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2002
INDIE POP

Review: Southside Festival Neuhausen ob Eck 22./23.6.2002
 

 Sonntag

11.00 All die pickeligen Teenies, die gestern brav vor der Hauptbühne geblieben sind, haben sich heute ins Zelt gewagt. Das lässt nichts gutes von Lambretta erwarten. Das Foto auf der Southside-Website hatte ja auch schon nicht so toll ausgeschaut. Aber wer hätte gedacht, dass es so schlimm kommen würde: Eine unverschämte Beleidigung für alle Lambretta-FahrerInnen. Eine Band die aussieht wie No Doubt und klingt, wie diese Band, die vor ein paar Jahren Barbie Girl gesungen hat. Waren die nicht auch aus Schweden? Vielleicht waren das eh die Selben. Eine Band wie ein Bravo-Heft. Eurotrash at its worst. Aus denen könnte was werden.

Flaming Sideburns 11.00 Hauptbühne Lostprophets. Um den Schleim zu produzieren, den sie in den Haaren tragen, muss eine Armee von Schnecken nötig sein. Sie sehen aus wie die Parodie von Teenagern und klingen wie die Parodie einer NuMetal-Band. Die Verarsche geht so weit, dass sie die Ansagen mit kalifornischem Akzent machen, obwohl sie aus irgend einem walisischen Tal kommen. Selten so gelacht. Aber jetzt doch lieber wieder zum Campingelände auf ein Flascherl Wein.

12.45 Zeltbühne Flaming Sideburns: Adrenalingeladener Garagen- Rock'n'Roll. Die europäische Glam-Version der Blues Explosion. Werd ich mir sicher noch mal anschaun, wenn sie wieder ins Atomic Café kommen, aber jetzt gibt's leider Wichtigeres auf der Hauptbühne.

Dover 13.15 Dover sind noch mitten im Soundcheck. Ganz nett, so was als Publikum mal anschaun zu dürfen. Den verspäteten Beginn des eigentlichen Konzerts entschuldigt die Ansagerin (offensichtlich vom SWF-Jugendsender "Das Ding"; kein Wunder, dass die Schwaben lieber FM4 hören) dann mit einem Stau, in dem Dover gesteckt haben (komisch, dass 1. diese Entschuldigung bei ungefähr jedem Dover-Konzert kommt und 2. alle anderen Bands, die genau den gleichen Weg vom Hurricane hatten, mit dem Hubschrauber gekommen sein müssen). Jedenfalls schön zu sehen, dass die schnuckeligen Madrilenen inzwischen auch hierzulande den verdienten Erfolg haben. Großartige musikalische Überraschungen darf man sich natürlich von einer Band, die seit Jahren ca. 500 Konzerte pro Jahr spielt, nicht erwarten. Aber kein Problem so lange Dover ihrem gute-Laune-Alternative-Rock treu bleiben. Sorgen mach ich mir bloß langsam um Sängerin Christina Llanos. Während der Rest der Band den Auftritt als ziemlichen Spaß zu betrachten scheint, wirkt sie etwa so fit wie Brian Jones (*1942 † 1969, ehem. Gitarrist der Rolling Stones, Anm. d. Musikgeschichte-Red.) kurz vor seinem letzten Bad.

Zehn Millionen Sportfreunde können sich nicht irren Beatsteaks: Partypunk würde ich sagen, wenn es nicht so ein schreckliches Schimpfwort wäre. Jedenfalls wäre jeder Club-Med-Animateur neidisch, wenn er sehen würde, dass man auch bei äquatorialen Temperaturen zur Mittagszeit die Leute begeistern kann. Und zwar ohne bescheuerte Posen. Auch wenn mich der Sänger etwas an Hugo E. Balder erinnert. Außerdem, man kann es nicht oft genug sagen, zeigt sich wieder mal der Hauptreiz dieses Festivals: Bands, die sonst das Columbiafritz locker zwei mal ausverkaufen, in relativ relaxtem Rahmen zusehen.

14.30 Hauptbühne: Noch beim Southside 1999 konnten die Sportfreunde Stiller scherzen "nett, dass Ihr alle extra wegen uns gekommen seid". Heute würde dieser Spruch schlicht die Wirklichkeit beschreiben. Einziger ernsthafter Konkurrent, was die Popularität betrifft: Der Wasserwerfer links neben der Bühne.

... And You Will Know Us By The Trail Of Dead: Immer wieder sehens- und hörenswert, die verrückten Texaner. Eine der wenigen Bands, denen der Wechsel zum Major nicht geschadet hat (hallo Echobelly, Charlatans etc.).

In der Umbaupause hört man leider kurzzeitig aus Richtung Hauptbühne ein paar Töne der schrecklichen Police-Tribute-Band "A". Urgh!

Rival Schools Rival Schools. Wieder mal Fun-Emo der guten Sorte. Und endlich mal ein Name, den man sich besser merken kann als Clearlake. Es war doch Clearlake, oder? Clearcut? Quickspace? Jedenfalls super Band, wenn der gute Walter Schreifels bloß nicht so penetrant versuchen würde, das Publikum zum auf- und ab-Hüpfen zu überreden. Sportlehrer konnte ich noch nie ausstehen.

Nelly Furtado: Klar, ich wusste, dass sie eine Platin-LP in den USA und mindestens zwei Top-Ten-Hits in England hatte. Aber hierzulande habe ich sie noch nie in Zeitschriften TV/Radio gesehen/gehört, noch nicht mal eine CD gesehen. Darum wollte ich eigentlich eher aus Mitleid mal an der Hauptbühne vorbeischaun, bin dann einigermaßen überrascht von den ca. 100.000 Fans. Jedenfalls macht die charmante Luso-Kanadierin Musik, die wahrscheinlich niemanden stört, würde ich mir vielleicht auch länger angehören, wenn es nicht gelte, sich im Zelt einen guten Platz für den Black Rebel Motorcycle Club zu sichern.

BRMC Black Rebel Motorcycle Club Eine Band, die zeigt, dass Medienhysterie auch mal berechtigt sein kann. Schade übrigens, dass jeder blöde Rezensent in ihrem Zusammenhang the Jesus & Mary Chain erwähnen muss (OK, jetzt also auch ich), wo doch ihre Einflüsse weiter gefächert sind. Ich denke da z. B. an 70's Glamrock und vor allem amerikanischen Bluesrock. Aber eben in erträglichem Ausmaß und immer gemischt mit (hatte ich sie eigentlich schon erwähnt?) JMC-Sound. Für mich eine der großen Hoffnungen für die nächsten Jahre. Eine bewundernswerte Leistung von Bassist Robert Turner übrigens, die erste Hälfte des Gigs bei ca. 45°C mit Lederjacke zu spielen, ohne einen Tropfen zu schwitzen.

Breeders Wieder ein Soundcheck, diesmal von den Breeders. Sehr unterhaltsam. Konzertbeginn dadurch verspätet, was beim strengen Zeitplan des Festivals immer ein kürzeres Konzert bedeutet. Nicht gerade viel Leute sind gekommen, um die Zelt-Headliner zu sehen. Was sicher nicht daran liegt, dass in dieser Breeders-Version nur zu 2/5 der Original-Mitglieder mitspielen (immerhin ist ja die Sängerin und Autorin der meisten Stücke dabei, was sie von den Specials oder Pink Floyd unterscheidet). Aber viele der jüngeren Leute werden sich einfach nicht an die Breeders erinnern können, schließlich waren sie ja noch in der Grundschule, als diese Band das letzte mal auf Tour war. Dennoch gute Stimmung im Publikum, auch bei den neuen Songs und den Amps-Songs. Es gibt natürlich auch Leute wie das Mädchen, die sich zunächst unauffällig verhielt, zu Cannonball völlig ausrastete und danach ging (die hätte bei Radiohead nicht viel Spaß, die haben ja ihren einzigen Hit Creep nicht mehr im Live-Programm). Die Deal-Schwestern sind zwar wie in alten Zeiten leicht chaotisch, die von manchen Korrespondenten überlieferten Stories über Auftritte im Delirium entsprechen aber zumindest heute nicht der Wirklichkeit. Auffällig lediglich, dass Kelley die Gitarrenarbeit weitgehend Richard und Kim überlässt. Kann man Gitarrespielen auch verlernen?

Mir hat ja das aktuelle Garbage-Album ausgesprochen gut gefallen, nur werde ich den Eindruck nicht los, dass ich mit dieser Meinung allein dasteh. Garbage müssen zwar nicht gerade vor leerem Feld spielen, so recht springt der Funke aber nicht über, obwohl sie auch live keineswegs schlechter spielen als früher. Überhaupt, "früher": Kaum zu glauben, dass ihre ersten Erfolge gerade mal sechs Jahre her sind. Ich komme mir vor wie bei einem Konzert der Searchers oder Herman's Hermits, bei dem ich den jungen Leuten erklären möchte, "früher waren die mal ganz berühmt, so wie die Sportfreunde Stiller heute". Das Konzert endet zugabenlos fast zehn Minuten überpünktlich.

22.00 New Order müssen vor einem massenhaft dovonrennendem Publikum spielen. Was nicht daran liegt, dass sie so schrecklich wären. Aber morgen ist ein harter Tag und die meisten Besucher haben eine weiten Weg heim. Vielleicht solle man nächstes Jahr für den Sonntagnacht-Termin irgend eine Scheiß-Band buchen (hallo Nickelback, Tool etc., habt Ihr Zeit?). Obwohl, die würden beim Hurricane ja dann zum Samstags-Top-Termin spielen. Mir doch egal.
 
Text und Fotos: Pablo Pardo
T-Shirt-Liste: PK
Anm. zu den Fotos: Die sind natürlich eigentlich technisch perfekt, wurden aber mit einem sauteuren Bildbearbeitungsprogramm verfremdet, um herkömmlichen Sehgewohnheiten entgegenzuwirken.
 
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