Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post Mai 2022.
Bearbeitungsstand: 17.4.2022

Linienverzeichnis, Zugzahlen, Querverweise

Jubiläum
Fünf Jahre zweite Stammstrecke

Am 5. April 2017 erfolgte der symbolische erste Spatenstich für die zweite Stammstrecke. Die Polit- und DB-Prominenz rangelte darum, sprichwörtlich mit "am Drücker" zu sein. Am Ende durften die Herren Lutz, Dobrindt, Seehofer, Reiter, Pofalla und Herrmann einen Knopf drücken, bei dem bis heute nicht ganz klar ist, was er ausgelöst hat.

Und falls die Namen aus 2017 merkwürdig erscheinen: Bei Dobrindt, Pofalla und Herrmann wurde inzwischen das Engagement für den Schienenverkehr (sofern es vorhanden war) beendet; Seehofer war mal Minister­präsident. Die bayerischen Verkehrsminister wechselten seitdem sogar annähernd jährlich. Auch Oberbürger­meister Reiter wird, ebenso wie sein Vorgänger Ude, die Inbetriebnahme des zweiten S‑Bahn-Tunnels nicht im Amt erleben. Und ob Herr Lutz bis Ende des Jahrzehnts Bahnchef bleibt, ist fraglich.

Die Geschichte der zweiten Stammstrecke beginnt aber viel früher als 2017. Anfang 2001 hat der damalige bayerische Verkehrsminister Wiesheu den Vorschlag für einen zweiten Innenstadttunnel publik gemacht. Bis zur Entscheidung folgten 15 Jahre Diskussion, ohne dass beim S‑Bahn-Ausbau Wesentliches geschah. Nachdem bei der S‑Bahn schon vorher Nachfrage­potenzial und Angebot auseinanderklafften, rissen diese 15 Jahre die schmerzlichste Lücke in die Entwicklung des S‑Bahn-Systems, von dem sich der ganze Raum München noch lange nicht erholen wird.

Bereits 1987 hatte PRO BAHN den Ausbau des Südrings für die S‑Bahn vorgeschlagen. Bis 2001 wurde diese Idee unter anderem auch von der DB verfolgt. PRO BAHN forderte 1987 zudem eigene S‑Bahn-Gleise für alle Außenstrecken und die Verlängerung nach Geretsried. Bund, Bayern und die DB waren in den letzten 35 Jahren nicht in der Lage, dies umzusetzen. Seit 1987 haben sich zwölf bayerische Verkehrsminister an der Münchner S‑Bahn abgearbeitet (oder auch nicht).

2017 ging man davon aus (oder hat es zumindest gesagt), dass 2026 die ersten Züge durch den zweiten Tunnel fahren. Inzwischen wird 2028 genannt, und dass sich dieser Wunsch erfüllt, wird vielfach angezweifelt. Seit 2001 wurden verschiedene Varianten der zweiten Stammstrecke geprüft und geplant. Die Station am Hauptbahnhof rückte von anfangs geplanter Nordlage in eine zentrale Position unter die U1/U2, dann noch einmal ein Stück nach Westen.

Auch am Ostbahnhof ist die dritte Variante in Planung, jetzt mit einer unterirdischen Station östlich des Bahnhofs an der Friedensstraße. Die dazu nötige Verlegung der Autoverladung (nach Kempten) diente übrigens 2001 als Argument gegen den Südring (obwohl PRO BAHN eine Verlegung nicht für notwendig hielt).

Am Bau des neuen Tunnels hängt auch der Neubau des Hauptbahnhofs. Seit 2019 hat München anstelle des Empfangsgebäudes ein Loch. Dass sich dort schon 2029 ein futuristischer Neubau erhebt, erscheint heute unwahrscheinlich. Mit dem zentralen Loch werden wir wohl noch eine ganze Weile leben müssen. Ebenfalls abhängig vom Bau der zweiten Stammstrecke ist die sogenannte Umweltverbund­röhre in Laim und damit eigentlich auch die Trambahn-Westtangente. Bei der Planung der Tram-Tangente hat man in München aber selber so viele Fehler gemacht, dass man die Verzögerungen nicht mehr auf die DB schieben kann.

Foto 630*474 - S1 unterwegs nach Moosach - Baustellenfahrplan
Nachdem die S1 wegen Signalstörung zwei Tage unterbrochen war, ist sie über Ostern vier Tage lang nach Baustellen­fahrplan unterwegs. Hier zwischen Lohhof und Unterschleißheim. Mit der zweiten Stammstrecke wird der Fahrplan zwischen München und Neufahrn ohne Streckenausbau verdichtet – noch mehr Störungen nicht ausgeschlossen.

Betrieblich war zuerst eine reine S‑Bahn-Lösung für die zweite Stammstrecke geplant. Als man erkannte, dass dadurch nicht genügend Nutzen für eine positive volkswirt­schaft­liche Bewertung entstand, kam um 2010 ein ganzes Bündel von Flughafen-Express-Zügen ("ÜFEX") hinzu. Inzwischen sind es Express-S‑Bahnen und in Regional-S‑Bahnen verwandelte Regionalzüge, die die zweite Stammstrecke auffüllen sollen.

Die Ausschreibung für den S‑Bahn-Verkehr verspricht für beide Stammstrecken zusammen 1325 Zugfahrten an Werktagen (beide Richtungen). Das wäre eine Steigerung um etwa 38 Prozent gegenüber dem heutigen Betriebsprogramm, wobei diese Ausweitung überwiegend außerhalb der Haupt­verkehrs­zeit stattfindet. Baustellen und die vielen Störungen sorgen heute dafür, dass die volle Zugzahl nur selten erreicht wird. Die Lage auf den Außenstrecken spricht dafür, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird. Ein durch Regional-S‑Bahnen größer werdendes Netz bietet sogar mehr potenzielle Störungsquellen.

Von den Mehrleistungen mittels zweiter Stammstrecke sollen etwa 270 Zugfahrten durch zusätzliche Regional- und Expresslinien erfolgen. Weitere Züge kommen durch dichteren Takt bestehender Linien hinzu – insbesondere außerhalb des bisherigen 10-Minuten-Takts auf einigen Linien. An den Bahnhöfen der bestehenden Stammstrecke werden weniger Züge als heute abfahren. Dies kann zu Engpässen führen, wenn sich nicht genügend Fahrgäste auf die geringere Anzahl von Stationen der neuen Strecke einlassen.

Auch wenn das ÜFEX-Konzept gekippt wurde, sind zwischen Ostbahnhof und Flughafen via Ismaning etwa 240 Fahrten eingeplant, 110 mehr als bisher. Problem dabei ist, dass die DB den Abschnitt Daglfing – Johanneskirchen dafür noch ausbauen muss. Selbst ein oberirdischer Ausbau würde wohl kaum rechtzeitig zur Eröffnung der zweiten Stammstrecke fertig, könnte aber während der Bauzeit mehr normalen S‑Bahn-Betrieb erlauben. Die von der Stadt präferierte Tunnellösung mit zwöf Jahren Bauzeit würde das Betriebs­programm für die zweite Stammstrecke für lange Zeit undurchführbar machen.

Die DB hat das S‑Bahn-Werk Steinhausen erweitert, ob aber weitere Fahrten als bisher geplant am Leuchtenbergring (statt am Flughafen) enden könnten, ist fraglich. Eine bessere Flughafen­anbindung wird in jedem Fall weit in die Zukunft verschoben. Auch ein Ausweichen auf die S1-Strecke ist aufgrund der Zugzahlen und des Ausbauzustands unwahrscheinlich. Unter anderem begrenzen die Bahnübergänge (vier auf Münchner Stadtgebiet) dort die Kapazität. Bei der S8 erscheint merkwürdig, dass eine Lösung mit oberirdischer S‑Bahn und einem Güterzugtunnel erst gar nicht geprüft wurde. Drei S‑Bahn-Stationen und die nötige Trennung von S‑Bahn- und Güterverkehr im Tunnel dürften viel Geld verschlingen und die Bauzeit verlängern.

Man sieht: Auch wenn inzwischen an der zweiten Stammstrecke kräftig gebaut wird, sind einige Probleme ungelöst. Leider werden auch neue geschaffen: Die Regional-S‑Bahnen erlauben selbst an umgebauten Bahnhöfen außerhalb des heutigen Netzes häufig keine Barrierefreiheit. Was heute schon als falsch empfunden wird, wird 2030 noch viel mehr auf Unverständnis stoßen. Es wird aber kaum der jetzige Verkehrsminister sein, der die Fehler dann ausbaden muss.

Am Ende – wann auch immer das sein wird – wird die zweite Stammstrecke ebenso Realität sein, wie das noch größere Milliardengrab Stuttgart 21. Mit ihren hohen Kosten, der zweifelhaften Effizienz des Projekts, und dem jahrelang vernach­lässigten Ausbau der S‑Bahn-Außenstrecken werden wir leben müssen. Irgendwann kann dann ein weiterer Artikel "Fünf Jahre zweite Stammstrecke" eine Bilanz ziehen.

Edmund Lauterbach

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Linienverzeichnis mit 2. Stammstrecke ("Startkonzept", nur Linien via Innenstadt)
S1 Freising/Flughafen – Neufahrn – Unterschleißheim – Laim – Stammstrecke 2 – Ostbahnhof – Leuchtenbergring – (ab Leuchtenbergring jede zweite Fahrt; als Express-S‑Bahn) – Zorneding – Grafing – Ebersberg (– Wasserburg Bf)
S2 Altomünster/Petershausen – Dachau – Laim – Stammstrecke 1 – Ostbahnhof – Giesing – Deisenhofen – Holzkirchen
S3 Maisach – Pasing – Laim – Stammstrecke 1 – Ostbahnhof – Leuchtenbergring – Markt Schwaben – Erding
S4 Geltendorf – Fürstenfeldbruck – Pasing – Laim – Stammstrecke 1 – Ostbahnhof – Leuchtenbergring – Zorneding – Grafing
S6 Tutzing – Starnberg – Pasing – Laim – Stammstrecke 2 – Ostbahnhof – Leuchtenbergring
S7 (Geretsried –) Wolfratshausen – Höll­riegelskreuth – Donnersberger­brücke – Stammstrecke 1 – Ostbahnhof – Giesing – Höhenkirchen-Siegertsbrunn – Kreuzstraße
S8 Herrsching – Germering-Unterpfaffen­hofen – Pasing – Laim – Stammstrecke 1 – Ostbahnhof – Leuchtenbergring – Flughafen
S18 Herrsching – Germering-Unterpfaffen­hofen – Pasing – Laim – Stammstrecke 2 – Ostbahnhof – Leuchtenbergring
S21 Landshut – Freising – Unterschleißheim – Laim – Stammstrecke 2 – Ostbahnhof – Leuchtenbergring
S23 (Augsburg –) Mammendorf – Maisach – Pasing – Laim – Stammstrecke 2 – Ostbahnhof – Leuchtenbergring – Flughafen
S24 Buchloe – Geltendorf – Fürstenfeldbruck – Pasing – Laim – Stammstrecke 2 – Ostbahnhof – Leuchtenbergring
Zugzahlen pro Stunde und Richtung laut Sollfahrplan Laim/Donnersberger­brücke – Ostbahnhof
HVZ
heute
HVZ
mit St2
NVZ
heute
NVZ
mit St2
welche
Stammstr.?
S1 3 4 3 4 2
S2 6 6 3 3 1
S3 6 4 3 4 1
S4 3 4 3 4 1
S6 3 4 3 4 2
S7 3 3 3 3 1
S8 6 4 3 4 1
S18 2 2 2
S21 1 1 2
S23 2 2 2
S24 2 2 2
Summe
Stammstr. 1
30 21 21 18
Summe
Stammstr. 2
15 15
Summe
beide
30 36 21 33

Alle Angaben ohne Gewähr.

HVZ: Hauptverkehrszeit Mo – Fr (heute: 10-Minuten-Takt auf 3 Linien)

NVZ: Nebenverkehrszeit Mo – So (außer HVZ und nachts)

mit St2: mit 2. Stammstrecke

Darstellung ohne Nachtverkehre. Züge, die im Hauptbahnhof enden, sind nicht berücksichtigt. Das gilt auch für Regionalbahnen, die künftig durch Regional-S-Bahnen ersetzt werden. Die geplante Kapazitätssteigerung fällt daher noch geringer aus (ca. 3 zusätzliche Züge in der HVZ).

Die S2 und die S3 sollen mit Inbetriebnahme der 2. Stammstrecke ihre Ostäste (Erding, Holzkirchen) tauschen; die S6 endet Leuchtenbergring (statt Ebersberg); die S1 soll halbstündlich nach Ebersberg und stündlich nach Wasserburg fahren; die S23 übernimmt die Fahrten Maisach – Mammendorf von der S3.

Im Artikel sind Zugzahlen pro Werktag für beide Richtungen genannt.

Querverweise:

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