Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post Juni 2024. Bearbeitungsstand: 20.5.2024 |
Quellen und weiterführende Dokumente
Wie tot ist die Verkehrswende?
Wer sich mit Themen rund um Bahn und öffentlichen Verkehr beschäftigt, wird häufig den Eindruck haben, dass es eher rückwärts als vorwärts geht. Während die Bundesregierung sagt, mehr in die Schiene zu investieren als in den Vorjahren, sehen sich die Kommunen am Tropf einer ÖPNV-Finanzierung, die nicht dem entspricht, was nötig wäre, damit mehr Menschen vom Auto in Bus und Bahn umsteigen. Wie ist die Lage also wirklich, und wie machen wir weiter?
Die annähernd weltweite Krisenlage hat natürlich zu Verschiebungen bei den Finanzen des Bundes geführt. Diese Verschiebungen haben direkt oder indirekt Auswirkungen auf die Deckung des finanziellen Bedarfs im gesamten öffentlichen Verkehr. Der Dauerstreit um die Finanzierung des Deutschlandtickets tut das seine dazu – auch bezüglich des in der Öffentlichkeit vermittelten Bildes. Die Krisenlage hat aber noch andere Effekte. So gibt es insbesondere in der Bundespolitik auch eine thematische Verschiebung. Der Umgang mit den Krisen kostet neben Geld auch Zeit und Energie vieler Politiker. Der relative Anteil von Verkehrsthemen auf der politischen Agenda wird geringer.
Das bedeutet, speziell im Bereich Bahninfrastruktur, nicht unbedingt, dass die absolut investierten Gelder weniger werden. Aber gemessen am Anspruch, mit dem die jetzige Regierung angetreten ist, gibt es einiges an Enttäuschung. Ob jetzt das Bundesverfassungsgericht schuld ist, weil es den Klima- und Transformationsfonds ausgebremst hat, oder ob dies durch falsches Vorgehen der Bundesregierung verursacht wurde, oder ob gar die Deutsche Bahn AG schuld ist, weil sie voreilig mit Verschieben von Planungen reagiert, oder ob dies unvermeidbar war, weil mit Bundesbilligung auch die angeblich gemeinwohlorientierte DB InfraGo den Gesetzen einer Aktiengesellschaft gehorchen muss – die Ursachen lassen sich nicht einfach rückgängig machen. Reparaturversuche scheitern oft schon am politischen Streit darüber, was wirklich wichtig ist.
Auf allen Ebenen – von der kleinen Verkehrsgesellschaft bis zur großen DB AG – sieht es so aus, als ob die Fortschritte, die sich vor und nach der Pandemiezeit zunächst abzeichneten, zumindest zum Stillstand kommen und in einzelnen Bereichen sogar in einen Abbau von Leistungen umschlagen. Und leider sieht es auch so aus, als ob man sich in der Politik, aber auch im Bereich von Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünden teilweise damit abgefunden hätte. Dass der Schwung von vor einigen Jahren weg ist, hat auch damit zu tun, dass zu viele Leute bereit sind, Erkenntnisse zu den notwendigen Prioritäten der Klimapolitik und der Verkehrswende einfach so wegzuwerfen.
Steht das Signal für die Verkehrswende noch auf freie Fahrt, wurde sie
bereits angehalten oder geht es nur eine Weile langsamer weiter, obwohl wir uns das
eigentlich nicht leisten können?
Wie kann das sein? Können wir uns wirklich leisten, auf den ÖPNV-Ausbau, auf bessere Infrastruktur für die Bahn, und damit am Ende auf die gesamte Verkehrswende zu verzichten? Im selben Atemzug werden ja nicht nur Maßnahmen im Verkehrsbereich, sondern der gesamte Klimaschutz infrage gestellt. Aber was nützt es, wenn wir vielleicht die Ukraine retten, die Bundeswehr so aufrüsten, dass wir sicherer gegen Russland sind, wenn am Ende der Klimawandel ganze Landstriche so beschädigt, dass ein Leben, wie wir es kennen, für die nächsten Generationen unvorstellbar wird? Ein Verzicht auf die Verkehrswende bedeutet auch, dass der Autoverkehr noch schneller zunimmt, die Lebensqualität der Städte zerstört, und volkswirtschaftliche Kosten erzeugt, die diejenigen von Bahn- und ÖPNV-Ausbau übersteigen.
Dass Geld nur einmal da ist, ist klar. Und dass die Politik auf Kriege in Europa und in Nahost oder auf das Verhalten Chinas reagieren muss, soll hier nicht negiert werden. Der Appell zur Verkehrswende lautet aber: Trotzdem weitermachen. Geld ist zwar nicht alles, aber der Druck auf die Politik für nachhaltige Finanzierung des öffentlichen Verkehrs muss bestehen bleiben und ausgebaut werden. Die Strukturen im gesamten Bahn- und ÖPNV-Bereich (und darüber hinaus in der öffentlichen Verwaltung) erlauben aber sicher auch interne Effizienzgewinne. Oder hat jemand den Eindruck, dass dort wirklich gut gewirtschaftet wird? Oder dass die Fehler, die nun mal auch dort gemacht werden, irgendwann weniger geworden sind? Optimiert wurde allerdings der Versuch, mit immer mehr Marketing eigene Mängel zu überdecken.
In der Realität werden trotz aller Beschleunigungsgesetze zum Beispiel Planungsverfahren immer länger. Statt sofort nach der – sicherlich nicht unschuldigen – Politik zu rufen, sollten sich die Unternehmen auch mal an die eigene Nase fassen. Auch wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Prozesse künftig entschlackt werden, heißt das noch lange nicht, dass die Planungsapparate bei DB und anderswo wirklich effizient arbeiten. Viele Vorschriften, die bei der Bahn die Planungen aber auch die Verkehrsdurchführung manchmal schwergängig machen, stammen aus Regelwerken, die vom DB-Konzern selber oder unter seiner Mitwirkung verfasst wurden. Das geschah vielleicht in besseren Zeiten und mit guten Absichten – eine realistische Abschätzung der Folgen solcher Regeln ist aber dem ganzen Sektor fremd. Dagegen ist das Festhalten an Überkommenen – wie die ganzen Mehrfachstrukturen zwischen Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen im ÖPNV oder in unzähligen Tochterfirmen der DB – eine durchaus verbreitete Unsitte.
Verkehrswende sollte also neben "mehr Geld" auch eine Reform von innen bedeuten. Vielleicht ist das etwas, was die Bahn- und ÖPNV-Branche bisher nicht richtig gelernt hat. Dabei hilft oft ein Blick über den eigenen Tellerrand – schauen, wo es besser läuft, egal ob es der Landkreis nebenan oder die Bahnaufsicht im Nachbarland ist. Fest steht: Die Verkehrswende muss fortgesetzt werden. Sie ist ein unabdingbarer Bestandteil bei der Eindämmung des Klimawandels. Ein Laissez-faire können wir uns in diesen Fragen schlicht nicht leisten. Und was wir uns daher auch nicht leisten können, ist Resignation. Nicht verzweifeln angesichts der Lage, nicht von Rückschlägen ausbremsen lassen, sondern immer weiter einen Schritt vor den anderen setzen. Das gilt für den Mitarbeiter im Verkehrsministerium wie für den Manager, für den Verkehrsplaner ebenso, wie für alle, die sich ehrenamtlich für die Verkehrswende engagieren.
Edmund Lauterbach
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Zitat (VDV-Präsident Ingo Wortmann): "Wie in einem Zeitraffer hat sich die Lage für die Verkehrsunternehmen und -verbünde verändert: Während vor noch wenigen Jahren alles auf Angebotsausbau, massiven Investitionen und finanzieller Unterstützung seitens der Bundes- und Landespolitik stand, um Klimaschutzziele zu erreichen und drängende verkehrliche, städtebauliche und gesundheitsgefährdende Herausforderungen im Land anzugehen, geht es nun vielerorts nur noch darum, das Angebot aufrechtzuerhalten und am Gütertransportmarkt zu bestehen. Finanzen, Personal, Bürokratie – viele Fragen sind unbeantwortet. Die Trassenpreise für die Güterbahnen sind indiskutabel, die Elektrifizierung des Netzes stockt, der Ausbau- und Modernisierungspakt des ÖPNV liegt brach. Doch wir können als Branche die Herausforderungen nur gemeinsam meistern – müssen uns unterhaken."
Zitat: "Trotz angespannter Haushaltslage haben wir es geschafft, bei der Schiene nicht zu sparen. Und nicht nur das: Sie bekommt sogar zusätzliche Mittel. Rund 30 Mrd. Euro fließen nach aktuellem Stand in den kommenden Jahren zusätzlich in die deutsche Schieneninfrastruktur. Das ist schon ein großer Teil dessen, was die Deutsche Bahn für die nächsten Jahre als Mehrbedarf von 45 Mrd. Euro errechnet hat. Diese Mittel haben wir in Rekordzeit eingeworben. Auch in Zukunft bleiben wir dran und werden uns in den laufenden Haushaltsverhandlungen für die Schiene einsetzen und den Investitionsrückstau weiter abbauen. So können wir langfristig Sicherheit bieten, damit die Baubranche ihre Kapazitäten hochfahren kann. Mit den zusätzlichen rund 30 Mrd. Euro und den ohnehin eingeplanten 42 Mrd. Euro fließen in Summe mehr als 70 Mrd. Euro in ein nie dagewesenes Konjunkturprogramm."
© Edmund Lauterbach – 21.5.2024 /
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