Bremen – eine Ausstattungsorgie



www.theater-bremen.de



Besuchte Vorstellung: 25. 4. 2007





Regie und Ausstattung


Andrej Woron

Dirigent


Florian Ludwig

Version


Kaye - Keck




Hoffmann


Mihai Zamfir

Muse


Sybille Specht

Olympia


Ingrid Frøseth

Antonia


Jennifer Bird

Giulietta


Dunja Simic

Widersacher


Ivan Dimtrov







Fazit Bremen: Sprung von Berlin nach Bremen und ins Rokoko. Ein hübsches, etwas kleineres Theater, ziemlich voll besetzt. Die Vorstellung sollte die letzte sein, aber auf Grund des großen Publikumsinteresses hatte man ein paar Tage später, am 1. Mai, doch noch eine allerletzte angesetzt. Ich sah also die vorletzte und verpasste so wohl den wehmütigen Sonderapplaus einer Dernière. Bremens Theater am Goetheplatz bot eine werkgetreue Inszenierung mit einem opulenten Bühnenbild, das der Zeit der Entstehung von E.T.A. Hoffmanns absonderlichen Erzählungen Rechnung trug. Thermometer, Hygrometer, Barometer und Chronometer waren damals der neueste Schrei in der Physik. Das Bühnenbild war eine Abfolge der wunderlichsten und bizarrsten Gags, die man sich vorstellen kann. Die Werkstatt des Theaters und die Schneiderei müssen wochenlang zu Gange gewesen sein. Ein Beschäftigungs-programm in Deutschlands höchstverschuldetem Teilstaat?


Hoffmann


Antonia


Lutters Keller war eine echte Kneipe. Leider fühlten sich Dramaturgie und Regie genötigt, das Vorspiel in fast vollem Umfang zu präsentieren, so dass sich einige Längen ergaben. Andererseits hört man bei einer solchen Gelegenheit durchaus hübsche Musik, die sonst weggekürzt zu werden pflegt. Das Vorspiel begann gleich mit einem Gag, den ich noch nie gesehen hatte: Eine hübsche Frau mit nichts an außer einem hauchdünnen, engen und ziemlich durchsichtigen Body kletterte aus dem Souffleurkasten und kleidete sich langsam als Niklaus. Ein Paar weißer Flügel wiesen sie als Schutzengel des liederlichen Dichters aus.


Als Hoffmann zu singen begann, traute ich kaum meinen Augen. Ich hätte ihn nicht als den Sänger der Titelrolle identifiziert, als er die Bühne betrat. Ein Herr an die fünfzig, bebrillt, mit spärlichem Haar, rundem Gesicht und dem Aussehen eines Sachbearbeiters in den Stadtwerken, der gerne mal einen trinkt und gut zu essen versteht. Er war als einziger modern gekleidet, wobei seine Hose einen deutlichen Bauch umspannte.


Die moderne Kleidung sollte ihn wohl als Gast in den fantastischen Erzählungen herausstellen. Der Rest des Ensembles war zeitgemäß nach E.T.A. Hoffmann gekleidet. Die Titelfigur sang ein Rumäne, seit langem am Bremer Theater, der auf den musikalisch besetzten Namen Zamfir hört. Sein Hoffmann war eher ein kleinbürgerlicher Lebemann, aber nicht der genialische Säufer, als den man ihn kennt. Stimmlich hat er mich nicht ganz überzeugt. Er knödelte sich so durch die Aufführung, steigerte sich aber zum Schluss.


Die arme Olympia musste lange regungslos in einer winzigen Pyramide aus rotem Stoff über der Bühne schweben, bevor man sie herunterließ und aus ihrem Gefängnis befreite. Die Bremer Olympia - Ingrid Frøseth - war ganz brav, fast zu nett, und die Maske hatte ihr eine Vollglatze verpasst, so dass sie wie eine Porzellanpuppe wirkte, der die Perücke abhanden gekommen war. Olympia war lebhaft, von erstaunlicher Behendigkeit und präsentierte ihre Arie mit stimmlicher und darstellerischer Bravour. Was mir an ihr auffiel: Sie nahm dauernd Augenkontakt mit dem Publikum auf. Dasselbe war angetan und zeigte seine Freude über diesen gelungenen Auftritt ...


Im Antonia-Akt hing der Bremer Himmel voller Geigen, jedenfalls was die Ausstattung anging. Nicht nur Geigen, auch Bratschen, Celli und Kontrabässe hingen herab, wohl an die hundert Stück, die meisten allerdings nicht echt. Schließlich ist ja Antonias Vater Krespel Geigenbauer, der offensichtlich alle seine Instrumente mit nach München genommen hatte. Antonia wurde von einer schmalen jungen Frau ganz unprätentiös repräsentiert. Sie überzeugte mit stimmlicher Tiefe, intensiver Sinnlichkeit und sensibler Darstellung der fragilen Antonia. Sie war sängerisch wohl die beste Frau am Platz, wobei auch die Interpretin des Niklaus ihr stimmlich gleichkam. Die Bremer Antonia saß in einem fahrbaren Metallgestell, das wohl ihre gesundheitliche Zerbrechlichkeit symbolisieren sollte. Dabei zitierte die Bremer Ausstattung eine – bei einigen Hoffmann-Fans umstrittenen - Inszenierung an der Oper von Lyon »Des Contes d´Hoffmann«, in der die legendäre Natalie Dessay als Olympia in einem ähnlichen Fahrgestell hereingebracht worden war. ( http://www.youtube.com/watch?v=EyJm4UBRDxo )

Wieder ein schöner Gag, als Antonias feenhafte Mutter erschien: Auf der Bühne öffnete sich eine zweite Bühne, auf der die Zuschauer den Auftritt von Mutter und Tochter bewunderten. Dabei zitierte sich das Bremer Theater selbst, denn die Fassade der Bühne, auf der Mutter und Tochter auftraten, stellte eine verkleinerte Fassade des realen Bremer Theaters am Goetheplatz dar. Doch leider hing der Himmel für Antonia und Hoffmann nur symbolisch voller Geigen, und die Tragik nahm ihren Lauf.


Giulietta und Pitichinaccio


Der dritte Akt begann wieder ganz opulent. Venezianische Gondeln zogen über die Bühne, die Akteure waren stilgerecht gekleidet und fröhlich. Doch fehlte dem Akt die Verderbtheit eines Bordells, in dem ja Hoffmann um sein Spiegelbild, also sein zweites Ich, wenn man so will, gebracht wird. Auch Giulietta war zu brav. Man nahm ihr die Nutte nicht ab. Die anderen Kurtisanen trugen Playboy-Häschen-Kostüme, die Gäste tanzten in Masken, alles also richtig üppig und lebenslustig, aber etwas harmlos.


Zum Schluss wieder Lutters Keller. Die Kellner trugen die gleichen Kostüme wie die echten Kellner in der Theaterbar, die dort einen leider nicht allzu aufregenden Sekt kredenzten. Seltsamerweise kam Stellas Verachtung für den besoffenen Hoffmann kaum zur Wirkung.


Das Bremer Publikum scheint sein Theater zu lieben. Es ging gut mit, klatschte lebhaft an den richtigen Stellen, und alle Beteiligten bekamen ihren verdienten, lang anhaltenden Applaus. Zamfir als Hoffmann hatte sich während der Aufführung spürbar gesteigert.

Das war nun also der zweite Abend meiner Hoffmann-Triade. Nach der modern-grellen Inszenierung an der Komischen Oper Berlin nun ein üppig ausgestatteter »Hoffmann« in einem modernen Theater, das nach den Zerstörungen des zweiten Weltkriegs neu gestaltet worden war. Mit meinen Bremer Freunden gab es nach dieser hübschen und lebhaften Vorstellung viel zu diskutieren. Am nächsten Abend sollte es weiter gehen nach Hannover.

Die Veröffentlichung der auf dieser Seite verwendeten Fotographien erfolgt mit den ausdrücklichen Genehmigungen des Theaters am Goetheplatz, Bremen [www.theater-bremen.de] & des Fotographen Jörg Landsberg [www.joerg-landsberg.de], bei welchen sämtliche Rechte für die Nutzung der Bilder liegen. Vielen Dank für die freundliche Kooperation!


Persönliche Nachbemerkung: Nachdem ich erst Ende des Jahres von Marcus Ebeling dazu angeregt wurde, meine Hoffmann-Besuche auf seiner Homepage www.jacques-offenbach.de (inzwischen leider geschlossen) zu veröffentlichen, hatte ich in den ersten von mir besuchten Aufführungen keine Notizen gemacht und musste aus dem Gedächtnis schreiben. Die ersten Besprechungen sind daher knapper als die späteren.



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