Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post November 2010.
Bearbeitungsstand: 22.10.2010

 
 

 
Perspektivlosigkeit als Element der Verkehrspolitik
Nulllösung für München – Freising?

Laut einem Zeitungsbericht ist die Stadt Freising "erleichtert", dass es vorerst nicht zu einem Schienenausbau auf ihrem Stadtgebiet kommt. Es ist zwar verständlich, dass eine Kommune das Wohl der Anwohner im Auge hat, aber man muss doch fragen, wie es um die Interessen der Bahnpendler bestellt ist. Sind diese der Stadt Freising egal? Die Bahnstrecke nimmt mit und ohne Ausbau immer mehr Züge auf. Diese Last macht den Schienenverkehr störanfälliger und immer weniger attraktiv.

Fehlende Bahnausbauten sind eine sehr kurzsichtige Problemlösung – es sei denn, die Freisinger wären daran interessiert, den Autoverkehr in ihrer Stadt auf einem möglichst hohen Niveau zu halten, um Straßenbaumaßnahmen besser begründen zu können. Der fehlende Bahnausbau passt allerdings sehr gut zu den Plänen, bei Inbetriebnahme einer zweiten Stammstrecke in München den S-Bahn-Takt zwischen Neufahrn und Freising zu reduzieren.

Am selben Tag, an dem man von der Erleichterung der Stadt Freising aus der Zeitung erfährt, hält Verkehrsminister Zeil auf der Landesversammlung von PRO BAHN Bayern in Unterschleißheim eine Rede über "Mehr Qualität und Leistung im bayerischen Regionalverkehr". Auf Rückfrage, welche Perspektive denn für die in unmittelbarer Nähe vorbeilaufende Bahnstrecke München – Freising bestehe, konnte der Minister nicht abstreiten, dass dort eine Nulllösung geplant ist.

Die Staatsregierung hat beschlossen, dass zwischen München und dem Flughafen der Ostkorridor über die Gleise der S-Bahn-Linie S8 ausgebaut wird, während für die S1 nichts getan wird. Schaut man nicht nur auf den Flughafen, sondern insgesamt auf die Verkehrsprobleme der Region nördlich von München, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass der Ausbau dieses Ostkorridors eine Fehlentscheidung ist.

Die Entscheidung für den Ostkorridor ist natürlich bequem. Man stört weniger Leute und kommt der Stadt München entgegen. Vordergründig ist es billiger im Osten zu bauen, als eine Lösung für die Probleme westlich der Isar zu suchen. Allerdings wird der bisher nicht vorgesehene, aber von der Stadt München geforderte Tunnel im Bereich Daglfing über die Jahre der Planung noch zu manchen "Nachbesserungen" führen. Und da man von anderen Verkehrsprojekten kennt, dass sie am Ende mehr als doppelt so teuer sind, wird sich der Bürger und Steuerzahler ja wohl an solche Preissteigerungen gewöhnt haben.

Die zum Thema Flughafenanschluss angefertigten Gutachten konnten nur zu Ergebnissen kommen, die den Fragestellungen der Auftraggeber entsprechen. Hier hätten neben dem Flughafenanschluss unbedingt auch der Regionalverkehr zwischen Landshut und München sowie der weiter steigende Güterverkehr berücksichtigt werden müssen. Dann wäre herausgekommen, dass eine Lösung, die alle drei Aspekte angemessen einbezieht, den höheren Wert hat. Das Geld nur für den Flughafenanschluss zu investieren, ist Verschwendung von Steuermitteln. Die Zuverlässigkeit der S1 ist heute deutlich geringer als die der S8, und mit Förderung des Freistaats soll sich das immer weiter auseinander entwickeln.

Zwischen der Münchner Stadtgrenze und Freising leben über 100 000 Bürger. Diese Menschen haben das Recht, dass man sich ebenso um ihren Nahverkehrsanschluss kümmert, wie um den des Flughafens. Stattdessen werden die Interessen der S-Bahn-Fahrgäste gegen die Interessen der Bahnreisenden aus Regensburg, Landshut und Passau ausgespielt. Die einen beschweren sich darüber, dass ihr Zug hinter einer langsamen S-Bahn herzuckelt, die anderen darüber, dass verspätete Regionalzüge den Takt der S-Bahn immer wieder völlig durcheinander bringen. Und das sind keine Ausnahmen, sondern in der Hauptverkehrszeit der tägliche Normalfall.

Die Nulllösung von Minister Zeil will die gegebenen Voraussetzungen für Jahrzehnte einfrieren. Dadurch, dass der Druck auf die Bahnstrecke immer größer wird, werden sich die Verhältnisse für Pendler und andere Bahnreisende weiter verschlechtern. Unter "Mehr Qualität und Leistung im bayerischen Regionalverkehr" verstehen die Bürger sicher nicht, dass man drängenden Problemen und unbequemen Diskussionen ausweicht.

Man muss auch fragen, wie gut die Interessen der Bahnpendler bei der lokalen Politik aufgehoben sind. Die Haltung, den Bahnanschluss als selbstverständlich hinzunehmen, die Bahn sogar als störend zu empfinden, ist nicht hilfreich. Stattdessen erwartet der bahnfahrende Bürger mit Recht, dass die vor Ort zuständigen Politiker Druck in Richtung auf die Verbesserung des Bahnverkehrs aufbauen. Geschieht das nicht, fließen die Investitionen woanders hin – im Zweifelsfall in den Straßenbau.

Edmund Lauterbach

 
 


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