Poetischer »Hoffmann« mit Happy End an der Volksoper Wien

www.volksoper.at



Besuchte Vorstellung 16. April 2009








© Volksoper Wien

Regie und Ausstattung


Peer Boysen

Dirigent


Alfred Eschwé

Chorleitung


Michael Tomaschek

Version


Guiraud-Choudens

Sprache


Deutsch




Hoffmann


Sergej Khomov

Muse


Isabel Seebacher

Olympia


Ekaterina Lekhina

Antonia


Melba Ramos

Giulietta


Ursula Pfitzner

Widersacher


Thomas Gazheli







Fazit Wien: Ein wunderschöner, poetischer Hoffmann mit beispielhaft durchdachter Regie, die den Zuschauer konsequent durch die Handlung führte, einem zauberhaften, oft surrealen Bühnenbild mit höchst kreativer Ausstattung. Das Orchester spielte durchweg gut und dynamisch, von der etwas schnellen Einleitung mal abgesehen. Alle Darsteller zeigten echtes Engagement, und keinerlei routiniertes Herunternudeln der Oper wie an anderer Wiener Adresse wurde spürbar. Der Gesang war durchweg auf gutem Niveau, und Sergej Khomov als Hoffmann bot eine reife Leistung. Ekaterina Lekhina aus Russland sang auch die Olympia an der Königlichen Oper Covent Garden, doch am Abend, als ich in London war, hatte sie das nicht getan.

Diesen Hoffmann werde ich mir nach Möglichkeit nochmal ansehen. Diese höchst gelungene Inszenierung ist es wert, noch lange gespielt zu werden, und sie wäre mir auch mehr als 19 Euro wert gewesen..

Die österreichischen Bundestheater wären gut beraten gewesen, wenn sie bei ihren Festwochen im Sommer statt des »Hoffmann« der Staatsoper die Inszenierung der Volksoper gezeigt hätten.




Irgendwie scheine ich in Wien keinen guten Namen zu haben. Meine Anfrage wegen einer Pressekarte für den »Hoffmann« an der Volksoper wurde nicht abschlägig beschieden. Nein, sie wurde schlichtweg ignoriert. Naja, vielleicht hatte man dort meine Besprechung des »Hoffmann« an der Staatsoper gelesen, und die war ja nicht durchweg positiv. Und schließlich sind Staatsoper und Volksoper zwar eigenständige Theater, gehören aber unter das Dach der österreichischen Bundestheater. Bilder vom »Hoffmann« an der Staatsoper hatten wir auch nicht bekommen. Aber ich stehe auch heute noch dazu, was ich 2007 schrieb und kann es auch begründen. Aber vielleicht werden hereingeschneite Piefkes wie ich, die an allem rummäkeln, einfach ignoriert. Schließlich ist ja die Seite www.jacques-offenbach.de, auf der damals meine »Hoffmann«-Besprechungen erschienen, kein Presseorgan, und ich bin kein gelernter und etablierter Opernkritiker, den man kennt.



Doch der Hoffmann an der Volksoper war nicht ausverkauft, und so bekam ich noch eine Karte für 19 Euro in einer hinteren Reihe des dritten Rangs, wo ich ohnehin gerne sitze. Da der Abend eine Seniorenvorstellung war, passte ich auch gut ins Publikum.



Das Innere der Volksoper mit 1261 Plätzen stellt einen zweckmäßigen, schnörkelarmen Bau dar, der seine ganz eigene, unverwechselbare Architektur hat. An die Bühne schließen sich nebeneinander je vier Proszeniumslogen auf vier Ebenen übereinander an. Dahinter das Halbrund des Zuschauerraums.

Das Theater wurde 1898 eröffnet, zum 50jährigen Thronjubiläums des anachronistischen Habsburger Kaisers Franz Joseph, eines der einfältigsten Regenten, den die Welt je gesehen hat, und zusammen mit seinen geliebten Generälen einer der Hauptschuldigen am Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Hätte er nur auf seine kluge Frau Elisabeth gehört, die zusammen mit ihrem Sohn Rudolf dem Vielvölkerstaat keine Zukunft gab!


Und an seine sogenannten Heldentaten - er hatte fast alle Schlachten und Kriege verloren, besonders wenn er selbst befehligte - erinneren allerlei heroische Malereien auf dem Vorhang, von ähnlicher Kitschigkeit wie Schwanthalers Mosaiken am Giebel der Münchner Staatsoper, die den Engländer Edward Wilberforce an den Stil von Malereien an Jahrmarktbuden erinnerten. Doch für viele Österreicher ist Franz Joseph immer noch ein Idol, denn schließlich verkörperte er wie höchstens noch Maria Theresia die k.u.k-Epoche.



Das Theater war gut gefüllt mit meist gutgekleideten Wienern. Die wenigen Jeans umhüllten wohl die Touristen. Zweifellos ist das österreichische Opernpublikum das bestgekleidete der Welt. Das kann ich nach nun drei besuchten österreichischen »Hoffmännern« behaupten.



Schon 20 Minuten vor Beginn spielte sich das Orchester ein. Kein Streik also in Wien, wie vorher in Dijon. Die vertrauten Klangfetzen aus dem Orchestergraben hörten sich klar an und versprachen eine gute Akustik.



Endlich verschwand der kitschige Vorhang. Pünktlich um 19:00 begann die Oper. Leider wurde der Auftakt ziemlich schnell, lieblos und wenig maestoso heruntergeschruppt. Aber ich habe schon Schlimmeres gehört.


Stella, Hoffmann (Bildmitte) und Muse


Für den mangelnden Hörgenuss wurde ich sofort durch ein bezauberndes Bühnenbild entschädigt. Hoffmann träumte in einem Bett in der Bühnenmitte, flankiert von zwei Damen in riesigen Krinolinenkleidern, in Gelb die eine, in Blau die andere. Beide fixierten ihn stumm. Offensichtlich stand bzw. lag er zwischen zwei Frauen. Die Dame in Blau war nämlich die Muse, denn sie schlüpfte dann aus ihrer Krinoline und wurde zu Niklaus. Die andere musste dann Stella sein. Das war ja ein beeindruckender Auftakt, was die Bildsprache anging. Sofort bekam ich das Gefühl, in einer Opéra fantastique zu sein. „Bitte weiter so". schoss es mir durch den Kopf.


Doch auch die harte Realität stellte sich ein in Gestalt von Lindorf, der sich hinter dem Bett des noch träumenden Hoffmann postierte und sich, gut gespielt, 20 - 30 - 40, des Briefes der Stella bemächtigte.


Das Vorspiel schien in Stellas Garderobe stattzufinden. Lindorf wurde ziemlich ausführlich vorgestellt.



Hoffmanns Saufkumpane traten auf in identischer Kleidung mit identischen Augenmasken, die sie irgendwie wie Außerirdische aussehen ließen.

Dann erwachte Hoffmann in seinem roten Strampelhöschen aus seinen Träumen, denn drei Gestalten aus der Wiener Volkstheatertradition, darunter ein Fiaker, hatten ihn geweckt.



Der Klein-Zack wurde mit guter Mimik vorgetragen, wobei Hoffmanns drei Freunde ihm tatkräftig sekundierten. Stella in gelbem Kleid erwachte zum Leben, als er zu ihr überging. Niklaus wirkte dadurch höchst alarmiert. Das ist ja eine einfallsreiche Regie hier, dachte ich mir.



Bühnenbild, Regie und Kostüme haben mich spontan für diese Inszenierung eingenommen. Hier wurde frühzeitig ein poetischer roter Faden erkennbar, den die Regie trefflich gesponnen hatte.

Schade nur, dass immer wieder das Rumpeln der Straßenbahn zu hören war, die direkt an der Volksoper vorbeifährt.


Olympia, hinter ihr Stella, die Olympias Hände bewegt


Olympia trat im gleichen leuchtenden Gelb wie Stella auf. Niklaus schüttelte ungläubig den Kopf, als Olympia den Hoffmann schon durch ihren Anblick begeisterte. Der Automat war nämlich alles andere als schön.

Coppelius. der Meister der Brillen, holte seine verschiedenen Modelle aus einem Stahlspind, denn wir waren immer noch in Stellas Garderobe, in der sich alles abzuspielen schien. Offen kündigte er Hoffmann den bevorstehenden Betrug an. Doch der ließ sich dadurch in keiner Weise von seinem Wahn abbringen.

Die Festgesellschaft war wienerisch fesch gekleidet: die Damen in gelben Corsagenkleidern, die Herren im Frack.


Doch was für eine Olympia hatte sich die Volksoper einfallen lassen! Ein richtiges Monster in Stella-Gelb hatte man präsentiert, mit blanken Unterschenkelknochen, an denen ein Fuß hing, das andere Bein dagegen dick. Und was für Hände! Klein-Zach war ein Beau dagegen. Respekt vor diesem Mut zur Hässlichkeit. Die sollte natürlich Hoffmanns Verblendetheit und Coppelius´ Zauberkunst verdeutlichen.

Diese Regie in Wien war höchst einfallsreich! Hinter diesem Monster nämlich stand Stella und bewegte Olympias skelettierten Arm.

Und Hoffmann auf seinem Bett merkte überhaupt nichts. E.T.A. Hoffmann wäre begeistert gewesen von der bildlichen Umsetzung seiner Erzählungen.



Das Publikum spendete reichlich Applaus für die gut vorgetragene Arie der Olympia.

Dann streichelte Hoffmann Olympias leblose Hand. Coppelius´ Zauberbrille schien magische Kräfte zu haben.

Dann kam Coppelius mit einem Vorschlaghammer, bedrohte Hoffmann und Stella, und verrichtete dann sein tödliches Werk an Olympia. Da blieb Spalanzani angesichts seiner unausweichlichen Pleite nichts anderes übrig, als sich mit einem Gewehr zu erschießen. Dieser Selbstmord entbehrte nicht einer gewissen Aktualität auf dem Höhepunkt der Finanzkrise.




Der Übergang zum Antonia-Akt war fließend, wie auf so vielen Bühnen. Während die Trümmer der Olympia noch weggekehrt wurden, begab sich die kranke Antonia in´s Bühnenbett, das nun ein Doppelbett war, davor ein einzelnes. Auch sie war in Stella-Gelb gekleidet, und Hoffmanns stumme Traumfrau trat zu ihr.


Mirakel und Antonia


Antonia wurde von einer Sängerin mit hochdramatischem Sopran mit voller und warmer Stimme dargestellt. Zwei kleinwüchsige Gestalten befanden sich immer auf der Bühne und unterstützten die Handlung mit dramatischen Gesten. Ich möchte hier wieder die ausgezeichnete Regie loben. Das Niveau der Gestik und Mimik, der Interaktion der Darsteller und deren Expressivität lagen auf selten hohem Niveau,

Der Franz gab einen gelungenen Domestiken. Er war auch eine der drei Figuren aus der Wiener Volkskultur.


Durch Hoffmanns Gesang erwachte die schlafende Antonia: Hörst du es tönen ...

Übrigens, an der Wiener Volksoper sang man auf Deutsch, während die Staatsoper Französisch bevorzugte.


Dann kam es zu einer Konfrontation zwischen der Muse und Antonia. Hier hätte die Geigenarie gut hingepasst, aber sie kommt in der Guiraud-Version noch nicht vor.

Antonia wurde während des Aktes von Mirakel ferngesteuert. Sie schien sich nur unter seinem Einfluss zu bewegen und zu agieren. Und Stella bewegte sich synchron zur Antonia.



Antonias Mutter hatte die gleiche Frisur wie Stella und die Muse und wurde von beiden bei ihrem Auftritt gestützt. Die Sängerin der Mutter war stimmlich ausgezeichnet, und das folgende Duett mit Antonia wurde schön vorgetragen.

Das Terzett Antonias, der Mutter und Mirakels bildete wie immer den musikalischen Höhepunkt des Aktes.



Danach verschwand die Mutter nicht einfach, sie brach tot zusammen. Als Antonia ihr Leben aushauchte, starb auch Stella mit ihr. Auch Krespel überlebte die Tragödie nicht.



Ein gelungener Antonia-Akt mit bemerkenswerten Farbkontrasten: Stella und Antonia knallgelb, die Muse knallblau und dazu Hoffmann in seiner roten Latzhose.


Dapertutto, Hoffmann und Niklaus


Im Giulietta-Akt war die Bühne in blaues Licht getaucht. Keine sinnlich-schwülstige, sondern eine eher kalte Atmosfäre wurde so geschaffen.

Die Venezianerin Giulietta im Dreispitz, und wie schon Olympia und Antonia in Gelb gewandet. Sie wurde von Zwergen begleitet. Der Chor war in groteske Stiermasken gekleidet.


Giulietta und die Muse hielten sich an den Händen, als sie die Barkarole sangen. Dabei lagen sie auf dem Bett, das wieder die Bühne zierte. (In Lissabon hatte ich das schon gesehen.) Die Sängerin der Giulietta fiel mir sofort durch ihre großartige Stimme auf. In jeder Hinsicht beherrschte sie die Bühne: dynamisch, wohlklingend, mit ausgezeichneter Stimmkultur und Sinnlichkeit. Selten habe ich eine Barkarole so schön gesungen gehört. Da musste sich natürlich Sergej Khomov als Hoffmann steigern, um von dieser Giulietta nicht an die Wand gesungen zu werden.

Dapertutto trat ganz in Weiß auf. Viele Spiegel schmückten die Bühne. Da musste natürlich die Spiegelarie gesungen werden.


Dapertutto, Hoffmann, Niklaus, hinten Giulietta und Stella


Giulietta wurde als Dapertuttos Dienerin präsentiert: „Was verlangen Sie von Ihrer Sklavin?" Und so behandelte Dappertutto die Kurtisane auch.


Keine Gondel auf der Bühne. Nichts im Bühnenbild deutete auf Venedig hin, und wir befanden uns immer noch in Stellas Garderobe.


Giulietta sang nicht nur ganz hervorragend, sondern agierte auch lebhaft auf der Bühne.


Die Eifersucht des Schlemihl wurde gut dargestellt, und wieder bevölkerten gelb-schwarze Paare die Bühne. Während Hoffmann das Sextett „Mein Herz ... " einleitete, tanzten sie einen Reigen.


Dann bollerte das Orchester fortissimo los, und gewaltige Bläserchöre ließen uns Zuhörer erschauern. Nach Nordhausen mal wieder ein richtig elementarer Hörgenuss.


Das Duell Hoffmann - Schlemihl wurde als Ringkampf inszeniert, den Hoffmann natürlich gewann und den Schlemihl anschließend erwürgte. Dazu erklang kein Piccolo. Danke!


Giulietta verließ dann die Bühne mit Dapertutto, und der Akt war aus.


Im Epilog wurde Hoffmanns Dilemma gut dargestellt. Links von ihm die gelbe Stella, rechts die blaue Muse. Gut drückte er seine Verzweiflung aus. Mitleidheischend sang er den Klein-Zach zu Ende. Dann wurde der Betrunkene ins Bett gesteckt, und die Muse besang ihn.


Das Schlussbild war höchst beeindruckend. Von seinen Frauen wurde Hoffmann auf der Bühne eingerahmt, und alle bildeten sie mit ihren Kleidern große Kreise. Rot die Mutter, gelb die übrigen Damen. Dazu erklang ein dynamischer Abgesang. Eine echte Verklärung fand statt. Dann kam, nach den vielen toten, suizidalen und ausgeflippten »Hoffmännern« ein Ende nach Wunsch: Die Muse und Hoffmann reichten sich beide Hände und blickten sich tief in die Augen. Wie schön! So gehört es sich nach der Logik dieser Oper.



Das Publikum, das immer gut mitgegangen war, spendete starken Applaus, besonders für Olympia und natürlich die überragende Giulietta. Auch Sergej Khomov wurde herzlich beklatscht.



Leider war mein Kunstgenuss immer wieder getrübt worden durch eine Schulklasse aus einem spanischsprechenden Land direkt vor mir, wobei die Lehrerin für den meisten akustischen Müll sorgte, indem sie immer wieder ihre Schüler über die Handlung der Oper aufklärte, und das über mehrere Reihen hinweg und während unten gesungen wurde. Die Schüler dagegen hielten, von der Lehrerin ungehindert, zahlreiche Szenen der Oper mit ihren Fotohandys fest. Andere Länder, andere Opernsitten.



Der Ausklang des Abends war für mich höchst erfreulich. Der Portier der Volksoper, Herr Ladstötter, wies mich auf alle wichtigen, nun abgeschminkten, Sänger hin, so dass ich nach Genf mal wieder eine vollständige Autogrammliste zusammenbekam. Danke nochmal!

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Fotografen Dimo Dinov und der Volksoper Wien. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Einige Darsteller nahmen nicht ungern zur Kenntnis, dass ich ihren Hoffmann viel besser als den an der Staatsoper erlebt hatte. Beide Opernhäuser stehen doch wohl in einer gewissen Rivalität zueinander, und was den »Hoffmann« angeht, hatte die Volksoper klar gewonnen.







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