Inspirierter »Hoffmann« in Skopje

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Besuchte Vorstellung: 24. Mai 2016






Regie


Ursula Horner

Dirigent


Janusch Pschiwilski

Bühnenbild


Marija Veteroska

Kostüme


Maria Punutschewska

Version


Guiraud-Choudens

Sprache


Französisch




Hoffmann


Sebastian Ferada

Muse


Nikodina Janewska

Olympia


Iwana Sdrawkowa

Antonia


Biljana Josifow

Giulietta


Olgiza Milewska

Widersacher


Ernes Ibranmowski







Fazit: Ein »Hoffmann«, wie man ihn sich wünscht. Wohlverstanden, fantasievoll inszeniert, mit raffinierten Kostümen und in einem klaren Bühnenbild. Gut und richtig begleitet von einem erstaunlich guten und perfekt geleiteten Orchester sowie von einem sorgfältig einstudierten Chor. Keine experimentelle Avantgarde, aber beispielhaft librettogetreu interpretiert und mit vielen originellen und werkskonformen Einfällen. Dieser Hoffmann könnte gut auch in Mittel- und Nordeuropa auf Reisen gehen.




Von den ungewöhnliche Orten, an denen ich bisher einen »Hoffmann« sah, steht Skopje mit Sicherheit an erster Stelle. Erst vor 25 Jahren nach dessen Zerfall und dem folgenden Bürgerkrieg aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangen und ist heute eines der ärmsten Länder Europas, erwartet man westlich von Bulgarien, südlich von Serbien, östlich von Albanien und nördlich von Griechenland eigentlich nicht, dass in einem von vielfältigen Problemen geplagten Land mit nur 2 Millionen Einwohnern Oper auf so hohem Niveau gespielt wird, dass sich manches deutsche Stadttheater schon sehr anstrengen müsste, um mit der Oper von Skopje mithalten zu können.




Skopje ist eine Stadt mit 500.000 Einwohnern und wird vom Fluss Vardar geteilt. Auf der einen Seite die meist orthodoxen Slawen, auf der anderen die meist muslimischen Albaner, die ungefähr ein Viertel des Staatsvolkes ausmachen und Albanisch sprechen, die Ursprache aus dem Land der Skipetaren, die von den antiken Illyrern abstammt..




Die Oper von Skopje wurde noch zur Tito-Zeit in den 70er Jahren erbaut und 1978 eröffnet. Sie ist ein großzügiger und moderner Bau mit 811 Plätzen. Neben der Oper gibt es noch ein weiteres Theater. Skopje wurde 1963 von einem starken Erdbeben heimgesucht, und besonders die slawisch-othodoxe Seite des Flusses wurde stark in Mitleidenschaft gezogen und weitgehend neu aufgebaut. Die Oper ist von modernen pompösen Prunkbauten umgeben, die man in Manhattan wie in der Londoner City auch finden könnte.




Der »Hoffmann« von Skopje hatte schon 2013 Premiere, die ich aber verpasste. Vermutlich aus zwei Gründen: Einmal finden die Suchmaschinen nicht die in kyrillischen Buchstaben geschriebenen Ankündigungen, zum zweiten sind die slawischen Bezeichnungen nicht für westliche Opernlisten verständlich. Denn diese Oper heißt in jeder slawischen Sprache anders. In Skopje heißt sie Chofmanowi Prikasin. Im Tsckechischen z.B. Hoffmannovi Povidky.im Polnischen Opowiesci Hoffmanna, Im Ukrainischen Powidanja Hoffmanna usw.




Ursula Horners Inszenierung wurde inzwischen auch im benachbarten Bulgarien gespielt, in Sofia, in Russe und in Plowdiw. Nun fand ich sie endlich am Originalschauplatz.




Das Theater war leider nur zur Hälfte gefüllt. Man sagte mir, dass dieses Opernhaus wohl für Skopje zu groß sei, denn die muslimischen Albaner kommen kaum. Weltliche Musik ist im Islam nicht so erwünscht. Obwohl man im muslimischen Stadtteil viele Kopftuchträgerinnen sieht, sah ich keine einzige in der Oper. Dafür war das Publikum von erfreulicher Jugend. Während in Deutschland meine Altersgruppe 60+ dominiert, war sie in Skopje unterrepräsentiert.




Das Theater ist intelligent gebaut mit einer breiten Bühne und stark ansteigenden Sitzreihen. Karten kosten 7 und 10 Euro. Im Ochester zählte ich vier Kontrabässe und sechs Celli. Die Sänger gehörten mit Ausnahme des uruguayanischen Hoffmann zum Ensemble. Der Dirigent kam aus Polen. Die Regisseurin ist zugewanderte und in Skopje verheiratete Österreicherin.




Der Beginn verzögerte sich um gute 10 Minuten, weil immer noch Zuschauer hereindrängten. Naja, in Pafos/Zypern watschelten die Damen noch gemütlich eine Dreiviertelstunde nach dem offiziellen Beginn fröhlich plappernd zu ihren Plätzen. Und dann durften in Pafos noch eine gute Viertelstunde lang schöne Damen und Sponsoren jedesmal erneut die Zuschauer begrüßen. Also, alles noch im normalen Rahmen in Skopje.




Der Vorhang ging auf und gab den Blick frei auf eine breite Bühne, die von einem geschickt gestalteten Bühnenbild Lutters Taverne zeigte. Bei dieser breiten Bühne muss man den Blick in die Mitte ziehen. Das war gut gelungen. An der Wand hing ein Kalenderblatt mit dem Datum 31. Dezember. Ein Vollmond und Wolken verbreiteten eine düstere Stimmung.



Hoffmann und Niklaus in Lutters Taverne


Ein erfreulich wuchtiger und dramatischer Auftakt in bestem maestoso. Da hatte mal endlich wieder ein Drigent in die Partitur geschaut. Ich darf gleich vorausschicken, dass die Orchesterbegleitung den ganzen Abend lang auf bestem Niveau geschah. Der Dirigent machte alles richtig, und die Instrumentalisten erfreuten mit musikalischem Wohlklang. Chor und Orchester waren immer im Takt, auch in den schwierigen Passagen.



Lindorf saß an einem Tisch und las Zeitung. Die Ersteigerung von Stellas Brief an Hoffmann wurde lebhaft gestaltet, gefolgt von einer gestenreichen Vorstellung Lindorfs. Lebhafte Kuimpane Hoffmanns sprangen auf die Bühne. Niklaus war ganz in Weiß in einem Rokokokostüm und wandelte sich nicht von der Muse zum Begleiter Hoffmanns. Diese Mezzo-Stimme gefiel mir gleich. Dann kam Hoffmann in die Taverne. Mit guter Mimik kam der Klein-Zaches. Zwei von Hoffmanns Kumpanen stellten den hässlichen Zwerg dar. Und schon gab es den ersten Applaus. Der Prolog bei Lutter dauerte knapp 30 Minuten. Das war genau richtig.



Bei Spalanzani


Bei offenem Vorhang wurden wir in Spalanzanis Labor geführt. Die Tische und Bänke wurden zur Seite gerollt, und ein fantastisches Bühnenbild mit geheimnisvoller Beleuchtung wurde von Hoffmann bestaunt. Ein satanisch-mysteriöser Spalanzani trat auf, und ein humpelnder Cochenille, der mich an den Glöckner von Nôtre Dame erinnerte, schob ein übermannsgroßes Ei herein, in dem sich Olympia befand. Das Publikum wollte eine schön gesungene Vogelarie des Niklaus beklatschen, aber das Orchester spielte leider weiter. Niklaus versuchte verzweifelt, Hoffmann von dem Ei wegzuzerren, doch vergeblich.



Das war ja bisher alles sehr erfreulich: beste dramatische Gestaltung, gute Interaktion der Charaktere, fantasievolle Kostüme und ein passender optischer Rahmen. Dazu ein dynamischer Chor mit kongenial begleitendem Orchester. Spalanzanis Gäste waren in aufwändig gestaltete Kostüme gkleidet, von denen keines dem anderen glich. Man fand sich in einem richtigen Zaubergarten mit magischer Beleuchtung. Alles ganz anders als in Stuttgart. Elle a des beaux yeux kam schnell und präzise, voll im Takt mit dem Orchester. Respekt. Der Chor des Teatro Real in Madrid sollte mal in Skopje hospitieren.



Olympia; rechts vorne in Schwarz Spalanzani


Olympia kam aus ihrem Ei, gekleidet in silbriges Metall mit einem kleinen Reifrock um die Hüften. Mit strahlender und präziser Koloratur erfreute sie das Ohr. Wie sie mir nach der Vorstellung sagte, sei sie eigentlich gar keine Koloraturspezialistin, sondern lyrischer Sopran. Das verblüffte mich. Aber da ergeben sich ja Möglichkeiten, alle drei Rollen zu singen. Und die Dramatik für die Giulietta traue ich ihr auch zu. Die ist leichter hinzukriegen als Koloratur und Lyrik. Als sie schwächelte, wurde eine elektrische Höllenmaschine hereingefahren, und mit elektrischen Stromschlägen wurde sie wieder zum Leben erweckt. Das war mit aufblitzenden Kabeln optisch hervorragend gestaltet. Und das Publikum klatschte nicht verfrüht, wie an so mancher erster Adresse. Als sie bravourös geendet hatte, brandete der Applaus auf.



Zum Walzer der Olympia tanzte der gesamte Chor fantasievoll mit. Olympia starb in einem grellen Feuerschein. Die Muse tröstete den verzweifelten Hoffmann, der von Spalanzanis Gästen schadenfroh verlacht wurde. Spontaner und hochverdienter Applaus.




Pause und Gang durch die großzügige Oper, deren Inneres sicher einmal renoviert wird. Dabei fiel mir das niedrige Durchschnittsalter der Besucher auf. Das war das jüngste Publikum seit Warschau 2008. Zum Ende der Pause gab es keinen Gong. Die Leute kamen von selbst.




Erstaunlicherweise hatte Skopje die Reihenfolge geändert. Olympia – Giulietta – Antonia ist heutzutage die Ausnahme.



Hoffmann und Giulietta


Eine schwül-erotische Atmosfäre dominierte in Giuliettas Salon. Kichernde Kurtisanen in farbenfrohen Kostümen hüpften über die Bühne. Eine halbe goldfarbene Gondel stand aufrecht, daneben ein großer schrägstehender Bilderrahmen, der später noch eine Rolle spielen sollte. Wieder hatte die Bühnenbildnerin die breite Bühne mit einfachen und effektiven Mitteln gestaltet. Giulietta war ganz in Schwarz gekleidet. Spelerische Lichteffekte simulierten die Lagune von Venedig. Das Orchester begleitete sinnlich und dezent ohne Piccoloflöte, wie es sich gehört. Während Giulietta bei Hoffmann stand, bewegte sich Niklaus zu heftig um die beiden herum. Ich finde, beide sollten nicht zu weit auseinander stehen und sich auf das Singen dieser bekanntesten Nummer der Oper konzentrieren. Eine feurige Giulietta und ein ebensolcher Niklaus ergänzten sich perfekt. Der Applaus für die Barkarole durfte sich aber nicht entfalten.



Für die traditionelle und eigentlich werksfremde Spiegelarie des Dapertutto gab es keinen Applaus. Das ist unüblich. Aber der Sänger hatte gerade nicht seinen besten Tag. Der Verlust des Spiegelbildes wurde auf ganz neue Weise gestaltet, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Der große goldene Bilderrahmen sollte einen Spiegel darstellen. Hoffmann stand davor, Niklaus dahinter. Beide bewegten sich spiegelbildlich synchron, so dass die Illusion enstand, dass Niklaus das Spiegelbild. d.h. das andere Ich oder die Seele des Hoffmann war. Eine neue und gelungene Interpretation.




Dann wurde Niklaus, Hoffmanns vernünftigeres Ich, von dunklen Gestalten niedergerungen, und Hoffmann blickte in den leeren „Spiegel“. Dann gab es endlich mal erlaubten Applaus für das Duett Giulietta – Hoffmann. Niklaus wollte Hoffmann mit Gewalt vor Giulietta retten, wurde aber mit physischer Gewalt daran gehindert. Dann gab es wieder mal ein richtiges Degenduell mit Schlemihl.



Der Rahmen mit dem Bild der Mutter


Es ging sofort weiter mit dem Antonia-Akt. Ein großer Rahmen erschien über der Bühne, in dem ein stehendes Bild der Mutter zu sehen war. Die lebhafte Jung-Antonia war ganz in Weiß und stellte sich mit bewegendem Gesang vor. Wieder wurde der aufkeimende Applaus niedergebügelt. Ein guter Krespel mit sonorer Bassstimme überzeugte voll. Für den üblichen Franz durfte man applaudieren, auch den Duetten Hoffmann – Antonia.



Ein diabolischer Mirakel gab Antonia eine schmerzhafte Spritze, um sie quasi unter Drogen zu setzen. Technisch geschickt gestaltet wurde das plötzliche Erwachen der Mutter in dem Bildrahmen, die bisher als Standbild zu sehen gewesen war. Plötzlich bewegte sie sich und fing an zu singen, blieb aber selbst unsichtbar. Kräftiger Applaus für das hervorragend gesungene Terzett, besonders für die beiden Frauenstimmen. Doch das Orchester spielte gnadenlos weiter. Antonia starb in den Armen ihres Vaters.



Der verzweifelte Hoffmann lag leblos am Boden, als seine Kumpane wieder auf die Bühne kamen und der Hörnerchor erklang. Niklaus war wohl nun zur Muse geworden, und von oben herab erklang ihre Stimme: Je t´aime, Hoffmann ...








Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen bei der Fotografin und Bühnenbildnerin Dr. Marija Veteroska und bei der Oper Skopje. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.

Die abgebildeten Sänger sind nicht immer identisch mit den im Text erwähnten.


Doch dann gab es ein mittleres Malheur. Das begeisterte Publikum begann zu applaudieren, als das Orchester noch spielte, und der Bühnenmeister dachte wohl, die Oper sei zu Ende und schloss den Vorhang. Das war leider zu früh, denn nun konnte das Publikum die Schlussszene nicht mehr sehen. Hoffmann war erwacht, setze sich an einen Tisch und begann heftig zu schreiben, wobei ihn tanzende Musen inspirierten. Ich hatte nämlich diese Schlussszene bei der Generalprobe gesehen, die ich nach freundlicher Einladung des künstlerischen Direktors hatte besuchen dürfen. Dann blieb der Vorhang lange zu, denn ich kann mir vorstellen, dass es auf der Bühne einige Verwirrung gab. Endlich ging er wieder auf, und das Publikum durfte endlich seine Bewunderung zeigen. Den ersten großen Applaus gab es für den Franz und den Krespel, der ersten Jubel für die Muse, und dann natürlich für die hervorragenden drei Soprane, besonders für Antonia. Kräftigen Applaus gab es auch für die Regisseurin und den Dirigenten. Wie auf slawischen Bühnen üblich bekamen die Solisten Blumenbukette. Sieben Minuten dauerte der Applaus, den man noch verlängern hätte können, wenn man das gewollt hätte und die Solisten erneut hätte vortreten lassen.




Nach der Vorstellung trafen sich die Mitwirkenden in der Opernbar. Dabei entstanden die folgenden Bilder.





Von links: Regisseurin, Beleuchter und Ehemann, rechts Niklaus



Olympia


Giulietta



Dirigent und Mutter



Besucher und Antonia
















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