Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post Februar 2015.
Bearbeitungsstand: 18.1.2015

 

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Persönliche Nachbetrachtung
Mein S-Bahn-Jahr 2014

Der Großraum München hat immer noch ein gutes öffentliches Verkehrssystem. Das gilt auch für die S-Bahn als Rückgrat des Verkehrs außerhalb der Stadt München. Selbst mit allen Störungen, Verspätungen und Zugausfällen ist das Angebot oft besser als in anderen Ballungsräumen. Auch wenn Ausstattung der Bahnhöfe und Fahrgastinformation häufig kritisiert werden, zeigen viele Beispiele, dass woanders noch mehr Grund zur Kritik besteht. Gefüttert durch das Wachstum der gesamten Region sind die Fahrgastzahlen der S-Bahn daher auch unverändert hoch.

Leider ist das alles weniger ein positives Qualitätsmerkmal der S-Bahn München, sondern eher ein vernichtendes Urteil über den Öffentlichen Verkehr in einigen anderen Gegenden. Dazu kommt, dass, selbst wenn man die ganz anders strukturierten S-Bahn-Verkehre in Hamburg und Berlin ausnimmt, Regionen wie Rhein-Neckar, Hannover oder Bremen in der Angebotsqualität aufholen, und beispielsweise Stuttgart nur wegen der unsäglichen S21-Baustelle ähnlich schlecht abschneidet wie München. Gerade das erwähnte Wachstum der Region München führt deutlich vor Augen, dass die S-Bahn mit dieser Dynamik nicht Schritt hält. Leider findet das Verkehrswachstum inzwischen wieder vermehrt auf der Straße statt – so stellen wir uns das eigentlich nicht vor.

Aus Fahrgastsicht sind die Dinge ziemlich einfach: Der Kunde bezahlt bei der S-Bahn München für eine Leistung, die er übers Jahr betrachtet auch 2014 nicht bekommen hat. Allein diese Tatsache zeigt, dass die recht kräftige Fahrpreiserhöhung vom Dezember in die falsche Richtung führt, und dass die Weigerung, kleinere und größere Klippen an den MVV-Tarifgrenzen abzubauen, allein dem Egoismus der Verkehrsunternehmen entspringt. Kundenorientierung wird hierbei noch nicht einmal vorgeschoben – sie findet schlicht nicht statt.

Was unterschied das S-Bahn-Jahr 2014 nun von den Vorjahren? Negative Höhepunkte waren ein durch einen Bagger verursachter Unfall in Olching und die wochenlange Sperre der S1, weil ein LKW eine Brücke in Moosach rammte. Die Ersatzverkehre liefen meist ganz gut, aber die Fahrgastinformation war wohl auch durch mangelnde Zusammenarbeit der Verantwortlichen bei DB, BEG, MVV und Alex zum Teil so verwirrend, dass PRO BAHN dazu eigene Informationen veröffentlichte.

Die alljährliche Stammstreckensperre fiel in diesem Jahr nicht so drastisch aus, und war nur dem Umbau der Station Donnersbergerbrücke geschuldet. Dass wir dort bis Dezember auf die Inbetriebnahme der Aufzüge warten mussten, verärgert die Fahrgäste angesichts der von ihnen getragenen Lasten der Sperrungen dann doch etwas. Mit der Elektrifizierung nach Altomünster kam im Grunde ein neuer S-Bahn-Ast hinzu, was für die Anwohner über einen langen Zeitraum mit den Widrigkeiten des Schienenersatzverkehrs verbunden war.

So weit, so gut? Leider nein. Die geringere Dauer der Stammstreckensperrung hat die DB anscheinend dazu motiviert, andere Gründe zu suchen, um S-Bahn-Züge nicht über die Stammstrecke fahren zu lassen. Zum einem wurde die Tendenz der Vorjahre fortgesetzt, annähernd täglich Zwischenzüge des 10-Minuten-Takts ausfallen zu lassen. Zum anderen wurden die Notprogramme während und nach Störungen offensichtlich ausgeweitet.

Letzteres merkt man besonders gut, wenn man nicht an einer zu Stoßzeiten durch den 10-Minuten-Takt trotz der Zugausfälle bevorteilten Linie wohnt. Und am schönsten zeigen sich die Effekte entlang der Linie S1, die schon ohne Störungen wegen des Mischbetriebs und der hohen Fahrgastzahlen sehr anfällig ist. Insbesondere zwei Arten von Notprogrammen wurden hier 2014 sowohl von der Anzahl als auch von der Dauer her ausgeweitet: "Wenden in Moosach" und "ohne Halt zwischen Moosach und Hauptbahnhof".

Klar, gerade bei der S1 kann man sowohl Moosach als auch Feldmoching mit der U-Bahn erreichen. Aber was nützt das, wenn man in Laim oder Hirschgarten zusteigen will? Der Zeitverlust beträgt selbst bei (oft nicht vorhandener) guter Information über 20 Minuten. Bei "Wenden in Moosach" gilt das sogar für alle Stammstreckenstationen. Kommt man von außen und will am Hauptbahnhof in einen Fernzug umsteigen, ist durch ein solches Notprogramm schnell der ganze Tag verdorben.

Ohne Zweifel gibt es Fälle, in denen man in Moosach wenden muss, oder in denen ein Anfahren der Stationen zwischen Laim und Hackerbrücke nicht möglich ist. Aber außerhalb der Hauptverkehrszeit die S1 für mehrere Stunden von fast der gesamten Stammstrecke auszuschließen, dafür gibt es in fast allen Fällen kein Argument, das diesen Umgang mit zahlenden Kunden begründen könnte. Die einzigen Argumente dafür sind DB-intern: einfachere Fahrzeug- und Personaldisposition, günstiger Einfluss auf die Pünktlichkeitsstatistik, Wiederherstellung des Normalfahrplans, ohne dass man mehr Reserven vorhalten muss.

Zusammengefasst ergibt sich ein spürbarer Effekt für die S1: Durch das Notprogramm "Wenden der S1 in Moosach" und der deutlichen Ausdehnung des Notprogramms "ohne Halt zwischen Moosach und Hauptbahnhof" hat sich die Angebotsqualität auf der S1 noch einmal verschlechtert. Die Schädigung der Fahrgäste durch die Notprogramme ist spätestens seit 2014 größer als die direkten Einflüsse der eigentlichen Störungen. Für andere Linien mag der Effekt nicht ganz so groß sein, da man beispielsweise, wenn eine S6 aus Tutzing in Pasing endet, meistens mit weniger Zeitverlust zu anderen Stammstreckenstationen weiterkommt. Insgesamt dürfte aber die am Beispiel der S1 geschilderte negative Tendenz im gesamten S-Bahn-Netz spürbar sein.

Besser geworden ist allerdings die Pünktlichkeitsstatistik der Münchner S-Bahn. Wenn Züge ausfallen, wenn Züge vorzeitig enden oder an Stationen vorbeifahren, hat das keinen Einfluss auf die Statistik. Züge, die durch vorzeitiges Wenden ihre Rückfahrt mit weniger Verspätung starten, oder durch Auslassen von Stationen Verspätung einholen, beeinflussen die Pünktlichkeitsstatistik hingegen positiv. Die von der DB geführte Statistik ist durch die zahlreichen Zug- und Haltausfälle als Aussage zur Angebotsqualität völlig unbrauchbar geworden. Fazit: Alles gut bei der Münchner S-Bahn – leider nur für die DB, nicht aber für die Fahrgäste.


Nachtrag:  Im neuen Jahr wurde die S1 bis Mitte Januar an sechs von zehn Werktagen von der Stammstrecke genommen. Am Dreikönigstag verkehrte sie fast den ganzen Tag ohne Halt von Moosach zum Hauptbahnhof. Bezieht man diese Fakten in die Betrachtung des Vorjahres mit ein, drängt sich der Schluss auf, dass wir es mit einen progressiven Verfall des Münchner S-Bahn-Systems zu tun haben. Politik und BEG schauen zu.

Edmund Lauterbach

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Was weiter geschah:

  Zeitgleich zum Erscheinen der PRO BAHN Post mit obigem Artikel lobte sich die DB für die Pünktlichkeit der Münchner S-Bahn. Bei der DB-Meldung fällt auf, dass externe Störungsursachen wie "Personen im Gleis" und "Notarzteinsatz" erwähnt sind, nicht jedoch DB-interne wie "Signalstörung" oder "Weichenstörung". Das Pünktlichkeitslob schaffte es in verschiedene Medien, auch in die Süddeutsche Zeitung. Dies führte zu einem Leserbrief, der am 2.2.2015 veröffentlicht wurde.  

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