Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post August 2011.
Bearbeitungsstand: 25.7.2011

 
 


Olympia und die Tragik der Verkehrspolitik
Mangelnde Aufrichtigkeit, fehlendende Kundenorientierung, problematische Hierarchien

Olympia 2018 ist ausgeträumt. Damit platzt auch die Blase, die die bayerische Staatsregierung bezüglich der Finanzierung von Verkehrsprojekten aufgebaut hat. PRO BAHN hatte die Olympia-Bewerbung genutzt, um unter anderem einen richtigen Ausbau München – Garmisch-Partenkirchen sowie den Wiederaufbau der Königsseebahn zu fordern. [1]

Auch dann, wenn München den Zuschlag für Olympia 2018 bekommen hätte, wäre die Durchsetzung dieser Forderungen nicht einfach gewesen. Die real existierende Verkehrspolitik redet zwar viel über die Bahn, es geht dann aber meist um Prestigeprojekte statt um eine bürgernahe Bahn. Zudem hat die Straßenbaulobby meist schon fertige Pläne in der Schublade, während der DB AG erst einmal Geld überwiesen werden muss, bevor sie mit dem Planen anfängt. Deshalb wäre für Garmisch-Partenkirchen vielleicht ein bisschen Bahnausbau, ganz sicher aber zwei Straßentunnels die Ausbeute von Olympia gewesen.

Die Vorschläge von PRO BAHN zielen im Gegensatz zur offiziellen Verkehrspolitik auf eine nachhaltige Tendenz der Verkehrsverlagerung auf die Schiene. Sie sind daher durch das Olympia-Aus nicht entwertet worden. Eine Abkehr von Prestigeprojekten zugunsten machbarer Lösungen hätte eigentlich bereits viel früher erfolgen müssen. Die nun erfolgte Zäsur ist aber Anlass genug, noch einmal deutlich auf die Fehlentwicklungen bayerischer Verkehrspolitik hinzuweisen. Eine entsprechende Pressemitteilung ging noch am Tag des Olympiaentscheids an Medien und Entscheider. [2]

Aus Mangel an anderen Geldquellen hatte die Staatsregierung natürlich auch ihr Lieblingsbahnprojekt zweiter S-Bahn-Tunnel für München mit Olympia verknüpft. Bundesverkehrsminister Ramsauer hat sofort nach der Entscheidung in Durban seine bereits bestehenden Aussagen bekräftigt, dass es mindestens zu einer weiteren deutlichen Verschiebung des Baus kommt. [3]

Der bayerische Verkehrsminister Zeil möchte natürlich weiterhin eine schnellere Lösung herbeireden. Er brachte inzwischen das Jahr 2019 als Fertigstellungstermin ins Gespräch. Das lässt genügend Raum, um spätestens unter einem Nachfolger Zeils den Termin noch weiter in die Zukunft zu verschieben. [4][5]

PRO BAHN schrieb bereits 2001 in einer Stellungnahme an den Münchener Stadtrat:
"Wir brauchen eine vernünftige Lösung so bald wie möglich und nicht eine noch dreimal nachzubessernde Tunnellösung in 25 Jahren (wobei sicher auch alle Nachbesserungen mit Kostensteigerungen verbunden sind)." [6]
Diese Aussage wollte die Politik nicht glauben – jetzt wird sie zur Wirklichkeit.

Das Tragische an dieser Wirklichkeit ist nicht die Verzögerung eines viel zu teuren und wenig fahrgastfreundlichen Tunnels. Sie ist tragisch, weil damit schon ein Jahrzehnt verpasster Chancen für eine sinnvolle Weiterentwicklung des S-Bahn-Systems verbunden sind. Und das nächste Jahrzehnt Stillstand ist durch den Starrsinn der Staatsregierung und der Münchner Stadtspitze bereits vorprogrammiert. Betroffen ist aber nicht nur das S-Bahn-System. Verbesserungen an vielen Bahnstrecken, weit über den Großraum München hinaus, werden auf Gedeih und Verderb mit dem zweiten S-Bahn-Tunnel verknüpft, und rücken bei der Finanzierungspriorität entsprechend weit nach hinten.

Die vor mehr als zehn Jahren vom damaligen Verkehrsministers Wiesheu eingeleiteten Projekte S-Bahn-Tunnel und Transrapid haben die Münchner S-Bahn und den Bahnknoten München um Jahrzehnte zurückgeworfen. Davon wurde bisher leider nur der Transrapid nach jahrelangem Ringen als unbezahlbares Hirngespinst entlarvt.

Die Argumentation gegen solche Prestigeprojekte bindet auch die sehr begrenzten Ressourcen von PRO BAHN und behindert den notwendigen Dialog über wirklich fahrgastorientierte Konzepte. Beim Transrapid musste man am Ende dann noch erleben, wie die Staatsregierung ohne jede Alternative dastand, und zunächst einmal eine mehrmonatige Selbstfindungsphase durchlaufen musste. Ist es wirklich das, was der Bürger von seinen gewählten Politikern erwartet?

Ohne diese Fehlentwicklungen, die von allen Wiesheu-Nachfolgern im Amt des bayerischen Verkehrsministers gestützt wurden, könnte man heute sowohl einen voll ausgebauten Südring, Streckenausbauten im Außenbereich als auch eine bessere Anbindung des Flughafens – nicht nur an die Münchner Innenstadt – haben. Auch Maßnahmen wie Umbau des Knotenbahnhofs Laim und verbesserte Gleisstruktur am Pasinger Westkopf hätte man mit der notwendigen Priorität angehen können, anstatt sie immer weiter herauszuschieben und den zweiten Tunnel als Ausrede zu gebrauchen.

All diese Versäumnisse hängen mit den Diskussionen zu Transrapid und zweiter Stammstrecke zusammen und machen Otto Wiesheu damit in der Rückbetrachtung zur großen tragischen Figur bayerischer Verkehrspolitik.

Foto Olympia-Uhr
Hoffentlich läuft die Zeit für eine bessere Verkehrspolitik nicht ebenso weiter rückwärts wie die Olympia-Uhr im Münchner Hauptbahnhof (Foto vom 24.7.2011, © A. Frank)
 

Viele Leute in offizieller Position sind inoffiziell bereit zuzugeben, dass ein zweiter S-Bahn-Tunnel keine sinnvolle Lösung ist. Zu dieser Einschätzung führt insbesondere die Tatsache, dass Geld nur einmal ausgegeben werden kann – sofern es überhaupt da ist. Offiziell folgt aber jeder, der irgendwo in Amt und Würden ist, der Meinung seines jeweiligen Dienstherrn. Und diese Dienstherren heißen direkt oder indirekt Zeil, Seehofer und Ude. Also leider genau die Leute, die so sehr an ihrem Prestigetunnel hängen, dass ein Rückzieher ein großer politischer Gesichtsverlust wäre.

Die Fahrgäste müssen ausbaden, dass sie für die Verantwortlichen im Öffentlichen Verkehr nicht wichtig genug sind, um eine offene Diskussion über die besten Lösungen und die besten Wege dorthin zu führen. Statt einer Kultur der strikten Kundenorientierung gibt es im ganzen Verkehrssektor Scheinlösungen, die durch das Ausspielen hierarchischer und finanzieller Abhängigkeiten erzwungen werden sollen. Letztlich ist dieses Vorgehen nicht nur verkehrspolitisch, sondern wegen mangelnder Aufrichtigkeit auch moralisch fragwürdig.

Aber was sind schon vergammelnde S-Bahn-Stationen und Landbahnhöfe gegen Hochglanzbroschüren, die unterirdische Schienenstrecken anpreisen? Man hat den Eindruck, diese völlige Abkehr von sinnvollen Prioritäten hält man bei der DB und den Verkehrsverbünden, bei den Bestellern und in den Verkehrsministerien für absolut normal.

Bei Olympia wäre das Volk überwiegend zahlende und jubelnde Staffage geworden. Nach dem gleichen Motto entwickelt sich inzwischen die Verkehrspolitik – Tunnel für Zeil, Seehofer, Ude. Und natürlich andere Großprojekte für andere Politiker und Bahnchefs.

Edmund Lauterbach

 
Quellenverzeichnis:

[1] PRO BAHN zur ÖV-Infrastruktur für Olympia 2018

[2] Nach Olympia-Nein: Bayerische Verkehrspolitik vor Scherbenhaufen

[3] Olympia-Aus bremst zweiten Tunnel in München

[4] "Auch ohne Olympia muss die 2. Stammstrecke kommen"

[5] "Stammstrecke muss bis 2019 kommen"

[6] PRO BAHN zur vergleichenden Untersuchung Ausbau S-Bahn-Südring / 2. S-Bahn-Tunnel

 

Querverweis: Kommentar "Handeln statt Vertrösten", Süddeutsche Zeitung, 4.8.2011

 


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