Anspruchsvoller Hoffmann in Düsseldorf

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Besuchte Vorstellung am 14. November 2009

Erste Aufführung der Wiederaufnahme (Premiere 2004)






Regie

Christof Loy


Dirigent

Wen-Pin Chien


Bühnenbild

Herbert Murauer


Kostüme

Herbert Murauer


Version

Oeser





Hoffmann

Sergej Khomov


Muse

Annette Seiltgen


Olympia

Olesya Golovneva


Antonia

Sylvia Hamvasi


Giulietta

Alexandra von der Werth


Widersacher

Sami Luttinen









Fazit Düsseldorf:

Eine glanzvolle Einstudierung des Hoffmann sowohl stimmlich, orchestral wie auch inszenatorisch. Nach dem anfänglich etwas nüchternen Bühnenbild kam gegen Schluss der Oper doch noch Fantasie auf. Das Finale einfach nur großartig und beeindruckend. Eine psychologisch durchdachte Inszenierung, die dem Zuschauer die Konflikte und Lernprozesse des Hoffmann hautnah und glaubhaft vor Augen führte. Viele beispielhafte und kongeniale Regieeinfälle.



Hervorragende Stimmen und ein perfekt spielendes Orchester. Warum Spalanzanis Festgäste als Grufties dargestellt wurden, muss ich noch eruieren.



Neu für mich war die dargestellte Interessensidentität Antonia – Franz.

Eine der vier besten Regiearbeiten meiner inzwischen 32 Hoffmänner seit April 2007.



Die Rheinoper Düsseldorf-Duisburg nahm im Herbst 2009 ihre Inszenierung von 2004 wieder auf, und das war gut so. Christof Loy ist einer der besten Opernregisseure der Gegenwart, und so reiste ich mit großen Erwartungen nach Düsseldorf und kann gleich vorausschicken, dass sie voll erfüllt wurden.



Hervorheben möchte ich die wagnerianischen Dimensionen der Düsseldorfer Inszenierung. Während Tartu mit zweieinhalb Stunden Aufführungsdauer auskam, legte Christof Loy gleich über vier Stunden vor. Es heißt ja, dass es genügend von Offenbach hinterlassenes Material und Skizzen gibt, dass man über fünf Stunden Hoffmann spielen könnte. Christof Loy hat also seinen zeitlichen Rahmen ziemlich nahe am Maximum gesteckt, wenn man die durchschnittliche Aufführungsdauer bei plus minus drei Stunden ansetzt. So bekam ich mal einen ziemlich vollständigen Hoffmann zu sehen und zu hören.



Der Theaterneubau - mit 1280 Plätzen ziemlich groß - mit klassischen Stilelementen vermittelt den Eindruck von gediegener Eleganz. Auch ein Murano-Kandelaber schmückt eines der Foyers.



Erfreulicherweise gab es in Düsseldorf mal wieder eine Einführung in die Oper.



Dezentes Tizianrot herrscht im Zuschauerraum vor, den eine Rotunde bildet.



Das Theater war gut gefüllt, besonders im Parkett, aber in den Rängen gab es schon einige freie Plätze.

Im Publikum waren nur wenige junge Leute. Die Musiker waren im Schnitt deutlich jünger als das Publikum.



Der Auftakt des Orchesters (vier Kontrabässe und fünf Celli) kam gut akzentuiert, und gleich erfreute mich die ausgezeichnete Akustik des doch großen Theaters.



Auch das unkonventionelle Bühnenbild überraschte: Man hatte den Garderobentrakt des eigenen Theaters nachgebaut. Da war also gar nichts Fantastisches zu sehen. An der Volksoper Wien hatte man ja auch die ganze Geschichte in Stellas Garderobe verlegt, aber dennoch eine fantastische Landschaft aufgebaut. Doch nichts davon in Düsseldorf: das Grau-Grün von Anstaltskorridoren herrschte vor. Dort übten verschiedene Balletteusen. Wieder einmal Theater im Theater.

So ein nüchternes Ambiente hat aber auch Vorteile. Die Fantasie des Zuschauers wird gefordert. Andererseits muss dann die Regie den Mangel an fantastischen optischen Elementen durch Kostüme und lebhaftes szenisches Agieren kompensieren.



Die Muse trat in einem feenhaften Gewand auf, nahm sich ein irdisches Wams von einem Kleiderständer und verschwand damit in einer der Garderoben.



Eine sehr blonde und sehr schöne Stella stand auf der Bühne, bewundert von einem Lindorf im Smoking.



Die Muse erschien wieder, nun in Hose und Weste. Ihr gut akzentuierter Gesang gefiel mir.



Die drei zukünftigen Frauen Hoffmanns steckten schon mal ihre Köpfe aus ihren jeweiligen Garderobentüren, als Stellas Brief an Hoffmann endlich mal wieder richtig ersteigert wurde.



Hoffmann saß derweilen an einem Tisch und kommentierte die Ereignisse mit stummem Mienenspiel.



Dann stellte sich Lindorf ausführlichst vor. Er sang gut mit großer Ausdruckskraft. Langsam wurde mir klar, wie die Spiellänge von über vier Stunden zu Stande kam.



Währenddessen hob sich der hintere Teil der Bühne mit den Künstlergarderoben in voller Breite, und darunter erschien Lutters Kneipe, bevölkert von über 30 elegant gekleideten und gut agierenden Herren, darunter zwei Gestalten aus Don Giovanni.



Und dann stolperte Hoffmann betrunken herein. Bald gab er einen witzigen Klein-Zach und tobte dazu auf der Bühne herum. Als er zu Stella überging streichelte er – in Ermangelung seiner Traumfrau – die Muse. Für den hervorragend gesungenen und dargestellten Klein-Zach bekam er seinen verdienten Applaus. Ich hatte Sergej Khomov schon an der Volksoper in Wien als Hoffmann gesehen und seine Fähigkeiten bewundert. Hier in Düsseldorf schien er sich noch einen Tick wohler zu fühlen.



An Olympias Garderobentüre öffnete sich ein Guckloch, und bald darauf wurde der Automat, noch mit Gesichtsmaske, hineingetragen. Cochenille hängte das Reklameschild eines Schönheitschirurgen auf, das zeigte, was der so alles repariert: Nase – Mund – Busen.



Als die lebhaft agierende und gut singende Muse das „Vogel“- oder Spieluhren-Couplet (Cocorico … ) vortrug, trat die nun fertige Olympia auf. Hoffmann interessierte sich natürlich gleich lebhaft für sie, doch bekam er nur die kalte Schulter gezeigt. Dann setzte sie ihm höchstpersönlich die Zauberbrille auf – mit umwerfendem Erfolg. Doch weiterhin blieb sie schüchtern und zurückhaltend gegenüber seinen Annäherungsversuchen.



Zur Vorstellung Olympias schien Spalanzani die Besatzung eines nahegelegenen Altersheimes eingeladen zu haben. Weiße Haare, Bärte und Krückstöcke dominierten, sowie rote und orange Kleidung. Sollten das die Zombies und Fußkranken von Baghwans Poona sein, die hier wieder auftauchten? Jedenfalls schienen sie sich dort einen bleibenden Schaden geholt zu haben (soweit sie nicht schon vorher einen hatten), denn sie wurden von Pflegern beaufsichtigt. Bei diesem Altersdurchschnitt verzieh man dem Chor etwas eher, dass er immer mal wieder leicht aus dem Gleichtakt mit dem Orchester kam. Doch mit hektischen Gesten Richtung Bühne brachte der Dirigent die tatterigen Senioren wieder auf Takt.





Ansonsten war musikalisch alles bestens in Düsseldorf, damit hier kein falscher Eindruck aufkommt. Dort spielt eines der besten Opernorchester Deutschlands. Aber nobody is perfect.



Olympia wurde, ganz in Weiß, als nubile Braut hereingeführt mit einem Schleier auf dem Kopf.

Olympia war immer noch schüchtern und zurückhaltend und sang ihre Arie eher verlegen und ängstlich. Ihre Koloratur war dagegen umso schöner, mit silberheller und glasklarer Stimme, dazu differenziert artikuliert.



Doch dann taute die schüchterne Olympia auf und begann, den Hoffmann zu bezirzen. In Siegerpose nahm sie dann den begeisterten und donnernden Applaus des Publikums entgegen.



Vor dem verliebten Hoffmann flüchtete sie sich dann in ihre Garderobe. Bemerken möchte ich noch, dass sie gar nicht automatenhaft auftrat. Wir Zuschauer blickten sozusagen durch Hoffmanns Brille.



Dann berichtete Le Monde vom Bankrott des Bankhauses Elias in großen Lettern: BANQUEROUTE



Die Folge: Eine hässliche alte Olympia kam wieder aus der Garderobe heraus und zeigte dem Hoffmann die Zunge.



Großer Jubel nach dem Olympia-Akt und mehrere „Vorhänge“, als die Darsteller mehrmals vor den Vorhang heraus kamen.




Dann folgte eine lange Pause von 30 Minuten.



Mit gewaltiger und schöner Stimme stellte sich Antonia vor. Sie erschien im Melina-Mercouri-Look, die 1955 in einem Film mit dem Titel Stella debutiert hatte.



Während Antonia ihrem Vater Krespel versprach, nicht mehr zu singen, signalisierte sie hinter dessen Rücken dem schwerhörigen Domestiken Franz, dass dieses Versprechen nicht so ernst gemeint sei.



Franz sang dann bei seinem Couplet die Antonia an, die das aber weniger lustig fand, aber dann doch ein Tänzchen mit ihm wagte.



Das war neu, dieses Zusammenspiel Antonia – Franz. Christof Loy hatte im Programmheft eine Interessenidentität Antonia – Franz erwähnt. Beide sind an einer Karriere interessiert, nur ihre Talente sind ungleich verteilt. Unter diesem Aspekt lässt sich der Auftritt des Franz im Antonia-Akt erklären. Das war schon interessant.



Dann kam eine Geigenarie mit einer seelenvollen Einleitung. Die schönste Geigenarie seit Ann-Katrin Naidu in Köln und Anja-Daniela Wagner in Nordhausen.



Während der folgenden Duette zwischen Antonia und Hoffmann sangen sich die beiden immer wieder verliebt an, standen aber in bemerkenswerter Distanz von fünf Metern auseinander. Das begeisterungsfähige Düsseldorfer Publikum spendete immer wieder den verdienten Applaus.



Franz trat nun als Krankenpfleger auf, obwohl Antonia eigentlich noch ganz munter wirkte.



Doktor Mirakel wurde als völlig von sich selbst eingenommener süffisanter Zyniker gezeichnet, ein playboyhafter Prominentenarzt. Zur Ferndiagnose wurde ein leeres Bett hereingerollt.



Als Vater Krespel den falschen Doktor hinausgeworfen hatte, kam der prompt zu einer anderen Türe wieder herein. Die Penetranz dieses aufdringlichen Quacksalbers wurde plastisch dargestellt.



Antonia wurde nun, am Tropf hängend, zur richtigen Patientin und hatte Blumen auf dem Nachtkästchen.

Sehr einfühlsam getragen spielte dann das Orchester, als Antonia feierlich versprach, nicht mehr zu singen.



Und wieder stellte sich Mirakel als dandyhafter Modearzt dar, wie weiland der Prominentenzahnarzt in der Fernsehserie Kir Royal. Antonia war dem Quacksalber willenlos ausgeliefert.



Antonias Mutter kam in Bühnenrobe in die Garderobe ihrer Tochter und schien empört zu sein, was Mirakel mit ihrer Tochter anstellte.

Dann folgte ein stimmlich großartiges Trio Mutter – Mirakel – Antonia, der musikalische Höhepunkt dieser Oper.



Als Antonia sich zu Tode sang, blickte Hoffmann starr vor Schreck zu.



Das war der beste Antonia-Akt seit langem. Und wieder gab es mehrere „Vorhänge“ für die Sänger. So ein Publikum kann sich jedes Ensemble nur wünschen.



Wieder folgte eine lange Pause.



Im Giulietta-Akt befanden wir uns nun nicht mehr im nüchternen Korridor-Trakt des Düsseldorfer Theaters sondern in Venedig. Giulietta war rothaarig, in einem weinroten Lederkleid mit Netzstrümpfen und einem weißen Pelz. Eine schöne und verführerische Kurtisane. Die Atmosfäre in Venedig war schwül. Gondeln gab es nur in Miniaturform als sich drehende Spieluhren.



Sirrend erklang das Geigenvorspiel zur Barkarole. Leider hatte die Regie die Muse und Giulietta weit auseinander gestellt, und Giulietta verwöhnte beim Gesang den Schoß eines Herren mit ihrer Ferse.



Immerhin erklang kein Piccolo. Ich kann es nur immer wieder deutlich machen: die Barkarole klingt am besten, wenn die Muse und Giulietta nebeneinander stehen und während ihres Gesanges nichts anderes tun als aus vollem Hals zu singen.



Pittichinaccio erschien als Klöckner von Notre Dame. Hauptmann Dapertutto trug eine graue Uniform und hohe Schaftstiefel, Schlemihl eine weiße Uniform.



Dapertutto schien Hoffmann zu benützen, um Schlemihl aus dem Weg zu räumen, nachdem dieser seinen Schatten verloren hatte und nun zu nichts mehr nütze war.



Dapertutto und Giulietta bildeten eine Symbiose. Die Regie stellte plastisch dar, dass sich beide gegenseitig brauchten.

Überzeugend stellte Giulietta die prekäre Lage einer Kurtisane dar, als sie ihr Klagelied sang. Dazu nahm sie entlarvend ihre Perücke ab. Sie schien auch die Hoffnung auszudrücken, dass Hoffmann sie aus ihrer Lage rettet.



Doch sie erfüllte dann doch den Auftrag Dapertuttos. Während Giulietta und Hoffmann ihr Duett sangen, balancierte die Muse auf einem Drahtesel.



Dann kam ein Pistolenduell Hoffmann - Schlemihl, doch Giulietta wurde getroffen – aus Dapertuttos Zauberpistole. So erschoss Hoffmann Giulietta.



Die Spiegelarie vermisste ich nicht.



Übergangslos folgte das Nachspiel. Die Muse erklärte, dass Olympia gleich Antonia gleich Giulietta sei. Hoffmanns Dilemma wurde gut dargestellt, als er zwischen Alkohol, Frauen und seinem Auftrag zu dichten hin und her gerissen war. Er sagte: Mein Leben ist zersplittert. Dazu warf er die Brocken seines Spiegelbildes auf den Boden.



Stella kam gleich dreifach und im Nerz, und der Rat Lindorf nahm gleich alle drei mit zu einer Ménage à quatre.



Daraufhin sang Hoffmann einen verzweifelten Rest des Klein-Zach, und lag danach besinnungslos am Boden, und die Muse wurde wieder zur Frau.



Der Schluss wurde dann konstruktiv gestaltet. Großartig brachte die Muse den Abgesang auf Hoffmann: Möge der Sturm der Leidenschaften in dir zur Ruhe kommen. (Wer wünscht sich das nicht, wenn auch nicht für immer).



Durch den Gesang der Muse kam Hoffmann langsam wieder zur Besinnung, und aus der Asche seines Herzens erwachte sein Geist erneut. Es war ein tosendes und mitreißendes Finale, und am Schluss blickten sich Hoffmann und die Muse tief in die Augen. Einfach großartig.



Bravo-Rufe, noch als die letzten Töne verklangen.



Der Beifall war heftig, sogar für den Chor gab es Bravo-Rufe. 10 Minuten lang dauerte der Applaus, und natürlich wurde Sergej Khomov bejubelt.



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