Ansprechender »Hoffmann« in Trier


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Besuchte Vorstellung: 7. Dezember 2008









Regie


Birgit Scherzer

Dirigent


Victor Puhl

Bühnenbild


Manfred Gruber

Kostüme


Alexandra Bentele

Version






Hoffmann


Wolfgang Schwaninger

Muse


Eva-Maria Günschmann

Olympia


Evelyn Czesla

Antonia


Adéana Krachwewski

Giulietta


Vera Wenkert

Widersacher


Laszlo Lukacz







Fazit Trier: Ein akzeptabler »Hoffmann« mit einer hervorragenden Olympia und einer ausgezeichneten Muse. Die Regie (Birgit Scherzer) war handwerklich nicht schlecht, verlieh aber der Oper keinen größeren Tiefgang. Ein roter Faden, wie man die Oper verstand, wurde für mich nicht erkennbar. Die Seele dieser Oper, das Fantastische, fehlte mir doch etwas. Dafür gab es eine Reihe Bizarrerien.

Der Hoffmann sang akzeptabel, aber mit wenig Stimmkultur. Er steigerte sich während der Vorstellung, ließ aber dann wieder nach. Er blieb als Charakter ziemlich profillos und war nicht als Dichter zu erkennen, was der Regie anzulasten ist. Das Bühnenbild war nüchtern-modernistisch und erinnerte an Bilder von de Chirico. Das Orchester spielte gut und inspiriert.




Trier, die alte Römerstadt an der Mosella mit ihrer imposanten Porta Nigra hat auch ein Stadttheater, nicht allzu weit weg von Karl Marx' (1818-1883) Geburtshaus, der theoretisch Jacques Offenbach (1819-1880) hätte kennen können. Aber wie ich Karl Marx einschätze, hatte er wie Monsieur Spalanzani nicht viel für Musik übrig, und Jacques Offenbach wenig für dialektischen Materialismus - den Musen sei Dank. Trier hat ein modernes Theater ohne Ränge, das heißt ein großes ansteigendes Parkett. Jeder sieht gut. Die Preise sind bezahlbar, für 20 Euro bekam ich einen guten Mittelplatz. Das Theater war zu ca. vier Fünfteln gefüllt.


Spalanzani und Olympia


Die Oper begann mit einer Überraschung: Was hörte ich da für eine Musik? Das kann doch unmöglich Jacques Offenbach sein. Oder ist da schon wieder eine neue Version auf einem Dachboden gefunden worden? Ein paar Figuren in Barock-Kostümen kamen durch den noch geschlossenen Vorhang und verbeugten sich beifallheischend. Nach ein paar Schrecksekunden kapierten ich und noch eine Reihe anderer im Publikum, was da ablief, und wir applaudierten dem gelungenen Einfall der Regie: Man hatte uns Mozart vom Band vorgespielt und in die Pause des Don Giovanni versetzt. Ein witziger und einfallsreicher Auftakt.

Dann erst begann Jacques Offenbachs »Hoffmann«. Die Einleitung war gut, und wir blickten auf ein modernes Bühnenbild mit stürzenden Wänden. Besonders auffallend war ein langer grauer Raumteiler, perspektivisch verzerrt. Dazu hat das Trierer Theater eine der seltenen Drehbühnen, die außerdem ziemlich groß ist und die allerlei Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet.


Die kostümierten Gestalten aus dem Theater nebenan mischten sich nun in Lutters Kneipe unter Hoffmanns Saufkumpane. Dann wurde die Muse auf der Bühne in Niklaus verwandelt. Sie war in gleichem Tuch wie Hoffmann gekleidet. In Trier wurde übrigens deutsch gesungen, neben Nordhausen der einzige weitgehend deutsch gesungene »Hoffmann« 2008. Merkwürdig nur, dass mehrere von Hoffmanns Freunden in schwarze Arbeitsoveralls gekleidet waren. Geht man so zum Don Giovanni?


Dann trat ein bulliger Lindorf auf. Was für ein Kerl! Die hinterhältige Ersteigerung des Briefes von Stella an Hoffmann wurde, wie das leider so oft geschieht, zu schnell abgespult. Diese wichtige Szene, in der Lindorf gleich zu Anfang als gewissenloser Bösewicht charakterisiert wird, lässt sich doch ganz einfach in wenigen Sekunden mit wenig Aufwand überzeugend spielen. Hoffmann brachte seinen Klein-Zack ohne besondere Mimik, aber mit akzeptablem Gesang.


Hoffmann, Spalanzani und Coppelius


Praktisch nun die Drehbühne. Während Hoffmann mit seiner Muse vorne am Bühnenrand stehen blieb, drehte sich Spalanzanis Labor zum Zuschauer hin. Augensymbolik beherrschte das futuristische Labor. An einem Gestell über der Bühne drehten sich zwei riesige Augäpfel immer wieder von links nach rechts. Coppelius saß im Rollstuhl, Spalanzani (Peter Koppelmann) hatte einen steifen linken Arm, und sein linkes Ohr war nach Spock-Manier angespitzt, und ab und zu radelte ein Herr mit einer Melone auf dem Kopf stumm über die Bühne. Hier hatten wir gleich mehrere Exempel von Bizarrerien, die sich die Regie einfallen ließ, und über die der Zuschauer nur rätseln kann.*


Spalanzanis Festgäste traten in weißen Gewändern auf, auf die mathematische Formeln gemalt waren. Künstliche Augen wurden vorne an der Rampe aufgestellt, und dann trug Cochenille eine steife Olympia auf der Schulter herein. Mit Olympias Auftreten sang man plötzlich französisch. Warum das nur? Olympia wurde dargestellt von Evelyn Czesla und überzeugte sofort mit einem edlen, warmen, kultivierten und vollen Koloratursopran. Eine der wenigen ausgezeichneten Darstellerinnen dieser Rolle im Jahr 2008. Sie bot auch gute Schauspielkunst und wurde verdientermaßen beklatscht. Cochenille war inzwischen zum Hampelmann mutiert, und Coppelius erhob sich plötzlich ganz locker aus dem Rollstuhl. Die Zahl der Chorsänger lag inzwischen bei 35! Viel mehr waren es eine Woche später im Covent Garden auch nicht. Und nachdem die Olympia kaputt war, tummelten sich plötzlich eine Handvoll Olympia-Klone auf der Bühne.


Krespel und Mirakel; im Flügel liegend Antonia


Weiter ging es mit Antonia, die in Krankenhauskleidung ruhte und sich dann mit sehr schöner Stimme vorstellte, allerdings mit wenig Stimmkultur. Franz war konsequenterweise als Krankenpfleger gekleidet. Auf der Bühne stand ein surrealer Flügel, dessen Klaviatur aus sich nach außen streckenden Fingern bestand. Nun konnte sich die Muse endlich richtig entfalten. Mit ihrem dramatischen Mezzo-Sopran brachte sie die Geigenarie ganz hervorragend herüber.


Mirakel war als Chirurg gekleidet in grüner OP-Kluft und mit Stethoskop garniert. Naja, ein Chirurg ist der Mirakel ja nicht gerade, eher ein Homöopath oder Geistheiler, meine ich. Antonias Mutter (Vera Ilieva) glänzte mit einer schönen Stimme. Am Trierer Theater haben sie zwei ausgezeichnete Mezzo-Soprane. Ich fragte mich nur, warum man die Beleuchtung nicht angewiesen hatte, die Bühne in fahles oder blaues Licht zu tauchen, als Hoffmann zu Mirakels Auftreten vor Kälte schauderte. Zu Antonias Tod hob sich der surreale Flügel: ihre Seele stieg gen Himmel. Die Musik, symbolisiert durch den Flügel, war ihr Grag geworden. Eine gelungener Einfall der Regie.


Hoffmann und Giulietta


Der Giulietta-Akt: Leider sangen die Muse und Giulietta die Barkarole eher im Hintergrund, weshalb sie nicht so voluminös erklang, wie ich das gerne habe. Liebe Regieteams: Stellt bitte beide nahe beieinander vorne an der Bühne auf und lasst sie aus vollem Halse singen. Dieses Stück ist für einfache und kitsch-anfällige Gemüter wie mich der sinnliche Höhepunkt dieser Oper, und den möchte ich satt genießen. Aber schön gesungen haben die beiden doch in Trier. Eine gute Chorregie schuf die passende Atmosphäre. Der Chor samt Männern war in bizarre, petticoat-artige Frauenkleider aus Tüll gesteckt. Oben an der Bühne hing eine umgedrehte Gondel; die erste dieses Jahres.


Giulietta trug überwiegend Rot: die Perücke und das Kleid. Um ihre Schultern lag eine weiße Pelzstola. Das Elend der sonst so strahlenden Kurtisane in ihrer Konfliktsituation wurde gut gezeigt. Sehr schön wurde der Verlust des Spiegelbildes dargestellt. Ein Hoffmann-Double trat, wie in Bern, als Spiegelbild auf, das dann von den Petticoat-Transvestiten abgeführt wurde. Giulietta war nun wieder ganz Hure, nachdem Hoffmann um sein Spiegelbild erleichtert worden war. Der Schlemihl war ganz blass geschminkt. Seltsamerweise wurde das Duell Hoffmann-Schlemihl mit Küchenmessern ausgetragen. Und wieder gondelte der Radler an Giulietta vorbei. Zum Schluss versank das verderbte Venedig im Wasser - Acqua alta in Venezia.


Im Schlussakt verzogen sich die letzten Transvestiten aus dem Giulietta-Akt, auch Olympia, Antonia und Giulietta waren noch da und blickten stumm auf Hoffmann. Die Muse ließ nun die Haare herunter, zog ihren Hosenanzug aus und wurde wieder zur Frau in einem blauen Kleid. Stella trat etwas linkisch auf und verschwand mit Lindorf. Doch dann endlich wieder mal ein librettogerechter, versöhnlicher Schluss: Die Muse versicherte Hoffmann ihrer Liebe und erklärte ihm, dass er nicht alleine sei. Erfreulich nach den vielen toten oder verrückt gewordenen »Hoffmännern« dieses Jahres.


Ein unspektakulärer, aber dafür schöner Schluss. Ernst Bloch geißelte mal das Happy End als spießig, aber eine menschliche Dauerkatastrophe kann auch nicht das Wahre sein. Das Publikum spendete freundlichen Applaus, und der Hoffmann bekam einen Blumenstrauß. Ich überreiche hiermit virtuell der Olympia und der Muse einen ebensolchen.

Die Veröffentlichung der hier verwendeten Photographien erfolgt mit den ausdrücklichen Genehmigungen des Theaters Trier & des Photographen Klaus-Dieter Theis, bei welchen sämtliche Rechte für die Nutzung der Bilder liegen. Vielen Dank für die freundliche Kooperation!






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Alfred Jarry (aus Wikipedia)


* Die einizge mir bekannte Figur, auf die sich die Regisseurin (und berühmte Choreographin) Birgit Scherzer bezogen haben könnte, war der französische Früh-Dadaist Alfred Jarry (1873 – 1907), der ab 1896 mit einem – damals noch selten zu sehenden – Fahrrad an verschiedenen Orten in Paris auftauchte. Unter anderem erdachte er die Wissenschaft der „Pataphysik“, die u.a. von den Beatles im Lied „Maxwell´s Silver Hammer“ wieder aufgegriffen wurde. Der einzige Bezug zu Hoffmann, den ich herstellen kann, ist die Eigenheit Alfred Jarrys, sich immer mehr mit seinen eigenen literarischen Figuren, z.B. Ubu Roi, zu identifizieren. Dieses Motiv haben ja die Autoren des Schauspiels „Hoffmanns Erzählungen“, Michel Carré und Jules Barbier auch verwendet, als sie E.T.A. Hoffmann zum Protagonisten seiner eigenen Erzählungen machten. Aber mit solchen Bezügen, die bestenfalls ein Romanist versteht, der sich mit Alfred Jarry beschäftigt hat, ist selbst ein fortgeschrittener »Hoffmann«-Kenner überfordert. (siehe Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Jarry )