Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post Oktober 2020. Bearbeitungsstand: 18.9.2020 |
Quellen und weiterführende Dokumente
"Anti-Stau-Gebühr" und "Verkehrswende für Alle"
In einer Studie, die "mit finanzieller Unterstützung der IHK für München und Oberbayern" entstand, untersucht das Ifo-Institut (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V.) "Verkehrliche Wirkungen einer Anti-Stau-Gebühr in München". Die Studie stellt unter anderem fest, dass die Nachfrage nach öffentlichen Verkehrsmitteln mit einer solchen City-Maut zunähme. Die politischen Reaktionen sind teilweise entlarvend, weil auch Mängel beim ÖPNV und gesetzliche Regelungen als Gegenargument für eine Maut benutzt wird. So behauptet Verkehrsministerin Schreyer auf Twitter, dass eine City-Maut einen "erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Straßennutzer" darstelle. Straßennutzung wird hier wohl als alleiniges Grundrecht der Autofahrer verstanden. Weiter lässt sie schreiben: "Der ÖPNV in München stößt bereits an seine Kapazitätsgrenze. Ein weiterer Umstieg auf den ÖPNV ist deshalb aktuell nur sehr begrenzt möglich." Damit werden die Versäumnisse der Vergangenheit – gerade auch bei der vom Freistaat zu verantwortenden S-Bahn – amtlich bestätigt. Dass in der Ifo-Studie soziale Aspekte durchaus angesprochen werden, ignoriert die Ministerin und sieht nur die Gefahr, dass eine Maut "sozial ungerecht" sei. Als Teil der sozialen Abfederung regt das Ifo-Institut beispielsweise an, die Mauteinnahmen in eine Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs zu investieren. Die Studie sieht eine Verschlechterung der sozialen Aspekte der Verkehrsmittelwahl nicht unmittelbar gegeben, weil der jetzige Zustand durch die von der Allgemeinheit zu zahlenden hohen externen Kosten des Autoverkehrs bereits unsozial sei. Das bestätigt auch ein aktuelles Papier des Umweltbundesamts (UBA), das unter dem Namen "Verkehrswende für Alle" notwendige Änderungen auch mit dem sozialen Ungleichgewicht begründet. Schaut man auf die Münchner Kommunalpolitik und die im grün-roten Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele, so müssten die Ergebnisse der Ifo-Studie eigentlich mit Begeisterung aufgenommen werden. Stattdessen gab es ein recht gemischtes Echo. Der verkehrspolitische Elan der neuen Ratskoalition wurde wohl durch Pop-Up-Radwege und den geplanten Radlring bereits aufgebraucht. Für ÖPNV bleibt nur ein gebremster Ausbau, ansonsten überlässt man das Thema lieber komplett MVV und MVG (einschließlich Fahrpreiserhöhungen). Und von den Ideen zur Reduzierung des Autoverkehrs hat man schon lange nichts mehr gehört. Als dritte Studie mit relevanter Thematik erschien "Ein anderer Stadtverkehr ist möglich" von der Initiative "Agora Verkehrswende". Im Gegensatz zur aktuellen Politik mancher Städte geht es darin nicht nur um eine Neuaufteilung des öffentlichen Raums zu Gunsten von Radfahrern und Fußgängern, sondern der ÖPNV wird mindestens gleichberechtigt als Rückgrat der Mobilität verstanden. Auf die teils negativen Reaktionen zur Ifo-Studie hat PRO BAHN in einer Pressemitteilung reagiert (https://www.pro-bahn.de/muenchen/presse/20200915.html). Die Chance, mittels einer Citymaut die bestehenden Verkehrsblockaden zu lockern, und damit dafür zu sorgen, dass Trambahnen und Busse nicht mehr im Stau stehen, spricht auch aus Sicht der Fahrgäste für solche verkehrslenkenden Maßnahmen. Darüber hinaus wird eine Verkehrswende nur gelingen, wenn die ÖPNV-Finanzierung auf andere Grundlagen gestellt wird. Die UBA-Studie zeigt unter anderem, dass die Fahrpreise in den letzten Jahrzehnten viel stärker anstiegen als die Kosten der Autonutzung. In dieser Tatsache verbirgt sich deutlich mehr soziale Ungerechtigkeit als in den von Ministerin Schreyer angesprochenen Effekten. Die Verwendung von Mauteinahmen zur Finanzierung von Ausbau und Betrieb des ÖPNV kann einerseits helfen, diese Ungleichheit abzubauen, und sorgt andererseits für den nötigen Kapazitätszuwachs. Sich stattdessen auf den mangelnden Ausbau des ÖPNV und auf unzureichende gesetzliche Regelungen zu berufen, zeigt dagegen, in welcher Sackgasse sich die offizielle Verkehrspolitik begeben hat. Es ist leider nicht untypisch, politisch erzeugte Rahmenbedingungen als Hinderungsgrund für Verbesserungen zu nennen, anstatt sie im politischen Prozess den heutigen und künftigen Notwendigkeiten anzupassen. Fazit: ÖPNV ausbauen, Bus und Bahn günstig anbieten, Autoverkehr verteuern – das wären die Kernelemente einer Politik, die nicht nur den Verkehr menschenfreundlicher machen würde, sondern auch unabhängig von der jeweiligen finanziellen Leistungsfähigkeit der Bürger zu einer besseren Mobilität für alle führt. Edmund Lauterbach |
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