home
YEAH YEAH YEAH YEAH YEAH
INDIE POP
Juni
2009

Review: Primavera Sound 2009

Samstag 30.5.2009

Primavera al Parc

Der Parc Joan Miró ist auch ohne Festival besuchenswert, wenn man gerade in dieser sonst wenig attraktiven Gegend nahe der Estació Sants ist. Vor ca. 30 Jahren auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofs angelegt, ist er vor allem für eine riesige Miró-Skulptur bekannt und hat auch viele Palmen und einen Kinderspielplatz zu bieten.

Hola a todo el mundo sind eine spanische aber englisch singende Country-Folk-Band. Nichts, was ich mir auf Dauer daheim anhören würde, aber zu einem sonnigen Samstagmittag im Park passt es ganz gut.

Alondra Bentley

Anglo-spanische Singer-Songwriterin. Die Schattenplätze werden immer begehrter.

Ponytail: Noiserock unter Palmen, das sollte jeder mal erlebt haben.

Bowerbirds

Auch heute langweilen sie mich auf Dauer.

Crystal Stilts

An zwei Tagen in Folge eine meiner neuen Lieblingsbands live sehen, davon einmal unter Palmen sitzend. Was kann mehr verlangen? Brad Hargett hatte übrigens wohl keine Zeit sein Polohemd zu wechseln.

Sleepy Sun aus San Francisco klingen mir auf Dauer zu Doors-mäßig.

Zurück im Parc del Fòrum

Maika Makovski: Spanische Rockband mit englischen Texten. Da kommt nur selten was gutes bei raus. In diesem Fall Melissa Etheridge in hübsch.

Boat Beam im Murdochspace-Salon: Britischer Klassik-Folk aus Spanien, der es schwer hat lautstärkemäßig gegen The Lions Constellation, die drüben auf der Pitchfork-Bühne spielen, anzukommen. Hola A Todo El Mundo sind auch schon da. Warum waren die schneller als ich, obwohl sie doch ihre Instrumente mitnehmen mussten?

Für ca. 18 bis 19 Uhr fehlt mir die Erinnerung weitgehend. Zu Anntona (oder Antonnna, wie sie im Programm geschrieben werden) habe ich sehr kurz geguckt, ohne sie gut zu finden. War ich bei Shearwater? Evtl. dort eingeschlafen?

Kitty, Daisy & Lewis haben den Aufstieg in die Arena-Liga vielleicht nicht ganz unlädiert überstanden; ich könnte mir denken, dass ihre Show noch nicht so routiniert war, als sie noch kein Schwein kannte. Spaß macht ihr Rockabilly-Swing natürlich trotzdem.

Von den Too-Pure-Legenden Th' Faith Healers hätte ich mir etwas mehr erhofft. Wäre ich mit ihrem Werk vertrauter, würde ich es wahrscheinlich anders sehen, aber klingt es für mich nach durchschnittlichem Rock. Im Club sicher besser.

Herman Dune hätten ihren Namen nach dem Ausstieg von André ändern sollen. Ohne ihn sind sie allenfalls noch halb so viel wert. Was natürlich immer noch ein Menge ist.

Im winzigen nach einer Sonenbrillenfirma benannten Unplugged-Zelt spielt eine Band ein interessantes Krautrock-Set. Laut Aushang handelt es sich um Mujeres, das Bild und die Beschreibung auf www.primaverasound.com lassen das aber äußerst unwahrscheinlich erscheinen.

Aus Respekt vor Neil Young ist jetzt auf allen anderen Bühnen Pause. Keine wirklich weise Entscheidung: Der Gastronomiebereich ist überlastet wie nie zuvor. Und bei Neil Young tummeln sich in den mittleren Reihen (die vorderen überließ ich lieber Leuten, die das zu würdigen wissen) erstmals auf diesem Festival Massen von Leuten die eifrig damit beschäftigt sind sich lautstark zu unterhalten, zu telefonieren, sich gegenseitig zu fotografieren und ihre Text Messages zu checken. Denen hätte man ja die Chance geben können ihr Desinteresse anderswo zu demonstrieren. Um nicht Neil Young zu vergessen, der schließlich auch noch da war: Der bot einen Querschnitt seiner verschiedenen Schaffensphasen (Lärmrock, Akustik, OAP-orientated country rock...).

Der Reiz der viel gelobten Oneida erschließt sich mir nicht.

Lemonade, Deerhunter: Uninteressant. Aber irgendwann will ja auch mal das Essensangebot getestet sein. Die Schlagen im Gastronomiebereich sind jetzt kürzer, aber die Sitzplätze dort sind immer noch umkämpft wie auf dem Oktoberfest.

Sonic Youth sind Sonic Youth und dafür werden sie von allen geliebt. Zu recht.

Bier? Is nich.

In den letzten Stunden des Festivals treten plötzlich erste Organisationsmängel auf: Nach Sonic Youth sind alle Getränkemarken-Automaten außer betrieb, ebenso die alternativ angebotenen Marken-Verkaufsstände. Im Land mit der höchsten Bar-Dichte der Welt zu verdursten wäre ein seltsamer Tod.

Simian Mobile Disco: Bei diesem Genre kann ich weder mitreden noch zuhören. Wie nennt es sich? Techno? Jedenfalls hat es nichts mit dem zu tun was die Band Simian machte.

Black Lips: Jungs mit Gitarren, wie originell. In diesem Fall Amerikaner aus den späten 00er-Jahren, die klingen als würden sie versuchen zu klingen wie Schweden aus den frühen-00er Jahren, die versuchen zu klingen wie amerikanische Garagen-Rock'n'roller aus den 1960ern. Und das nicht sonderlich gut hinbekommen. Zwischen den Songs jammern sie herum. Einige Bierbecher fliegen auf die Bühne, aber nicht mal ein ordentliches Fiasko à la Wavves bekommt man geboten. Inzwischen hat wenigstens wieder ein Getränkebon-Schalter auf.

Zombie Zombie: Franzosen mit Synthesisern. Kein Genre mit dem ich viel anfangen kann. Inzwischen haben die meisten Getränkestände geschlossen, das Personal der übrigen ist vom nicht nachlassenden Ansturm hoffnungslos überfordert. Bier ist jetzt ausverkauft. Wozu ist eigentlich eine Großbrauerei Hauptsponsor?

DJ Coco auf der ATP-Bühne stellt sich als Freiluftversion einer Großraum-Indie-Studentendisco unter heraus, die noch lange nach Tagesanbruch andauert. An den Bars geht ein Getränk nach dem anderen aus, die letzten Leute müssen wahrscheinlich Gin mit Red Bull nehmen, um ihre Getränkemarken los zu werden, bevor irgendwann zwischen 5 und 6 absolute Ebbe herrscht. Hot Dogs gibt es übrigens noch um 6 Uhr. Vielleicht ist ja feste Nahrung um diese Zeit auch gesünder. Ein für Mitteleuropäer ungewohntes Erlebnis an einem Sonntagmorgen ist dann auch der wegen Überfüllung von der Polizei abgesperrte U-Bahn-Zugang.

Und? Wie war's?

Ohne Einschränkungen empfehlenswertes Festival, das in diesem Krisenjahr (aber wann war eigentlich zuletzt keine Krise) zurecht seinen Besucherrekord (angeblich 76000, aber dabei wurden wohl alle Besucher der drei Tage zusammengezählt) feiern konnte, nachdem das Summercase verschwunden und das Benicàssim zu einer Pop-Variante des Club Med verkommen ist, wie es die kostenlose Tageszeitung adn (wer hätte gedacht, dass es die gute alte DDR-Nachrichtenagentur mal dazu bringen würde) so schön formulierte. Ein Musikfestival für Leute, die sich für Musik interessieren, auf diese Idee musste mal jemand kommen. Klar, das Berlin-Festival hat ein ähnliches Konzept, aber mit den spanischen Standortvorteilen (schönes Wetter, niedrige Tabaksteuer, hohe Lärmtoleranz), die ein zu 40 % ausländisches Publikum anziehen, lässt sich halt schwer mithalten.

Eine sehr schöne Einrichtung auch die Stände der spanischen Independent-Labels. Aber gerade an denen ist aufgefallen, wie UK-/USA-lastig das Line-Up war. Wenn ich richtig mitgezählt habe, hatten Elefant Records und BCore im Hauptprogramm je eine Band am Start, Subterfuge, Jabalina, Acuarela, Green Ufos, Mushroom Pillow usw. keine einzige. Klar, es ist ein internationales Festival, aber wenn ich nach Cannes gehe, erwarte ich ja auch ein paar französische Filme. Und beim diesjährigen Indietracks-Festival in Derbyshire spielen aus Anlass des 20jährigen Elefant-Jubiläums ja auch haufenweise spanische Bands. Und auch aus dem Rest von Kontinentaleuropa gibt es einige Bands die gut aufs Primavera Sound gepasst hätten.

Eine echte Herausforderung dürfte es für die Veranstalter werden, nächstes Jahr noch mal ein ähnlich gigantisches Programm auf die Beine zu stellen. Ein paar tolle neue Bands wird es bis dahin sicher geben. Aber von den alten Helden? The Jesus & Mary Chain, Pavement, Elastica, Morrissey vielleicht. Aber selbst das alles hätte etwas von Antiklimax.

Leider verpasst wegen Überschneidungen: Magic Markers, Marnie Stern, den größten Teil von Bat For Lashes, den größten Teil von Los Punsetes, MBV im Auditori (wobei die sich eigentlich gar nicht überschnitten haben, das war eher ein Planungsfehler meinerseits), überhaupt das Auditori. Eine Bühne weniger hätte es für mich jedenfalls auch getan.

Peter Kern

Fotos:

Zurück zum Freitag
Home Gigs The Clash The Pogues Seitenanfang