Traumhaft schön gesungener »Hoffmann« als Ode an die Poesie


www.theater-freiburg.de



Besuchte Vorstellung 22. Oktober 2017 (Premiere)








Regie, Bühne und Kostüme


Jean-Philippe Clarac

Olivier Deloeuil


Dirigent


Fabrice Bollon

Chorleitung


Norbert Kleinschmidt

Bernhard Moncado

Version


Kaye-Keck

Sprache


Französisch mit dt. Dialogen




Hoffmann


Sébastien Guèze

Muse


Inga Schäfer

Olympia


Samantha Gaul

Antonia


Solen Maniguené

Giulietta


Juanita Lascarro

Widersacher


Juan Orozco






Fazit Freiburg: Ein erfrischend lebhaft illustrierter und spielerisch-kreativer »Hoffmann«, den man in eine Dichterwerkstatt verlegt hatte und den man um zahlreiche Zitate aus zeitgenössischer Poesie erweitert hatte. Der Rumpf der Oper war klassisch belassen. Die Auswahl der Nummern erfreute den Liebhaber der neuesten und besten Version dieser Oper, allerdings fehlte wieder einmal die Geigenarie im Antonia-Akt. Besonders hervorzuheben ist der hervorragende Gesang in allen Rollen. Dieses Gesangsensemble würde auch an der Met und an der Münchner Staatsoper Beifallsstürme ernten. Auch der Chor war sorgfältig einstudiert. Das Orchester begleitete dynamisch, aber mit einigen Tempi nahm es der Dirigent zu eilig. Das Bühnenbild war eher kahl und funktional, ebenso die Kostüme. Zahlreiche intelligente Details erfreuten den »Hoffmann«-Kenner.


Das Theater war voll. Im Orchestergraben zählte ich drei Kontrabässe und fürnf Celli. An der Kleidung und am Gebaren des Publikums merkte man schon deutlich, dass man sich in einer Stadt befand, die weitgehend von der Universität geprägt ist. Auch ein Herr in stilisierter Lederhose mit Hosenträger und kariertem Hemd überraschte. In Salzburg und Innsbruck wird das gerade modern, wie ich mir vor Ort sagen ließ. In Freiburg wirkte diese Tracht eher wie ein Manierismus. Naja, im Trierer Publikum hatte ich ein Brecht-Double gesehen.


Im Foyer überraschten mehrere in weiße Overalls gekleidete und von weißen Schutzhelmen behütete Werktätige, die mit großen Plakaten an Vorder- und Rückseite für Poesie warben. Vorne stand ein kurzer Text, hinten sollte man eigene Kreationen draufschreiben. Ich zitierte aus dem Librettto: Man wird groß durch die Liebe, größer durch den Schmerz. In der Pause fiel mir noch die Abwandlung eines bekannten Gedichtes ein, konnte es aber nicht mehr loswerden:


Dieses Reimes Blatt, das von Dichters Feder meinen Augen anvertraut

Gibt geheimen Sinn zu kosten, wie´s den Fühlenden erbaut.

Sollte ich nochmals Gelegenheit bekommen, den Freiburger »Hoffmann« zu besuchen, werde ich es so anbringen.

Diese Erweiterung der Oper durch Poesie ist wohl eine Reverenz an das Multitalent E.T.A. Hoffmann. Am Dienstag, dem 7. November wird im Konzerthaus des Freiburger Theaters auch E.T.A. Hoffmanns Sinfonie in Es-Dur gegeben werden.


Das Freiburger Theater liegt zwischen Hauptbahnhof und Altstadt gegenüber einem großen freien Platz, an dem bis zur Reichspogromnacht 1939 die alte Synagoge gestanden war. Es wurde 1910 eröffnet und schon im ersten Weltkrieg durch französische Bomben beschädigt. Im zweiten Weltkrieg gelang es der Royal Airforce, es im Rahmen ihrer Kriegsanstrengungen gegen das Naziregime fast völlig zu zerstören. Die Geschichte des Freiburger Theaters kann man in der Wikipedia nachlesen. Es hat ein ansteigendes Parkett und zwei Ränge mit insgesamt 900 Plätzen.


Auf der Bühne befanden sich eine Bühnenarbeiterin und ein Kollege. Die Bühne war in schwarz-weißen geometrischen Strukturen gestaltet. Darüber befanden sich acht Monitore. Texte wiesen auch auf die politische Bedeutung der Dichtung hin, und das gerade in unserer immer weniger poetischen Zeit. Interessant, dass nach Trier eine Woche zuvor nun auch in Freiburg das Thema der modernen Sinnenntleerung durch Business, Shareholder-Value und Wall Street aufgegriffen wurde. Das passte alles irgendwie zu E.T.A. Hoffmann, der zwar kein ausgesprochen politischer Dichter war, aber als Richter am obersten preußischen Gericht im Hohenzollern´schen Obrigkeitsstaat durchaus liberale Ansichten erkennen ließ. Auerdem war einmal in die polnische Provinz starfversetzt worden, weil er einen autoritären Vorgesetzten karikiert hatte.


Vor Beginn kündigte der Intendant Peter Carp an, dass die Umbesetzung gerade der Hauptrolle notwendig geworden war. Rolf Romei, den ich in Basel als Hoffmann gehört hatte, war zwei Tage vorher erkrankt. Durch die zwei Vorlauftage konnte der Einspringer Sébastien Guèze, den ich schon in Bonn und Wiesbaden gehört hatte, auch schaupilerisch in die Aufführung eingebunden werden.


Zum Auftakt hatte man sich etwas Originelles ausgedacht. Der Freiburger Literaturpreis 2017 sollte vergeben werden, den ein Gremium betagter Herren und ein Professor vergeben hatte. Irgendwie erinnerten mich die an das Komitee zur Vergabe des Literaturnobelpreises. Der Preis des Jahres 2017 ging an E.T.A. Hoffmann. Und Stadtrat Lindorf sollte den Preis überreichen. Ausgerechnet.


Durchgehetzte Auftaktakkorde folgten. Aua. Das war kein maestoso, sondern eher ein furioso. Die Muse tauchte, auch als dichterische Bühnenarbeiterin gekleidet, aus dem Untergrund auf. Sie streifte den Overall ab und wurde zu Niklaus. Zwischen den französischen Gesängen wurden deutsche Dialoge gesprochen und Gedichte zitiert, aber leider deren Autorenschaft verheimlicht. Auf der Premierenfeier regte ich an, die Autoren in den Übertiteln zu erwähnen, was nun in Erwägung gezogen werden soll.


Ganz links Niklaus, Hoffmann


Verletzlichkeit offen zu zeigen macht Charakter, war eines der Zitate. Ob das heute in unserer von positivem Denken geschlagenen Zeit noch zutrifft? Hoffmanns Freunde waren als moderne Studenten der Freiburger Universität gekleidet, also keine reaktionären Verbindungsleute, die es auch heute noch gibt. Im lebhaft auftretenden und singenden Chor befand sich auch eine Frau in Schwarzwälder Tracht.


Dieser lateineuropäische Dirigent scheint schnelle Tempi zu lieben. Stella in rotem Samtkostüm zitierte Rilke. Hoffmann kam in schickem Anzug mit Fliege und Sonnenbrille. Als er im Klein-Zach zu Stella überging, erschien auf den Bildschirmen Stella. Sébastien Guèze wurde spürbar lockerer, als er für seinen Klein-Zach Jubel und Applaus bekam. Premieren sind ja für alle beteiligten schon genügend Stress. Wie muss man sioch da erst als junger Einspringer fühlen? Das war nun das zweite Mal, dass er eine Premiere rettete.


Lindorf trat in einem Anzug mit ausgestellten Reithosen auf und sang einen Teil seines Parts aus dem Parkett. Ein Herr mit Pistole war immer in seiner Nähe. Dessen Funktion erfragte ich auf der Premierenfeier. Er sollte als Leibwächter Lindorfs dienen und fuchtelte immer mit seiner Pistole herum und schoss sogar auf Hoffmann. Er konnte gerade noch keuchen: Die erste hieß Olympia. Bitte nicht schon wieder ein toter Hoffmann. Der erste Akt war mit 35 Minuten eine Idee zu lange geraten, was aber auf die eingestreute Dichtung zurückzuführen war. Applaus. Dann folgte noch russische Dichtung, und auch der preisgekrönte Metaphysiker Bob Dylan wurde zitiert.




Olympia (2. v.l.) mit Kolleginnen


Spalanzanis Werkstatt war ein kahler weißer Raum, in dem sich mehrere Olympien in roten Babydolls befanden, einige lebendig, andere Schaufensterpuppen. Hoffmann wirkte eher wie ein Dandy. Cochenille kam als Fabrikarbeiter im Blaumann. Für Niklaus´ Vogelarie gab es Applaus. Coppelius trat in einem voluminösen Pelzmantel auf, den er auch in den anderen Akten trug. Als Hoffmann die Zauberbrille aufsetzte, erschienen auf den Bildschirmen verschiedene Poeten, die auch solche Brillen trugen. Spalanzanis Gäste in Laborkitteln trugen auch Weiß.


Spalanzanis Werkstatt schien eine Art Textilfabrik zu sein, denn es hingen zahlreiche Kleidungsstücke im Raum, und Hoffmann wurde mit Nähkissen und Maßbändern überhäuft. Das Lob auf Olympias Augen kam superschnell und war zu gut 99% im Takt mit dem Orchester. Eine echte Schaufensterpuppe wurde an ein Mikrofon gestellt. Eine Schiebetüre ging auf, und weitere zwei Olympien wurden sichtbar, diesmal lebendige. Insgesamt acht waren jetzt zu sehen, darunter drei lebendige.


Mit silberheller und glockenreiner Stimme jubelte Olympia ihre Arie. Hoffmann war hin und weg, doch er schmachtete nicht die echte Olympia an, sondern die Puppe am Mikrofon. Was für eine Parodie auf unsere Zeit, in der wir immer mehr Stars verehren, die wir persönlich nie treffen, sondern nur vom Bildschirm kennen. Niklaus versucht sogar, ihn zur echten Olympia zu lotsen, doch vergeblich. Das war eine der besten Olympien aller Zeiten. Kräftiger Applaus belohnte sie. Dann folgte wieder eine dichterische Einlage. Hoffmann hatte die lebendige Olympia verärgert, weil er die Puppe anschmachtete, doch er blieb bei ihr. Gut gelungen, diese Idee. Hatte ich auch noch nicht gesehen.



Zum Walzer tanzte Cochenille mit dem Torso einer Puppe. Und dann endlich entdeckte Hoffmann die Reize der echten Olympia und erkannte seine Täuschung. Kräftiger Applaus für diesen Akt. Es ging weiter mit Dichtung, wie z.B. Zu schreiben und zu sprechen ist kein Luxus. Zu singen auch nicht. Und das tat man in Freiburg ganz hervorragend.



Antonia trat als Business-Girl auf und sang berückend schön mit dramatisch-lyrischem Charakter. Ihre Stimme wurde oszillografisch auf den Bildschirmen dargestellt. Vater Krespel sang mit voluminöser Stimme. Als Antonia ihrem Vater je ne chanterai plus hingeknallt hatte, knallte sich auch noch die Türe hinter sich zu. Sie und Krespel waren übrigens nach Freiburg geflohen und nicht ins übliche München. Der Akt schien im Orchestergraben oder Tonstudio stattzufinden, denn überall standen Notenpulte, Mikrofone, auch eine Harfe.



Ein ausnahmsweise langsamer und träger Franz trat auf. Und dann beklagte er in den Übertiteln wieder einmal seine fehlende Methode. Wie oft muss ich das noch anmerken? Eine heftige Umarmung Hoffmann – Antonia zum Wiedersehen war ausgeblieben. Antonia dachte nur ans Singen. Antonia schrieb an Hoffmann und zitierte Enzensberger. Aber endlich, nach einem Duett kam die Umarmung.



Dr. Mirakel trat wieder im dicken langen Pelzmantel auf. Zu seiner Pseudodiagnose hingen die Notenpulte im Hintergrund verkehrt herum, und Antonia hatte einen Kopfhörer auf, durch den sie Mirakel wohl betäubte. Interessant die Schallplatte der Sängerin Anja Jung. Die sollte nämlich später die Mutter singen. Anja Jung ist der wirkliche Name der Sängerin. Antonia war selbst völlig verzweifelt, als sie Mirakel zum Singen verleitet hatte. Offensichtlich hatte er sie willenlos gemacht. Dann folgte wieder Poesie.


Antonia, im Hintergrund Mutter, rechts Mirakel


Die Dramatik dieses Aktes wurde gut wiedergegeben und von berückend schönem Gesang begleitet. Niklaus wollte Hoffmann von Antonia zurückhalten, doch vergebens. Dazu las ein gelangweilter Mirakel eine Zeitung aus dem Springer-Verlag. Auch Antonias innerer Konflikt wurde gut herausgearbeitet. Verfluchte Stimme! Einerseits ihre echte Liebe zu Hoffmann, dann aber auch die verführerischen Einflüsterungen des Mirakel. Ma mère – mais je l´aime. War das doppeldeutig gemeint? Wen liebt sie? Mutter oder Hoffmann?


Ein Teil der Bühne hob sich, und die Gruft der Mutter erschien, mit vielen Schallplatten von Anja Jung. Eine unglaublich voluminöse Mezzostimme einer strengen Mutter erklang. Das war eines der schönsten und bewegendsten Terzette, das ich je gehört hatte. Mit den letzten Tönen des Terzetts verstarb Antonia. Endlich durften wir wieder einmal dem Terzett applaudieren, und Pause.



Zum Giulietta-Akt gab es wieder Dichtung. Leider wurde die Barkarole von einem ziemlich laut pfeifenden Piccolo begleitet. Niklaus wurde in Giuliettas plüschigem Salon von rotgekleideten Erotinnen eingerahmt. Dapertutto sah sich alles fast gelangweilt von oben an. Er war ja in keinem der Akte ein mephistophelischer Bösewicht. Braucht es eigentlich auch gar nicht. Die Menschen richten sich offensichtlich ganz alleine zu Grunde. Es genügt, wenn einer im Hintergrund die Fäden zieht.


Giulietta


Es bedurfte auch keiner Gondel. Ein paar an einer Leine aufgereihte Spielzeugsegelschiffchen taten es auch. Im Edelbordell, den Kostümen der Gäste nach zu schließen: Frack und teure Abendkleider. Es gab es auch Freiburger Pilsner. Zwei Straps- und Tanga-Girls tanzten zur Anregung der Gäste. In Frankreich gibt es ja so etwas Sündiges nicht mehr, seit Ex-Präsident Hollande im nahen Frankreich die Prostitution für Freier unter Strafe stellte und daraufhin den Stimmenanteil seiner Sozialisten auf ein Zehntel herunterschraubte. Ebenso tief und langsam versank die tanzende Gesellschaft, als sich ihre Tanzfläche langsam aber sicher nach unten verschwinden ließ. Nich schlecht, diese Bildsprache. Dazu der Text: Wozu Dichter in dürftiger Zeit? Das sind schon relevante Fragen in einer Zeit, in der das von den Schwarz-Gelben eingeführte Privatfernsehen zusammen mit dem Internet Schmutz und Schund in Wohn- und Kinderzimmer schaufeln.


Giulietta war mit ihrem knappen Lack- und Leder-Outfit eher als Nutte vom Straßenstrich denn als mondäne Salondame gestylt. Sie sang mit verführerischer und feuriger Stimme und zeigte kongeniale Körpersprache. Dann folgte endlich wieder einmal die orignale Diamantenarie des Jacques Offenbach, und zwar in der melodiöseren Variante. Das Publikum kennt die kaum, da immer wieder das dröge Implantat des Andreas Bloch gesungen wird. Ich musste den Applaus eröffnen. Erfreulicherweise klatschte das Theater mit. Wenn sich jemand von diesem sinnlichen Preis der Liebe durch Giulietta nicht mitreißen ließ … Ein großartiges Duett Hoffmann – Giulietta folgte.


Wie genau Hoffmann sein Spiegelbild verlor, bekam ich nicht mit. Jedenfalls wurde er ausgiebig deswegen verlacht, als er sich verzeifelt in einem Garderobenspiegel nach dem anderen zu finden versuchte. Hoffmann verzweifelte an Giuliettas Betrug, und Niklaus musste Hoffmann davon abhalten, auf Giulietta loszugehen.



Zur folgenden Dichtungseinlage wurden Bücher zerschossen. Zum Finale erklang der melancholische à cappella-Männerchor, höchst sensibel gesungen. Hoffmann lag am Boden. Lindorf stand wieder im Publikum. Sein Leibwächter warf die Muse hinaus und bedrohte Alle. Stella kam wieder. Hoffmann raffte sich wieder auf und sang mit ersterbender Stimme den Rest des Klein-Zach. Dichtung folgte.



Hoffmanns drei Frauen kamen wieder Stella lebt weiter in ewiger Schönheit. Den drei Frauen gelang es, Hoffmann wieder zu beleben. Zum lyrischen Gesang der Muse umarmte er seine drei Verflossenen, und auch Stella. Alle Personen seiner Erzählungen waren nun auf der Bühne, und der wiedergeborene Hoffmann begrüßte sie. Ein wunderschönes, versöhnliches Ende.



Spontaner Jubel brandete auf. Jubel auch für den Chor und ein Bravo für den Chorleiter. Großer Jubel für alle drei Frauen Hoffmanns und die Muse, und langanhaltender Jubel für Hoffmann, der die Premiere souverän gerettet hatte. Jubel auch für den Dirigenten und das Orchester und Beifall für das Regieteam. Wieder wollte man uns mit dem Vorhang abwürgen, aber wir wollten weiterklatschen, und der Vorhang ging wieder auf, so dass fast neun Minuten zusammenkamen.

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Theater Freiburg und bei der Fotografin Tanja Dorendorf Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit. Die Bilder zeigen den Tenor Rolf Romei.


Dann folgte eine Premierenfeier, zu der auch das Publikum eingeladen war. Intendant Peter Carp machte es gnädig und pries in einer kurzen Ansprache sein Ensemble. Er erwähnte auch, dass er dieser Oper eine besondere Beziehung habe. Ich darf ergänzen, dass er selbst vor fast einem Jahrzehnt in Luzern einen intelligenten »Hoffmann« inszeniert hatte, der aber leider wegen des nüchternen Bühnenbildes nicht die Aufmerksamkeit bekam, die er verdient hätte.



Folgende Bilder entstanden:






Das Regieteam



Giulietta, Widersacher, Antonia und Olympia




Muse



Antonia und Hoffmann





Startseite