Diskussionsthemen und Streitfragen




Da diese unvollendete Oper auf viele verschiedene Weisen interpretiert werden kann und auch interpretiert wird, soll hier zu einzelnen Aspekten Stellung genommen werden können.


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hoffmann (at) operamail.com


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1. Die drei Versionen


Von dieser Oper gibt es drei verschiedene Versionen sowie eine nicht gezählte Anzahl von Bearbeitungen. Die sogenannte Guiraud-Choudens-Version sollte eigentlich nicht mehr gespielt werden, da sie von allen drei Versionen die am weitesten von Jacques Offenbachs Intentionen entfernte ist und Einfügungen und Streichungen von fremder Hand enthält. Sie wird jedoch häufig gespielt, da sie keinen Aufführungsrechten unterliegt und die Theater nur die überschaubaren Leihgebühren für die Orchesternoten zu bezahlen haben. In dieser Version fehlen die Geigenarie im Antonia-Akt, und im Finale fehlen wichtige und schöne Nummern. Die Rolle des Muse ist reduziert, besonders im Antonia-Akt.


Die Oeser-Version war die erste quellenkritische Edition durch den Musikwissenschaftler Fritz Oeser. Er fügte die Geigenarie in den Antonia-Akt und erweiterte den 5. Akt um einige Nummern. Die Rolle der Muse wurde aufgewertet. Allerdings standen Fritz Oeser nicht alle heute bekannten Quellen zur Verfügung. Seine Orchestrierung basiert auf einem Klavierauszug, der in Jacques Offenbachs Wohnung aufgeführten Privatvorstellung. Die Rechte der Oeser-Version liegen beim Alkor-Verlag, der zum Schott-Verlag gehört. Die Lizenzgebühren sind niedriger als die der Kaye-Keck-Version. Der Alkor-Verlag gibt keine Auskunft über die Höhe dieser Gebühren. Die Oeser-Version stellt einen großen Fortschritt gegenüber der Guiraud-Choudens-Version dar und wird gerne gespielt, da sie einen wirtschaftlich vertretbaren Kompromiss darstellt.


Die Kaye-Keck-Version ist die beste verfügbare und liegt ganz nahe am Original Jacques Offenbachs. Auch die Orchestrierung ist weitgehend original Jacques Offenbach. Allerdings müssen die Theater zwischen 13 und 17 % der Abendkasse an Lizenzgebühren abführen – jeden Abend.


2. Soll man die Spiegelarie und/oder das Sextett singen lassen?


Beide sind schöne und populäre Musiknummern, aber nicht von Jacques Offenbach für den Hoffmann komponiert.. Die Melodie der Spiegelarie ist immerhin von Jacques Offenbach (Ouvertüre zur Reise zum Mond), aber zu diesem Text gibt es eine Originalmelodie Jacques Offenbachs. Es besteht also kein Grund, eine 1908 von fremder Hand eingefügte Melodie singen zu lassen. Ein Vorläufer-Text der Spiegelarie findet sich immerhin in der vierten Szene des Giulietta-Aktes im Schauspiel Michel Carrés und Jules Barbiers. Auch im von Josef Heinzelmann entdeckten Zensurlibretto von 1880/81 findet sich ein Text der sog. Spiegel- oder Diamantenarie. (Reclam Universalbibliothek Nr. 18329, S. 150) Man kann also nicht behaupten, dass die sog. Spiegelarie völlig von fremder Hand in die Oper eingefügt wurde. Allerdings besteht auch kein Grund, eine fremde Melodie zu verwenden, wenn nun die Originalmelodie bekannt ist.


Einen guten Kompromiss fand William Friedkin in seiner Inszenierung für das Theater an der Wien 2012. Er ließ während einer Umbaupause die Spiegelarie vor dem Vorhang singen. Ich habe nämlich schon mehrfach erlebt, wie sich enttäuschte Zuschauer auf Premierenfeiern empörten, dass Dramaturgie und Regie – historisch korrekt – die Spiegelarie gestrichen oder durch Jacques Offenbachs Originalmelodie ersetzt hatten.


Hier der Text aus dem Schaupiel Michel Carrés und Jules Barbiers:


Dapertutto: Kostbarer Diamant? Wirst du mir helfen? Oh Diamant, der du glühende Funken sprühst, reines Feuer gleich dem Blitz, die Seele Giuliettas, die dich begehrte, ziehe sie zu deinen zahllosen Sternen, ziehe sie in den Schatten. Wie im Spiegel sich´s dreht, wird die Beute im räuberischen Netz des geschickten Jägers sich winden.


(Aus dem Programmheft zur Inszenierung der »Contes« am Württtembergischen Staatstheater. Deutsch von Angela Fremont-Borst und Regine Friedrich)


Auf Youtube finden ich zwar Dutzende traditioneller Spiegel-Arien, aber auch eine schöne Aufnahme von Jacques Offenbachs melodiöser Originalmelodie, gesungen von Laurent Naouri: .https://www.youtube.com/watch?v=Zo846iflowg

Offenbachs andere Variante gefällt mir persönlich weniger, da sie durch die vielen staccati hektisch wirkt. Die Rechte dazu liegen beim Schott-Verlag. Man kann sie zusätzlich erwerben, wenn man keine Kaye-Keck-Version spielt.



Vom Sextett, manchmal auch Septett genannt, ist der genaue Ursprung bislang unbekannt. Aber wie die Spiegelarie ist es bei Sängern wie beim Publikum beliebt.


Sagen wir mal so: Im Neuen Testament steht auch kein Wort von der Jungfrauengeburt oder dem ewigen Leben im Himmel. Trotzdem wäre der christliche Glaube ohne diese in der Tradition entstandenen Elemente ärmer.


Ich kann ohne beides gut leben. Außerdem finde ich Jacques Offenbachs Originalmelodie zur Diamantenarie auch schön, wenn auch nicht so eingängig. Die Originalmelodie ist jedenfalls abwechslungsreicher.




3. Die Reihenfolge der Akte


Ich kann mit Olympia-Giulietta-Antonia genauso gut leben wie mit Olympia-Antonia-Giulietta. Für beide Reihenfolgen lassen sich inhaltliche Argumente dafür oder dagegen anführen. Den Antonia-Akt am Schluss zu spielen finde ich nicht abwegig, da Hoffmann in seiner Emotionalität zuerst einem seelenlosen Automaten und dann einer Hure verfällt, bevor er sich einer realen Frau zuwendet. Historisch korrekt dagegen ist die Reihenfolge Olympia - Antonia – Giulietta. Im Schauspiel Michel Carrés und Jules Barbiers, welches dem Opernlibretto zugrunde liegt, findet man auch diese Reihenfolge.


4. Die Auswahl der Nummern


Jeder Dramaturg und jeder Regisseur muss diese Oper kürzen, um eine für das Publikum erträgliche Spieldauer von drei Stunden oder weniger zu erreichen. Am einfachsten lässt sich der 1. Akt/Prolog kürzen. Eine Länge von max. 20 Minuten ist aureichend. Die Vorstellung der Muse, der Diebstahl des Briefes, einige Trinklieder, der Klein-Zach, eine kurze (!) Präsentation des Konflikts Hoffmann – Lindorf genügen. Ein Extrem erlebte ich in Mannheim, wo die ansonsten ausgezeichnete Inszenierung Christoph Nels ein 40 Minuten langes Vorspiel bot.


Ich habe nun mehrere Antonia-Akte ohne einen Auftritt des Franz gesehen und diesen überhaupt nicht vermisst. Ich halte ihn für einen Fremdkörper in diesem tragischen Akt. Nur ein einziger Regisseur, Lorenzo Fioroni , gab in Osnabrück diesem Auftritt einen Sinn, indem er Franz und Hoffmann identisch kleidete und sie identisch bewegen ließ. Damit wollte er den Franz als Parabel auf Hoffmanns Scheitern präsentieren. Alle anderen Interpretationen des Franz waren mehr oder weniger witzig und dienten der Erheiterung des Publikums. Erst danach durfte der Akt weitergehen.


Die Geigen-Arie der Muse im Antonia-Akt darf keinesfalls gestrichen werden. Sie ist eine der schönsten Melodien dieser Oper.


Wenn man schon die teure Kaye-Keck-Version spielt, sollte man auch Jacques Offenbachs Originalmelodie zur Diamantenarie singen lassen. Außerdem gibt es im Giulietta-Akt ein schönes Duett Hoffmann-Giulietta.


Im Finale finden sich schöne Melodien, aber auch den schwer zu singenden à cappella Männcerchor.



Weitere Diskussionsthemen



I. Musikalisch


a) Gestaltung der Auftaktakkorde: Wie schnell darf man maestoso spielen?


Dazu die Stellungnahme des Dirigenten der Lüneburger Inszenierung der Saison 2010/2011, Urs-Michael Theus.


b) Pikkolo-Flöte in der Barcarole? Wie schmalzig soll die Barcarole begleitet werden?


Dazu die Stellungnahme des Dirigenten der Lüneburger Inszenierung der Saison 2010/2011, Urs-Michael Theus.


c) Soll der Dirigent das Publikum frei applaudieren lassen oder in den Applaus hinein spielen, wenn die Dramatik das erfordert, z.B. nach dem Terzett Mutter – Antonia – Mirakel?


d) Welche Art Tenor eignet sich für die Rolle des Hoffmann?


II. Interpretation der Charaktere


a) Von der Schwierigkeit, der Gestalt des Hoffmann deutliche Charakterzüge zu verleihen:


Ist Hoffmann mehr als ein Trunkenbold (Detmold) oder sex-geiler Schürzenjäger (Genf)? Ist er ein jovialer Grandseigneur oder ein Verlierertyp?


b) Wie automatenhaft hat Olympia zu sein?


c) Ist Spalanzani ein spinnerter Daniel Düsentrieb oder ein gerissener Gauner?


d) Ist Antonia (20) ein willenloses Opfer Mirakels, eine karrieregeile Sängerin oder ein leicht beeinflussbares Mädchen?


e) Wie dämonisch hat der Widersacher zu sein, oder ist er ein Mensch aus dem wirklichen Leben?


f) Hat Giulietta auch menschliche Züge? Ist sie ein willenloses Werkzeug Dapertuttos? Wie erotisch hat sie zu sein?


g) Soll erwähnt werden, dass der Bankier Elias Jude ist? Sollen Bezüge zur gegenwärtigen Bankenwelt hergestellt werden?


h) War Harry Kupfers Idee, die Muse von einem Mann spielen zu lassen, ein Irrweg?


III. Inszenatorisch


a) Von der Schwierigkeit, diese Oper in unsere Zeit zu versetzen. Gelungene Versuche von Walter Felsenstein und Thilo Reinhardt (beide Berlin)


b) Welchen Sinn macht eine Kollaboration Muse/Niklaus mit dem Widersacher?


c) Ist die Figur des Franz überflüssig?


d) Soll Hoffmann am Schluss der Oper sterben, Selbstmord begehen, verrückt werden oder im Suff enden?


e) Ist der Widersacher nur ein symbolischer Agent von Hoffmanns dunkler Seite?


f) Wie ausführlich soll der Prolog oder 1. Akt auf die Bühne gebracht werden?


g) Von der Schwierigkeit, den Verlust des Spiegelbildes szenisch darzustellen


h) Wie fantastisch hat das Bühnenbild zu sein?




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