Kreativer »Hoffmann« in Dessau

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Besuchte Vorstellung 25. Oktober 2019 (Premiere)





Regie


Roman Hovenbitzer

Dirigent


Elisa Gogou

Chorleitung


Sebastian Kennerknecht

Bühnenbild


Hermann Feuchter

Kostüme


Judith Fischer

Version


Oeser

Sprache


Französisch




Hoffmann


Jason Kim

Muse


Mireille Lebel

Olympia, Antonia, Giulietta


Netta Or

Widersacher


Ulf Paulsen










Fazit Dessau: Ein höchst kreativer und streckenweise frecher »Hoffmann« mit einem Feuerwerk an eigenen Ideen, der auch lokale Themen in die Oper einbaute. Glanzpunkte waren Stella Or als Stella, ein vielseitiges Bühnebild, gute bis sehr gute Stimmen in allen Rollen und ein dynamisch spielendes Orchester. Leider kein romantisches Happy End für Hoffmann, aber immerhin durfte er am Leben bleiben. Das applausfreudige Publikum ging gut mit und spendete am Ende über 10 Minuten begeisterten Beifall. Zu loben ist auch das gut gemachte Programmheft. Knapp und präzise wird das Wichtigste über diese Oper gesagt. Wieder einmal ein leuchtendes Beispiel für die weltweit einzigartige Opernkultur in unserem Land, die sich oft am bemerkenswertesten abseits der Metropolen manifestiert. Für Bauhaus-Freunde ein weiterer Grund, Dessau zu besuchen.




Hoffmann und Muse


Nun hatte mich diese Oper auch in das mir bislang unbekannte Dessau geführt, das kurz vor Ende des 2. Weltkrieges zu 83% zerstört wurde, und dabei natürlich auch das zweifellos kriegswichtige Theater. Doch schon 1949 wurde der elegante und zweckmäßige Neubau mit 1076 Plätzen eröffnet. In der Zwischenzeit war an Ersatzstätten gespielt worden. Leider gilt das Theater Dessau als in seiner Existenz gefährdet, nachdem das Land Sachsen-Anhalt seine Zuschüsse massiv kürzte. Für andere, unserer heimischen Kultur fremde Zwecke, scheinen unsere Regierenden aber schon Geld zu haben.


Die Zusammenarbeit mit dem Theater war beispielhaft problemlos und freundlich. Das Theater wurde neu gestaltet nach modernen Prinzipien errichtet: ein ansteigendes Parkett und ein großer geneigter Balkon. Jeder sieht und hört gut. Bedenkt man, dass es gebaut wurde, als die DDR noch unter Besatzung und Demontage litt, ist es ein bemerkenswert gelungener Bau, auch was die Ästhetik angeht. Eine große Drehbühne erlaubt variable Bühnenbilder. Im Orchester zählte ich vier Kontrabässe und fünf Celli. Das Publikum war altersmäßig gut durchmischt. Was mir besonders angenehm auffiel war das gut vertretene Alter zwischen 30 und 50 Jahren, das an so vielen Theatern im Westen nur selten ins Theater geht. In Dessau scheint gute Öffentlichkeitsarbeit betrieben zu werden. Das Theater war ziemlich voll. Bedenkt man, dass wesentlich größere Städte kleinere Theater haben, war die Premiere quasi ausverkauft. Im Publikum fiel mir ein militärisch wirkender Herr in schwarzer SM-Unform auf. Er war aber nicht Lindorf.


Die Bühne war offen. Kartons und allerlei Krimskrams standen umher. Die Szene wirkte improvisiert und provisorisch. Leider wieder einmal wurden die Auftakte nicht maestoso, sondern viel zu schnell durchgehetzt. Maestro Minkowski in Bordeaux hatte sie vorbildlich und schicksaldräuend wuchtig interpretiert. Auf der Bühne gab es drei Ebenen: Ein Theater im Hintergrund (HG), in dem Stella auftrat und Hoffmanns Fantasien stattfanden, das reale Geschehen vorne auf der Bühne, und ganz vorne, wo der Souffleurkasten steht, ein kleines Puppentheater, in dem immer mal wieder das kommende Geschehen mit Puppen symbolisch angekündigt wurde.


Stella trat in ihrem HG-Theater auf. Dazu wurden schmachtende Texte von E.T.A. Hoffmann zu Stella zitiert. (Ich war am Tag vorher noch am Grab E.T.A. Hoffmanns gestanden und hatte das leider einzige Blümchen abgelegt.) Im HG gingen zwei Bewaffnete mit Säbeln aufeinander los. War der eine davon der Komtur aus dem Don Giovanni? Einer von beiden ging zu Boden. Zeichneten sich da Hoffmanns Niederlagen ab?


Die Muse gerierte sich wie ein praktisch veranlagtes Mädchen für alles. Ihr lebhafter und wohlklingender Mezzo erntete früh den bei Premieren so wichtigen ersten Applaus. Das Dessauer Publikum sollte sich im weiteren Verlauf des Abends als besonders applausfreudig erweisen.


Ein ruppiger Grobian trat auf: Lindorf, standesgemäß in Zylinder und Domino-Umhang gekleidet. Irgendwie erinnerte er mich an Graf Dracula. Die Choristen waren als Bühnenarbeiter gekleidet. Das passte, denn die ganze Oper spielte in einem Theater. All the world´s a stage. Ein Unhold versuchte, eine Frau zu bedrängen. Er war einer der beiden Säbelkämpfer von vorhin. Während des Klein-Zachs trat ein Scrooge McDuck auf, bei uns als Onkel Dagobert bekannt. Auch die Panzerknackerbande war zu sehen.


Der leichte Tenor des Hoffmann überzeugte mit geschmeidiger und glanzvoller Stimme. Applaus dafür. Ein ausführliches Anfiesen Hoffmann – Lindorf folgte, und der Chor wedelte mit Greenbacks. Aha, daher der Auftritt von Onkel Dagobert: Klassenkampf. Gab es neulich schon andeutungsweise in Karlsruhe. Geldsäcke wurden herumgetragen, und die gehörten nicht Hoffmann, der deutlich als Dichter charakterisiert wurde. Seine Welt ist die der Kunst und des Theaters, das im Hintergrund immer präsent war, und das besonders in Dessau diese Geldsäcke gut gebrauchen könnte. 35 Minuten dauerte das Vorspiel in Lutters Taverne.


Olympia mit beiden Hoffmännern


Zu Beginn des Olympia-Aktes stand ein Klavier auf der Bühne, auf dem die Olympia präsentiert wurde. Der Pianist trug ein Rokoko-Kokostüm. Spalanzani war als hektischer Tausendsassa aus der gleichen Epoche gekleidet. Sein Reich war passenderweise in das Theater verlegt worden. Dann wurde Olympia offiziell in einem Transportkasten hereingebracht. Niklaus trug eine lebendige Vogelarie vor. Langsam begann ich zu verstehen, dass man die Gestalt des Hoffmann in zwei Personen auftreten ließ. Einer war der Sänger, und sein anderes Ich zitierte auf Deutsch die Texte E.T.A. Hoffmanns. Beide befanden sich meistens in körperlicher Nähe zueinander und waren auch gleich gekleidet. Hoffmann wurde schon in mehreren Inszenierungen der letzten Jahre gespalten. In Lodz sang er nur, während sich ein Tänzer bewegte, in Berlin bei Barrie Kosky gab es sogar drei Hoffmänner, in Kiel wurde er von einem stummen Alter Ego observiert usw.



Coppelius wirkte wie ein Rasputin, der Hoffmann I & II zu Blinden machte. Für die Olympia brachte er echte Augen in einer Kühlbox. Spalanzanis Gäste trugen Ballettröckchen, auch die Männer. Schnell kam das Lob auf Olympias Augen. Und das auf Französisch! Am Rande der Bühne spielten Hoffmann I & II darum, wer der begehrten Olympia ein Blümchen überreichen darf.


Souverän trug Olympia ihre Arie vor. Wenn sie schwächelte, fiel sie um.Dann vernaschte sie den Hoffmann in einem Cowgirl-Ritt, der Olympia umhaute. Kräftiger und langanhaltender Applaus für diese Arie. Viele Blinde, d.h. Geblendete befanden sich in Spalanzanis Gesellschaft. Olympia fesselte Hoffmann I & II aneinander. Dies dürfte dem speziell gekleideten Herrn im Publikum gefallen haben. Dann erschlug Coppelius die Olympia auf dem Klavier und triumphierte laut auf der Bühne. Kräftiger Applaus für diesen Akt und Pause.



Zu Beginn des Antonia-Aktes wurde Olympia auf der kleinen Bühne begraben. Dazu erklang der melancholische Bläserchor aus dem letzten Akt. Antonia war in Rot gkleidet und stand in einer als Theater gestalteten Puppenstube. Ihre Mutter, ebenfalls in Rot, erschien mit einem schwarzen Schleier über dem Kopf. Antonia stellte drei ihr ähnelnde Puppen vor sich auf. Die drei Kinder, die sie sich von Hoffmann wünschte? Ein junger Franz mit aufgesetzten Kopfhörern trat auf, machte aber keine Anstalten, sein Couplet vorzutragen. Dann folgte meine geliebte Geigenarie, für die es Applaus gab.


Antonia und Hoffmann


Hoffmann und Antonia begrüßten sich freudig, doch Niklaus zerriss ärgerlich Hoffmanns Erzählungen, als sich Hoffmann und Antonia liebevoll begegneten. Mirakel kam als Zauberer in einem giftgrünen Mantel. Krespel sperrte Antonia in einem Schrank ein und versiegelte ihn, doch Mirakel öffnete den gewaltsam und holte eine Antonia-Puppe heraus, an der er seine Pseudo-Diagnose ausführte. Antonia betonte, dass ihr Ruhm nichts bedeutet und Glück mit Hoffmann alles. Sie sperrte den Mirakel weg, doch der befreite sich gleich wieder. Doch Antonia wird von Mirakel zur Karriere überredet. Dzu wurde das kleine Theater wieder vor ihr aufgestellt. Mirakel zu Antonia: „Deine Mutter spricht durch meine Stimme.“ Acht Totengräber umrahmten die Mutter, und der Komtur war wieder da.


Die Mutter nahm ihren schwarzen Schleier ab und setzte ihn Antonia auf. Unter dem sang sie sich zu Tode. Ein Sarg für Antonia wurde hereingebracht. Krespel beschuldigte Hoffmann, und beide prügelten sich, während Antonia hinausgetragen wurde. Das alles geschah im Theater, denn dort wurden ja Hoffmanns Phantasien auf die Bühne gebracht. Mirakel betrachtete zynisch und Sekt trinkend sein Werk aus einer Loge.


Langanhaltender Applaus für diesen Akt, nachdem der Vorhang gefallen war. Zum Umbau für den Giulietta-Akt gab es dann doch noch den Auftritt des Franz. Doch ohweh, dem mangelte es in den Übertiteln mal wieder an der Methode. Kurzer Applaus für den Franz. Ihn aus dem Akt zu verbannen fand ich gut.


Dapertutto und Giulietta


Im Giulietta-Akt räkelten sich verführerische Wassernixen vor einer Gondel. Giulietta trug viel Silber und Lametta auf ihrem Paillettenkleid, auch auf dem Kopf. Erfreulich: Zur Barkarole pfiff keine Piccoloflöte aus dem Orchestergraben. Dazu gab es viel Geschmuse in Giuliettas Etablissement, aber ohne familienfeindliche Laszivitäten. Der Figur des Pitichinaccio hatte man eine riesige Pizza um den Hals gelegt, die mit Insalata Caprese belegt war. Applaus für die Barkarole, die allerdings etwas verhaltne gesungen wurde.


Netta Or verkörperte überzeugend eine verführerische Giulietta. Dapertutto war als Kapitän gestylt, der ein neues Immobilienprojekt namens City Center in Dessau projektierte. Den Zusammenhang verstand ich als Ortsfremder zuerst nicht. Am Tag nach der Premiere wurde ich von einer freundlichen Deaauerin im Bauhausmuseum aufgeklärt. Das City Center ist ein umstrittenes Immoblienprojekt an der Stelle eines alten Schulhauses, zu dem es sogar eine unbefriedigende Volksabstimmung gab. Naja, ein Kapitän und Zuhälter hat wohl wenig mit einem Immobilienhai zu tun, aber unerfreuliche Zeitgenossen sind sie wohl.


Dann gab es eine traditionelle aber eigentlich von fremder Hand eingefügte Spiegelarie, die natürlich beim Publikum immer gut ankommt. Dazu wurde das Theater in eine Folie gepackt. Klar, einem Immobilienhai bedeutet Kultur normalerweise wenig. Weg damit. Dann folgte das oft gestrichene Klagelied der Giulietta. „Wenn mich der Schmach entrisse!“ Giulietta schien mit Hoffmann zu kooperieren, indem sie ihm ihre Liebe versprach. Hoffmanns Verlust seines Spiegelbildes wurde durch Projektion seines verzerrten Gesichtes dargestellt. Schlemihl bezeichnete Hoffmann als Schicksalsgenossen, denn Giulietta hatte ihm bekanntlich seinen Schatten abgeluchst.


Stella mit beiden Hoffmännern


Dem betrogenen Hoffmann wurde eine grüne Kopfmaske übergezogen, und Giulietta triumphierte vulgär. Hoffmann versuchte sie zu erschießen, doch die Kurtisane war immun gegen Kugeln. Die Rolle des zweiten Hoffmann war nun etwas verwirrend.


Dann erklang der zwei Mal vorher zitierte melancholische Bläserchor, und Hoffmann raffte die Blätter seiner Erzählungen zusammen. Zum Finale fand eine glanzvolle Eröffnung des City Center statt. Lindorf hat gesiegt, und natürlich kam Stella zur Einweihung. Hoffmann blieb nichts übrig, als den jämmerlichen Rest des Klein-Zach zu singen. Die feine Gesellschaft der Banausen zerstört Hoffmanns Erzählungen, und Hoffmann lag besinnungslos am Boden. Doch die Muse erweckt ihn wieder und überreichte ihm eine gebundene Ausgabe seiner Erzählungen.


Lindorf und Stella gingen shoppen, und der arme Hoffmann blieb ohne seine Muse. Der Kapitalismus hat gesiegt, der Mann mit dem Geld schleppt die Diva ab, die Bauarbeiter im Chor haben ihre Arbeit erledigt und der Dichter hat die Ehre, das ganze Elend in literarische Form zu bringen. Vorhang.

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Theater Dessau und bei der Fotografin. Claudia Heysel. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Jubel für die zwei Hoffmänner, viel Applaus für den Chor, verdienter starker Applaus für das Orchester, tosender Jubel für die Muse, Jubel für Stella und Hoffmann, Jubel für die Dirigentin und das Orchester. Nach fünf Minuten wurde rhythmisch geklatscht. Immer wieder Jubel für die Muse, auch für Stella, und besonders für Hoffmann. Applaus auch für das Regieteam, kein Buh zu hören. Nach gut 10 Minuten endete der Applaus. 10 Minuten sind schon etwas über dem Durchschnitt.

















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