Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post Januar 2021.
Bearbeitungsstand: 16.12.2020

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Überlegungen zur ÖPNV-Planung im Raum München
Ist PRO BAHN gegen U‑Bahn-Bau?

Das ist eine einfache Frage mit einer nicht ganz so einfachen Antwort. Die kurze Version der Antwort lautet: Nein, PRO BAHN ist nicht gegen U‑Bahn-Bau. Metropolen wie München oder Berlin profitieren stark von einem Schnell­bahn­system, das aufgrund städte­baulicher Gegeben­heiten zu einem großen Teil nicht an der Oberfläche realisiert werden kann. PRO BAHN hat allerdings stärker als andere, die bei Verkehrs­themen mitreden, die Realitäten aus Fahrgast­sicht im Fokus. Dazu gehört zum einen eine schlechte Erschließungswirkung von U‑Bahnen, große Haltestellen­abstände und damit lange Fußwege. Dazu kommen zusätzliche Hindernisse durch den Höhen­unterschied zwischen Oberfläche und Tunnel­stationen, oft bedingt durch eine Ausrüstung mit Rolltreppen und Aufzügen, die hinter den Fahrgast­wünschen zurück­bleibt.

Das momentan größere Problem sind die langen Planungs- und Bauzeiten, die einhergehen mit kaum zu stemmenden Kosten für den Bau von U‑Bahn-Strecken. Die heutigen Verkehrs­probleme können nicht Jahrzehnte auf Lösungen warten. Eine neu zu planende U‑Bahn wird aber erst in zehn bis 15 Jahren wirksam. Daher stellt sich die Frage U‑Bahn oder Trambahn schon aus Effizienzsicht. Betrachtet man dies unter den genannten Aspekten, ist oft eine Tram in fünf Jahren wünschens­werter als eine U‑Bahn in 15 Jahren. Der in München in den letzten Jahren und Jahrzehnten entstandene Investitions­stau im ÖPNV führt dazu, dass ein ganzer Stapel von Projekten wartet, die wegen Einschränkungen bei Planung und Finanzierung nicht parallel abgearbeitet werden können. Das verschiebt einige der jetzt gemachten Vorschläge in den Zeitraum nach 2050. Je größer der U‑Bahn-Anteil bei den Projekten ist, umso länger wird es dauern.

Die offizielle Antwort auf die Frage, ob eine Trambahn oder eine U‑Bahn in einer Relation effizienter ist, gibt eine vergleichende Kosten-Nutzen-Unter­suchung. Hierbei haben Trambahnen oft Vorteile. Es wird aber zu Recht eingewandt, dass die Kosten-Nutzen-Unter­suchung gemäß nicht mehr aktueller Standards erfolgt, und nicht alle relevanten Aspekte berücksichtigt. Da U‑Bahnen und Trambahnen unterschiedlichen Trassierungs­prinzipien folgen, ist eine direkte Vergleichbarkeit oft nicht gegeben. Eine vergleichende Unter­suchung ist in München beispielsweise für die Achse Frankfurter Ring angedacht, wo allerdings zurzeit auch eine Seilbahn diskutiert wird. (Die Antwort auf die Frage "Ist PRO BAHN gegen Seilbahnen" lautet wohl "eher ja, aber nicht überall".)

Foto 630*305 - U-Bahnen Münchner Freiheit

Richtig ist sicher, dass es besser gewesen wäre, den U‑Bahn-Bau-Boom, der zwischen 2000 und 2010 allmählich auslief, nicht auf null herunter­zufahren, sondern die Weiter­entwicklung des Netzes auf einem niedrigeren und dauerhaft finanzierbaren Niveau zu stabilisieren. Der immer größer werdende Sanierungs­bedarf bei U‑Bahn-Bauwerken hat den Fokus der Finanzierung dann etwas weg vom Neubau gelenkt. Dazu kamen Erweiterungs­bauten, die durch den Fahrgast­zuwachs notwendig wurden, wie am Marienplatz oder aktuell am Sendlinger Tor. Erhöhte Standards beispiels­weise bei Brandschutz und Fluchtwegen tuen das ihre zur Kostensteigerung hinzu.

Die auch durch den schnellen U‑Bahn-Ausbau verursachte Diskussion über eine Gesamt­still­legung des Münchner Trambahn­netzes, die etwa bis 1990 lief, verursachte auch bei der Tram einen gewaltigen Nachhol­bedarf. Das führte zu einer Art Front­stellung Trambahn gegen U‑Bahn, die eine rationale Diskussion erschwerte. Aber entgegen vieler Versprechungen und Pläne ging es auch mit dem Trambahnausbau nach 2010 nicht richtig weiter. Zeit­verzögerungen wurden billigend oder achselzuckend hingenommen, man hatte sich mit den Verkehrs­problemen irgendwie eingerichtet, dominierend war lange Zeit das Thema zweite Stamm­strecke.

Wenn man Probleme aufschiebt, lösen sie sich selten von alleine. Heute stehen wir vor einem Berg von Verkehrs­problemen, und die Antwort auf die Frage Tram oder U‑Bahn kann nur sein: Tram und U‑Bahn. Trotzdem müssen die jeweils für das eine oder andere Verkehrsmittel geplanten Anteile immer wieder neu verhandelt werden.

Ein spezielles Beispiel ist die U5 nach Pasing und Freiham. Hier wird geplant – wenn nicht etwas ganz Unvorhersehbares geschieht, wird auch gebaut werden. Problem ist dabei unter anderem die Parallel­führung zur S‑Bahn. Eine milliardenteure zweite Stamm­strecke und eine hunderte Millionen teure U‑Bahn neben­einander hören sich nicht sehr effizient an. Das nicht unberechtigte Münchner Misstrauen gegenüber der S‑Bahn ist sicher einer der Haupt­gründe für diese Situation. In einer idealen Welt mit einer wirklich integrierten Verkehrs­planung könnte man sich einen dichten S‑Bahn-Takt auf der S8 nach Freiham (und Germering) sowie auf der S4 (Aubing) vorstellen, der durch ein Erschließungs­system aus Bus und Trambahn ergänzt wird. Die Trambahn würde dann Leute, die es weniger eilig haben, ohne Umsteigen nach Pasing und in die Innenstadt bringen. Da die Welt nicht ideal ist, bleibt zur Über­brückung der langen Planungs- und Bauzeit der U5 nur der jetzt auf den Weg gebrachte Schnellbus vom Neubau­gebiet Freiham über die Autobahn zur U‑Bahn-Station Westend­straße.

Foto 630*305 - U-Bahnen Münchner Freiheit

Die U5, aber auch existierende Äste wie die U3 nach Moosach, zeigen die Probleme, die entstehen, wenn man U‑Bahn will, aber Kosten sparen muss. Während früher Parallel­verkehr für eine neue U‑Bahn-Linie teils weiträumig weichen musste (um einen guten Kosten-Nutzen-Faktor zu erreichen, wurden Tramlinien stillgelegt) fährt nun, auch wegen der großen Stations­abstände, direkt über der U3 eine Express­busline. Schaut man sich die Station Moosach an, sieht man die kaum korrigierbaren Defizite bei der Ausstattung mit Aufstiegs­hilfen. Rolltreppen mit wechselnder Fahrtrichtung dürften für eine so wichtige Umsteige­station heutzutage eigentlich keine Option sein – gerade bei den dort teils über­durch­schnittlichen Höhen­unter­schieden. Hier gibt es viel Arbeit für PRO BAHN, um künftig zu besseren Lösungen im Sinne der Fahrgäste zu kommen.

Verkehrsnetze werden geplant – aber stückweise, zu unterschiedlichen Zeiten, von unterschiedlichen Planer- und Politiker­generationen, aufgrund von momentan vorhandenen, absehbaren Gegebenheiten und Vorlieben. Das Ergebnis ist letztlich nie ein völlig rational durch­geplantes Netz, sondern etwas mehr Evolutionäres, das auch die Historie der Stadt­entwicklung und die Historie von Planungs­grund­sätzen sichtbar macht. Wegen der beschleunigten Planung für 1972 und danach, hat München dabei noch Glück und ein halbwegs durch­geplantes Netz. München leidet aber auch beim Verkehr unter einem schnelleren Wachstum als andere Städte. Fehler der Vergangen­heit treten deutlich zu Tage (bei der Tram zum Beispiel ein eklatanter Mangel an Betriebs­höfen und Abstell­möglich­keiten).

Die schon angesprochene nicht ganz integrierte Planung, bei der die Stadt für Bus, Tram und U‑Bahn handelt, der Freistaat und der Bund aber für die S‑Bahn zuständig sind, führt dazu, dass das größte Problem des Münchner ÖPNV außerhalb städtischer Verantwortung liegt. Die S‑Bahn ist zu unzuverlässig, bleibt vom Fahrplan her hinter den Möglichkeiten und Notwendig­keiten zurück, und sorgt dafür, dass Ein- und Auspendler viel zu oft das Auto wählen. Weder U‑Bahn als S‑Bahn-Ersatz noch Mega-Parkhäuser an Autobahnen sind geeignet, dieses Problem zu lösen. Hier hilft nur mehr und bessere S‑Bahn-Planung – die Defizite setzen sich aus der Vergangenheit in die Gegenwart und die Zukunft fort. Die zweite Stammstrecke wird trotz mehr Kapazität wesentliche Probleme nicht lösen, und hat bei der S‑Bahn-Entwicklung anderthalb verlorene Jahrzehnte verursacht.

Edmund Lauterbach

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