert werden – sei nur am Rande erwähnt.


Kommunikation hat immer noch Mängel

Dass die Kommunikation mit ihren Kunden noch immer verbesserbar ist – gerade bei Störfällen – weiß die DB selber. An der Verbesserung des Störfallmanagements wurde zwar gearbeitet, trotzdem kam es zu Fehlentscheidungen, die die Auswirkungen einzelner Störfälle noch verschlimmert haben. Was bei diesem Thema dann wirklich für ziemliches Unverständnis sorgt, ist einfach, dass es schon seit Jahren diskutiert wird, dass zahlreiche Besserungs-Versprechen existieren, dass es aber viel zuwenig Fortschritte gibt.

Lösungen werden wieder einmal fast ausschließlich im technischen Bereich gesehen, während die organisatorischen Probleme nicht vernünftig angegangen werden. Da technische Lösungen viel Geld kosten, zeichnen sich zwar auf den wenigen Stammstrecken-Stationen Verbesserungen ab – auch, wenn die Anzeiger immer noch nicht richtig funktionieren. Dazu, dass zukünftig die Kommunikation auch auf den zahlreichen Stationen im Umland gut funktioniert, gibt es bisher nur Versprechungen der Deutschen Bahn AG.


Prioritäten bei Störfällen

Die Priorisierung der Wiederherstellung einer normalen und verspätungsfreien Betriebssituation scheint zur Zeit die wichtigste Leitlinie zu sein. Dies darf aber nicht so weit gehen, dass unverhältnismäßig große Auswirkungen auf bestimmte Kundengruppen in Kauf genommen werden. Die mittlere Zahl der Verspätungsminuten kann nicht das einzige Maß sein – ebenso wichtig ist der bei den Fahrgästen maximal entstehende Schaden. Beispielsweise sollte man nicht zu Gunsten der schnellen Wiederherstellung eines stabilen Fahrplans irgendwo Fahrgäste ewig in der Kälte stehen lassen.


Lösungsansätze bei liegenbleibenden Zügen scheinen zu fehlen

Einen Punkt, der sich in den letzten Wochen als unerträglich herausgestellt hat, ist die Hilflosigkeit der Verantwortlichen beim Liegenbleiben von Zügen auf freier Strecke. Es kann nicht sein, dass S-Bahn-Fahrgäste 60 oder 90 Minuten in einem stillstehenden Zug festgehalten werden. Die Enge, das Nichtvorhandensein von Toiletten, die Unwissenheit, wann es weitergeht, aber auch Fehlverhalten von Mit-Passagieren – all dies erzeugt in der Summe einen würdelosen Zustand.

PRO BAHN fordert, dass spätestens, wenn sich nach 15 Minuten keine schnelle Lösung abzeichnet, Maßnahmen zur Evakuierung eines solchen Zuges eingeleitet werden. Nur dann ist sichergestellt, dass innerhalb einer Stunde die Fahrgäste gegebenenfalls den Zug verlassen können.

Die S-Bahn-Wache verfügt über eine ausreichende Stärke, so dass alsbald nach Liegenbleiben eines Zuges Personal vor Ort – zumindest für die Fahrgäste erkennbar in der Nähe – sein kann. Dadurch können sowohl unüberlegte Reaktionen der Eingeschlossenen – wie Aussteigen auf ein noch befahrenes Gleis – unterbunden werden, als auch Hilfe beim Aussteigen geleistet werden.

Die Verantwortung in einer solchen Krisensituation allein auf den Fahrzeugführer abzuwälzen ist unangebracht und gefährlich. Die DB sollte auch überprüfen, inwieweit ihre Regelungen in Richtung auf das Selbstbestimmungsrecht ihrer Kunden angepaßt werden müssen.

 

Fotomontage / 239KB

 


 

Querverweise: Liste der Störfälle (PDF)
 
Webseite von PRO BAHN zur 100-Tage-Bilanz
 
Pressemitteilung von PRO BAHN Oberbayern
 
Pressemitteilung der DB AG (PDF)
 

 


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