Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post Mai 2010.
Bearbeitungsstand: 19.4.2010

 
 

 
Schlechte Tarife vergiften das Klima
Konfliktfrei unterwegs

Seit etlichen Monaten versuchen die Bahn-Gewerkschaften Transnet und GDBA unter dem Titel "Sicher unterwegs" die Sicherheit im Öffentlichen Verkehr für Fahrgäste und Fahrpersonal zu verbessern. PRO BAHN hat dieser Aktionen einen der diesjährigen Fahrgastpreise verliehen.

Ein Weg, die Sicherheit zu erhöhen, ist, Konflikte von vornherein zu vermeiden. Das Fahrpersonal, insbesondere das Kontrollpersonal, ist natürlich auch Streitigkeiten mit Fahrgästen ausgesetzt. Ein nicht unerheblicher Teil davon werden durch unterschiedliche Auffassung in Tariffragen ausgelöst. Auch wenn es Ausnahmefälle sind, besteht die Gefahr, dass solche Streitigkeiten eskalieren.

Andererseits fühlen sich viele Fahrgäste durch tarifliche Regelungen und die Androhung eines erhöhten Beförderungsentgelts verunsichert. In den Beförderungstarifen steckt damit ein ziemliches Konfliktpotential zwischen Fahrgästen und Mitarbeitern der Verkehrsunternehmen. Aus Sicht von PRO BAHN tragen die Verkehrsunternehmen hierfür eine Mitschuld. Sie machen allzu oft das Gegenteil von Konfliktvermeidung, indem von den Fahrgästen die Beachtung von Regeln verlangt wird, die zu kompliziert sind, oder schlicht dem gesunden Menschenverstand widersprechen.

Ein Beispiel dafür ist sicher die Umsetzung der Mitte letzten Jahres in Kraft getretenen Fahrgastrechte durch die DB AG. Neben vielen Verbesserungen hat man auch Gesetzeslücken genutzt, um in Teilen die vorher bestehenden Regelungen zu verschlechtern. Die Fahrgäste können aber mit Recht verlangen, dass durch eine gesetzliche Regelung eine Verschlechterung ihrer Rechte in keinem Punkt eintritt.

Auch viele kleinere Änderungen von Tarifbestimmungen - sei es bei der DB oder anderswo – tragen nicht zur Konfliktvermeidung bei, sondern provozieren geradezu Streitigkeiten zwischen Kunden und Personal.

In der vorletzten PRO BAHN Post (03/2010) wurde ein Ende letzten Jahres aufgetauchtes Problem mit dem MVV-Tarif beschrieben. Die Details kann man auf www.myway.de/e.lauterbach/dbmvv.html nachlesen. PRO BAHN bemüht sich weiterhin um eine fahrgastfreundliche Klärung dieses Punktes. Spätestens mit der vom MVV versuchten "Klarstellung" zum 13.12.2009 ist die Sache nun aber so komplex geworden, dass zum Teil umfangreiche Schriftwechsel mit verschiedenen Stellen notwendig sind, damit die Problematik von den Verantwortlichen überhaupt erkannt und anerkannt wird.

Leider ist dies nicht der einzige Fall, in dem die MVV-Tarifbestimmungen fragwürdiger geworden sind. So war bis zum letzten Jahr eindeutig formuliert, dass MVV-Tageskarten mit Einzelfahrscheinen oder Streifenkarten kombiniert werden können. Durch einen einfachen Satz waren sie in diesem Punkt mit den Zeitkarten gleichgestellt.

Die neuen MVV-Tarifbestimmungen ab 13.12.2009 enthalten zwar ein spezielles Kapitel zu "Anschlussfahrkarten". Das sieht zunächst einmal klarer strukturiert aus, benötigt aber für den gleichen Sachverhalt mehr Text als die Vorgängerversion. Zudem ist es dem MVV gelungen, eine Unsicherheit bezüglich der Kombination von Tageskarten mit einer Kurzstreckenfahrt einzubauen. Im Gegensatz zur MVV GmbH betrachtet PRO BAHN die genannte Kombination weiterhin nicht nur als geduldet, sondern als eine legale und vorgesehene Tarifmöglichkeit.

Im Internet findet man unter www.myway.de/e.lauterbach/mvv-tip im Abschnitt "Erlaubte Tarifkombinationen" Zitate der genauen Formulierungen. Unten auf der Webseite gibt es auch einen Link zur Archivversion bezogen auf den MVV-Tarif ab Juli 2008, so dass eine Vergleichsmöglichkeit besteht.

Abschließend sei ein Beispiel aus dem DB-Bereich genannt: Früher galt das Bayern-Ticket abgesehen von einigen grenzüberschreitenden Regelungen bis zur bayerischen Grenze. Benachbarte Ländertickets stoßen auch heute unmittelbar an das Bayern-Ticket an. Ein Anschlussticket nach dem normalen DB-Tarif konnte man bis 2009 ab dem letzten Tarifpunkt in Bayern erwerben. Fuhr man beispielsweise über Hof nach Sachsen und brauchte dort ein Anschlussticket bis Plauen, so löste man dieses ab dem Bahnhof Feilitzsch unmittelbar vor der bayerisch-sächsischen Grenze.

Die DB hat aber nun die Tarifbestimmungen geändert. Neu heißt es: "Für Fahrten mit Zügen der Verkehrsunternehmen des DB-Konzerns, die außerhalb des Geltungsbereichs eines Bayern-Tickets/Bayern-Tickets Single angetreten bzw. beendet werden, sind Fahrkarten bis zum ersten bzw. ab dem letzten fahrplanmäßigen Haltebahnhof im Geltungsbereich erforderlich." Letztes Jahr stand an dieser Stelle noch "Bahnhof" statt "Haltebahnhof".

Die enge Auslegung der geänderten Bestimmung würde bedeuten, dass die Anschlusskarte ab Feilitzsch nur noch in Zügen gilt, die auch in Feilitzsch halten. Daraus ergibt sich, wie auch im oben erwähnten Fall der verunglückten MVV-Regelung, eine Art implizite Zugbindung im Nahverkehr. Wenn man vom geplanten Fahrplan abweichen muss, und wider Erwarten in einem Zug sitzt, der nicht am letzten Tarifpunkt vor der Landesgrenze hält, ist dies auch nicht mehr zu korrigieren, da ja in bayerischen Regionalzügen keine Fahrkarten verkauft werden.

Die Änderung widerspricht zudem dem Ziel, dass das Bayern-Ticket in ganz Bayern gilt, sowie dem Grundsatz, dass anstoßende Fahrscheine nach DB-Tarif an beliebigen Tarifpunkten unabhängig vom Halt des benutzten Zuges kombiniert werden können.

Es stellt sich bei allen genannten Beispielen die Frage, was solch fahrgastfeindliche Formulierungen bringen sollen. Der Erlösgewinn dürfte in allen Fällen kaum messbar sein. Die Fahrgäste werden verunsichert, oder durch Nichtbefolgung der für sie teilweise unerwarteten Regelungen unmittelbar durch ein erhöhtes Beförderungsentgelt bedroht. Zwischen Kunden und Personal der Unternehmen entstehen Konflikte, die eigentlich unnötig wären. Mit dubiosen Tarifregelungen werden die Unternehmen ihrer Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und Fahrgästen nicht gerecht. Im Ergebnis wird der Ruf des Öffentlichen Verkehrs weiter geschädigt, weil all jene sich bestätigt fühlen, die Bahnfahren für zu kompliziert halten.

Die genannten Beispiele sollen zeigen, dass die Fahrgäste sich durchaus durch die Unternehmen drangsaliert fühlen dürfen. Warum Verkehrsunternehmen Tarifregelungen erlassen, die ihnen keine messbaren Vorteile bringt, den Fahrgästen aber Nachteile, ist ein zunächst nicht aufklärbares Phänomen. Der Eindruck, dass bei den Tarifen unheimlich geschludert wird, drängt sich immer mehr auf. Zur Angebotsqualität gehört auch ein guter Tarif – auch wenn das in den Köpfen der Verantwortlichen noch nicht angekommen ist.

Neben anderen Themen, die die Bahngewerkschaften in ihrer Aktion "Sicher unterwegs" bereits aufgegriffen haben, wäre zu empfehlen, auch das Thema Tarifgestaltung dort einzubringen. Deeskalation bedeutet eben auch, auf provokante Tarifregelungen zu verzichten.

Edmund Lauterbach

 
 


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