Ein »Hoffmann« als modernes Märchen in Augsburg

www.theater-augsburg.de

Besuchte Vorstellung 28. November 2015 (Premiere)







Regie


Jim Lucassen

Dirigent


Lancelot Fuhry

Chorleitung


Katsiyarina Ihnatsyeva-Cadek

Bühnenbild


Marc Weeger

Kostüme


Silke Willrett

Version


Kaye-Keck

Sprache


Französisch




Hoffmann


Ji-Woon Kim

Muse


Christianne Bélanger

Olympia


Cathrin Lange

Antonia


Adréana Kraschewski

Giulietta


Sally du Randt

Widersacher


Young Kwon







Fazit Augsburg: Ein durch und durch gelungener »Hoffmann« am Lech, bei dem Alles stimmte. Schöne Stimmen in allen Rollen, ein modernes Bühnenbild, fantasievolle Kostüme und eine librettogetreue Umsetzung von Hoffmanns Erlebnissen. Und Hoffmann durfte am Schluss sogar leben, wenn er auch von seinen Abenteuern etwas angeschlagen wirkte. Aus dem Orchestergraben nur schöne Töne und kongeniale Begleitung. Anschließend lud das Theater Augsburg zu einer gut besuchten Premierenfeier im Foyer. Diesen »Hoffmann« sollte man sich ansehen. Ich wünsche ihm viele gut besuchte Vorstellungen. Ich kann allen bayerischen und besonders Münchner »Hoffmann«-Freunden nur raten, sich an dieser Inszenierung zu erfreuen. Wenn man Augsburg als Provinz bezeichnen will, hat sie wieder einmal die Metropole vorgeführt.



Augsburg versteht sich oft als der kleine Bruder des nahen München, und es gibt einen auch von Augsburgern gerne erzählten Witz: Was ist das Schönste an Augsburg? - Der Schnellzug nach München. Was »Hoffmänner« angeht, würde ich das umdrehen: Was ist das Schönste an München? - Der Schnellzug zum Augsburger »Hoffmann«. (Das Theater liegt in der Tat nur fünf Gehminuten vom Hauptbahnhof). Die Augsburger Inszenierung ist viel stimmiger, fantasievoller und straffer als die an der Münchner Staatsoper aufgeführten Bizarrerien des Richard Jones von 2011.



Aus rein ökonomischer Sicht war dieser »Hoffmann« für mich der angenehmste aller Zeiten: 65 km Anreise und keine kostspielige Hotelübernachtung. Sogar einen Parkplatz in der Nähe des Theaters hatte ich für drei Euro gefunden. Einstündige Rückreise nach der Premierenfeier. Gesamtspesen um die 30 Euro. Ein Zehntel des sonst Üblichen. Wenn dann auch noch eine grundsolide Inszenierung geboten wird, freut man sich umso mehr.



Das Augsburger Theater ist ein gelungener Neubau aus den 50er Jahren, nachdem das alte Theater von 1877 zur Niederringung des Hitler-Faschismus 1944 von alliierten Bomberflotten zerstört werden musste. Augsburg war sogar als eines der Ziele für die amerikanischen Atombomben vorgesehen, wenn nicht die Sowjetsoldaten schneller als erwartet dem Gröfaz und seinem Verbrecherregime den Garaus gemacht hätten.



Über einem großes Parkett liegen zwei umlaufende Balkone. Das Theater hat 1000 Plätze und war praktisch voll. Im Orchester zählte ich vier Kontrabässe und fünf Celli. Das Orchester trug Frack. Eine der Spielstätten des städtischen Augsburger Theaters ist übrigens der Hoffmannkeller.


In Lutters Taverne


Pünktlichst um 19:30 hob der Dirigent seinen Taktstock zu einem ziemlich flotten Auftakt. Im nüchtern-modernen Bühnenbild stellte sich eine burschikos-energische Muse in poppigem Blau-Gelb vor. Dann füllte sich die Bühne mit den elegant gekleideten Freunden Hoffmanns. Im Hintergrund hing ein großes Poster der begehrten Stella. Mit lebhafter Mimik und Gestik und dynamischem Gesang beeindruckte der Chor. Und schon gab es den ersten Applaus.


Lindorf brauchte Stellas Brief nicht zu ersteigern, er lag für ihn da. Meister Lutters Tavernenpersonal kam in den Zuschauerraum und bot der ersten Reihe edles Flüssiges an. Hoffmann hingegen schien einen Rausch auszuschlafen. Er war, wie der historische E.T.A. Hoffmann, als Universalkünstler dargestellt und trug ein von Farben verkleckstes Kostüm. Auch bastelte er immer wieder an verschiedenen abstrakten Plastiken herum. Für den Klein-Zach steckte er eine Art Vogelscheuche zusammen, die den hässlichen Zwerg symbolisieren sollte.



Mit überzeugendem und wohlklingendem Tenor trug er den Klein-Zach vor. Als er zu Stella überging, änderten sich Stil und Tempo deutlich: von forte zu piano mit ritardando. Auch das Orchester schlug einen romantisch-schwelgerischen Ton an. Für diesen schön gesungenen Klein-Zach gab es natürlich den verdienten Applaus. Genau 30 Minuten dauerte das Vorspiel in Lutters Taverne. Applaus und kurze Umbaupause.



Ein bizarrer und affektierter Spalanzani aus irgendeiner Hipster-Szene beherrschte die Bühne. Im Hintergrund werkelte ein Chirurg an Olympia. Er stellte sich später als Coppelius heraus. Ein paar halbfertige Olympien wurden schon mal gezeigt. Dann wurde Olympia auf einer Bahre hereingerollt.



Der vielköpfige Chor mit Hipstern war von Spalanzanis Fest begeistert. Für Olympia war ein Laufsteg aufgebaut worden. Ihre hochhackigen Schuhe standen schon mal für sie bereit. Der Chor hatte ein schnelles und präzises Lob ihrer Augen eingeübt.



Dann erschien Olympia aus dem Dunkel. Sie schien nackt zu sein, aber sie trug ein fleischfarbenes hautenges Kostüm. Genialer Einfall der Regie: sie prangte in der Pose der Venus wie in Sandro Botticellis Gemälde. Ohne Zuhilfenahme der Hände schlüpfte sie in die Stöckelschuhe. Von oben senkte sich eine Krinoline über sie. So langsam wurde sie angezogen, während sie mit strahlender Stimme ihre Arie sang. Schöne Farbzusammenstellung: goldgelbe Locken und pastellfarbene Töne ihres Tüllkleides, das Hoffmann mit blauen Tupfern verzierte. Hoffmann blickte glückselig, als er zwischen ihren Schenkeln saß.







Als Coppelius die Olympia zerstörte, donnerte im Hintergrund ein Gewitter. Hoffmann wurde laut verspottet, und es gab kräftigen Applaus für diesen Akt und Pause. In den Foyers musste ich erfreut konstatieren, dass das Augsburger Publikum altersmäßig gut durchmischt war. Besonders die mittleren Jahrgänge in den Dreißigern und Vierzigern waren gut vertreten, auch eine Reihe Jugendlicher, sogar Kinder um die 10.


Antonia und Mirakel


Antonia saß rauchend auf der Bühne.Mit feurig-dramatischem Timbre stellte sie sich vor. Dann kam ein poppiger Franz, der seinen Gesang auf einer Elektrogitarre begleitete. Auch ihm fehlte es in den Übertiteln an der Methode. Kräftiger Applaus für seinen Auftritt. Auch Niklas wurde für die Parodie auf Olympia in Mezzosopran-Koloratur beklatscht. Und dann genoss ich wieder einmal meine geliebte Geigenarie, für die es kräftigen Applaus gab.


Antonia und Hoffmann begrüßten sich stürmisch. Für die lebhaft vorgetragenen Duette gab es wiederholten Applaus. Antonia sang in ein Shure-Mikrofon aus den 50er Jahren. Ein blutrot beleuchteter Mirakel tauchte ptötzlich aus der Unterwelt auf. Während seiner Pseudodiagnose wurde im Hintergrund gezeigt, wie Antonia schlafend sich im Bett wälzte, gequält von Alpträumen gequält.


Dann enthüllte Mirakel ein Schlagzeug und ein Baritonsaxofon, der Kontrabass stand schon vorher offen da und war von Niklaus zur Geigenarie gestreichelt worden. Antonias Gesicht strahlte beglückt, als ihr Mirakel die Karriere ausmalte. Dazu verpasste er ihr ein neckisches buntes Kleidchen.


Die Mutter erschien aus dem Hintergrund in Bühnenkleid und ging zum Terzett an das Shure-Mikrofon. Dann gab es eine richtige Revue zu diesem eigentlich musikalischen Höhepunkt der Oper. Die Instrumente wurden bemannt, spielten aber nicht, drei glitzernde Revuegirls erschienen. Für dieses schön gesungene Terzett gab es kräftigen Applaus, den der Dirigent für immerhin ca. fünf Sekunden tolerierte, bevor er energisch weiterspielen ließ.



Bei ihrem Todesgesang wurde Antonia von einem hämisch grinsenden Mirakel ferngesteuert. Antonia sang sich stehend am Mikrofon zu Tode und blieb einfach starr in einer Siegerpose stehen. Makaber. Kräftiger Applaus für diesen Akt und längere stumme Umbaupause. .


Wer möchte da nicht Hoffmann sein?


Ein zauberhaftes Bild überraschte das Publikum, als der Vorhang zum Giulietta-Akt aufging. Die schicke Gesellschaft bei der Kurtisane wurde von einem leichten Nebelschleier eingehüllt, der lila beleuchtet wurde. Da wäre schon fast ein Szenenapplaus angebracht gewesen. Die neckisch gekleidete Giulietta, deren Kostüm mich irgendwie an die fesche Lola erinnerte, gab es gleich dreifach. (Eine ihrer Dreifachgängerinnen war, wie ich später erfuhr, die Darstellerin der Olympia). Die richtige Giulietta saß auf einer Schaukel. So eine Stellung bietet natürlich auch akustische Vorteile.


Sinnlich gesungen und begleitet wurde die Barkarole. Die Piccoloflöte war gerade noch erträglich laut. Dapertutto sang eine ganz selten zu hörende Variante der Diamantenarie aus der Kaye-Keck-Version, die aber meines Erachtens nicht die optimale ist. Auf der Bühne gab es viel Glitzer, moderne Erotik, spannend, aber nicht plüschig.


Hoffmann versprach hinterhältig dem Schlemihl, ihm seinen verlorenen Schatten wieder zu verschaffen. In Wirklichkeit war er auf den Schlüssel zu Giuliettas Kemnate aus und erwürgte ihn hinterrücks. Applaus gab es für Hoffmanns Ode an die Leidenschaft.



Dann stellten sich die drei Giulietten auf eines der vom Künstler Hoffmann gestalteten Plastiken, aus der sie dann Spiegel holten, mit denen sie den Hoffmann verzauberten, so dass der gar nicht merkte, wie ihm geschah, bis ihn Dapertutto zynisch aus seiner Verzückung riss. Der beraubte Hoffmann erschlug aus Rache Giuliettas Sklaven Pitichinaccio. Der Akt endete mit einem verzweifelten Hoffmann. Applaus für diesen Akt, und stumme Umbaupause.


Die Muse tröstet Hoffmann


Sauber spielende Hörner leiteten das Finale ein. Hoffmanns Freunde wirkten ziemlich niedergeschlagen. Ein wütender Hoffmann zeschlug eine Flasche – und Stellas Bild im Hintergrund zersprang. Dafür erschien die wirkliche Stella.


Stella war völlig konsterniert über den trunkenen Hoffmann und wurde vom siegesgewissen Lindorf empfangen, der schon einen Blumenstrauß mitgebracht hatte. Hoffmann lag reglos am Boden, wurde aber von der sensibel vorgetragenen Apotheose der Muse und des Chores wieder zum Leben erweckt. Torkelnd wankte er durch die Reihen seiner Freunde, wie Halt suchend in einer chaotischen Welt.


Kräftiger Premierenapplaus erscholl. Erste Jubelrufe gab es für den Chor, brava für die Muse, Jubel für die Olympia und Antonia. Die ausgezeichnete Giulietta wurde meines Erachtens beim Applaus nicht ausreichend gewürdigt. bravo für den Hoffmann, Applaus für den Dirigenten und das Regieteam. Erneuter Jubel für Hoffmann, und – ungewöhnlich – ein zweiter Auftritt des Regieteams. Sieben Minuten dauerte der Schlussapplaus, aus denen sicher über zehn hätten werden können, wenn nicht plötzlich der rote Vorhang gefallen wäre.



Ein schöner »Hoffmann« war zu Ende, den ich mir sicher noch einmal ansehen werde.

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Theater Augsburg und beim Fotografen A.T. Schaefer. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Anschließend lud das Theater Augsburg zur Premierenfeier im großen Foyer, die gut besucht war. Dort traf ich zwei Sängerinnen aus dem Nordhäuser »Hoffmann«, die dort die Olympia gegeben hatten: Sandra Schütt (Stella in Augsburg) und Alexandra Steiner. Dann sprach mich eine junge Dame an, die mich kannte. Sie hatte als junges Mädchen einige Jahre in München in der gleichen Straße wie ich gewohnt. Nun hatte Johanna Mangold die Dramaturgie des Augsburger »Hoffmann« besorgt.




Bühnenbildner, Dramaturgin und Dirigent



Dank an das Ensemble



Muse und Hoffmann


Hoffmann und Widersacher mit Frauen aus dem wirklichen Leben



Giulietta und Antonia



Die zwei Olympien von Nordhausen

Sandra Schütt und Alexandra Steiner





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