Extremes Berlin

***** Hoffmann des Jahres 2007 *****

www.komischeoper.de



Besuchte Vorstellung: 24. April 2007





Die Komische Oper Berlin

Regie


Thilo Reinhardt

Dirigent


Kimbo Ishii-Eto

Bühnenbild


Paul Zoller

Kostüme


Katharina Gault

Version


Oeser

Sprache


Deutsch




Hoffmann


Timothy Richards

Muse


Stella Doufexis

Olympia


Cornelia Götz

Antonia


Sinéad Mulhern

Giulietta


Katharina Gumos

Widersacher


Peteris Eglitis








Persönliche Vorbemerkung

Nachdem ich jahrzehntelang keinen »Hoffmann« mehr auf einer Bühne gesehen hatte wegen zweier Reinfälle, einmal in Regensburg, und einmal an der English National Opera in London, beide in den 80er Jahren, sowie einer weitgehend lieblosen Inszenierung der Wiener Staatsoper, die im Fernsehen übertragen wurde, bildete der »Hoffmann« an der Komischen Oper den Auftakt zu vielen Besuchen in ganz Europa. Inzwischen hatte sich ja das von Walter Felsenstein und Harry Kupfer initiierte Regietheater flächendeckend durchgesetzt, und Opernaufführungen hatten eine neue Qualität gewonnen.

Der Auftakt fand am 24. April in der Komischen Oper in Berlin, im ehemaligen Osten, statt, wo ich schon 1987 eine bemerkenswerte Aufführung gesehen hatte. »Hoffmanns Erzählungen« war damals als konzertante Aufführung ohne Gesang, dafür aber von Anfang bis Ende als Balett, gegeben worden. Hochinteressant, mit Jutta Deutschland, die alle wichtigen Frauenrollen, also Stella, Olympia, Antonia und Giulietta souverän tanzte. Nun war ich nach zwanzig Jahren wieder im gleichen Opernhaus wegen der gleichen Oper, diesmal aber in einer konventionellen Aufführung mit ganz besonderen Akzenten.

Um das unmittelbare Verstehen der Vorgänge zu ermöglichen, spielen wir an der Komischen Oper Berlin alle Werke in deutscher Sprache. Damit stellen wir uns bewusst gegen eine zunehmend austauschbare Opernpraxis des internationalen Opern-Jetsets und fördern darüber hinaus die Entwicklung von Sängern mit hoher darstellerischer Qualität.“

Unter dem neuen Intendanten Barrie Kosky wurde diese Tradition inzwischen beendet.


Die Komische Oper liegt im ehemaligen Osten Berlins und ist ein Neubau; schräg gegenüber dem Eingang liegt die Vertretung des Freistaates Bayern, in der gerade ein Empfang stattfand, mit Weißwürsten und Weißbier, was denn sonst. Ich fragte, ob ich als quasi-Finanzier dieser Vertretung auch ein Paar Weißwürste bekäme. Nix da. Die Berliner an der Komischen Oper gegenüber waren da viel freundlicher. Es gab eine qualifizierte Einführung in die Oper. Viele der Besucher waren aus dem Osten der Hauptstadt, wo ich mich schon immer wohler gefühlt habe als im Westen. Ich führte interessante Gespräche mit ihnen.

Dieser Hoffmann war der dritte nach dem Krieg an der Komischen Oper, nach Walter Felsensteins bemerkenswerter Inszenierung und der getanzten Version von 1987, die ich mit einer Ost-Berliner Bekannten besucht hatte.



Fazit Berlin:

Ein furioser Auftakt in einer modernen Inszenierung. Viele Regisseure haben versucht, diese Oper in unsere Zeit zu verlegen. Nur bei wenigen Versuchen kam etwas Brauchbares heraus. Den gelungensten Versuch, diese Oper in unsere Zeit zu verlegen, unternahm wohl Thilo Reinhardt. Ohne den Charakter einer fantastischen Oper verloren gehen zu lassen, zeigte er, wie aktuell doch die in den »Contes« angesprochenen menschlichen Probleme sind. Alles schon mal dagewesen, aber immer noch verständlich und nachvollziehbar.

Die Inszenierung war straff und aus einem Guss, ohne igendwelche werksfremde Bizarrerien, in die so viele Regisseure glauben sich flüchten zu müssen. Konsequent und überzeugend zog Thilo Reinhardt sein Konzept durch.

In den Frauenrollen wurde hervorragend gesungen. Nur Timothy Richards hatte nicht seinen besten Tag.



Muse und Hoffmann


Um es gleich vorweg zu nehmen, Berlin wäre nicht Berlin, wenn es nicht eine extreme und plakative Interpretation dieser „fantastischen Oper" geboten hätte. Das klassizistische Opernhaus war gut gefüllt mit nur einzelnen freien Plätzen. Der Auftakt in Lutters Keller kam furios und knapp mit ausgezeichnetem und dynamischem Gesang des Chores. Sinnvollerweise hatte der Regisseur das Vorspiel auf das Wesentliche gekürzt. Das Bühnenbild war modern, und die Herrschaften waren im Stil der sechziger Jahre gekleidet. Eine Reihe moderner Lampen, deren Farbe sich verändern ließ, waren das wesentliche Merkmal einer eher nüchternen Bühnenausstattung.


Hoffmann war ein unauffälliger, drahtiger Typ, etwas blass, in mittlerem Alter, der den versoffenen Dichter und dessen Alkoholismus gut herüberbrachte. Nur etwas seltsam war, dass er im Akt mit Olympia und Antonia ganz anders aussah und sang als in den anderen Aufzügen, so dass einige meinten, es seien zwei verschiedene Sänger auf der Bühne gewesen. Niklaus, Hoffmanns Muse und Schutzengel oder Über-Ich (Stella Doufexis), sang und agierte dynamisch und überzeugend.


Olympia


Dann kam der erste Akt, mit Olympia, der automatischen Puppe. Was für ein obszönes Wesen! Olympia (Cornelia Götz) war platinblond mit hochtoupierten Haaren, trug enge, schwarze Stiefel bis zum Knie mit sehr hohen Pfennigabsätzen, Hotpants aus weißem Leder, einen neckischen Pelzmantel und, Skandal, Skandal, in ihrem Schritt einen tiefroten Schlitz in ihren weißen Hot-pants. Eine echte Lebedame also, die einen an Rosemarie Nitribitt, die Edel-Kurtisane aus der verklemmt-korrupten Adenauer-Zeit denken ließ. Sie bewegte sich aufreizend lasziv, tanzte um eine senkrechte Stange wie eine Tänzerin aus dem Tabledance-Schuppen, und ließ so langsam ihren Pelzmantel über die Schulter hinabgleiten.


Kein Wunder, dass Hoffmann hin und weg war von diesem Anblick. Unglaublich die kontrastive Wirkung, als dieses obszöne, bis dahin stumme Wesen plötzlich seine lasziv-provokanten Bewegungen einstellte und mit einem brillianten Koloratur-Sopran zur Arie loslegte. Gesteuert wurde sie von einer Art Computer über Infrarot. Wer dachte nicht an Bill Gates' ennervierende Betriebssysteme, wenn Olympia in ihrem Auftritt immer mal wieder der Atem ausging und sie erst wieder in Gang kam, wenn der Computer-Operator auf seinen Steuer-Apparat einschlug. Also schon gleich ein furioser Auftakt, einer Hauptstadt würdig, die nie ein Mittelmaß kannte.



Wer meinte, der Regisseur habe sein Pulver nun verschossen, irrte gewaltig. Der zweite Akt mit Antonia gilt Freunden dieser Oper als der musikalisch schönste mit seinen tiefsinnig-sensiblen Weisen. Doch wie erschien die Berliner Antonia (Sinead Mulhern)? Als karrieregeiles Girlie, eine Lolita im Baby-Doll, die nicht auf ihren verzweifelnden Vater und den Geliebten Hoffmann hört, sondern auf den Event-Manager Doktor Mirakel, der sie vorsätzlich in den Tod treibt. Auch hier wieder der seltsame Kontrast, als dieses leichtsinnige Girlie im Baby-Doll zu den empfindsamen Melodien Jacques Offenbachs anhob und dabei eine bemerkenswerte Stimmkultur an den Tag legte. Ein netter Regie-Gag in der sonst eher nüchternen Inszenierung waren Antonias Fans, die plötzlich ihre Hälse aus den Proszeniums-Logen reckten, um Antonias Gesang zu lauschen.

In diesem Akt hörte ich zum ersten Mal die Geigenarie, die ja so häufig gestrichen wird. Sie wurde fortan zu meiner Lieblings-Solo-Arie.


Hoffman mit Wdersacher


Im dritten Akt im venezianischen Bordell leuchteten die Lampen nun rot. Giulietta (Karolina Gumos) war eine fiese Nutte mit Medusen-Haar, die Hoffmann knallhart abservierte. Der Gesang wiederum hervorragend. Dem Regisseur fielen wieder ein paar nette Gags ein: zum Beispiel der weißhaarige Pianospieler, der an einem richtigen Klavier auf der Bühne die wohlbekannten Takte des Gondelliedes spielte. Es fehlte nur noch, dass jemand dem Mann am Klavier ein Bier gebracht hätte.


Stella (Leonie Abbassi) trat als elegante italienische Sängerin auf, die sich angewidert von dem total besoffenen Hoffmann abwandte. Sie sprach originales Italienisch und beschimpfte den Dichter als „idiota".


Das Berliner Publikum gab sich eher reserviert und klatschte nur kurz und höflich nach den Standard-Arien, ging aber beim Schluss-Applaus voll aus sich heraus. Es gab eine Reihe verdienter Bravo-Rufe. Der Gesang der Frauen war durchgehend auf höchstem Niveau. Jaja, die Hauptstadt.



Im Gästebuch der Freunde der Komischen Oper, das ich in der Pause durchblätterte, hatte jemand geschrieben, dass man diese Oper nicht schlechter hätte inszenieren können. Ich fand das überhaupt nicht. Ich war durchaus angeregt von der straffen Inszenierung aus einem Guss, der Qualität des Gesangs und der guten Leistung des Orchesters. Die Interpretation war natürlich schon extrem, aber eigenständig und kreativ und im Rahmen dessen, wie man diese Oper verstehen kann. Der Schauspiel-Regisseur Klaus Peymann - selbst kein Spießer - meinte einmal, dass jeder Regisseur das Recht habe, alte Stoffe zeitgemäß zu interpretieren, da sich ja auch die Erlebniswelten der Menschen geändert hätten. Der Berliner Opernregisseur Thilo Reinhardt hatte dieses Recht voll ausgereizt.


In der Kantine der Komischen Oper. Im Normalfall darf man in der Komischen Oper nach der Vorstellung in die Kantine, wenn man seine Eintrittskarte vorzeigt.


Ach ja, in der deutschen Hauptstadt wurde deutsch gesungen, was eine Tradition an der Komischen Oper ist. Zwar ist die Oper in Frankreich entstanden, das Libretto war auf Französisch geschrieben, doch E.T.A. Hoffmann war Deutscher aus Königsberg, die Oper spielt weitgehend in Deutschland (Vor- und Nachspiel in Berlin, Antonia-Akt in München), der Komponist wurde in Köln geboren. Also, da darf man schon auf Deutsch singen, finde ich. In Bremen und Hannover sowie in Wien, Hamburg und Kassel sang man werk- und Karajan-getreu auf Französisch. Deutsch gab es dort nur in den Übertiteln, die dauernd von der Bühne und den Sängern ablenkten.


Neben mir saßen zwei Italienerinnen, die per Bus aus Milano angereist waren. Ich fragte sie in meinem besten Italienisch: „A piaciuta l'opera?" - "Moltissimo", war die spontane Antwort. Und das aus der Stadt der Scala! Ich konnte ihnen nur zustimmen.


Die Veröffentlichung der auf dieser Seite verwendeten Fotografien erfolgt mit den ausdrücklichen Genehmigungen der Komischen Oper, Berlin [www.komische-oper-berlin.de] & des Fotografen Thomas Aurin [www.thomas-aurin.de], bei welchen sämtliche Rechte für die Nutzung der Bilder liegen. Vielen Dank für die freundliche Kooperation!


Persönliche Nachbemerkung: Nachdem ich erst Ende des Jahres von Marcus Ebeling dazu angeregt wurde, meine Hoffmann-Besuche auf seiner Homepage www.jacques-offenbach.de (inzwischen leider geschlossen) zu veröffentlichen, hatte ich in den ersten von mir besuchten Aufführungen keine Notizen gemacht und musste aus dem Gedächtnis schreiben. Die ersten Besprechungen sind daher knapper als die späteren.






Startseite o weiter nach Bremen