»Hoffmann« als ästhetische Traumnovelle in Lausanne


www.opera-lausanne.ch



Besuchte Vorstellung 29. September 2019 (Première)






gie und Bühne


Stefano Poda

Dirigent


Jean-Yves Ossonce

Chorleitung


Patrick Marie Aubert

Version


Oeser

Sprache


Französisch




Hoffmann


Jean-François Borras

Muse


Carine Séchaye

Olympia


Beate Ritter

Antonia


Vannina Santoni

Giulietta


Géraldine Chauvet

Widersacher


Nicolas Courjal






Fazit Lausanne: Wieder einmal ein »Hoffmann« der unverwechselbaren Art, bei dem Künstler mehrerer Gattungen ein ästhetisches Gesamtkunstwerk präsentierten. Die Oper spielte durchgehend vor einem in einheitlichem Weiß gehaltenen luftigen Bühnenbild, das an die bei Schriftsetzern in den 80er Jahren ausrangierten Setzkästen erinnerte, die dann mit allerlei Krimskrams bestückt wurden und in keinem schicken Haushalt fehlen durften. Die Kostüme waren überwiegend in sündigem Schwarz mit viel Latex als Material. Nur Olympia und Antonia samt Klonen durften sich in anderen Farben zeigen. Für diese Inszenierung scheinen nach meinem Eindruck Arthur Schnitzlers Traumnovelle und der darauf basierende Film Eyes Wide Shut von Stanley Kubrick Pate gestanden zu sein. Die von mir vermutete oder unterstellte Parallele zu Schnitzlers Traumnovelle und Kubricks Film ist nicht weit hergeholt, sondern liegt nahe. In beiden Fällen geht es um Liebe und Sex, Betrug und geheimnisvolle Erlebnisse. Und in beiden Fällen werden Phantasie und Wirklichkeit miteinander verwoben. (Ich hoffe, ich habe diese Parallele, falls sie beabsichtigt war, richtig verstanden.) Eine psychologische Vertiefung oder Neuinterpretation der Botschaft dieser Oper war nicht zu erkennen. Musikalisch war alles in guter Ordnung, und schöne Stimmen waren zu hören. Diese Inszenierung wird wie ihr Lausanner Vorgänger von Laurent Pelly (2003) auf Reisen gehen, und zwar mindestens nach Lüttich/Liège und Tel Aviv.



Das Theater von Lausanne ist wie die gesamte Stadt an einen Südhang zum Genfer See (Lac Léman) hin gebaut. Es wurde 1931 zum letzten Mal neu gestaltet und renoviert. Das Innere ist weitgehend schmucklos und in Rostrot gehalten. Es hat ein Parkett und drei Ränge. Im Orchester zählte ich drei Kontrabässe und vier Celli. Die Premiere war offensichtlich ausverkauft, denn vor dem Theater wurden Karten gesucht. Nur im Parkett klaffte eine Lücke von 12 zusammenhängenden Plätzen, die vermutlich für Opernkritiker reserviert waren, die aber nicht kamen. Für meine Karte im hinteren zweiten Rang bezahlte ich 68 Euro. Im Publikum überwog wie in den nicht-slawischen Ländern die ältere Generation. Die Zusammenarbeit mit der Presseabteilung war, vorsichtig ausgedrückt, etwas kompliziert, aber letztendlich doch noch möglich.


Die Oper von Lausanne hatte im Jahr 2003 unter »Hoffmann«-Kennern Aufmerksamkeit erregt, denn Laurent Pelly insznierte damals einen »Hoffmann«, der die neuesten Erkenntnisse der »Hoffmann«-Forschung berücksichtigte, denn die Versionsgeschichte dieser Oper ist über 100 Jahre nach ihrer Uraufführung noch nicht beendet. Die damals gespielte Kaye-Keck-Version galt als die werkgetreueste und wurde an mehreren Bühnen, zuletzt im Dezember 2018 an der Deutschen Oper in Berlin gespielt. Pellys »Hoffmann« war nüchterner, episch-erzählend und korrekter und ganz anders als die Neuinszenierung von Lausanne, die einen Schritt zurück auf der älteren (und eigentlich veralteten) Oeser-Version basiert.



Nun wollte Lausanne einen neuen Anfang wagen, obwohl der musikologisch verdienstvolle »Hoffmann« Pellys immer noch hie und da gespielt wird. Was Lausanne nun präsentierte, war ein operatisches Gesamtkunstwerk aus einer Hand, denn Regie und die gesamte Bühnenpräsentation, also auch Bühnenbild und Kostüme, stammten aus der Hand von Stefano Poda aus Trient und seinem Assistenten Paolo Giani Cei.



Als der Vorhang aufging, blickte man auf eine von drei Seiten U-förmig von Kästchen eingerahmte Bühne, die mit Hunderten von Objekten aller Art gefüllt waren, für die man wohl den Fundus des Theater komplett geleert und weiß angestrichen hatte, denn es gab keine andere Farbe. Diese Kästchen türmten sich zu einer Höhe von geschätzt zehn Metern auf. Dieses Bühnebild blieb bis zum Ende der unverändert stehen und wurde nur dann und wann in der Mitte von anderen Konstruktionen ergänzt. Irgendeinen Bezug zur Oper schien dieses Bühnebild nicht zu haben. Dazu erklangen, leider wieder einmal, viel zu schnell gespielte Auftakte, die alles andere als maestoso interpretiert wurden.



Auf der Bühne hatten ein Mann und eine Frau viel Spaß miteinander. Besonders der Mann lachte immer wieder spontan und lustvoll, die Frau jedoch weinte. Sie war die Muse, die sich anschließend zu Niklaus umzog. Der Mann erwies sich als Lindorf. Der Chor, Hoffmanns Freunde, trat einheitlich in schwarzen Latex-Klamotten auf. Hoffmanns Kumpane gingen längere Zeit ziellos auf der Bühne umher und lasen in Büchern, möglicherweise in Hoffmanns Erzählungen. Eine teuer gekleidete Stella kam angeschwebt, einen Blumenstrauß im Arm. Die Diva posierte, sich ihrer selbst bewusst.


Hoffmann lag in einem Bett, das in einem quadratischen, zum Publikum hin offenen Kubus befestigt war. Dieser Kubus war von einem Kranz umgeben, auf den die Namen Stella, Olympia, Antonia und Giulietta geschrieben waren. Hoffmann war also offensichtlich von diesen vier Frauen eingekreist. Hoffmann trug wie die meisten Charaktere einen langen schwarzen Umhang. Seine wirren Haare und sein Bart erinnerten an eine Gestalt wie Rasputin.


Nun wurde Hoffmann vor eine akrobatische Aufgabe gestellt. Dieser nach vorne offene Kubus, Kantenlänge geschätzt 3 Meter, begann nun um seine Horizontalachse zu rotieren, was von Hoffmann verlangte, dass er dauernd eine neue Seite des Kubus betreten musste, um nicht im Kubus wie in der Trommel eines Wäschetrockners umhergeschleudert zu werden. Vorsichtig setzte er seine Füße, immer den richtigen Moment abpassend, auf die neue Seite, die für einen Augenblick waagrecht verblieb. Und dazu musste dieser Rasputin noch den Klein-Zaches singen. Eine akrobatische wie gesangliche Leistung.



Der Lausanner Hoffmann hatte eine volle, kräftige Stimme und überhaupt keine Probleme, auf die hohen Töne dieser Arie noch mühelos einen extra hohen draufzusetzen. Als Hoffmann zu Stella überging, warfen sich seine schwarzgekleideten Freunde zu Boden und zuckten konvulsivisch mit ihren Körpern. Für den stimmgewaltig vorgetragenen Klein-Zaches gab es Applaus. Danach musste der im Kubus gefangene Hoffmann immer wieder neue akrobatische Übungen vollführen. Aber es ging alles gut. 30 Minuten dauerte die Szene bei Lutter, die aber nicht als Taverne zu erkennen war. Auch wurde Hoffmann nicht als Dichter charakterisiert.



Zum Olympia-Akt wurden schmale hohe Vitrinen hereingefahren, in denen sich jeweils ein jedesmal verschieden gekleideter Olympia-Klon befand. Verschiedene Bestandteile einer neu zu erschaffenden Olympia wurden bedeutungsvoll hereingebracht. Wütend sang Niklaus die Vogelarie, wohl deswegen, weil Hoffmann nicht auf sie hören wollte. Trotz engagiert und wohklingend gesungener Arie gab es keinen Applaus. Als Hoffmann von Coppelius seine Zauberbrille bekommen hatte, erstrahlten die Olympien in ihren Vitrinen in hellem Licht und begannen sich zu bewegen.


Die Bühne war grau-weiß, als 16 identisch rot gekleidete schlanke Damen auf hochhackigen Schuhen hereinkamen. Sie bildeten den Chor. Viele schöne Farbtupfer im Einheitsweiß. Mittelschnell kam das Lob auf Olympias Augen „Elle a des beaux yeux ...“ Eine dieser Damen war die Olympia, die zu ihrer Arie anhob. Alle anderen Olympien, auch die in den Vitrinen, mimten Gesang. Beim zweiten Schwächeln trillerte sie auf einem hohen Ton, und mit einem sehr hohen beendete sie gelungen ihre Arie. Kräftiger und langanhaltender Applaus belohnte sie.



Zum Walzer der Olympia wurden die Klone in ihren Vitrinen symbolisch herumgefahren. Einen dieser Klone, eine solche nicht aus Fleisch und Blut, zerstörte der betrogene Coppelius, indem er sie zerschlug. Alle anderen Olympien quittierten diesen Mord mit konvulsivischen Zuckungen und kollabierten. Hoffmann schien nun nicht traurig und deprimiert über den Verlust seiner Angebeteten, sondern wütend. Kräftiger Applaus und erste Pause.


Zu Beginn des Antonia-Aktes standen zwölf weiße Trichtergrammophone sauber aufgereiht auf dem Bühnenboden. Einige der Vitrinen aus dem Olympia-Akt standen noch da, enthielten jetzt jedoch Klone der Antonia. Und die waren gekleidet, als hätte die Oper Lausanne einen der Spitzenmodeschöpfer Europas engagiert. Jede dieser eingeglasten Damen hätte selbst in der Zürcher Bahnhofstraße Aufsehen und bewundernde Blicke erregt. Mit jugendlich heller Stimme stellte sich die ebenso exklusiv gekleidete Antonia vor. Leider gab es nur kurzen Applaus.


Dann erlebten wir wieder einen offensichtlich unvermeidlichen Franz, dessen Auftritt aber keine tiefere Bedeutung gegeben worden war. Klar sang er von der méthode, wie die Technik auch im Französischen heißt. Aber in den englischen Übertiteln hatte man aufgepasst und geschrieben: technique. Bravo. Für den mäßig komödiantischen Franz gab es kurzen Applaus.



Für die seelenvoll gesungene Geigenarie des Niklaus gab es nur skandalös wenig Applaus, den noch dazu ich hatte eröffnen müssen. Schon alleine diese schöne Arie verdient Beifall, und besonders wenn sie so überzeugend vorgetragen wird. Nun endlich wurde Hoffmann als Dichter identifiziert, denn Niklaus hatte ihm Papier zum Schreiben gegeben. Passend zur Geigenarie war Antonia hereingekommen. Schön gesungene Duette Antonia – Hoffmann folgten, doch das Publikum honorierte sie kaum.



Zwischen Krespel und Mirakel gab es eine heftige Konfrontation. Die Pseudodiagnose des falschen Arztes wurde überzeugend dargestellt. Als Mirakel die Antonia zum todbringenden Gesang verleitet hatte, brach sie zusammen. Interessant auch der Kontrast zwischen der höchst elegant gekleideten Antonia und dem eher einem Waldschrat ähnelnden Hoffmann.


Eine riesige sich drehende Schallplatte erschien zwischen den Setzkästen. Aus ihr heraus sang später die Mutter, die dann auch erschien und gekleidet war wie Antonia. Ein hochdramatisches Terzett Mutter – Antonia – Mirakel folgte, an dessen Ende Antonia zusammenbrach. Mit leiser Stimme sang sie sich pianissimo zu Tode. Applaus und zweite Pause.



Bei Giulietta waren alle Gäste in Schwarz gekleidet, die meisten in lange Umhänge und Dominos. Der erste Eindruck erweckte die Assoziation zu Stanley Kubricks letztem Film Eyes Wide Shut, der auf Arthur Schnitzlers Traumnovelle basierte: Fetischparty bei Giulietta, mit Dapertutto als Salonlöwen und Zermemonienmeister. Das weiße Quadrat in der Mitte des Bühnehintergrundes drehte sich wieder. Darin schwebte eine bläuliche Gondel vor einem blassen Mond. Ein schönes Bild. Giulietta trug ein langes, hochgeschlossenes Kleid. Auch alle anderen Gäste waren ähnlich gekleidet, die meisten in Latex-Klamotten.



Dank an den Dirigenten, dass er Rücksicht auf die sensiblen Ohren der Musikfreunde nahm und die Piccoloflöte herausgenommen hatte. Bei der Barkarole standen Giulietta und die Muse weit auseinander. Dann folgte eine traditionelle Spiegelarie, die 1908 von Andreas Bloch in diesen Akt eigefügt wurde und auf der Ouvertüre zu Offenbachs Operette Die Reise zum Mond basiert. In Lausanne spielte man die Oeser-Version, und als die entstand, waren Offenbachs Originalkompositionen zu diesem Text noch nicht entdeckt worden.

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen bei und beim Fotografen...... Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Giulietta schmuste viel mit ihrem Meister Dappertutto. Aus der Schallplatte in der Mitte war nun eine Rouletteschüssel geworden, denn Hoffmann sollte ja sein Geld verlieren. Dappertutto beherrschte auch hierin die Geschicke, denn er manipulierte den Fall der Roulettekugel. Die Vitrinen waren auch wieder zu sehen. In ihnen standen nun schwarzgekleidete Giulietten. Stimmlich bildeten Hoffmann und Giulietta ein beeindruckendes Paar. Eine feuerig-sinnliche Kurtisane und ein stimmgewaltiger Rasputin. Applaus für seine Ode an die Freude.



Der Verlust seines Spiegelbildes wurde einfach und effektiv dargestellt. An einer Seite einer der Vitrinen war ein dunkler Spiegel angebracht, vor dem Hoffmann stand, und diese Seite wurde weggedreht, so dass sein Spiegelbild auch weg war. Punkt. Dann folgte die Nummer Hélas mon coeur s´egare, deren genauer Ursprung immer noch nicht endgültig geklärt ist. Sie ist zwar beeindruckend schön, stammt aber nicht von Jacques Offenbach sondern vermutlich von Andreas Bloch. Fast punktgenau schafften die zahlreichen Stimmen den schwierigen Einsatz nach der Fermate, an dem die meisten anderen Ensembles scheitern. Giuliettas souveräne Stimme schwebte über allen anderen. Das Duell Hoffmann – Schlemihl wurde als Ringkampf in Zeitlupe ausgeführt. Und schon war der Akt zu Ende.



Die schwarzen Gestalten gingen gemessenen Schrittes von der Bühne, als Hoffmanns quadratische weiße Kemnate wieder erschien und sich drehte. Kompliment an die Bühnentechnik, die diesen Mechanismus schon zur Premiere perfekt funktionieren ließ. Hoffmann schlief in seinem engen Quadrat, als Stella erschien. Die Muse, nun in Weiß wie auch Hoffmanns Freunde, sang, was sonst Hoffmann tut: das Ende des Klein-Zach. Auch Olympia, Antonia und Giulietta befanden sich zum Finale auf der Bühne.



Die Männer des Chores waren wie eingeweihte Priester gekleidet, die einen Choral zu singen haben, als die Muse feierlich zu Les cendres de ton coeur anhob, dazu fiel dann der gesamte Chor ein, die Frauen in Schwarz. Dann folgte On est grand par l´amour. Ein erhebendes, fast sakrales Ende. Und dann folgte eine überraschende Wende. Der weiß gekleidete Lindorf legte seinen Umhang ab, baute sich selbstbewusst vor Hoffmann auf und schnippte vor dessen Gesicht mit seinen Fingern, so als wollte er sagen: Hoffmann, deine Erzählungen sind zu Ende, die Party ist vorbei, du bist jetzt wieder in der Wirklichkeit und hast deiner Aufgabe als Dichter und Schriftsteller nachzukommen.



Es gab meines Erachtens zu wenig Jubel für die schönen Frauenstimmen. Großen Jubel gab es für den sonoren Widerdsacher, und auch für Hoffmann. Nach vier Minuten begann das Publikum rhythmisch zu klatschen, und zahlreiche Premierenbesucher spendeten stehend Applaus. Der wäre sicher noch weitergegangen, wenn nicht nach knapp acht Minuten der schwarze Vorhang endgültig gefallen wäre. Game over.






In Lausanne gab es keine Premierenfeier, was nur ganz selten vorkommt. Aber am Bühneneingang mussten die Ensemblemitglieder herauskommen, und dort konnte ich noch ein paar interessante Gespräche führen.















Touristische Hiinweise zu Lausanne

Lausanne liegt an einem Südhang des Genfer Sees (Lac Léman) und hat ein mildes Klima, das durch den großen See zusätzlich ausgeglichen wird. Die Stadt hat ein gut ausgebautes System von Elektrobussen und einer U-Bahn, die den steilen Berg hinauffährt. Über der Stadt liegt eine sehenswerte Kathedrale, zu der man mit der U-Bahn fahren kann (Station Bessière)

Die Schweiz ist im Augenblick für Europäer sehr teuer, wofür aber die Schweizer nichts können. Sie sind umgeben von Euro-Ländern, und der Euro hat gegenüber den Ländern mit solider Wirtschaft drastisch an Wert verloren, seit Angela Merkel und ihr EZB-Bankier Draghi die Geldpolitik gegen die Wand gefahren haben. Noch um 1990 fuhr ich in die Schweiz zum Einkaufen. Ein Franken (CHF) kostete damals 70 Pfennig, also 35.ct. Heute ist ein Franken fast einen Euro wert, hat also seinen Wert fast verdreifacht. Diese Entwicklung ist schlecht für die Schweizer Wirtschaft, denn sie verteuert Schweizer Exporte und verbilligt Importe. Und wir kommen uns in der Schweiz abgezockt vor. Aber die Schuldigen sitzen nicht in Zürich, sondern in Berlin und Frankfurt.





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