Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post Mai 2012. Bearbeitungsstand: 15.4.2012 |
Lage der Meridian-Strecken im Bahnnetz
Früher war es einfach: Es gab die große Deutsche Bundesbahn, und einige wenige kleinere Nichtbundeseigene Bahnen (NE-Bahnen). Letztere betrieben Nebenbahnen, die oft nur an einem Bahnhof Kontakt zum restlichen Bahnnetz hatten. Aber auch damals gab es, wie vom Allgemeinen Eisenbahngesetz gefordert, durchgehende Fahrscheine zwischen der Deutschen Bundesbahn und anderen Eisenbahnen: man nahm jeweils die Tarif-Kilometer der jeweiligen Bahngesellschaft und addierte die daraus errechneten Fahrpreise. Diese Tarifberechnung für sogenannte Anstoßverkehre war aus Sicht des Fahrgasts meist angemessen. Er musste sich nicht darum kümmern, wem die Züge gehörten, die er benutzte. Wenn es für die Reise mit dem Fernverkehr ein Sonderangebot gab, fiel es praktisch nicht ins Gewicht, dass die Ermäßigung beim kleinen NE-Anteil nicht galt. Die oben geschilderte Bahnwelt existiert heute nicht mehr. Große Teile des DB-Netzes werden von anderen Bahnen befahren. Häufig nutzen DB- und NE-Züge dieselben Gleise. Der Tarif für Anstoßverkehre hat sich jedoch in die heutige, etwas kompliziertere Bahnwelt hinübergerettet. Das wäre nicht so schlimm, wenn man ihn nur dort anwenden würde, wo es angemessen ist: auf eher kurzen Stichstrecken, die möglichst nur an einer Stelle ans restliche Bahnnetz "anstoßen". Wegen der auch dann noch vorhandenen kleinen Nachteile bezeichnet der Tarifverband der Bundeseigenen und Nichtbundeseigenen Eisenbahnen (TBNE) die Anstoßtarifierung allerdings als "Auslaufmodell".[1] Insbesondere in Bayern sieht man die Dinge etwas gelassener und erlaubt den Bahnunternehmen den für sie einfachen Anstoßtarif auch dort anzuwenden, wo er alles andere als sinnvoll ist und das Leben der Fahrgäste unnötig erschwert. Bereits 2007 hatte PRO BAHN auf die daraus resultierenden Probleme im Bahntarif zwischen München und Holzkirchen in aller Deutlichkeit hingewiesen.[3] Obwohl die Inkonsistenzen und die für die Fahrgäste entstehenden Probleme ausführlich dargelegt wurden, sah sich bis heute niemand in der Lage, für Abhilfe zu sorgen. Bei den beteiligten Unternehmen und im Bayerischen Verkehrsministerium ist man damit zufrieden, die Probleme beim schwächsten Glied der Kette – den Fahrgästen – abzuladen. Dieses Prinzip versucht man jetzt in noch größerem Maßstab umzusetzen. Bei dem an Veolia vergebenen E-Netz Rosenheim – vom künftigen Betreiber "Meridian" getauft – ist es bis heute nicht gelungen, eine Tarifkooperation abzuschließen. Mit einer solchen Kooperation, wie sie beispielsweise bei der Bayerischen Regiobahn (BRB) oder den bei Alex-Zügen besteht, würden zumindest die gravierendsten Probleme im Übergang zwischen zwei oder mehr Bahnunternehmen entfallen. In Briefen[12] an Ministerpräsident Seehofer und Verkehrsminister Zeil hat PRO BAHN im März die drei wichtigsten Konfliktpunkte benannt, die sich aus der Behandlung eines großen Netzes wie Meridian als Anstoßverkehr ergeben:
In einer im April versandten Pressemitteilung[13] machte PRO BAHN nochmals deutlich, dass Bayern zum Schlusslicht bei den Bahntarifen wird, wenn es erlaubt, dass sich die Bahnunternehmen den Tarif nach ihren Präferenzen aussuchen können, statt die Interessen der Fahrgäste in den Vordergrund zu stellen. Es sollte inzwischen jeder der Beteiligten gelernt haben, dass ein einfaches und transparentes Tarifsystem, das für alle Verkehrsunternehmen gemeinsam gilt, einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für den Öffentlichen Verkehr ist. Veolia ist durch den Gewinn der Ausschreibung in einer Zwickmühle: Entweder man lässt sich auf eine finanziell ungünstige Tarif- und Vertriebskooperation mit der DB ein, oder man fährt nach Anstoßtarif mit all seinen Problemen. Diese Randbedingungen waren aber bei der Ausschreibung bekannt. Ebenso war klar, dass das Meridian-Netz keine einfache "Anstoßstrecke" ist, sondern ein mit mehreren anderen Bahnunternehmen verwobenes Netz. Angesichts dessen kommt der Verdacht auf, dass sowohl die ausschreibende Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG) als auch die beteiligten Unternehmen darauf gehofft haben, die Probleme würden von der Öffentlichkeit gar nicht oder zu spät bemerkt. Die Ursachen für die Misere liegen im Kern auf der politischen Seite. Man kann nicht hingehen und versuchen, Bahnleistungen billig einzukaufen, indem man in einer Ausschreibung den Bewerbern erlaubt, Angebote auf der Basis fahrgastunfreundlicher Regelungen abzugeben. Problemfreie durchgehende Bahntarife müssen Grundvoraussetzung des Wettbewerbs im Regionalverkehr sein – auch wenn die Ausschreibungen dadurch vielleicht etwas teurer werden. Warum sich ausgerechnet Bayern in dieser Frage hinter die anderen Bundesländer zurückfallen lässt, konnte bisher von Politik oder BEG nicht erklärt werden. Aus Sicht von PRO BAHN ist es äußerst unerfreulich, dass die DB AG Bedingungen für eine Tarif- und Vertriebskooperation quasi diktieren kann. Der Freistaat Bayern muss auch auf Bundesebene in dieser Frage die Initiative ergreifen und eine klare Position beziehen. PRO BAHN fordert seit langem, dass neben dem Schienennetz auch die Herrschaft über Fahrscheintarif und Fahrscheinvertrieb aus dem DB-Konzern ausgelagert wird. In Bayern stehen Politik und Unternehmen nun zunächst in der Verantwortung, den für die Fahrgäste besten Tarif umzusetzen. Mittelfristig müssen die den Wettbewerb behindernden Randbedingungen von der Politik geändert werden. Stattdessen zu versuchen, die Probleme auszusitzen und sie einmal mehr auf die Fahrgäste abzuschieben, ist keine Verkehrspolitik sondern Nichtstun. Edmund Lauterbach |
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[1] | TBNE zur Tarifanwendung:
Anstoßtarifierung als "Auslaufmodell"
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[2] | Informationen bei tbne.de:
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[3] | PRO BAHN zu Tarifproblemen zwischen München und
Holzkirchen / 2007
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[4] | Eine neue Wissenschaft – Holzkirchen ist nur die Spitze des
Eisbergs
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[5] | Die neue Wissenschaft: Fahrscheinkauf
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[6] | Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger des SPNV (BAG-SPNV):
Diskriminierungspotenziale durch Tarif und Vertrieb im SPNV
beseitigen! / 18.12.2007
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[7] | Deutscher Bundestag / Antwort auf Anfrage Bündnis 90/Die Grünen:
Marktzugangsprobleme durch Tarif und Vertrieb der Deutschen Bahn AG
/ 3.1.2008
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[8] | Vortrag TBNE auf dem 6. Bayerischen Nahverkehrskongress:
Wer blickt da noch durch? Tarif und Vertrieb – die neuen Schranken im Nahverkehr? / 24.3.2010
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[9] | Vortrag Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen bei der Konferenz
der Bundesnetzagentur und des Verbraucherzentrale Bundesverband
"Bahn frei für Verbraucher: Wettbewerb im Schienenverkehr":
Fahrkartenvertrieb – jeder für sich oder einer für alle? / 27.9.2011
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[10] | Broschüre der Bayerischen Oberlandbahn:
"Der Meridian" / Mai 2011
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[11] | Veolia Verkehr:
Präsentation zu Meridian / 31.5.2011
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[12] | Brief von PRO BAHN an Ministerpräsident Seehofer:
Wettbewerbsprojekte im SPNV, Tarifgestaltung beim
"Meridian" / 10.3.2012
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[13] | Pressemitteilung von PRO BAHN:
Bayern wird zum Schlusslicht bei den Bahntarifen
/ 11.4.2012
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[14] | Webseiten www.der-meridian.de
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[15] | Bahnland-Bayern-News 2/2012 mit sechs Seiten zu Tarifthemen,
Meridian-Tarif als Aufhänger im Editorial und einem Interview mit TBNE-Chef
Rössner
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