Stimmliche Wonnen in einer Kantine

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Besuchte Vorstellung: 26. Januar 2008 (Premiere)







Regie

Peter Carp

Dirigent

Rick Stengårds

Bühnenbild

Werner Hütterli

Kostüme

Birgit Künzler

Version

Kaye-Keck


Hoffmann

Jason Kim

Muse

Caroline Vitale

Olympia

Sumi Kittelberger

Antonia

Simone Stock

Giulietta


Tanja Ariane Baumgartner

Widersacher


Derrick Lawrence






Fazit Luzern: Hervorragender Gesang in allen Rollen mit einer unvergesslichen Olympia, ein gutes Orchester mit einem sympathischen, jungen und hoffentlich noch lernfähigen Dirigenten, ein die Fantasie forderndes Bühnenbild und Ausstattung (ich drücke mich jetzt bewusst positiv aus), ein anspruchsvolles Regiekonzept mit einigen ausgezeichneten und erfreulicherweise werkgerechten Einfällen. (Ich hasse die sonst so häufigen aufgesetzten Gags.) Besonders zu loben ist auch das ausgezeichnete Programmheft mit dem Aufsatz des Dramaturgen Christian Kipper „Romantik als Illusion". Die Lektüre seiner fast akademisch zu nennenden Analyse der Oper und ihrer Geschichte ist mit das Beste, was ich je über »Hoffmanns Erzählungen« gelesen habe.

Diese intellektuell anspruchsvolle Inszenierung verdient es, wieder aufgenommen zu werden, aber dann bitte mit einem etwas fantastiqueren Bühnenbild. In einer Oper will man nicht nur etwas Schönes hören, sondern auch etwas Anregendes sehen. Insgesamt ein gelungener Abend, mit genügend Zeit, auf den 370 Kilometern der Heimfahrt nach München über diese Inszenierung zu reflektieren.


Mein »Hoffmann«-Jahr 2008 begann mit der Premiere im Theater Luzern am 26. Januar. Luzern ist ein gepflegtes Städtchen mit ca. 70.000 Einwohnern unterhalb des Berges Pilatus am Vierwaldstätter See. Der Kontakt bei der vorhergegangenen Kartenbestellung und bei der Abholung war äußerst freundlich. Das kleine und gepflegte Theater mit gut 500 Plätzen in elf Reihen im Parkett und zwei Rängen liegt gleich am Fluss Reuss mitten in der Stadt.

Vor der Aufführung gab der Dramaturg Christian Kipper vor zahlreichen erwartungsvollen Zuhörern eine halbstündige fundierte Einleitung in die Oper. Das Haus war fast ausverkauft. Nur Plätze mit Sichtbehinderung waren frei geblieben. Die Premierenpreise hatte man um nur 10 Franken (gut sechs Euro) erhöht.


Die Musik begann mit einer mir persönlich unsympathischen, nämlich schnell gespielten Einleitung, aber nicht ganz so schnell wie in Regensburg, also „allegro" statt „maestoso". Na gut, seit Regensburg weiß ich, dass dies kein böses Omen bedeuten muss. Der Vorhang ging auf, und eine einfach möblierte Kantine wurde sichtbar. Rechts vor der Bühne ein Zigarettenautomat und zwei Eingangstüren zu Toiletten. Links vor der Bühne ein kunstvoll verziertes Waschbecken. Aus Luthers Keller war also eine Kantine oder ein Wartesaal dritter Klasse geworden, um nicht zu sagen, ein McDonald's.


Der Chor trat auf, in einfacher Straßenkleidung, und legte los. Gleich fielen mir zwei oder drei exzellente Frauenstimmen auf, die sich über den Klang der übrigen Sänger erhoben. Leider konnte ich sie nicht eindeutig identifizieren. Niklaus agierte als Kellnerin in der Kneipe mit einem Metalltablett für die Getränke in der Hand. Die Muse servierte also Geistiges. So einfach und unscheinbar man sie hergerichtet hatte, die Sängerin begeisterte gleich mit einer furiosen und wunderschönen Stimme. Lindorf wurde dargestellt von dem fülligen schwarzen Sänger Derrick Lawrence aus North Carolina, der mit seinem voluminösen Bassbariton überzeugte.


Na, also die ersten zwei Solisten waren schon mal überdurchschnittlich. Ein vielversprechender Beginn! Dann trat Hoffmann auf, ein junger Sänger aus Korea namens Jason Kim (Heißen die dort alle Kim?), der den Hoffmann zum ersten Mal gab. Er sang frisch und frei mit einer vollen und klaren Stimme. Nur ganz selten schnürte ihm die Premieren-Nervosität die Kehle leicht zu. Aber das ist normal. Schon der dritte überdurchschnittlich gute Sänger. Kann das so weiter gehen, fragte ich mich.


Immer wieder stand nun eine Chorsängerin auf und verschwand hinter der Toilettentür, bis nur mehr die Herren auf der Bühne standen. Dann ertönte plötzlich eine blecherne Lautsprecherstimme: „Die Herren des Chors bitte auf die Bühne." Was ist da los, dachte ich. Hat man in der Premierennervosität etwas durcheinandergebracht und den falschen Knopf gedrückt? Doch nein, gehorsam standen nun auch die Herren auf und verließen die Bühne für den Olympia-Akt. Aha, das Vorspiel war zu Ende, und die Sänger wurden für den Olympia-Akt gebraucht.


Olympia

Der Chor kam nun wieder auf die Bühne, diesmal als Gäste in Spalanzanis Labor. Die Regie schien mit der Vorstellungskraft der Zuschauer spielen zu wollen. Interessant. Auftritt von Spalanzani, dargestellt von Mark Bowman-Hester mit seiner souveränen und warmen Stimme, den ich schon in Regensburg gehört hatte. Leider hatte er nicht allzu viel zu singen. Er trug eine schwarze Sonnenbrille und einen Blindenstock, mit dem er sich seinen Weg suchte. Das war neu. Spalanzani als blinder Physiker. Hmm.

Doch dann kam Olympia, gar kein Automat, sondern ein maliziös lächelndes junges Mädchen, die nun als erste auf der Bühne ein richtiges Kostüm trug, das sich von den zufälligen Straßenkleidungen der anderen bisher gesehenen Figuren abhob. Das Gesicht von Sumi Kittelberger trägt eindeutig asiatische Züge. Sie ist Halb-Japanerin, wie ich später erfuhr. Entsprechend hatte man ihr eine Art Mini-Kimono verpasst, darunter einen feuerroten Rock, mit einem langen Schlitz an einer Seite, durch den sie oft und gerne ihre hübschen Beine sehen ließ. Narzisstisch-selbstverliebt flirtete sie mit dem Publikum, aber hauptsächlich mit sich selbst. Der kompetente Kritiker der Luzerner Neuen Zeitung ordnete sie zutreffend als Geisha ein.


Coppelius und Spalanzani, Hoffmann und Nklaus

Als diese Dame aus dem Land des permanenten maliziösen Lächelns zu singen anhob, war ich nur mehr hingerissen. Was für eine überirdische Olympia hörte ich da! Und dazu tanzte und agierte sie so perfekt, dauernd das Publikum mit ihren Augen verführend und gleichzeitig unerreichbar distanzhaltend lächelnd. Sie gestaltete ihre Arie genussvoll aus, was für eine Wonne! Das Publikum war begeistert, und sie bekam langanhaltenden Szenenapplaus. Stimmlich bisher alles bestens in Luzern.

Der arme Hoffmann wurde richtig vorgeführt von ihr, denn schließlich mutierte Olympia doch noch zur Puppe. Sie kam wieder herein, ein altes Shure-Mikrofon aus den 50er Jahren in der Hand, in das sie nun, ganz wie ein Automat, Teile ihrer Arie wiederholte. Ich hatte aber den Eindruck, dass sie nicht mehr sang, sondern dass ihre Stimme von einem Band kam. Die Bühne war nun in rotes Licht getaucht, und Hoffmann völlig verzaubert.


Hoffmann und Olympia

Dann kam der von Spalanzani betrogene Coppélius und schüttelte den enttarnten „Automaten" so heftig, dass ich meinte, es sei eine Gummipuppe, deren Glieder da hin und her flogen. Aber nein, es war die lebendige Sumi Kittelberger. Was die für eine Gelenkigkeit haben muss. Die Bühne war nun in grellweißes Licht getaucht, was die Ernüchterung Hoffmanns unterstrich. Und um die Szene noch zu verdeutlichen, erwachte die eigentlich tote Olympia wieder kurz zum Leben, um dem getäuschten Hoffmann mit höhnischem Gelächter noch den Rest zu geben. Irgendwelche Requisiten außer dem Mikrofon waren auf der Bühne nicht zu sehen. Wenn Olympia schwächelte, biss ihr der angeblich blinde Spalanzani einfach in die Schulter, und schon sang sie weiter. Waren nun schon Berlin und besonders Hannover mit einem minimalistischen Bühnenbild aufgefallen, unterbot sie Luzern noch bei weitem. Doch vom Sängerischen her, einfach furios dieser Akt mit seinem Star, dieser genialen Olympia.


Nach der Pause ging es weiter in der bewirtschafteten Bahnhofswartehalle. Rat Krespel wurde dargestellt von einem hochgewachsenen, hageren jungen Mann (Flurin Caduff), dem man mit grauem Puder ins Haar ein älteres Aussehen verpasst hatte. Schon wieder so eine hervorragende Stimme! Das ist ja ein vokales Paradies hier, sozusagen der Ausgleich für den optischen Minimalismus. Doktor Mirakel wurde prima gesungen von Derrick Lawrence. Die Dämonie jedoch, welche diese Rolle erfordert, kam nicht so ganz herüber, obwohl Derrick Lawrence sein Bestes gab. Noch dazu hatten sie ihm eine gestreifte Pyjamahose angezogen. Und ganz ohne Requisiten außer zwei kleinen Fläschchen war es nicht so einfach für ihn, den dämonischen Arzt darzustellen. Mit einer etwas einfallsreicheren Beleuchtung hätte man ihn hierbei unterstützen können. Das permanente Flutlicht war hier nicht angebracht.


Das einzige Requisit auf der Bühne war eine armselige Geige, über die Niklaus ein paar Male mit den Händen strich. Ganz ausgezeichnet, wie Caroline Vitale ihre leicht verkürzte Geigenarie vortrug, die leider so oft gestrichen wird. Dafür hätte sie einen Szenenapplaus verdient, doch der Dirigent Rick Stengårds ließ gleich so hektisch weiterspielen, dass dazu gar keine Gelegenheit war. Schade für sie.


Antonia wurde von Simone Stock gesungen. Schon wieder eine wunderschöne Stimme mit großer Ausdruckskraft. Sehr eindrucksvoll das Duett zwischen Hoffmann und Antonia. Wo haben denn die in Luzern alle diese großartigen Stimmen her? Haben die so viel Geld von ihren Schweizer Nummern-»Comptes d'Hoffmann«, oder hatte man so viel am Bühnenbild und der Ausstattung gespart, dass man alles in die Solisten investieren konnte?

An der Wand hing ein Bild von Antonias Mutter, deren Stimme zuerst nur zu hören war, die dann aber auch noch leibhaftig auftrat. Gesungen wurde sie von Tanja Ariane Baumgartner, die später auch die Giulietta gab.


Das Beleuchtungspersonal schien in diesem Akt auf eine Zigarettenpause vor das Theater gegangen zu sein, denn dauernd herrschte helles Licht, selbst als Hoffmann, Krespel und Miracle zusammen sangen. Hier hätte man schon etwas mehr für die düstere Atmosphäre in diesem Akt tun können. Antonia starb also zwischen den Sperrholzstühlen mit den Chrombeinen. Hoffmann bekam zum Trost ein Glas Rotwein, und während er in daselbe hineinstarrte, begann der Giulietta-Akt.


Fast nichts wies auf die Lokalitäten Venedig und Bordell hin. Alle waren normal gekleidet, der Zuhälter Dapertutto sah aus wie der Coppélius und der Miracle zuvor. Understatement everywhere. Nur Giulietta, sehr schön gesungen von Tanja Ariane Baumgartner, war wie eine Bordsteinschwalbe vom Straßenstrich in ein nicht besonders aufregendes Minikleid in Hellbraun gesteckt worden und nur mäßig geschminkt. (Neben der Olympia die einzige Person, die überhaupt Anzeichen von Schminke trug.)


Neckisch trippelte sie über die Bühne. Die Barcarole hätte ich mir vom Orchester her etwas sinnlicher und erotischer gewünscht. Da kann man ja einige Töne so richtig sahnig ziehen, aber das tat man in Luzern nicht. Umso schöner sangen dafür Giulietta und Niklaus. Man kann schließlich nicht alles haben. Die Spiegelarie hatte man nicht aufgenommen, wofür es gute Gründe gibt.


Zum Schluss dieses Aktes bot der Regisseur wieder etwas Einfallsreiches. Hoffmann hatte den Schlemihl ja vorher mit mehreren Pistolenschüssen umgelegt und saß nun, getäuscht und betrogen, deprimiert auf einem Stuhl, vor sich ein Glas Wein. Doch plötzlich stand der Schlemihl wieder von den Toten auf, schnappte sich ein Akkordeon und hämmerte dem bedauernswerten Hoffmann mit seiner Quetsche die Akkorde der Barcarole aus nächster Nähe in die Ohren, während sich dieser angewidert seine Jacke über die Ohren zog. Moral von der Geschicht: Bordell bleibt Bordell, und Illusion Illusion, merkt euch das. Ein guter Einfall der Regie.


Hoffmann war erledigt, Stella trat in schwarzem Kleid mit einem kleinen Strauß Tulpen in der Hand auf und verließ den besoffenen Hoffmann am Arm von Rat Lindorf. Auch hier hatte man wieder etwas gestrichen, was die Besoffenheit und Verbitterung des Hoffmann anschaulich unterstreichen könnte, nämlich seinen kurzer Ausflug zurück zur Ballade vom Klein-Zach, die er der treulosen Stella hätte entgegenschleudern können. Apotheotisches Schlussoratorium und Vorhang. Herzlicher und langanhaltender Applaus mit vielen „brava-" und „bravo-" Rufen für die wirklich hervorragenden Gesangsleistungen des Ensembles. Keinerlei Schwächen hier in irgendeiner Rolle.


Nach dem letzten Vorhang stellte ich mich an den Bühnenausgang, um ein paar Autogramme für meinen Besetzungszettel zu ergattern. Doch außer den Musikern kam niemand heraus. In der Nähe des Bühneneingangs stand ein Herr, den ich fragte, ob er zum Theater gehöre und ob er wisse, ob hier Sänger herauskommen werden. Er meinte nur, er sei der Regisseur und würde mich in die Premierenfeier bringen. Was konnte ich mir mehr wünschen. Vielen Dank, Peter Carp!


Dort waren sie nun alle versammelt, diese großartigen Stimmen und anderen Mitgestalter dieses »Hoffmann«, und ich konnte mich mit allen unterhalten und ihnen zu ihren Leistungen gratulieren. Ich bedauerte Derrick Lawrence (der Geburtstag hatte), dass er die Spiegel-Arie nicht singen durfte, weil die ja ein sicherer Applaus-Bringer zu sein pflegt. Ich fragte den Regisseur, warum man Spalanzani als Blinden dargestellt habe. Es gab keinen dramaturgischen Grund. Jemand hatte die Idee gehabt, und dann hatte man es einfach mal ausprobiert. Und der Augen- und Brillenhändler Coppélius spielte auch irgendwie eine Rolle. Sonnenbrillen gab es jedenfalls genügend auf der Bühne. Ich fragte auch den Gestalter des Bühnenbildes, Werner Hutterli, nach den Hintergründen der minimalistischen Ausstattung. Er meinte, das sei eben die moderne Ästhetik. Doch darüber müsste man mal ausfürlich diskutieren, ob die zu einer fantastischen Oper wie Hoffmanns Erzählungen passt..


Eine mögliche Erklärung: Peter Carp ist ja Schauspielregisseur, und der Luzerner »Hoffmann« war seine erste Oper. Im modernen Schauspiel tut man meistens wenig bis gar nichts fürs Auge, dafür agiert man um so heftiger. Peter Carp scheint diesen Trend in die Oper übertragen zu haben. Es kann ja auch ein Konzept dahinter stehen, das sich einem nicht sofort erschließt, wie das bei einem schwelgerischen Bühnenbild sofort der Fall ist, das ansonsten wenig Raum für die Fantasie des Zuschauers lässt.


Die nüchterne Ausstattung aktivierte und konzentrierte schon, wie bereits in Hannover, meine ganze Aufmerksamkeit auf die Darsteller und deren Stimmen, und da hatte ja Luzern viel zu bieten. Die reale optische Nüchternheit zwang einen förmlich zur mitfühlenden Fantasie und degradierte einen nicht zum passiven Musiktheaterkonsumenten. Zum genießerischen Zurücklehnen war der Luzerner »Hoffmann« jedenfalls nicht geeignet.


Die Darsteller im Luzerner »Hoffmann« erschienen als Menschen wie du und ich, und so waren sie auch gekleidet. Es gibt sie ja alle im täglichen Leben: den mächtigen alternden Macho Lindorf, der sich die tollste Frau kaufen kann, das verkannte Genie Hoffmann, die virtuelle und herzlose Verführerin Olympia, die karrieregeile Antonia, den gewissenlosen Arzt Dr. Mirakel, die knallharte Herzensbrecherin Giulietta, den schillernden Betrüger Spalanzani, den Dealer Coppélius, den Zuhälter Dapertutto, Giuliettas Sklaven Pitichinaccio, und nicht zuletzt den selbstlosen Helfer und Beschützer Niklaus, der schließlich mit seiner Beharrlichkeit siegt und Hoffmann für sich gewinnt.


Weiterhin flirtete die Luzerner Regie mehrmals mit der Dichotomie zwischen Fantasie und Realität, indem sie die zerstörte Olympia plötzlich wieder zum Leben erweckte und den Hoffmann verspotten ließ, oder als der erschossene Schlemihl wieder zum Lebendigen wurde und dem Hoffmann mit seinem Akkordeon einhämmerte, dass er nun wirklich der Betrogene war, falls er das noch nicht gemerkt haben sollte. Die Regie schien einem zurufen zu wollen: „He, Zuschauer, du bist hier in einem Theater, das ist nicht real life!", und: „Lass doch mal deine Vorstellungskraft schweifen!" Etwas eleganter und sanfter hatte das Regensburger Regieteam den Zuschauer aus der Hoffmann-Offenbach'schen Traumwelt in die Wirklichkeit zurückgeführt, als es in seinem kongenialen Schluss den Bühnen-Hoffmann seine eben von Lindorf verlegten Erzählungen signieren ließen.


In Zwickau hatte ich die Oper konsequent in die Zeit E.T.A. Hoffmanns verlegt gesehen. Ich betrachtete sie wie durch ein Zeitfenster als etwas in der Distanz der Vergangenheit Liegendes. Die Mühe der Indentifikation brauchte ich dort kaum aufzubringen. Die nüchterne Kantinenatmosfäre und die schmucklose Straßenkleidung der Darsteller in Luzern dagegen zwangen meine Aufmerksamkeit in eine Zeitgleichheit mit den Darstellern, die dadurch eine beklemmende Präsenz gewannen. Die Luzerner Darsteller konnten sich nicht hinter ihrer Maske verstecken, sie standen quasi nackt auf einer kahlen Bühne. Damit zwang einen Peter Carp zur Empathie, zur Identifikation.


Ich selbst kann jetzt natürlich von der Position eines »Hoffmann«-Kenners sprechen, der diese Oper praktisch auswendig kennt. Wie ein zufälliger Opernbesucher dieses anspruchsvolle Regiekonzept mit seinem optischen Manko empfindet, der sich zu der schwelgerischen Musik Jacques Offenbachs eine entsprechende Bühne dieser „opéra fantastique" erwartet, ist nun eine andere Frage. Kann es eine nüchterne fantastische Oper überhaupt geben? Wenn ja, dann im Gehirn des Zuschauers.

Die Veröffentlichung der hier verwendeten Fotografien erfolgt mit den ausdrücklichen Genehmigungen des Luzerner Theaters & der Fotografen Ingolf Höhn (www.dphoto.ch) und Christof Schürpf (www.shape.to/cs), bei welchen sämtliche Rechte für die Nutzung der Bilder liegen. Vielen Dank für die freundliche Kooperation!

Einen guten Kompromiss hatte man in Regensburg gefunden. Das dortige Stadttheater muss bekanntlich an allen Ecken und Enden sparen und bot ebenfalls kein schwelgerisches Bühnenbild (außer im Giulietta-Akt), doch das war fantasievoll und mit wenigen einfachen Mitteln auf den jeweiligen Akt abgestimmt. Im Antonia-Akt zum Beispiel sah man auf der Bühne nicht viel mehr als einen Flügel, der sowieso in einem Theater zu finden ist, eine Vase mit roten Kunst-Rosen und ein paar Geigen. Das zusammen stellte schon mal einen Aufhänger für schweifende Gedanken und einen Bezug zum Thema des Aktes her. Wie sich das Luzerner Konzept auf den kommenden Besuch der Oper auswirken wird, bleibt abzuwarten. In Hannover war der optische Minimalismus am Publikum gescheitert.





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