»Hoffmann« in Disneyworld

oder

Von der Leichtigkeit der Tragik


www.nationaltheater-weimar.de



Besuchte Vorstellung 8. September 2019 (Premiere)






Das Weimarer Theater, davor das von Ludwig I. Von Bayern gestiftete, von Ernst Rietschel gestaltete und in München von Schwanthaker gegossene GoetheSchiller-Denkmal.

Regie


Christian Weise

Dirigent


Stefan Lano

Chorleitung


Jens Petereit

Bühne


Paula Wellmann

Kostüme


Lane Schäfer

Version


Kaye-Keck

Sprache


Deutsch mit deutschen Untertiteln




Hoffmann


Chris Lysack

Muse


Sayaka Shigeshima

Olympia


Yiva Stenberg

Antonia


Emma Moore

Giulietta


Heike Porstein

Widersacher


Oleksandr Pushniak






Fazit Weimar: Wer glaubt, schon alles gesehen zu haben, was diese Oper an Interpretationsmöglichkeiten und potenziellen Stilmitteln erlaubt, hat vorschnell geurteilt. In Weimar wurde Zweierlei geboten: klassischer Gesang und ebensolches Orchester, präsentiert mit zahlreichen Anleihen aus der grellen Welt der Comix und der Groteske. Dieser Stilmix wurde konsequent durchgezogen und war nicht ohne Reiz, wenn auch gewöhnungsbedürftig für traditionellen Opernfreunde. Die Geschichte von Hoffmanns Erlebnissen wurde anschaulich und nachvollziehbar geschildert, wenn auch mit ungewöhnlichen Mitteln. Klar wurde heftig gebuht, als das Regieteam auf der Bühne erschien, aber der Applaus dauerte auch fast acht Minuten. Die Buhrufe waren sicher einkalkuliert und sind bei einem solchen Theaterexperiment unvermeidlich. Aber dieses Experiment war nicht gescheitert wie so einige andere vor ihm, in denen weniger riskiert wurde. Hannover war mit seiner Hoffmann-Show, die sich gezielt an Jugendliche wandte, wegweisend. Und Weimar könnte mit seiner Inszenierung junge Musikfreunde in die Oper locken, wie Hannover das erfolgreich bewiesen hatte. Ich kann mir gut vorstellen, wie Goethe und Schiller, die vor dem Theater stehen, sich neugierig umdrehten und verschmitzt zuzwinkerten.


Das Weimarer Theater in seiner heutigen Form entstand 1870 und wurde in den Anfängen der parlamentarischen Demokratie in Deutschland zur Heimat der Abgeordneten, nachdem in Berlin Lenin-Epigonen die proletarische Revolution erkämpfen wollten und die gewaltsame Reaktion der Nationalisten und Monarchisten nicht ausblieb. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Theater zerstört, damit der Krieg auch gewonnen werden konnte. Aber die Fassade blieb stehen, und auch die vorsichtshalber eingemauerten Dichterfürsten überlebten. Gleich nach dem Krieg begann der Wiederaufbau, und schon 1948 wurde wieder im neu gestalteten Innenraum gespielt. In den siebziger Jahren wurde das Theater gründlich renoviert. Es hat 860 Plätze.



Das Theater war gut besetzt, aber nicht ganz ausverkauft. Im Orchester zählte ich vier Kontrabässe und vier Celli. Die Musiker spielten im Frack. Der Zuschauerraum strahlt eine unaufdringliche Eleganz in hellen Farben aus. Die Sitze sind bequem und bieten ausreichend Beinfreiheit. Vor Beginn war der rote Vorhang geschlossen. Vor ihm stand ein goldenes Trichtergrammophon.



Zwei clowneske Gestalten, die aus der Commedia dell´arte stammen könnten, führten allerlei pantomimischen Schabernack auf. Sie waren identisch gekleidet, der eine hatte schwarze, der andere weiße Haare. Diese beiden wichen kaum je von der Seite des anderen, sozusagen einer das Spiegelbild des anderen. Doppelte Hoffmänner hat es schon in verschiedenen Variationen gegeben. Das Trichtergrammophon zitierte E.T.A. Hoffmann: Der Dichter muss seine Seele erkennen. Ein ziemlich flotter Auftakt ertönte aus dem Orchestergraben. Das war nicht besonders maestoso, Maestro Lano.


Muse und Hoffmann


Eine Muse, Typ Lehrerin oder Journalistin, stellte sich mit vollem, samtigem Mezzo vor. Und auch Stella zeigte sich in einem Fantasiekostüm mit angedeutetem Reifrock. Hoffmann erklärte sein Erzählen und Schreiben mit der Befreiung in der Kunst. Die Muse stellte fest, dass sich Hoffmann entscheiden müsse und dass er ihr gehören solle.


Nun muss eine Besonderheit dieser Inszenierung erwähnt werden: Die Sänger sangen, die Dialoge wurden von einer blechernen Krächzstimme gesprochen, die aus dem Trichtergrammophon zu kommen schien. So eine Stimme hört man in vielen Zeichentrickfilmen, z.B. auch in Micky-Maus-Filmen. Diese Stimme erkärte auch oft in knappen Worten die Handlung. Die Solisten auf der Bühne mimten mit ihren Lippen dazu als sprächen sie selbst. Die eingestreuten Erklärungen trugen für einen Erstbesucher dieser Oper ganz wesentlich zum Verstehen der Handlung bei.


Ich habe ja schon einigen Regisseuren und Dramaturgen vorgeschlagen, auf die Unter- oder Übertitel zu verzichten und stattdessen knapp die bevorstehende Handlung zu skizzieren. Leider ging bisher niemand darauf ein. Man hat ja oft die Wahl, die Handlung auf der Bühne zu verfolgen oder die Texte zu lesen. Beides zusammen ist meist unmöglich.



In einer Art Diorama wurden ein paar Figuren aus dem Theaterpublikum gezeigt, die wohl Stellas Auftritt in der Scala darstellen sollten. Hoffmann stellte sich mit leichtem Tenor vor und begann gleich mit dem Klein-Zach, zu dem der Chor lebhaft mimte. Als Hoffmann zu Stella überging, wechselte seine Stimme in einen klagenden Modus. Ein interessantes Farbenspiel der Beleuchtung illustrierte die Handlung. Für den Kleich-Zach gab es keinen Applaus. Den Rahmenakt hatte man vorbildlich auf 20 Minuten gekürzt. Niemand vermisste Fausta, Gretchen und Leonore.




Hoffmann und Olympia, die Puppe. Die Sängerin stand im Chor.


Und schon waren wir im Olympia-Akt. Schön und lebhaft sang die Muse die Vogelarie, doch wieder gab es keinen Applaus für diese gelungene Interpretation.


Spalanzanis Gäste waren alle identisch als ziemlich comixartige und bizarre Schulmädchen gekleidet, auch die Männer. Eine von denen sang dann die Olympia. Ich bin in der Welt der Comix nicht so bewandert, dass ich diese grotesken Mädchengestalten irgendwo einordnen könnte, eventuell bei Alice in Wonderland.


Eine kleine Frau wurde auf einer stilisierten Bühne hereingebracht, gehalten von zwei schwarzgekleideten Gestalten, die sie stützten und bewegten. Auf ihrem T-Shirt prangte ein Abbild von Minnie Maus, der Verlobten des Micky Maus und der Text: Oh Me, oh Minnie. Auch Cochenille war als Frau gestylt, die man irgendwann im frühen 19. Jahrhundert einordnen könnte, auf dem Kopf eine Biedermeierschute. Während die Arie der Opympia gesungen wurde, wurde die Puppe bewegt. Als sie schwächelte, wurde ihre Mechanik hörbar repariert. Eine brillante Koloratur erklang, die auch in den Höhen locker glänzte. Während der Arie turnte die Puppe auf Hoffmann herum. Wer dachte dabei nicht an die Missbrauchsskandale um Jeffrey Epstein & Co. und deren junge Mädchen.


Endlich gab es den erlösenden ersten Applaus für diese bravourös gesungene Arie. Dann brachte Hoffmann sein Double um. Die Platte war hängengeblieben und Coppelius aß seine Olympia auf. Noch keine Stunde war vergangen, und schon begann der Antonia-Akt., zu dem die Bühne im Nu umgebaut wurde. In einer großen Muschel fand die Handlung statt. Links hinten wurde an einem Alf herumoperiert. Dr. Mirakel wurde als der neue Oberarzt angekündigt. Rechts hinten sah man zwei Fenster, hinter denen als gestylte Manga-Figuren Antonias Mutter und Krespel zu sehen waren. Und was für eine Antonia hatte man sich einfallen lassen: eine adipöse Loreley mit orangen Haaren bezirzte den Hoffmann. Sie sang emorional ergreifend die Geschichte von der entflogenen Taube. Dafür gab es Applaus.


Hoffmann I, Antonia, Hoffmann II, dahinter links oben Mutter, rechts Krespel


In einer so poppigen Inszenierung darf natürlich ein Franz nicht fehlen. Er war als eine Art Transe gestylt, und sogar Antonia tanzte zu seinem Gesang. Zahlreiche Schneehasen taten das ebenfalls. Und für den Franz gab es Applaus. Dann krächzte Antonia: Ich will eine Geige zerlegen. Als sich Hoffmann und Antonia wieder begegneten, entfernte sich die Muse mit den Worten: Ich störe hier nur, bis später. Und Antonia schlafwandelte über die Bühne. Dr. Mirakel war als eine Art Frankensteins Monster geformt, das auch in einem bizarren Monsterfilm mitwirken könnte. Zwei satanische Krankenschwestern, die vorher Alf operiert hatten, spritzten der armen Antonia grünen Glibber in den Leib.


Antonia weinte, als die blecherne Stimme ihren Verzicht auf die Karriere verkündete. Mirakel zerstörte den Traum von der Gesangskarriere indem er Glas zerdepperte. Antonia wurde von den beiden Krankenschwestern zur Operettenfigur umgekleidet. Sie klagte: Ich schwur zu lieben. Zum hervorragend gesungenen Terzett tanzten die Lichter. Hüstelnd ging Antonia ihrem Ende entgegen, und die Operation an Alf wurde zu Ende gebracht. Applaus für die bisherigen Akte. Kein Buh! Und Pause.


Gang durch die Foyers und Aufschnappen von Wortfetzen wie „Fuck you Hoffmann“ und Ähnlichem.



Die Barkarole zu Beginn des Giulietta-Aktes wurde eher flott als sinnlich begleitet. Und wieder pfiff eine Piccoloflöte. Ein anzüglich-bewundernder Pfiff ertönte, als Giulietta auftrat. Sie trug ein glitzerndes Minikleid, und ob sie eine Frau war, stand auch nicht fest, denn von unter dem Minikleid lugte manchmal ein Penis hervor und ihre Oberlippe zierte ein Schnurrbart. Man konnte sie auch als liederlich Nixe sehen.


Zwei Löwen symbolisierten Venedig anstatt der üblichen Gondeln. Die Schwänze der Löwen sahen obszön phallisch aus. Mehrere Bilder und Dioramen stellten Frauenfiguren dar, u.a. auch die Geburt der Venus von Botticelli und von lebenden Figuren dargestellt Auch das bekannte Gemälde von Gabrielle d´Estrées und ihrer Schwester im Bade wurde züchtig nachgestellt. Die Barkarole wurde eher poppig als sinnlich gesungen. Da wir in Venedig waren, wurde Schlemihl als muskulöser Othello dargestellt.


Hoffmann II, Giulietta und Hoffmann I


Die Bühne war geteilt in links das grünlich-wässrige Venedig, und rechts das rot-plüschige Boudoir der Giulietta. Lässig trällerte sie das Lied von den Freuden der Liebe, und dass sie nur Unglück bringe und wohl auch dafür büßen müsse. Zum Duell Hoffmann – Schlemihl wurden zwei riesige rote Schwerter hereingebracht, doch Hoffmann und Schlemihl ließen Stellvertreter kämpfen. Machohaft entmannte Hoffmann den armen Schlemihl, dem Giulietta schon seinen Schatten geklaut hatte.


Der Verlust des Spiegelbildes wurde auch unkonventionell dargestellt. Hoffmann wurde ja die ganze Zeit von seinem Double begleitet, man könnte auch sagen Spiegelbild. Und das wurde verrenkt in einen Bilderrahmen gezwungen und war somit verloren. Dramatisch dargestellt, wie Hoffmann den Betrug an sich erkannte. Applaus für diesen Akt. Übrigens: Hat jemand die werksfremde Spiegel-Arie vermisst? Ich nicht, und das Publikum offensichtlich auch nicht,


Zum ernüchternden Bläserchor sagte die Stimme der Muse aus dem Grammophon. Nun ist er mein, auf ewig mein. Die drei Frauen Hoffmanns standen auf der Bühne. Die Muse trug nun einen güldenen Lorbeekranz. Und dann erklang der Schlusschor: Macht die Liebe auch groß, macht doch größer der Schmwerz.



Ein stimmlich und instrumental gewaltiges Finale erklang, und die Muse und Hoffmann waren glücklich vereint. (In so einem Comic darf es keine Toten geben)

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Nationaltheater Weimar und beim Fotografen Candy Welz. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Spontaner Beifall, und nur zwei Piffe. Natürlich wurden die Solisten beklatscht und bejubelt, Olympia, Antonia und Giulietta, Jubel für die Muse und den Widersacher, kräftiger Applaus für Chor und Orchester. Es gab anhaltende Buhrufe, als das Regieteam auf die Bühne kam, doch der Applaus überwog. Fast 8 Minuten dauerte der Schlussapplaus.



Zur Premierenfeier war das Publikum eingeladen. Dort entstanden folgende Bilder:






Antonia, Olympia und Giulietta



Muse vor ihrem Foto in der Galerie








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