Hoffmannesker »Hoffmann« in Linz


www.landestheater-linz.at


Besuchte Vorstellung: 22. Dezember 2009






Regie


Aurelia Eggers

Dirigent


Marc Reibel

Bühnenbild


Marina Hellmann

Kostüme


Veronika Lindner

Version


Oeser




Hoffmann


Pedro Velázquez-Díaz

Muse


Elsa Giannoulidou

Olympia


Gotho Griesmeier

Antonia


Christiane Boesiger

Giulietta


Katrin Adel

Widersacher


Alik Abdukayumov






Hoffmann bei Lutter


Fazit Linz:

Ein sehenswerter und gelungener »Hoffmann« mit psychologischer Vertiefung, eine wahrhaft fantastische Oper mit vielen eigenständigen Einfällen und surrealen Elementen im Bühnenbild und in den Kostümen. Ich musste oft an Filme von Frederico Fellini denken. Eine straffe kongeniale Regie, die den Zuschauer, selbst wenn er die Oper nicht so gut kennt, beispielhaft durch die Oper führt. Die häufig verwendeten surrealen und grotesken Stilelemente überziehen den Spagat zur notwendigen Tragik, z.B. im Antonia-Akt, nicht. Ein gutes Orchester und schöner Gesang in den meisten Rollen. Nach der Volksoper und Baden bei Wien nun schon der dritte gute »Hoffmann« dieses Jahres in Österreich. Bitte weiter so, liebe Nachbarn. Hätte E.T.A. Hoffmann die Gelegenheit gehabt, die Inszenierung in Linz zu sehen, er hätte seine helle Freude an dieser Umsetzung seiner Geschichten gehabt.



Österreich bemüht sich in diesem Jahr sehr um „meine“ Oper. Nach Innsbruck, Volksoper Wien und Baden bei Wien jetzt auch noch ein »Hoffmann« in Linz. Das ist mir als Bayer ganz recht, denn die nachbarschaftliche Nähe senkt die Reisekosten beträchtlich. Im Südosten und ganz im Westen Austrias gibt es noch Potenziale. Linz war ja 2009 europäische Kulturhauptstadt, und da passte es gut, wenn eine deutsch-französische Oper in Österreich zur Feier dieses Ereignisses aufgeführt wurde. Zur Premiere konnte ich leider nicht kommen, da ich an diesem Tag im Flugzeug nach New York saß, und so sah ich sechs Tage nach der Met am 22. 12. die dritte Vorstellung. Nun, zwei Tage vor dem stressbringenden Weihnachts-Event war es nicht verwunderlich, dass die Vorstellung nicht ganz ausverkauft war. Aber das Linzer Theater, ein gediegener Neubau, war dennoch gut besetzt.



Pünktlich begann das Orchester (drei Kontrabässe, vier Celli) mit einem schön maestoso akzentuierten Auftakt. Da hat doch glatt mal wieder ein Dirigent die Partitur genauer angeschaut.





Olympia


Hoffmann kniete auf der Bühne mit Rosen in der Hand, und schon kam seine angebetete Stella herein, doch die ignorierte ihn völlig, und Hoffmann wurde seine Rosen nicht los. So wurde gleich die unglückliche Liebe Hoffmanns zu Stella charakterisiert. Eine Garderobiere versuchte, ihn mit einer Weinflasche zu trösten, auch die Muse gab ihm etwas zu trinken.



Lindorf trat ganz in Weiß und ebenfalls mit einem Rosenstrauß auf und ersteigerte den Brief, was erstaunlich einfach ging.



In Lutters Kneipe beherrschte eine lange Theke das Bühnenbild. Der Chor von Hoffmanns Freunden sang locker, flüssig und frisch. Den Klein-Zach gab Hoffmann auf der Theke balancierend. Vorher hatte ihn die Muse auf hässlich geschminkt. Sie litt sichtbar, als Hoffmann zu Stella überging.



Bisher gefiel mir alles gut in Linz. Das Orchester spielte präzise und lebhaft, es wurde gut gesungen und agiert, und die Regisseurin hatte die Situation des Hoffmann gleich anschaulich charakterisiert.



Olympia saß auf auf einem Sofa auf einer kleinen Bühne, doch der smarte Spalanzani zog den Vorhang gleich wieder zu. Man sollte erst mal Appetit auf sie bekommen. Ein hektischer Cochenille in einem Frack mit überlangen Schößen bereitete ihren Auftritt vor. Schön sang die Muse die Vogelarie, in der sie in weiser Voraussicht die Olympia als mechanisches Vögelchen parodierte. „Cocorico“ bzw. „Le petit coq“, je nach Fassung. Das tat sie auf der kleinen Bühne, auf der vorher Olympia zu sehen war. Guter Einfall!



Dann trat Coppelius mit blinkenden Augen auf, viele magische Brillen mit sich führend. Über allem thronte ein allwissendes Auge der Vorsehung. Coppelius wurde als schmieriger Geschäftsmann vorgestellt. Und was für eine Brille drehte er dem Hoffmann an: die zwei Gläser waren in Herzform wie weiland im Lolita-Film! Spalanzanis Gäste schienen irgendwie alle Automaten zu sein.



Mutter, Antonia, Franz und Krespel


Und dann erschien die größte Olympia, die ich je gesehen hatte. Nach der übergroßen Mutter in Breslau stand jetzt eine Olympia auf einem riesigen Gerüst, den ein grüner Rock mit allerlei Tüll überspannte. Ich schätzte, dass Olympias Kopf fast fünf Meter über dem Boden war. Und ein rotes Herz blinkte an ihr. Das war nun schon eher Fellini-haft. (Ich denke hierbei an den Hoffmann an der Met ein paar Tage zuvor, der als Fellini-haft und kafkaesk angekündigt worden war, wobei ich aber in der New Yorker Inszenierung keines von beiden Elementen entdecken konnte.)



Dann kam Olympias Arie von den Vögeln im Laub mit einer schönen warmen, feurigen und präzisen Koloratur. So überwältigt waren die Männer unter Spalanzanis Gästen, dass sie vor Entzücken auf die Knie sanken. Währenddessen zählte Spalanzani das von den Gästen (die mit Schweineohren geschmückt waren) eingenommene Geld.

Hoffmann war so berauscht von Olympias Gesang, dass er an dem riesigen Reifrock zu ihr hinauf zu klettern versuchte. Doch sie beachtete ihn nicht einmal.

Doch dann tat Coppelius sein zerstörerisches Werk, und in dem riesigen Reifrock kauerte nur eine leblose Olympia, und Hoffmann stand hilflos und von den geifernden Gästen verlacht da.



Mutter, Antonia und Mirakel


Antonia befand sich in einem surrealen Zimmer mit schiefen Wänden. Sie besang „la tourterelle“, also ihre Mutter, die wie eine Mumie am Flügel saß. Schöner lyrischer Gesang der Antonia. Krespel verpackte Mutter und Flügel mit einem weißen Klebeband, um sie symbolisch zu versiegeln, damit seine Tochter vom Gesang lasse. Und dann wurde die widerspenstige Tochter auch noch gleich gefesselt.



Wieder einmal hörte ich meine geliebte Geigenarie.

Antonia erwachte, als sie Hoffmanns Liebeslied vernahm und befreite auch die Mutter und den Flügel von den Fesseln. Das Unheil kündigte sich an, als Mirakel als Zauberkünstler dem Flügel entstieg. Antonia suchte bei ihrer stummen Mutter Schutz vor dem Quacksalber.

Mirakel fühlte nun den Puls der Mutter und sang mit gewaltiger Stimme. Als er Antonia von ihren Karriereaussichten vorschwärmte, leuchtete ein heller Scheinwerfer ins Publikum: Wir alle wollen im Rampenlicht stehen.




Die Regisseurin in Linz hat sich viele interessante psychologische Details einfallen lassen, und diese Einfälle sind ihre eigenen und nicht die, welche man von anderen Inszenierungen kennt. (Es kommt ja immer mal wieder vor, dass sich Regisseure gegenseitig „zitieren“.)



Giulietta


Zu Mirakels Einflüsterungen hielt sich Antonia die Ohren zu. Da musste er schwerere Geschütze auffahren und die Mutter beleben. Während des Terzetts Antonia - Mutter – Mirakel stand die Tochter im Scheinwerferlicht, und Mirakel und ihre Mutter führten sie auf die Bühne und zogen ihr ein grotesk weites und unförmiges grünes Kleid an. Grün ist die Farbe der Geliebten in Linz. An den endlos langen Ärmeln dieses surrealen Kleides zogen dann die Mutter auf einer Seite und Hoffmann an der anderen. Wunderschön wurde dargestellt, wie sie Opfer ihrer eigenen Euphorie wird, während Mirakel und die Mutter sie einwickelten.

Schließlich erstarb sie in den Armen des falschen Doktors.



Zu Beginn des Giulietta-Aktes lag Hoffmann am Boden. Immer noch oder schon wieder hatte er einen Blumenstrauß in den Armen, der ihn als auf Freiersfüßen befindlich zeigte.



Die Muse und Giulietta saßen nebeneinander auf einer Schaukel, als sie die Barkarole sangen. Natürlich erklang dazu kein Piccolo. Giulietta war in Grün gekleidet wie ihre Vorgängerinnen.



In Venedig herrschte gerade Carnevale, und Schlemihl hatte rote Teufelshörnchen auf dem Kopf. Auf einem riesigen Lotterbett tanzte er mit Giulietta, die wie Hoffmanns andere Geliebte in ein groteskes Kostüm gekleidet war: diesmal weite grüne Pluderhosen, darüber ein nackter Reifrock, zwei melonengroße Hartschalen über ihren Brüsten.



Hoffmann in Venedig


Dann sang Dapertutto die Spiegelarie. Dazu wurde unter den Zuhörern auf der Bühne Geld gesammelt. Einige der Scheine steckte Dappertutto der Giulietta ins Dekolleté.

In diesem Akt nun wurde Hoffmann als harm- und hilfloser Naivling dargestellt, der mit der intriganten Halbwelt von Venedig völlig überfordert war.



Ein Duell fand nicht statt, und der Verlust des Spiegelbildes wurde, wenn ich es richtig verstanden habe, so dargestellt, dass das Spiegelbild Feuer fing, verbrannte und dann von zwei Krankenpflegern weggetragen wurde. Es passierte ja viel auf der Linzer Bühne, und ich will ja diese Oper nicht nur beschreiben, sondern in erster Linie genießen.



Als der ernüchternde Hörnerchor erklang, stand Hoffmann mutterseelenalleine auf der Bühne. Die Muse war nun wieder eine holde Frau geworden.



Hoffmann und Muse

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Fotografen Christian Brachwitz. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Stella trat auf, und als Hoffmann den Klein-Zach zu Ende sang, ging sie empört zu Lindorf. Doch der schien mit der zickigen Stella wohl auch nicht glücklich zu werden, denn schon auf der Bühne kam es zum ersten Krach, und Stella warf dem Lindorf seine Blumen zu Füßen.



Der von seinen Abenteuern mitgenommene Hoffmann wurde in einen Rollstuhl gesetzt, und die Muse wurde zu seiner Krankenpflegerin.

Ein gewaltiges Finale nach Oeser erklang, wobei Stella und Lindorf vom Rang des Theaters aus mitsangen. Sie waren ja reale Personen und standen somit außerhalb der surrealen Traumwelt auf der Bühne.



Das Linzer Publikum ging immer gut mit und klatschte lebhaft und an den richtigen Stellen.



Hervorzuheben ist noch das schön gemachte Programmheft des Linzer Theaters. Der Dramaturg Felix Losert hat zwei interessante Aufsätze über die »Contes« dafür geschrieben. Die hat er freundlicherweise dieser Internetseite zur Verfügung gestellt. Sie können durch Anklicken des folgenden Links geöffnet werden:

Hoffmanns Erzählungen - eine realistische Oper





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