Kassler Sahneschnittchen

www.staatstheater-kassel.de



Besuchte Vorstellung: 13. Oktober 2007





Das Staatstheater Kassel © Olaf Kosinsky/Wikipedia

Regie


Gabriele Rech

Dirigent


Patrick Ringborg

Ausstattung


Nicola Reichert

Version


Kaye-Keck




Hoffmann


Erin Caves

Muse


Monika Walerowicz

Olympia


Ingrid Frøseth

Antonia


Marion Costa

Giulietta


Nicole Chevalier

Widersacher


Stefan Adam







Fazit Kassel: Die beiden Glanzpunkte der Aufführung waren die Muse sowie die Dramaturgie (Ursula Benzing) und Regie. Neugefundene Elemente der Oper waren eingebaut worden, was einige Arbeit macht. So hörte ich in Kassel eine Reihe Musikpassagen, die ich bisher nicht kannte. Keine neuen großen Arien, aber ein paar hübsche Melodien. Auch die Regisseurin Gabriele Rech versteht ihr Handwerk ganz ausgezeichnet. Auffallend war von Anfang an die konsequente Schaupielerführung. Da standen keine Sänger und Statisten unmotiviert und hilflos auf der Bühne rum. Jeder tat irgendetwas, das gerade zu seiner Rolle passte. Das war bei dem Regiekonzept nicht ganz einfach, bei dem sich alle drei großen Frauenfiguren permanent im Gesichtsfeld befanden.

Das Kasseler Theater hat eine gute Akustik, wozu auch der breite Orchestergraben beiträgt, der die Musik räumlich erklingen lässt. Das Orchester schwächelte anfangs etwas bei den Einsätzen, fing sich aber dann und spielte dynamisch und einfühlsam. Irgendwie gaben mir einige der Akteure den Eindruck, dass am Abend vorher am Staatstheater in Kassel eine größere Party stattgefunden haben musste.

Insgesamt war die Kasseler Aufführung die bisher interessanteste und mutigste, was Neuinterpretation angeht.


Hoffmann und Muse


Nach der Sommerpause und intensiven Internet-Recherchen zeichnete sich eine weitere »Hoffmann«-Serie im Oktober ab. Hilfreich war dabei die Homepage des Schott-Verlages und Rechteinhabers der Kaye-Keck-Version, auf der Hinweise auf Ort und Zeit von »Hoffmann«-Inszenierungen zu finden sind. Ich wurde von einem opernkundigen Bekannten begleitet, der mir allerlei kluge Hinweise auf Details der Aufführungen gab. Kassel am 13., Hamburg (Premiere) am 14. und Detmold am 17. Oktober.

Auch in Kassel gab es vor der Aufführung wie schon in Berlin und Hannover eine Einführung durch die Dramaturgin. Eine lobenswerte Einrichtung, die z.B. in Hamburg fehlte. Auch in den Pausen stand die Dramaturgin für Fragen der Zuschauer zur Verfügung. Noch lobenswerter.


Regie und Dramaturgie hatten sich aber auch einige Arbeit gemacht, was man gleich im ersten Akt oder Vorspiel in Lutters Keller merkte. „Lutter's" leuchtete es übrigens modern an der Wand der Kellerkneipe, nachdem die Vorstellung im fast ausverkauften Staatstheater pünktlichst begonnen hatte. Richtige Studenten in traditionellem Wichs mit schwarz-rot-goldenen Bändern und Studentenmützen bevölkerten die Bühne, wobei sich einige von ihnen dem Alter nach wohl auf dem zweiten Bildungsweg oder im Seniorenstudium befanden. Auch das ist modern, wie das locker-luftige Bühnenbild. Das etwas längliche Vorspiel hatte man sinnvoll gekürzt, die Rolle der Stella ganz gestrichen. Dafür waren alle drei Frauen Hoffmanns von Anfang an auf der Bühne und immer präsent. Nur die jeweilig Aktuelle durfte singen oder sprechen. Eine interessante Variante. Olympia, Antonia und Giulietta als omnipräsente Heilige weiblicher Dreieinigkeit.


Olympia und Hoffmann


Ohne Übergang oder Vorhang ging das schmissige Vorspiel in den Akt der Olympia über. Ingrid Frøseth, die ich schon in Bremen als Olympia genossen hatte, sang auch in Kassel. Anders als in Bremen (wo sie als Porzellanpuppe agierte), stellte sie in Kassel ein neckisches Mädchen im Petticoat dar, das munter auf der Bühne herumhüpfte und auf dem Tisch tänzelte, gar nicht automatenhaft. Von der Galerie des Bühnenbildes wurde sie von den Gästen durch fratzenhafte Masken beobachtet, wobei mich die Frauengestalten an die gereiften und aufgebrezelten Damen der Münchner Schickeria erinnerten. Leider schien Ingrid Frøseth an diesem Tag stimmlich nicht auf der Höhe ihres Könnens gewesen zu sein, denn in Bremen hatte mir ihre Koloraturarie besser gefallen. Dafür sah man in Kassel mehr von ihrer durchaus hübschen Erscheinung. (In Bremen war sie voll zugeschminkt bzw. maskiert).


Kassels Spalanzani war ein Dandy in hellem Sakko, der munter über die Bühne wetzte. Wenn Olympia während ihrer Arie schwächelte, gab er ihr eine Watschn, und sie sang dann brav weiter. Olympia und dann der jeweilig aktuellen Gespielin Hoffmanns wurde ein Brautkleid angelegt. Ein gelungenes Regiedetail: Wenn Hoffmann seine rosarote Brille aufsetzte, wurde auch die Bühne in rosa Licht getaucht. Der Beleuchter passte gut auf dabei. In solchen Kleinigkeiten zeigte sich die sorgfältige Regiearbeit in Kassel. Ein gelungener erster Akt.



Der Antonia-Akt brachte einen sehr guten Rat Krespel, sowohl stimmlich wie auch schaupielerisch. Doktor Mirakel war nicht ganz so dämonisch wie sonst gewohnt, aber er sang seine Rolle gut. Erfreulich fand ich, dass man die Rolle des Franz etwas eingeschränkt hatte. Eigentlich könnte man sie ganz streichen, denn die Parodie auf schlechte aber eingebildete Sänger hat mit der eigentlichen Handlung dieses Aktes nichts zu tun. In dieser Rolle brach wohl Offenbachs immer wieder spürbare Neigung zur Operette durch. Die Darstellerin der Antonia war eher blass, sang aber insgesamt noch gut. Ein gerahmtes Bild mit einem Totenkopf am Bühnenrand kündigte das nahende Unheil an.


Mirakel und Niklaus


Nun muss endlich ein Glanzpunkt dieser Inszenierung erwähnt werden: Die Rolle des Niklaus war im Gegensatz zu anderen Häusern stark aufgewertet, was auch an der gewählten Version lag. Mit Monika Walerowicz fand er auch eine großartige Interpretin. Stimmlich wie schaupielerisch brilliant wurde der Niklaus in Kassel zu einer weiteren Hauptfigur der Oper. In Intellektuellen-Schwarz wie der Hoffmann geleitete er den Hauptdarsteller durch seine Erlebnisse. Interessant, dass es in Kassel Niklaus war, der die Geige strich, um Antonia in ihrem todbringenden Gesang zu befeuern und damit Hoffmann zu seiner eigentlichen Bestimmung, der Poesie, zurückzubringen. Sonst befeuert ja immer Doktor Mirakel den Gesang der Antonia. Noch ein schönes Detail: Man hatte dem Niklaus zwei F-Löcher auf den schönen Rücken gemalt. Man Ray lässt grüßen. Mit ihrem voluminösen und sinnlichen Mezzosopran sowie ihrem konsequent guten Spiel wertete Monika Walerowicz den Niklaus zu einer weiteren Hauptfigur auf, wie das die Oeser- und Kaye-Keck-Versionen vorgeben. Sie spielte diese Rolle mehr als energischer Schutzengel denn als Muse. Die ansonsten gute und dem jeweiligen Akt angemessene Beleuchtung hätte in diesem Akt ruhig etwas bleicher sein können.


Giulietta und Niklaus bei der Barkarole


Im Giulietta-Akt leuchtete das Kneipenschild von „Lutter's" in passendem Rot. Erfreulicherweise erschien keine Gondel auf der Bühne. (Wenn dem Bühnenbild zu diesem Akt sonst nichts einfällt, tut's halt eine Gondel, was sonst.) Venedig wurde durch ein Gemälde mit Wellen symbolisiert. Das reichte auch und passte zu dem ansonsten luftig-modernen Bühnenbild. Giulietta war eine erotische, schöne Frau mit voller, warmer Stimme. Die Handlung wurde ausführlich dargestellt, und ein grüner Polizist erschiein auf der Bühne, um den Mörder Hoffmann zu suchen. Großartig die Barkarole von Niklaus und Giulietta.


Der ansonsten ausgezeichnete Hoffmann schwächelte in diesem Akt etwas, erledigte aber sonst seine Aufgabe mit Bravour. Er war dargestellt als ein dynamischer, junger Mann in modernem Intellektuellen-Schwarz. Den Dichter nahm man ihm vielleicht nicht ganz ab, aber noch viel eher als dem Wiener Luftikus.



Übergangslos ging dieser Akt in das Nachspiel über. Lindorf erschien nicht zu seinem Triumph über Hoffmann, und auch Stella äußerte ihren Unmut über den versoffenen Dichter nicht persönlich. Der erledigte sich selbst, indem er an der Tafel besinnungslos zusammensackte. Ein echtes Bild des Jammers, aber auch kein überzeugender Schluss.

Die Veröffentlichung der auf dieser Seite verwendeten Fotografien erfolgt mit den ausdrücklichen Genehmigungen des Staatstheaters Kassel [www.staatstheater-kassel.de] & des Fotografen Dominik Ketz [www.dominikketz.de], bei welchen sämtliche Rechte für die Nutzung der Bilder liegen. Vielen Dank für die freundliche Kooperation!





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