© Theater Kiel


Hoffmann alias Aschenbach in Venedig


www.theater-kiel.de

Besuchte Vorstellung 11. Juni 2011 (Premiere)





Regie


Thomas Wünsch

Dirigent


Johannes Willig

Chorleitung


David Maiwald

Bühnenbild


Norbert Ziermann

Kostüme


Heiko Mönnich

Version


Kaye-Keck

Sprache


Französisch




Hoffmann


Yoonki Baek

Muse


Amira Elmadfa

Olympia


Lesia Mackowycz

Antonia


Susan Gouthro

Giulietta


Heike Wittlieb

Widersacher


Elia Fabbian

Hoffmanns Schatten


Christian Preuss




Olympia


Fazit: Ein »Hoffmann« mit Anknüpfungen an Thomas Manns Tod in Venedig, in dem ein Gustav von Aschenbach im Kostüm nach Viscontis Verfilmung von Anfang bis Ende das Geschehen beobachtet, mit einem Bühnenbild in heiteren, luftigen Farben, gut gesungen und einfühlsam begleitet von einem kompetenten Orchester. Keine großen Überraschungen, außer ein paar aufgesetzten Gags, aber ein insgesamt angenehmer Opernabend mit einem weitgehend anschaulich präsentierten und gefälligen »Hoffmann«. Hervorzuheben ist auch die durchgehend gute Schauspielführung und Choreografie. Die Figur des stummen Beobachters sah ich zum ersten Mal in einem »Hoffmann«. Sie gab der Kieler Inszenierung eine eigene Note und wurde ausgezeichnet dargestellt. Ein nachdenklich machender »Hoffmann« mit einigen guten Ansätzen, die aber konsequenter ausgebaut und durchgehalten werden sollten. Zu loben ist auch die Dramaturgie bzw. der Regisseur, dafür dass sinnvolle Kürzungen bei den Dialogen, z.B. im Vorspiel vorgenommen wurden.

Nachdem der Intendant sich beim Premierenpublikum entschuldigt hatte, dass gleich mehrere Sänger leicht indisponiert seien, aber trotzdem auftreten wollten, war davon kaum etwas zu merken. Rechnet man die verständliche Premierennervosität dazu, konnte man nur konstatieren, dass in Kiel stimmlich alles im grünen Bereich war.

Zu loben ist auch das übersichtlich gestaltete und interessante Programmheft; klein, aber fein, in dem der Regisseur aufschlussreiche Anmerkungen zu seiner Inszenierung macht.

Auf der Internetseite der Oper Kiel findet sich ein Video-Querschnitt:

http://www.theater-kiel.de/oper/spielzeit/hoffmanns-erzaehlungen/videos.htm


Die letzte Premiere der Saison, eine Woche vor Beginn der Kieler Woche, fand in einem Theater statt, das wie so viele andere im 2. Weltkrieg bombardiert wurde. Es fasst 800 Zuschauer und überrascht mit einem vergleichsweise riesigen Orchestergraben. Vier Kontrabässe und fünf Celli zählte ich darin. Das Innere des Hauses ist zweckmäßig und praktisch. Die Akustik im Haus ist gut. Das Theater war bei der Premiere ziemlich voll, und es gab nur noch Restkarten.


Der stille Beobachter alias alter Hoffmann alias Gustav von Aschenbach im Giulietta-Akt. Vorne links Giulietta mit Hoffmann, sitzend Niklaus


Lindorf


Zum ersten Mal sah ich in Kiel eine atmosphärische Figur, der eine Funktion in der Oper zugewiesen war. Ein älterer Herr in einem hellen Anzug befand sich von Anfang bis Ende auf der Bühne. Er sprach zwar kein Wort, beobachtete aber höchst interessiert und gefühlsmäßig beteiligt das Geschehen. Nur einmal, im Antonia-Akt streckte er seinen Arm in Richtung der jungen Sängerin aus, und wie auf dem Deckenfreskos Michelangelos von Adam und Gott in der Sixtinischen Kapelle blieb nur ein kleiner Abstand zwischen beiden Händen. Oft stand er in der Nähe einer Balgenkamera, die auf ein Stativ montiert war. Häufig starrte er zitternd und verzweifelnd, griff sich ans Herz, schüttelte ungläubig den Kopf. Eine hervorragende mimische Leistung des Darstellers. Das konnte nur das Double von Hoffmann sein, der als alter Mann seine Erlebnisse noch einmal miterlebt, ohne in sie eingreifen zu können. In denen ist dann ein externer Beobachter durchaus angebracht. Allerdings wurde E.T.A. Hoffmann nicht besonders alt und starb schon mit 46. Der leicht tatterige Herr auf der Bühne war auf deutlich älter gestylt. Aber wie aus dem Programmheft ersichtlich, war in diese Figur auch noch ein gutes Stück Aschenbach hineingepackt. Und in Thomas Manns Novelle ist ja Aschenbach Schriftsteller, in Viscontis Film allerdings Musiker. Doch E.T.A. Hoffmann war beides. Also ein interessanter Einfall der Dramaturgie und/oder des Regisseurs. Sei´s drum, diese Gestalt war gut in das Geschehen eingepasst, und ihr Darsteller erhielt am Schluss kräftigen Applaus. Wenn ich mich an die sogenannten atmosphärischen Figuren In Bern, Aachen und Trier erinnere, bei denen mir nicht einmal die Regisseure deren Funktion erklären wollten oder konnten, wurde dieses gelegentlich auch in anderen Opern verwendete Stilmittel in Kiel zu einem integralen und sinnvollen Bestandteil des Bühnengeschehens. Dass Hoffmanns altes Alter Ego ausgerechnet im Antonia-Akt versuchte, in das Geschehen einzugreifen, war nachvollziehbar, denn der Verlust der geliebten Antonia ist schließlich der herbste, den Hoffmann erleidet. Auf einen Automaten und eine herzlose Kurtisane kann er doch gerne verzichten.


Die Anleihen aus Thomas Manns Tod in Venedig wurden gleich bei der ersten Szene im Vorspiel offensichtlich. Eine Diva im Pelz saß im Rollstuhl, beschirmt von einer Nurse, zwei junge Leute spielten Federball an der Lagune, und Aschenbach in einer fin-de-siècle-Atmosphäre am Lido waren unübersehbar. Die Muse war als rustikale Maid von zwei Musikern begleitet. In Kiel gab es sowohl einen Prolog als auch einen ersten Akt in Lutters Keller. Laut Programmheft ist Lindorf nicht Stadtrat, sondern Bankier.

Gut akzentuiert und maestoso kamen die Auftakte. Das befrackte Orchester überzeugte mich gleich von Anfang an durch präzises und einfühlsames Spiel. Der Dirigent passte die Begleitung gefühlsmäßig der jeweiligen Handlung an, z.B. durch entsprechende Ritardandi oder besonderes Pianissimo wie beim Übergang Hoffmanns von Klein-Zach zu Stella. Das blieb während des ganzen Abends so. Nur im Olympia-Akt waren Chor und Orchester mal nicht so ganz synchron, aber das kommt bei Premieren in den besten Häusern vor.


In der Kaye-Keck-Version besingt die Muse gleich zu Anfang ihre Liebe zu Hoffmann. Diese Melodie kommt in der Oeser-Version erst zum Schluss. Leider enttäuschte der Regisseur dann aber die Muse, da er Hoffmann am Schluss sterben ließ. Mit einem toten Hoffmann kann sie keine Liebe ausleben, und ein toter Dichter kann nicht dichten. Die Muse überzeugte gleich durch seelenvollen Gesang, den sie die ganze Oper hindurch pflegte. Außerdem agierte sie immer lebhaft und engagiert. Gleich von Anfang an wurde der Konflikt Muse - Stella deutlich herausgestellt.

Ein brutaler Lindorf trat auf und zerrte den armen Briefboten am Ohr herein, dem nichts anderes übrig blieb, als Stellas Brief widerstandslos herauszurücken. Um diesen Lindorf wuselten dann gleich mehrere Kellner und Lakajen. Das war eine eindrucksvolle Vorstellung des Widersachers, für die es auch gleich den ersten Applaus gab.


Beim Klein-Zach schubste Hoffmann den Niklaus grob vor sich her, und der musste gute Miene zum bösen Spiel machen. Und dann gab es den zweiten Applaus, verhalten zwar, wie es norddeutscher Zurückhaltung entspricht, aber motivierend für die Darsteller am Anfang einer Premiere..

Freundlicher Applaus auch für Vorspiel und ersten Akt, und stille Umbaupause.


Hoffmann und Niklaus bei Spalanzani


Eine riesige weiße Plastik beherrschte die Bühne, als der Vorhang zum Olympia-Akt aufging. Eine weiße Nana wie von Niki de St.Phalle im Bikini unter einem Heiligenschein beherrschte die Bühne. Hatte die Ausstattung Professor Spalanzani zu einem Künstler gemacht? Eine inverse Stadtsilhouette von Venedig senkte sich hinter der Nana ab. Spalanzanis Diener waren auch Automaten. Olympia wurde dem Hoffmann zuerst als kleines Modell in einer Art Schneeglaskugel präsentiert, deren Wirkung ausreichte, um Hoffmann in Liebe zu ihr entbrennen zu lassen. Niklaus stand skeptisch und zweifelnd daneben und warnte Hoffmann in einer gekonnt vorgetragenen Vogelarie vor dem Automaten. Dafür gab es den dritten Szenenapplaus.

Coppelius trat mit einem Reisekoffer auf und mit einem Blick, der nichts Gutes verhieß.

Spalanzanis Festgesellschaft bestand ebenfalls aus possierlichen von Spalanzani dirigierten Automaten, aufwändig schwarz gekleidet und an Gestalten aus der Rocky-Horror-Show erinnernd und sich affig-manniriert bewegend. Dass aber Automaten auftreten, um einen anderen Automaten zu bestaunen, ist m.E. zu viel der Automatisierung. Auch Cochenille war so ein Automat.

Olympia trat dann ganz automatenhaft in Lebensgröße auf, als Rokoko-Kokotte gestylt, und versuchte sich an Seifenblasen. Sie trug ein Rokoko-Kleid mit weit ausgestellten Hüften, einen sogenannten Panier. Sie agierte selbstbewusst und trug ihre Arie, während der sie allerlei neckische Scherze trieb, mit heller und klarer Koloraturstimme vor. Bei dieser Gelegenheit sollen auch die gute Beleuchtung und die angenehme Farbzusammenstellung auf der Bühne erwähnt werden. Zu Olympias orangefarbenem Kleid war der Bühnenhintergrund in ein luftiges Lichtblau getaucht. Verzweifelt wendete sich ein frustrierter Niklaus ab, als Hoffmann die Olympia anschmachtete. Aber immerhin tröstete Niklaus den Hoffmann, als Olympia zerstört war.


Franz bei der Psychoanalytikerin


Im Antonia-Akt hing ein umgedrehter Flügel mit den Beinen nach oben vom Plafond. Dieses Bühnenelement habe ich im Antonia-Akt nun schon mehrfach gesehen.

Die weiß gekleidete Antonia lag am Boden, die Bühne war in blaues Licht getaucht. Sie flehte den omnipräsenten Aschenbach bzw. doppelten Hoffmann an, ihr seine Liebe zu schenken. Doch der war ja nur virtuell präsent. Er ging auf sie zu, aber an ihr vorbei. Diese Szene war anrührend gestaltet. Antonia mit ihrem kultivierten dramatischen Sopran bekam Applaus für ihr Lied von der entflogenen Taube.


Den Auftritt des Franz hatte die Regie nach dem Muster der bei Shakespeare so häufigen Nebenhandlungen ausgebaut. Die Figur des Franz ist eigentlich eine unbedeutende Nebenfigur und wird gelegentlich sogar gestrichen und ist entbehrlich, wenn sie nicht werkskonform interpretiert wird wie von Lorenzo Fioroni in Osnabrück. In Kiel wird Franz aufgewertet, indem er auf eine Freud´sche Couch gelegt und von einer Psychoanalytikerin verarztet wird. Singen wird ihm als Therapie verschrieben, außerdem fragte sie ihn: What about sex? Und dann sang Franz wieder einmal von der Methode. Für seinen Falsettgesang bekam er Jubel. Dann legte er sich in Embryonalhaltung wieder auf die Couch. Ein witziger, aber für den Fortgang der Geschichte Hoffmanns überflüssiger Exkurs, da er keinen direkten Bezug zu Hoffmann herstellte, wie das andere Regisseure taten.


Mirakel, Antonia, Hoffmann, Aschenbach


Dann hörte ich einmal wieder meine geliebte Geigenarie in voller Länge, für die es auch den verdienten Applaus gab. Etwas inkonsequent dann nach der hymnisch besungenen Liebe, als Niklaus verzweifelt weinte, nachdem sich Hoffmann und Antonia und Hoffmann freudig begrüßt hatten. Für die schön gesungenen Duette der beiden gab es den verdienten Applaus.


Der im Gegensatz zu den sonstigen Darstellern etwas steif agierende Widersacher kam als Doktor Mirakel aus einer Klappe aus der Unterwelt, gerade als er fortgejagt werden sollte. Die Pseudodiagnose führte er an der wie hypnotisiert dastehenden Antonia aus und betatschte sie dabei. Dieser Akt zog sich nun etwas zäh hin. Etwas mehr Schwung hätte dem Geschehen gut getan. Als es Hoffmann und Krespel fröstelte, hätte die Beleuchtung ruhig etwas fahler sein können.


Antonia lächelte verklärt, als Mirakel ihr die Wonnen einer Gesangskarriere ausmalte und sie dabei in eine riesige rote Schärpe einwickelte. Aschenbach / Hoffmann-Double wirkte empört, als Mirakel die Antonia von der bevorstehenden Untreue warnte. Antonias Mutter kam mit einer Schleppe in der gleichen roten Textilie, mit der auch Antonia umwickelt war, und Mirakel wickelte nun beide zusammen ein. Beim folgenden Terzett konnte die Sängerin der Mutter ihre anfängliche Premierennervosität ablegen und bot schönen Gesang mit den beiden anderen. Und Aschenbach / Hoffmann wollte wieder eingreifen, doch er konnte es nicht. Die ausgestreckten Finger fanden nicht zusammen.


Giulietta, Pitichinaccio und Dapertutto


Im Giulietta-Akt schwebte ein Planet an einem blauen Himmel, und Hoffmann lag benommen am Boden. Hinter ihm war der umgedrehte Flügel nun auch am Boden. Keine Gondel! Endlich mal wieder trat eine auch von der Kleidung her als mondäner blonder Vamp gestylte Giulietta in einer schulterfreien Robe auf. Anita Ekberg sah in Fellinis Dolce Vita so ähnlich aus. Die Barkarole wurde zwar mal wieder von einer Piccoloflöte begleitet, aber die klang erfreulicherweise ziemlich gedämpft. So wurde aber auch die Barkarole vorgetragen.


Die Gesellschaft bei Dapertutto und Giulietta war dekadent und edel-punkig gekleidet. Und dann gab es wieder mal eine Spiegel-Arie, obwohl man die Kaye-Keck-Version hörte. Aber sie ist bei Sängern und beim Publikum einfach zu beliebt, um sie weglassen zu können. Der wiederum ziemlich steif bzw. gar nicht agierende Widersacher bekam seinen verdienten Applaus für seinen schönen Gesang.


Aus dem Duell (mit kleinen Messern) ging Hoffmann als wackeliger Sieger hervor. Und die Muse vergrub ihr entsetztes Gesicht in den Händen, wie tief ihr Hoffmann abgestürzt war.

Ein großes Bild von Charles Maurin aus Le Puy-en-Velay stellte einen Vamp dar. Gut gewählt, denn Charles Maurin war Lehrer von Toulouse-Lautrec.

Hoffmanns Seele verrann – der Verlust seines Spiegelbildes wurde nicht dargestellt, trotzdem wurde er deswegen von der Gesellschaft verlacht.


Giulietta und Dapertutto


Dann verhöhnten Giulietta und der als Ché Guevara gestylte Pitichinaccio den alten Hoffmann, was die nicht hätten tun sollen, denn Hoffmann erstach auch Giuliettas Sklaven.


Im Nachspiel war nun Hoffmann nicht mehr von Corpsstudenten im Frack umgeben, sondern noch von der Edel-Punk-Gesellschaft aus dem Giulietta-Akt. Hoffmann lag auf dem Boden und erwachte, erschrocken über seine Alpträume. Zur Therapie nahm er einen kräftigen Schluck aus dem Flachmann, den er im Vorspiel der Muse abgenommen hatte.


Der alte Hoffmann wurde barbiert – oder schon zur Einbalsamierung vorbereitet? Dann trat eine rothaarige Stella in einem schwarzen Seidenkleid auf.


Die Muse sprach: Der Traum ist aus, er lässt sich nicht wiederholen. Dann besang Hoffmann die Stella mit einem Blumenstrauß in seiner Hand, doch der landete auf dem Boden. Den Rest des Klein-Zach sang er einfach zu schön. Dann hielt nun der stumme Beobachter in einer Art Rückblick das Schneeglas mit der Olympia in seiner zittrigen Hand. Alle drei Frauen Hoffmanns traten wieder auf, als die Muse ihren Abgesang brachte. Als sie sang „Man wird groß durch die Liebe, größer durch den Schmerz“ wurde es sakral: Eine Orgel erklang zur Begleitung. Den üblichen a cappella Männerchor der Kaye-Keck-Version hatte man gestrichen.

Dann lag wieder einmal ein Hoffmann ziemlich tot am Boden und konnte nicht zeigen, dass er aus seinen Fehlern gelernt hatte. Schade um ihn, denn nun war die Muse arbeitslos.

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Fotografen Struck-Foto und beim Theater Kiel. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Spontaner Jubel erfüllte das Theater, als der Vorhang fiel. Der herzliche Applaus dauerte elf Minuten. Alle Hauptdarsteller wurden bejubelt, auch der stumme Beobachter. Antonia hatte dem Publikum offensichtlich am meisten gefallen. Alle Hauptdarsteller erhielten eine rote Rose. Premiere gelungen, die Kieler Woche kann beginnen.



Dann folgte eine öffentlich zugängliche Premierenfeier, auf der die folgenden Bilder entstanden.






Giulietta und Muse



Olympia, Mutter, Antonia, Giulietta, Hoffmann und Muse










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