Jubiläums-»Hoffmann« in Baden bei Wien

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Besuchte Vorstellung: 23. 0ktober 2009 (Premiere)







© Theater Baden

Regie


Robert Herzl

Dirigent


Franz Josef Breznik

Bühnenbild und Kostüme


Pantelis Dessyllas

Version


Kaye-Keck-Heinzelmann




Hoffmann


Kip Wilborn

Muse


Christa Ratzenböck

Olympia, Antonia, Giulietta, Stella


Siphiwe MacKenzie-Edelmann

Widersacher


Craig Smith







Fazit Baden: Ein schön ausgestatteter und gut gesungener Hoffmann, der den Zuschauern eine klare und nachvollziehbare Darstellung von Hoffmanns Erzählungen präsentierte. Das Orchester spielte gut und fast fehlerfrei. Für eine Premiere klappte alles außergewöhnlich perfekt. Die Ausschmückungen der Regie waren werkskonform und nachvollziehbar.

Das Bühnenbild war einfallsreich und mit einfachen, aber wirkungsvollen Mitteln gestaltet. Der Charakter der fantastischen Oper wurde voll gewahrt. Ein kleines Theater, sonst eigentlich an Operetten gewöhnt, bot einen gelungenen »Hoffmann«, von dem sich ein anderes nahe gelegenes und viel größeres Haus – gemeint ist die Wiener Staatsoper mit ihrem »Hoffmann« – ein paar Inspirationen holen könnte.

Baden lieferte den Beweis, dass ein Operettenensemble auch gute Opern aufführen kann.



Baden bei Wien ist mit 25.000 Einwohnern die bisher kleinste Stadt, in der ich einen Hoffmann sehen durfte. Das Theater steht mitten in der Stadt zwischen dem Hauptplatz und dem gepflegten Kurpark und heißt Jubiläumstheater. Es wurde nämlich vor hundert Jahren eingeweiht, zum 60jahrigen Thronjubiläum des unseligen Kaisers Franz Joseph, einem Monarchen, der 68 Jahre lang regierte und seinem Reich, Europa und der Welt viel Unheil bescherte. Dass man ihm ein Theater widmete, ist paradox, denn ihn interessierten mehr seine Militärs als Kunst und Kultur, und er führte unermüdlich Schlachten und Kriege, die er zu verlieren pflegte, besonders, wenn er selbst das Kommando übernahm. Im nahe bei Baden gelegenen Jagdschloss Mayerling war Elisabeths und Franz Josephs einziger Sohn und Thronfolger Rudolf unter bislang nicht völlig aufgeklärten Umständen zu Tode gekommen.


© Theater Baden


Baden ist ein hübscher Kurort gut 25 km südlich von Wien und strahlt noch vieI vom Charme der k.u.k.-Zeit aus. Nach dem zweiten Weltkrieg war es bis 1955 Sitz der sowjetischen Kommandantur im geteilten Österreich. Ach ja, und Max Reinhardt, der große Theatermann, ist dort geboren. Er hatte übrigens 1931 in Berlin einen »Hoffmann« inszeniert. In einer kleinen Anlage beim Theater in Baden erinnert eine Büste an ihn.


Das Badener Theater hat 724 Plätze und spielt hauptsächlich Operetten für die Kurgäste, und die auch im Sommer, wenn andere Theater geschlossen haben. Wenn man Operetten spielt, kommt man an Jacques Offenbach nicht vorbei, der dieses musikalische Genre zur geistreichen Blüte brachte und das dann in Wien und Berlin oft zur Klamotte verkam.


Der Intendant des Badener Theaters, Professor Robert Herzl, ist ein Liebhaber von Jacques Offenbachs Oeuvre, und so wählte er für das 100jahrige Jubiläum seines Hauses Jacques Offenbachs bedeutendstes Werk, Hoffmanns Erzählungen aus und inszenierte es auch gleich selbst. Er hätte keine bessere Wahl treffen können. Außerdem hatten Hoffmanns Erzählungen im nahen Wien im Jahr 1881 deutschsprachige Premiere, nur zehn Monate nach der Uraufführung in Paris.

Neben Professor Herzl lernte ich noch einen Intendanten kennen, dessen Lieblingsoper die Contes sind: Dr. Peters, früher Intendant am Münchner Gärtnerplatz, danach in Münster, wo er zu seinem 60. Geburtstag einen »Hoffmann« inszenierte. Rein zufällig war das auch mein 75.



Die Vorstellung war für geladene Gäste reserviert, und einige Prominenz befand sich im Publikum. Neben Dagmar Koller auch Baulöwe Richard Lugner, genannt Mörtel, der Wiener Opernbälle mit gemieteten weiblichen Gästen wie Pamela Anderson, Paris Hilton, Sarah Ferguson, Dita Von Teese, der Pornodarstellerin Dolly Buster, Berlusconis Callgirl Karima el Mahroug und schließlich 2010 Dieter Bohlen zu bereichern pflegt. Nach Baden hatte er seine in ein türkisfarbenes Abendkleid gewandete und 53 Jahre jüngere russische Teenagerin namens Katzi mitgebracht, die während des Après ziemlich hilflos unter den Festgästen herumstand und natürlich Gespräch des Abends war. Naja, das nahe Wien war nie um pittoreske Figuren verlegen.



Die Vorstellung begann gleich mit einem Gag. Das Orchester hob gefühlvoll zu den vertrauten Auftaktakkorden der Contes an, doch danach wurde abgeklopft, und der Festakt begann. Erfreulicherweise keine getragenen Reden mit Goethe-Zitaten wie in Deutschland zu befürchten, sondern launige und vor allem kurze Beiträge und Interviews zum Theaterjubiläum mit vielen Handküssen. Darin könnten wir von den Österreichern einiges lernen.



Nach dem kurzweiligen Festakt, der nicht so lange dauerte wie die Verleihung eines Chevaliers der Grande Nation an den Erfurter Intendanten in der Saison zuvor, folgte ein erneuter Auftakt, genauso gefühlvoll wie der erste und nachfolgend eine gelungene Oper in der Keck-Kaye-Version und der Übersetzung Josef Heinzelmanns, des bekannten und erfolgreichen Jacques-Offenbach-Forschers.



Hoffmann stand mit dem Rücken zum Publikum. Hinter ihm eine gemischte Schar von Clochards in Pennerkleidung und ein großes Weinfass. Die Muse in flotter Reisekleidung sang gleich nach dem Chor eine Passage aus dem Schluss der Keck-Kaye-Version: „Groß macht die Liebe ...“ Sehr gekonnt und ohne erkennbare Nervosität. So wurde der Oper gleich ein Motto vorangestellt.



Dann legten die Clochards ihre Penner-Kleidung ab und entpuppten sich als Hoffmanns Mitstudenten in Kostümen aus der Zeit E.T.A. Hoffmanns.

Der Geheime Rat Lindorf trat auf, und die Ersteigerung des Briefes von Stella wurde gut und ausführlich dargestellt. Übrigens, in Baden wurde deutsch gesungen, und viele der Dialoge wurden gesprochen.



Beim Klein-Zach wurde Hoffmann von zwei hübschen Damen bewundert. Als er zu Stella überging, wurde ihr Bild gleich doppelt auf zwei Flächen projiziert. Kräftiger Applaus für den Klein-Zach, der von einem klangvollen und in den Höhen sogar strahlenden Tenor vorgetragen wurde. Auch brachte Kip Wilborn aus Texas die Situation des liebeskranken und verzweifelten Dichters darstellerisch gut herüber.



Der Olympia-Akt spielte in einem Ambiente aus der Zeit E.T.A. Hoffmanns. Spalanzani hatte sich außer Olympia auch noch zwei Iivrierte Lakajen gebastelt. Er wurde gleich zu Beginn des Akts als Betrüger geoutet, und als ziemlich hysterischer und öffentlichkeitsgeiler dazu. Hoffmann wurde als sein Schüler präsentiert.



Dieser Akt wurde in Baden quasi als Operette inszeniert, und die schmissige Musik Jacques Offenbachs dominierte.

Gut brachte die Muse die „Vogelarie“ oder das Couplet von der mechanischen Spieluhr

und erhielt ihren verdienten Applaus. Coppelius wurde als reisender Händler dargestellt, der allerlei Geräte und auch Augen feilbot.



Olympia kam aus dem Vorhang heraus, hinter den Hoffmann neugierig gespitzt hatte. Sogleich flirtete sie ganz unverschämt mit dem Dichter. Sie trug ein weißes Kleid, hatte ein weißgeschminktes Gesicht und trug einen Fächer in der Hand. Als Hoffmann die Olympia beäugte, wurde wieder Stella als Bild auf die beiden Flächen projiziert.



Coppelius hatte nun die Idee, Olympia mit einem naiven Kerl zu verheiraten, um ihren Wert zu steigern.

Spalanzanis Festgäste traten in Frack und Zylinder auf und tanzten eine Quadrille zu Offenbachs Musik. Sie waren identisch gekleidet und geschminkt. Eine Anspielung auf die feine und irgendwie uniforme Wiener Küss-die-Hand-Gesellschaft?



Dann endlich der große Auftritt der Attraktion des Festes bei Spalanzani. Ein roter Teppich wurde für die heftig nach allen Seiten Iiebäugelnde Olympia ausgerollt. Sie wurde von zwei Paaren von Rokoko-Automaten eingerahmt, die zur Flöte und Harfe mimten. Dann begann sie ihre Arie mit einem schönen, kräftigen und gut akzentuierten Koloratursopran. Hoffmann lächelte glückselig dazu und wich nicht von ihrer Seite. Am Ende ihrer Arie senkte sich ein Zwischenvorhang herab, und Hoffmann und Olympia standen alleine auf der Bühne. Und wie Hoffmann die Olympia anschmachtete und ihr die landestypischen Handküsse gab! Und Olympia schmachtete zurück. Die Muse schaute derweilen skeptisch zu. Heftiger Applaus für diese gelungene Arie.

Doch dann stieß sie den Hoffmann energisch von sich. Er wurde nicht mehr benötigt. Game over.



Dann gab es ein Ballett zu sehen. Unter den Figuren eine Tirolerin und ein Pierrot. Das war nun eine gut gespielte Operette, die diesem Akt keine Gewalt antat.



Der Olympia-Akt endete, wie er enden musste, und die schicken Festgäste verlachten den armen, um seine vermeintliche Liebe betrogenen Hoffmann wie einen Parvenu aus der Provinz, der auf dem glatten Parkett der nahen Hauptstadt ausgerutscht war.

Großer Applaus vom Publikum für diesen Akt.



Ich muss ja sagen, bisher war weder bei den Sängern noch beim Orchester die geringste Spur des sonst üblichen Premierennervositat zu spüren. Alles klappte bestens. Ich kann mir vorstellen, dass zur Jubiläumsvorstellung besonders intensiv. geprobt wurde. Und schließlich zeichnete das österreichische Fernsehen die Vorstellung auf. Da strengt man sich bekanntlich besonders an.

Die Regie stellte die Handlung klar und nachvollziehbar dar. Die Interpretationen und Ausschmückungen waren werkskonform, und der Regisseur verschonte sein Publikum vor den sonst häufig nervenden weil meist unverständlichen Bizarrerien.



Pause und Gang durch das, wie in Osterreich üblich, erlesen gekleidete Publikum in dem hübschen Theater mit seinem intimen Charme.




Weiter ging es mit dem Antonia-Akt. Das Bühnenbild war wieder in zeitgenössischem Dekor mit einigen Geigen im Hintergrund. Siphiwe hob in einem samtigen und Iyrischen Sopran an. Welche Bandbreite doch ihre Stimme hatte. Dann kam ein trotteliger Franz, der richtig von der „Technik“ sang, statt der sonst weitgehend üblichen „Methode“. Er bekam kräftigen Applaus vom festlich gestimmten Publikum für seinen komödiantischen Auftritt.



Und dann sang die Muse wunderschön meine geliebte Geigenarie. Nach dieser Ermahnung versuchte Hoffmann, die Muse wegzuschicken, aber Antonia siegte natürlich. Im Hintergrund erschien wieder das Bild der allgegenwärtigen Stella.



Doktor Mirakel trat in einem weißen Kittel zur gespenstischen Ferndiagnose an. Dazu hantierte er mit allerlei Fläschchen, wobei ich mich immer wieder frage, ob Michel Carré und Paul Barbier damit die damals in Mode kommende und schon damals umstrittene Homöopathie im Sinne hatten.

Als Antonias Aufschrei erklang, wurde aus Stellas Bild ein Totenschädel.



Antonia, die vorher Hoffmann zuliebe auf ihre Karriere verzichtet hatte, litt sichtlich, als ihr Mirakel dieselbe ausmalte.



Antonias Stimme wurde nun hochdramatisch und ihre darstellerische Leistung immer intensiver. Diese Sopranistin hat eine bemerkenswerte Bandbreite an stimmlichen Nuancen anzubieten.



Als die Stimme der Mutter von oben, mit viel Hall, zu hören war, erschrak sie erst. Schließlich erschien die Mutter doch noch im Hintergrund in schwarzem Kleid. Für das beeindruckende Trio Mirakel, Mutter und Antonia gab es kräftigen Applaus, in den der Dirigent hineinspielen ließ. Dann folgte eine ergreifende Sterbeszene, während der Antonia auf einer Couch lag. Mirakel breitete schließlich ein schwarzes Tuch über die Tote.



Die kurze Umbaupause für den Giulietta-Akt wurde instrumental mit der Barkarole überbrückt.



Und dann kam das schön gesungene Gondellied, bei dem die Muse und Giulietta, wie es sich gehört, nahe beieinander standen. Leider kreischte dazu wieder einmal eine Piccoloflöte. Erfreulicherweise ist sie an dieser Stelle nur mehr selten zu hören. Das war in diesem Jahr (und bei meinem neunten Hoffmann 2009) das zweite Mal nach Glasgow. Zur Strafe gab es für diese Standardnummer keinen Applaus vom sonst applaudierfreudigen Pubtikum.



Wir befanden uns in einem plüschigen Bordell mit einer Reihe von sich herzenden Paaren, aber keine SM- und sonstige Laszivitäten wie häufig üblich geworden. Keine Gondeln auf der Buhne, dafür ein Kronleuchter aus dem Fundus.



Giulietta trug ein dunkelgraues Glitzerkleid und wirkte sehr erotisch.

Schlemihl trat als eifersüchtiger Pirat auf, und dann sang Dapertutto mit wohltönendem Bassbariton die Spiegelarie und legte am Schluss den selten zu hörenden hohen Ton drauf. lch schätze mal, es war ein D oder E.



Giulietta war andauernd mit Flirten beschäftigt, Mit ihrem lebhaften Augenspiel wirkte das überzeugend.



Die kluge Muse wollte Hoffmann vom Duell abhalten, doch der war nicht zu bremsen. Wieder einmal gab es ein richtiges Degenduell, wahrend dessen nun alle Anwesenden schwarze Augenmasken trugen. Für den toten Schlemihl hatte Giulietta nur Häme übrig, und Hoffmann hielt den eroberten Schlüssel zu Giuliettas Boudoir in blutiger Hand. Dann landete er auf dem großen Lotterbett der Kurtisane.



Für den nun folgenden Raub des Spiegelbildes hatte sich die Regie eine einfache und überzeugende Lösung einfallen lassen: Während sich die Kurtisane auf ihrem Lotterbett räkelte, blickte sie immer wieder in einen silbernen Handspiegel. Ja, und als Hoffmann sich zu ihr gesellte, war da urplötzlich sein Spiegelbild darin, das Giulietta triumphierend dem Publikum zeigte.



Doch dann störte die Muse das Stelldichein ganz spielverderberisch.



Für Hoffmann wurde die Lage gefährlich, denn auf der Bühne tauchten schwarzgekleidete Soldaten auf. Nun endlich erkannte Hoffmann seinen Reinfall und wollte auf Giulietta losgehen. Doch es gelang ihm nur, Pittichinaccio zu erstechen.



Epilog und fünfter Akt. Hoffmanns Kopf lag im Schoß der Muse. Seine Verzweiflung wurde gut dargestellt. Und dann kam Stella auf die Buhne.

Überraschend ertönte nun erst das Sextett, das ich im gut verständlichen Giulietta-Akt eigentlich nicht vermisst hatte.



Doch anstatt betrunken am Boden zu liegen, machte der Badener Hoffmann der Stella deutlich, dass er überhaupt kein Interesse mehr an ihr habe. Und Stella machte aus ihrer Enttäuschung darüber keinen Hehl. Voller Überraschungen, dieser Badener Epilog.



Hoffmann und die Muse umarmten sich inniglich, und die Muse bewies mit gewaltiger Stimme ihr Können.



Was für ein eindrucksvolles Finale mit Elementen der Kaye-Keck-Version.



Begeisterter Applaus des Publikums, das immer wieder in Jubel für die Hauptdarsteller überging. Siphiwe wurde fast von einem aus der Galerie herabgeworfenen Bukett getroffen. Sie heimste natürlich den stärksten Applaus ein, und den hatte sie sich redlich verdient. Nach Nizza und Innsbruck war das nun die dritte Inszenierung, in der eine Sängerin alle großen Sopran-Rollen interpretierte. Und so hatte es Jacques Offenbach ja auch geplant.

Auch die Interpreten der Nebenrollen wurden heftig beklatscht.



Der begeisterte Applaus hätte noch langer gedauert, wenn nicht die Theaterleitung über Lautsprecher das Publikum zur anschließenden Jubiläumsfeier eingeladen hätte.



Es gab guten lokalen Wein und viele wohlschmeckende Häppchen. Mit den Beteiligten konnte ich interessante Gespräche führen.




Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim... Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.





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