Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post Januar 2013.
Bearbeitungsstand: 18.12.2012

 
 

 


S-Bahn-Fahrplan als Manövriermasse der DB

Der Münchner S‑Bahn-Betrieb stellt sich immer mehr selbst in Frage. Für viel Geld – zu großen Teilen vom Steuerzahler – wurden einige Strecken für einen 10-Minuten-Takt während der Hauptverkehrszeit ausgebaut. Es hat zwar nicht die Strecken getroffen, die die höchste Auslastung haben, sondern eher die, bei denen man die S‑Bahn dem Fernverkehr aus dem Weg räumen wollte. Aber an diese Art des Vorgehens hat man sich ja schon gewöhnt.

Nur: wann wird dann jetzt der 10-Minuten-Takt auch gefahren? Es darf keine Weiche versagen, kein Stellwerk gestört sein, kein Zug unplanmäßig lange stehenbleiben, keine Dummköpfe sollten die Gleise betreten und es muss halbwegs gutes Wetter herrschen. Das sind schon eine Menge Voraussetzungen und wahrscheinlich noch nicht alle. Mit anderen Worten: der im Fahrplan für einige Linien vorgesehene 10-Minuten-Takt ist nichts, worauf sich ein Fahrgast verlassen kann.

Bei jeder mittelgroßen Störung (und die gibt es verdammt oft) entfallen die Zwischentakte. Natürlich: mit 20-Minuten-Takt funktioniert es auch – irgendwie. Aber was ist mit dem Steuergeld, das die DB eben nicht dafür, sondern für die Realisierung der 10-Minuten-Takte bekommen hat? Letztlich liegt hier unredlicher Umgang mit öffentlichen Geldern vor!

Und es ist nicht die einzige Stelle bei der DB, an der so etwas passiert. Gerne werden Fördermittel benutzt, um Bahnhöfe barrierefrei umzubauen. Das ist eine höchst sinnvolle Sache – auch dass der Staat dies fördert. Wenn dann aber mit Steuergeld Aufzüge eingebaut worden sind, stellt man bald fest, dass sie häufig nicht funktionieren. Die Vermutung, dass die von der DB vergebenen Wartungsverträge nicht so gestaltet sind, dass Funktion, Notdienst und ggf. schnelle Reparatur immer gesichert sind, liegt nahe. Zuerst Fördermittel kassieren und dann an Wartungsverträgen sparen, ist aber nicht nur unredlich gegenüber dem Steuerzahler, sondern auch moralisch verwerflich gegenüber den Leuten, die auf diese Aufzüge angewiesen sind.

Zurück zum S‑Bahn-Fahrplan. Die Münchner S1 hat keinen 10-Minuten-Takt, gehört aber zusammen mit der S4 West zu den am besten ausgelasteten Linien. Hier kann man also dummerweise keine Zwischentakte ausfallen lassen. Aber die DB ist ja kreativ. Also wird gerne mal in der Hauptverkehrszeit vorzeitig gewendet, und man lässt auch öfters das eigentlich vorgesehene Flügeln in Neufahrn aus.

Außerdem stellt man immer wieder fest, dass die S‑Bahn auch dann von Regionalzügen überholt wird, wenn dies selbst für den Betrieb wenig bringt (nach Fahrgastinteressen zu fragen, traut man sich ja kaum). Welchen Sinn hat eine Überholung, die dem RE oder ALEX wenige Minuten Verspätung aufholen lässt, die aber gleichzeitig dazu führt, dass die S‑Bahn-Verspätung sich beispielsweise von fünf auf zehn Minuten steigert? Nicht nur, dass eine so verspätete S‑Bahn bei Erreichen der Stammstrecke alles durcheinanderbringt und sich die S1-Verspätung gerne vom Nachmittag in den Abend verschleppt, sie führt auch dazu, dass die S‑Bahn-Verspätung auf den nachfolgenden Regionalzug übertragen wird.

Der Eindruck, dass der S‑Bahn-Fahrplan mehr oder weniger als Manövriermasse betrachtet wird, dass er, durchaus im Wortsinne, "zur Disposition steht", lässt sich nicht vermeiden. Was man als Fahrgast – insbesondere als Pendler – für sein Geld bekommt, ist deutlich weniger, als im Fahrplan steht. Ein weiterer Eindruck ist, dass es nicht besser wird, sondern dass über die Jahre eine langsame aber stetige Verschlechterung feststellbar ist – und dies trotz einiger durchaus feststellbarer Bemühen des S‑Bahn-Betreibers.

Allerdings sind sich DB und Politik darin einig, dass man gar nicht versucht, die S‑Bahn stetig an den steigenden Bedarf und die – durch andere Verkehrsträger vorgegeben – wachsenden Ansprüche anzupassen. Stattdessen wartet man auf den "großen Ruck" in Form eines immer wieder mal finanzierten, aber stetig teurer werdenden zweiten Innenstadttunnels. Als ob die Fahrgäste nicht schon viel zu lange gewartet hätten!

So wird sich auch bei der oben erwähnten S1 nichts ändern – weder ohne noch mit zweitem Tunnel. Für die Strecke München – Freising hat die Politik alle möglichen Ausbauperspektiven gekippt. Also bleibt die Tendenz, dass es Jahr für Jahr eher schlechter als besser wird. Die Verantwortlichen bei DB und BEG wissen das sicher, aber man läuft da lieber sehenden Auges hinein, als sich bei Zeil und Ramsauer vielleicht unbeliebt zu machen.

Die BEG als Aufgabenträger scheint auch bezüglich der kreativen Umsetzung des S‑Bahn-Fahrplans machtlos oder unwillig zu sein. Sie wird für die ausgefallenen Züge einiges an Bestellgeldern einbehalten, womit der vertraglich vereinbarte Zustand hergestellt ist. Der S‑Bahn-Fahrgast hat nichts davon.

Darüber hinaus kommen viele der fragwürdigen Entscheidungen nicht von DB Regio, sondern von DB Netz. Auf diese Tochter der Deutschen Bahn AG haben die Besteller aber keinen Zugriff, also gibt es auch kein Regulativ, um DB Netz aufzuzeigen, was man von gewissen Entscheidungen hält.

Andererseits wird nach Nettoverträgen gefahren – im Fall des Münchner S‑Bahn-Netzes gemäß eines wohl eher üppigen "großen Verkehrsvertrags". Letztverantwortlich gegenüber dem Fahrgast ist also der Betreiber. Und wenn dieser den Fahrplan als Manövriermasse betrachtet, dann behandelt er seine Kunden als Manövriermasse! Dass die DB meint, sich das leisten zu können, zeigt überdeutlich, wo wir stehen, beim "System Bahn" in Deutschland.

Edmund Lauterbach
 

Auch bei der Süddeutschen Zeitung liest man die PRO BAHN Post

 


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