Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post August 2019.
Bearbeitungsstand: 18.7.2019

 
 

Österreich und Bayern – zwei Geschwindigkeiten beim Bahnausbau

Das österreichisch-bayerische Verhältnis ist bezüglich Verkehr etwas getrübt. Bayern und der bayerische Bundesinnenminister lassen zur Abwehr von Asylsuchenden die Grenzen wieder kontrollieren, was bei Bahn und Autofahrern gern zu Verspätung führt. Die Diskussion um den Transitverkehr in Tirol hat dieses Jahr für Durchfahrtsperren gesorgt. Und beim Bahnausbau für den künftigen Brennerbasistunnel steht man in Deutschland gleich mehrfach auf der Bremse.

Andererseits gibt es natürlich zahlreiche Verflechtungen, gemeinsam betriebene Eurocity-Züge und mit der Außerfernbahn eine österreichische Strecke, auf der der Personenverkehr vom deutschen Staatsbahnunternehmen durchgeführt wird.

Neben dem Brennerzulauf zeigt aber auch die Außerfernbahn die unterschiedliche Geschwindigkeit des Bahnausbaus in Österreich und Bayern. Während die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) und das Land Tirol seit Jahren darauf hinarbeiten, dass auch der Abschnitt westlich von Reutte elektrifiziert wird, erweckt die bayerische Staatsregierung den Eindruck, als sei sie bei diesem Thema eben erst aufgewacht. In Österreich will man die Oberleitung Ende 2019 in Betrieb nehmen; Bayern hat für das winzige Stück nach Pfronten erst jetzt mit der Planung begonnen und rechnet mit der Fertigstellung "in der ersten Hälfte des nächsten Jahrzehnts".

Ähnliches zeichnet sich auch an der Grenze nach Oberösterreich ab. Für ein Sonderförderprogramm des Bundes zur Elektrifizierung von Güterverkehrsstrecken hat Bayern unter anderem den Abschnitt Mühldorf – Simbach angemeldet. Zum einen konkurriert die Strecke aber mit zahlreichen anderen um die Berücksichtigung in diesem Programm, zum anderen läge eine Realisierung zeitlich natürlich deutlich hinter dem Streckenausbau München – Mühldorf – Freilassing/Burghausen und anderen Maßnahmen aus dem Bundesverkehrswegeplan 2030 (dessen Umsetzung bezüglich Umfang und Zeithorizont auch fraglich ist).

Deutschland hinkt hinterher

Anders ticken die Uhren in Österreich: Dort wurde zwischen Bundesland und ÖBB eine "Infrastrukturoffensive Oberösterreich" vereinbart, die unter anderem die Elektrifizierung der beiden Bahnstrecken zum deutschen Grenzbahnhof Simbach vorsieht. Man braucht keine Glaskugel, um vorherzusehen, dass die österreichische Oberleitung die Grenze viele Jahre früher erreichen wird als die deutsche.

Grafik 630*442 - Infrastrukturoffensive Oberösterreich

Hintergrund des deutschen Schlamassels ist ein Zusammenhang, auf den die Allianz pro Schiene Jahr für Jahr hinweist: Während Österreich 218 Euro pro Kopf in die Schieneninfrastruktur investiert, waren es in Deutschland im Jahr 2018 gerade einmal 77 Euro. Selbst wenn man die erheblich höhere Einwohnerzahl Deutschlands berücksichtigt, ergeben sich in Österreich auch pro Kilometer des bestehenden Schienennetzes etwa das Zweieinhalbfache der deutschen Investitionen. Wie wenig uns die Versprechungen der Verkehrspolitik bringen, zeigte erst vor Kurzem ein Beitrag des Fernsehmagazins Kontraste: Einerseits sagt die Bundesregierung, dass bis 2025 weitere 1200 Kilometer des deutschen Schienennetzes elektrifiziert sein sollen, andererseits ist im Entwurf des nächsten Bundeshaushalts nur so viel Geld dafür eingeplant, dass es gerade einmal für sieben Kilometer pro Jahr reichen würde.

Grafik 630*356 - Pro-Kopf-Investitionen in Schieneninfrastruktur

Zur oberösterreichischen Schienenoffensive gehört neben Strecken- und Stationsmodernisierungen auch der Ausbau des Großraumverkehrs um Linz, in dessen Rahmen unter anderem eine Neubaustrecke von Linz nach Pregarten und Gallneukirchen geplant ist. Ob hier später S-Bahnen oder Stadtbahnen fahren werden, scheint noch nicht ganz geklärt. Ähnliches gilt auch für die Mühlkreisbahn, die etwa bis zur Hälfte in Kleinzell elektrifiziert werden soll. Hier könnte sich zukünftig zum Beispiel der Einsatz von Batterie-Oberleitungs-Hybridzügen für den oberen Teil der Strecke bis Aigen-Schlägl anbieten. Das Eisenbahnkreuz bei Ried im Innkreis soll nur zur Hälfte elektrifiziert werden. Zwischen Neumarkt-Kallham und Simbach ist elektrische Betrieb geplant; die Strecke von Attnang-Puchheim nach Schärding bleibt ohne Oberleitung.

Was wäre, wenn ...?

Was wäre, wenn die autozentrierte Verkehrspolitik beendet würde? Wenn man die Optionen, die die Schiene bietet, wirklich nutzen würde? Denken wir einmal entlang eines Beispiels etwas weiter. Die von Süden kommende Bahnstrecke aus Attnang-Puchheim und Ried trifft in Schärding auf die Hauptstrecke aus Wels, die nach Norden führend nach wenigen Kilometern das bayerische Passau erreicht. Und von Passau nach Norden gibt es eine weitere Strecke ohne Oberleitung: die Ilztalbahn.

Es wäre doch ein schönes europäisches Symbol, wenn es einen bestellten, grenzüberschreitenden Taktverkehr Attnang-Puchheim – Ried – Schärding – Passau – Waldkirchen – Freyung geben könnte. Es würden sich vielleicht sogar mehr geeignete Kandidaten bei einer gemeinsamen statt einer nur nationalen Ausschreibung des Verkehrs finden. Denkt man noch etwas europäischer, so fällt einem der Lückenschluss von Waldkirchen nach Haidmühle und zum tschechischen Bahnnetz in Nové Údolí ein. Durchgehende Züge von Österreich über Passau nach Český Krumlov und Prachatice könnten dann eine – nicht nur touristisch – interessante Option sein.

Aber klar: Solche Ideen sind gemessen am Handeln der politisch Verantwortlichen absolut utopisch. In Österreich kann man vielleicht über so etwas nachdenken, Bayern scheitert dagegen schon an kleineren Problemen wie Streckenreaktivierungen oder einer Verkehrsbestellung auf der Ilztalbahn. Die europäischen Grenzen sind halt auch Grenzen im staatlichen Engagement für die Bahn. Österreich ist vielleicht nicht die Schweiz; bezogen auf den Ausbau der Bahn ist es aber irgendwann an Bayern vorbeigezogen und scheint seinen Vorsprung weiter ausbauen zu wollen.

Edmund Lauterbach

Quellen:

 

 


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