Materialschlacht an der Alster

www.staatsoper-hamburg.de



Besuchte Vorstellung: 14. Oktober 2007 (Premiere)





Die Staatsoper Hamburg © Andreas Praefcke/Wikipedia

Regie


Christine Mielitz

Dirigent


Emanuel Plasson

Bühnenbild


Helmut Schörghofer

Kostüme


Renate Schmitzer

Version


Keck-Kaye




Hoffmann


Giuseppe Filianoti

Muse


Nino Surguladze

Olympia, Antonia,

Giulietta, Stella


Elena Mosuc

Widersacher


Kyle Ketelsen















Fazit Hamburg: Von der Dramaturgie her boten die Hamburger mit ihrer Wagner-Regisseurin Christine Mielitz eine konventionelle Aufführung ohne interpretatorische Experimente, dagegen mit einer Reihe witziger Gags. Vorspiel, alles wie gehabt, und musikalisch wie gesanglich auf hohem Niveau. Präzise und straffe Musik, obwohl der Kritiker des Bremer Weserkuriers ein paar Schwächen gehört haben wollte, die aber bei einer Premiere schon mal vorkommen dürfen. Und dass der Chor und das Orchester im Olympia-Akt nicht immer hundertprozentig im gleichen Takt sangen und spielten, das kommt in den besten Häusern vor, besonders bei der schmissigen Musik Offenbachs. In Hamburg sah ich zum ersten Mal einen »Hoffmann«, in dem eine einzige Sängerin alle großen Sopranrollen interpretierte.


An der Hamburger Staatsoper wird nicht gekleckert, sondern geklotzt, verstanden? Die erste Überraschung erlebte ich am Schalter, als ich meine bestellte Eintrittskarte abholte. Der Mann vor mir konnte sich noch auswählen, wo er sitzen wollte. Die Premiere mit der rumänischen Starsängerin Elena Mosuc war nicht ausverkauft. Unglaublich! Und das im „Tor zur Welt" (Eigendarstellung Hamburgs) mit gut 1,7 Millionen Einwohnern. Welche Toren! Dabei waren selbst die Premierenpreise moderat. Für meinen ausgezeichneten Platz im 3. Rang hatte ich 41 Euro bezahlt. Als einzig mögliche Erklärung dafür kann man sich denken, dass man nur acht Jahre zuvor einen in mehrerer Hinsicht aufsehenerregenden Hoffmann inszeniert hatte und das Publikum nicht schon wieder bereit für eine Neuinszenierung war.


Die Hamburger Staatsoper (obwohl Hamburg gar kein Staat ist, sondern irgendwie bis vor 350 Jahren eine Hansestadt war) ist das beste Theater, in dem ich bis dahin war. Schon das Foyer ist wunderschön. Alles ist praktisch und zweckmäßig. Von allen Plätzen hat man ungehinderte Sicht auf die Bühne, und die Akustik ist ausgezeichnet. Traditionelle Theater mögen zwar ihren Charme haben, doch in den neuen sitzt, sieht und hört man besser. Auffallend die Lücken im Parkett, die Garderoben der Damen und die schrägen Typen im Publikum. Die Reeperbahn ist wohl nicht allzu weit weg. Dazu später mehr. Auch der ehemalige Bürgermeister von Hamburg, Klaus von Dohnanyi, war im Publikum.



Das Vorspiel in Lutters Keller wurde, wie auch sonst jeder Akt, mit einem gelungenen optischen Lichtspiel auf einem Gazevorhang eingeleitet. Die Choreographie der Sänger von Hoffmanns Saufkumpanen war einfallsreich und einfach perfekt. Dass einige Paare zur Trinkmusik Twist tanzten, fand ein Kritiker unpassend. Warum sollen denn die das nicht tun? Lutters Keller wurde zur Szene-Bar „La Diva".


Hoffmann und Niklaus


Im Olympia-Akt wurde der Spalanzani wieder mal als fuchteliger Einstein interpretiert, unterstützt von einem wuseligen Cochenille, der eine Mischung aus Elvis Presley, Gary Glitter und Michael Jackson verkörperte. Etwas viel Lametta. Der Brillenhändler Coppelius erinnerte mich an einen Dealer. Die Olympia war eine üppigste Kombination aus Marilyn und Lolita, aufreizend lasziv und geil. Sie war in ein bonbonfarbenes Pink gekleidet und sang ihre Arie teilweise auf dem Bauch liegend, wobei sie auch noch neckisch mit den Waden wedelte. Es war schon phänomenal, was der Weltstar Elena Mosuc an diesem Abend in allen vier Rollen leistete. Selbst in den höchsten Höhen der Koloraturarie blieb ihre Stimme glasklar. Ihr Busen war ja ohnehin schon riesig ausgestopft. Als sie dann rollengemäß schwächelte, trat Cochenille von hinten an sie heran und blies mit Hilfe eines Gummischlauches ihren Busen noch weiter auf, worauf die Arie weitergehen konnte. »She is so pneumatic«, hätte Aldous Huxley (»Brave New World«) kommentiert. Zum Schluss dann mutierte Olympia zu einer riesigen Gummi-Sex-Puppe, zwischen deren Beinen sich der hilfose Hoffmann zu verlustieren suchte, während Elena Mosuc aus den Kulissen sang. Hier wollte sich wohl eine RegisseurIn über den Sex-Wahn der Männer lustig machen. Etwas grell war dieser Akt schon, aber noch relativ mild gegen das, was ich in Berlin gesehen hatte.


Hoffmann


Der Hoffmann wurde gegeben von einem bekannten italienischen Sänger, Giuseppe Filianoti, gutaussehend und begabt, der eine wunderschön weiche, volle und lyrische Stimme hat. Er wurde von einem Niklaus Typ effiziente Chefsekretärin begleitet, dessen Rolle aber von der ganzen Anlage her wesentlich eingeschränkter war als die des Kasseler Niklaus, obwohl auch in Hamburg die Kaye-Keck-Version gegeben wurde. Schon im Antonia-Akt machte sich Niklaus rar, im Giulietta-Akt fehlte er dann völlig, was schade ist, denn Niklaus (Nino Surguladze) hatte eine wunderschön weiche und volle Stimme und sah attraktiv aus. Das führte zu einer merkwürdigen Situation: Da Niklaus zusammen mit Giulietta die Barkarole singen muss, tat das Nino Surguladze von der Seite der Bühne, ohne dass sie sonst in diesem Akt eine größere Rolle spielte. Im Hamburger Giulietta-Akt hörte ich mal wieder das Sextett mit den Hauptpersonen dieses Aktes, das manchmal weggelassen wird, weil seine Herkunft bis heute unklar ist. Experten sagen, dass es 1908 von Andreas Bloch für Monaco komponiert wurde. Es ist schön und beeindruckend anzuhören.


Mirakel und Antonia


Es war schwer, in der Hamburger Aufführung stimmliche und dramaturgische Schwächen zu finden. Allerdings war sie vom Konzept her nicht besonders einfallsreich und etwas oberflächlich. Die Perfektion in fast allem ließ vielleicht das Mitleid für das Schicksal des armen Hoffmann gar nicht erst aufkommen. Nicht besonders einfallsreich fand ich das Bühnenbild. Alle drei Frauenfiguren wurden in einem Kubus präsentiert. Olympia im größten, Antonia im kleinsten. Gut jedenfalls, dass auch in Hamburg keine Gondel über die Bühne wackelte. Der Applaus nach dem Vorhang war spontan und riesig, wobei natürlich Elena Mosuc den größten Teil abgriff. Er dauerte über zehn Minuten und war voll berechtigt.


Die Premierenfeier fand im oberen Foyer statt, damit sich das Publikum auch präsentieren konnte. Ich fragte mich, was teurer war: die gesammelten Kosten für die Garderoben der Hamburger Damen oder die der gesamten Inszenierung. Bemerkenswert auch einige Typen, die dem Umfeld der Reeperbahn zu entstammen schienen. Zahlreiche schwule Paare und bizarre Einzeltypen, wie ein zaundürrer Kerl, der seine Pseudo-Schottenmütze - vermutlich aus der Karnevalsabteilung eines Kaufhauses - nie abnahm und seinen Anzug mit irgendwelchen Faschingsorden und Aids-Schleifen geschmückt hatte. Kerle in Jeans und T-Shirt neben Damen, die mit ihrer Garderobe auch am Grünen Hügel Aufsehen erregen könnten. Direkt am Eingang zum Foyer parkte ein Maybach.

Die Veröffentlichung der auf dieser Seite verwendeten Fotographien erfolgt mit den ausdrücklichen Genehmigungen des Staatsoper Hamburg [www.staatsoper-hamburg.de] & des Fotographen Klaus Lefebvre [www.lefebvre.de], bei welchen sämtliche Rechte für die Nutzung der Bilder liegen. Vielen Dank für die freundliche Kooperation!








Startseite o weiter nach Detmold