Fetziger »Hoffmann« als voll-geile DSDS-Verarsche in Hannover

www.staatsoper-hannover.de

Besuchte Vorstellung 15. Februar 2015 (Quatrième)





Der Eingang zur Jungen Oper am Ballhof 1

Konzept und Regie


Sebastian Welker

Dirigentin


Anja Bihlmeier

Bühnenbild und Kostüme


Rebekka Zimlich

Arrangements und Band


Stefan Wurz

Sprache


Deutsch

Version


Eigenes Libretto




E.T.A.


Gevorg Hakobjahn

Stefan Lindorf


Nicolas Kröger

Michelle


Marie-Sande Papenmeyer

Olympia


Stella Motina

Antonia


Dara Kickler

Topmodel Saskia Lampel


Saskia Lampel

Dieter Hermann Coppelius


Byung Kweon Jung






Die andere Spielstätte der Jungen Oper am Ballhof


Fazit Hannover: Nein, ein richtiger konventioneller »Hoffmann« war das nicht, eher eine an den Antonia-Akt angelehnte Persiflage auf die von der BILD-Zeitung geförderte Sendung des Privatfernsehens Deutschland sucht den Superstar mit eingestreuten Melodien und Arien aus Jacques Offenbachs Oper Hoffmanns Erzählungen. Gratulation an die Schöpfer und Macher dieser intelligenten Verquickung einer Oper mit einer Satire auf die Kulturbremser aus einem Privatkanal. 80 Minuten intelligenter Trash, wie man ihn auf deutschen Bühnen selten zu sehen bekommt. Die Zielgruppe wurde voll erreicht: Das ausverkaufte Theater war fast ausschließlich mit Teenagern besetzt. Offensichtlich war es die Absicht der Jungen Oper Hannover, Jugendliche an die Oper heranzuführen, und dann einen Seitenhieb auf ein Trash-Programm des Privatfernsehens zu landen. Das ist voll gelungen. Am 24.2. 2015 ist die letzte geplante Vorstellung. Doch der Hannoveraner Geniestreich frei nach »Hoffmann« darf nicht sterben. Diese Show sollte auf Tour gehen und in ganz Deutschland samt Anrainern gezeigt werden.

Unter diesem Link kann ein Trailer auf dem kleineren Bild angeklickt werden.

Über die Anfänge des Privatfernsehens in Westdeutschland ab 1984 im Rahmen der geistig-moralischen Wende des Kanzlers Kohl (CDU) klicke hier.


Das Theater vor Vorstellungsbeginn


Ein »Hoffmann« in Hannover besitzt für mich einen hohen Erinnerungswert. Als im April 2007 meine Hoffmanie ausbrach, sah ich an drei aufeinanderfolgenden Abenden je einen »Hoffmann« in Berlin an der Komischen Oper, dann in Bremen, und am dritten Abend in Hannover. Dort wagte ich mich, voll wunderschöner Eindrücke, zum ersten Mal an den Bühneneingang und traf auf erstaunlich gesprächsbereite Sänger. Ich schaffte es sogar dank einem hilfsbereiten Portier, in die Kantine vorzudringen und mir ein Autogramm der göttlich guten Interpretin der Antonia, Arantxa Armentia zu holen. Arantxa lebt inzwischen in Berlin und gibt Gesangsunterricht.


Die Junge Oper Hannover spielt in einem alten Gebäude, das 1643 für Ballspiele gebaut wurde. Dann wurde es als Theater und Konzertsaal genutzt, von 1939 – 43 für die Hitlerjugend, dann wieder für Schauspiele. Es liegt in der Hannoveraner Altstadt und hat 235 Plätze. Man betritt ein Studiotheater, dessen Decke und Seiten voller Technik hängen, die man sonst in einem Theater kaum sieht. Die Vorstellung war ausverkauft. Es war die vierte nach der Premiere, die ich leider verpasst hatte. Eine Hoffmann Show hatte ich nicht in meinen Suchkriterien für Hofmänner vorgesehen.

Von einer solchen altersmäßigen Zusammensetzung des Publikums kann jeder Intendant nur träumen. Als Überfünfzigjähriger fiel man eindeutig auf, so wie in einem normalen Opernpublikum eine größere Zahl von Jugendlichen auffällt, wenn es sich gerade nicht um eine Schulklasse handelt oder man sich in Polen befindet, wo Opernbesuche für Jugendliche so üblich zu sein scheinen wie Discobesuche.

Das Orchester bestand aus sechs Bläsern und einer ebenso starken Rhythmusgruppe, die beide auf drehbaren Untersätzen saßen.und von einer Dirigentin geleitet wurden.


Ab 18 Uhr brach auf der Bühne Hektik aus. Es wurde wild durcheinander gerufen, Anweisungen gegeben, gefuchtelt und gebrüllt. Dann riefen die ersten Animatoren und -innen: Seid Ihr alle gut drauf? Das wurde so oft wiederholt, bis der Saal erwünscht laut brüllte: Jaaaa.

Dann stellte sich der Moderator vor: Mein Name ist Stefan Lindorf. Aha, ich war doch in der richtigen Veranstaltung. Lindorf heißt schließlich nicht jeder. Stefan begrüßte uns zur Hoffmann Show (ohne Bindestrich).


Gut kamen die Auftakte der Band, und Lindorf stellte sich mit professionellem Gesang vor. Dann gab es schon den ersten Applaus. Der wurde natürlich von heftigst agierenden Animatorinnen, in helles Scheinwerferlicht getaucht, quasi gefordert. Was das Publikum bei Shows des Privatfernsehens auf dem heimischen Bildschirm nicht sieht, ist die Applausanimation.


Mir wurde klar, dass die Hoffmann Show in Hannover eine Persiflage auf Deutschland sucht den Superstar werden sollte, die ich bisher nur vom Hörensagen kannte. Und der erste Gast, nicht Kandidat, war natürlich ein gewisser E.T:A. In Rapperkostüm, wie es typischer nicht sein könnte. Begleitet von einem neckischen Ballett mit vielen wedelnden Federn sang er den Klein-Zach, auch natürlich mit professionellem Tenor.

Dann gab es immer mal wieder ein paar angespielte Melodien von Jacques Offenbach.

Die erste ambitionierte Kandidatin hieß Antonia, die auf die Bühne durfte. Ein unscheinbares, fast verlegenes Mäuschen, mit affektierten und übertriebenen Gesten des Moderators vorgestellt.


Immer wenn ein neuer Gast oder Kandidat auftrat, wurden ein paar Takte des Einzugs der Gäste (bei Spalanzani) gespielt.

Eher linkisch sang Antonia ein Lied von Possibility und begleitete sich dazu auf der Gitarre,

Dann beschloss die Jury, dass das mit Antonia so nichts wird. Dieses unscheinbare Hascherl muss aufgemotzt werden. Sowas gibt es alles real im Privatfernsehen, unter Anderem kostenlose Schönheitsoperationen, wenn man sich dabei medial begleiten und vermarkten lässt.

Auf einem Bildschirm wurden nun die möglichen Verbesserungen an Antonias Body per Computergrafik ausprobiert. Doch die arme Antonia zögerte. Da musste natürlich das Publikum Mut machen. Schilder mit aufmunternden Parolen wurden durch das Publikum gereicht. Tenor: TU ES !!! Und das Chirurgenteam stand schon bereit.


Als nächster Gast trat Topmodel Saskia Lampel auf, die sofort eilfertig interviewt wurde, aber eigentlich gar nichts zu sagen hatte, außer dass sie penetrant auf ihr Schönheitsmittel hinwies: den SLIM FIT DRINK, an dem sie natürlich häufig nuckelte.

Die Schönheitsoperation der Antonia wurde live auf einem Bildschirm übertragen

Währenddessen sang Topmodel Saskia I AM BEAUTIFUL zur Narzissmuspflege.

Dann kam eine Preisfrage, für die man in der Privatfernsehwirklichkeit eine gebührenpflichtige Nummer wählen muss:

Wo steht der Schiefe Turm von Pisa?

a) in Frankreich

b) in Rom


Dann wurde sogar ein indiskreter Blick hinter die Kulissen gezeigt, wo die Moderatoren mal kurz heftig aneinandergerieten.


Großer Auftritt von E.T.A. (sprich I – Ti – Ej) © Thomas M. Jauk / Stage Picture

 



Topmodel Saskia Lampel hatte sich inzwischen umbenannt in Saskia Kant. Kant klingt anspruchsvoller als Lampel. Michelle kam aus dem OP zurück, wo an Antonia geschnippelt wurde. Und die inszenierte Fröhlichkeit ging weiter. Alle sind super drauf. Nur E.T.A. nicht. Der hatte wohl zu viel von Irgendetwas eingeworfen und erlitt einen Schwächeanfall.


Die Operation Antonias misslang fast, weil sie einen Exitus in tabula (Tod auf dem Operationstisch) erlitt und mit einem Defibrillator wiederbelebt werden musste, was auch gelang. Damit Antonia besser vermarktet werden konnte, wurde auch sie umbenannt in den jetztigen Superstar Olympia. Noch auf dem Operationstisch wurde sie hereingerollt und begann, auf dem Rücken liegend, ihre Koloraturarie von den Vögeln in den Büschen zu singen. Und das Ballett bestehend aus den OP-Schwestern tanzte dazu. Das war inmitten des ganzen Trashs nun wieder bestes professionelles Gesangsniveau. Allerdings hatte ich noch keine Olympia gesehen, die ihre Arie auf dem Rücken liegend mit herabhängendem Kopf sang.



Olympia war nun von der OP-Liege aufgestanden und in voller Schönheit zu bewundern. Sie trug ein bikiniähnliches Glitzerkostüm und schaute ganz verwundert auf ihren neuen Körper. Ihr Auftritt wurde natürlich live auf einen Bildschirm übertragen.



Dazwischen erklang wieder eine verkürzte Originalnummer aus den Contes d´Hoffmann: Ihre Augen sind so schön … (Elle a des beaux yeux …), was die ziemlich flott und präzise rüberbrachten. Auch diese Arie wurde wieder live übertragen. Erstaunlich auch, wie perfekt die professionellen Opernsänger von Trash-Persiflage auf ernsthaftes Ariensingen umschalteten.



Dazwischen kamen die Akteure der DSDS-Hoffmann-Show mal ins Schwimmen. Vorübergehend brach (inszeniertes) Chaos aus, aber nach viel Gefuchtel und Gekeife ging die Show weiter.



Antonia/Olympia war nun doch nicht so glücklich mit ihrem neuen Tune-up. Kritisch betrachtete sich selbst und klagte verweifelt: Mama! Und schon kam Antonias Mutter und tröstete ihre Tochter. Genial, wie die Librettisten der Hannoveraner Hoffmann Show Elemente der Oper in ihre Persiflage eingebaut hatten.


Dann wurde wunderschön und wieder voll professionell das originale Terzett Mutter – Antonia – Mirakel aus der Oper gesungen. Wer nun den Doktor Mirakel – oder war es Coppelius? - sang, bekam ich nicht mit. Ich bitte um Nachsicht, denn diese Inszenierung fällt aus allen meinen Rahmen, so dass ich Schwierigkeiten hatte, den Überblick zu behalten.


Doch das schöne Terzett endete in Chaos und Missklang, und Antonia veschlang zum Trost Unmengen von Spaghetti mit Tomatensoße wie beim Fliegenden Spaghettimonster. Und immer wieder wurde die Show von Reklame unterbrochen.



Dann wurde die Barkarole gesungen und Antonia/Olympia wurde zu Giulietta. Das Duell Hoffmann-Schlemihl wurde angedeutet, und Topmodel Saskia musste kotzen.



Sogar meine geliebte Geigenarie erklang, sinnlich gesungen von Michelle, eine Figur, die an die Muse der Oper angelehnt ist. Dann folgte ein schönes Duett Hoffmann – Giulietta/Antonia/Olympia. Dabei performten E.T.A, und Olympia in einem Song Schwing dich zu den Sternen empor.


Doch Olympia fing an durchzublicken, was hier für ein Trash inszeniert wurde und spielte nicht mehr mit. Vergiss den Traum. Die Hoffmann Show endet in einem Tohuwabohu wie vermutlich die meisten DSDS-Shows, und dann wird noch wie in Hoffmanns Erzählungen die Trunkenheit besungen. Eigentlich sollte es wohl die Bekifftheit sein.



Der Schlussapplaus war heftig und ehrlich. Er musste nicht mehr von den Applausanimateurinnen angefeuert werden und dauerte gut fünf Minuten.


Nach der Vorstellung sprach ich mit Schülerinnen einer neunten Klasse aus Lehrte, die mit ihrer Musiklehrerin angereist waren. Sie hatten die Botschaft der Hoffmann Show voll verstanden. Einige von ihnen sind auch neugierig geworden auf die Originaloper Hoffmanns Erzählungen.


Leider wurde diese geniale Adaption bisher nicht wieder aufgenommen.

















Was ich mir noch vorstellen kann sind zwei Ergänzungen.

1. Man könnte in Form von Sprechblasen das komplexe Geschehen auf der Bühne in kurzen Sätzen erläutern.

2. Die Interpreten und vielleicht ein Dramaturg könnten nach dem Schlussapplaus dem jungen Publikum für Fragen zur Verfügung stehen. Jugendlich sind prinzipiell neugierig, und diese Neugier sollte befriedigt werden.

















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