Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post Oktober 2012.
Bearbeitungsstand: 21.8.2012

 
 

 


Datentransparenz als Schritt zu mehr Pünktlichkeit
Pünktliche Fahrgäste statt verspäteter Züge

Was die Transparenz angeht, gab es bei der Deutschen Bahn in der Vergangenheit einiges Auf und Ab. Unter einem DB-Chef Ludewig wurden in großen Bahnhöfen Tafeln mit aktuellen Pünktlichkeitswerten installiert. Sein Nachfolger Mehdorn ließ diese Tafeln sofort wieder abbauen.

Im September 2011 erfolgte ein neuer Transparenzschub: die DB veröffentlicht seitdem eine Pünktlichkeitsstatistik im Internet. Seit Anfang des Jahres kann man sich entsprechende Daten auch für die Verkehrsbetriebe von DB Regio Bayern anschauen. Einige der Zahlen und die allgemeine Tendenz kann man dem nachfolgenden Diagramm entnehmen. Die Grafik beschränkt sich für Bayern auf die S-Bahn München, da die Aufteilung auf Verkehrsverträge für den Fahrgast nur eine geringe Aussagekraft hat. Zusätzlich werden zum Vergleich die Werte für Österreich dargestellt.

Pünktlichkeitsstatistik
Anteil der Züge mit weniger als sechs Minuten Verspätung

Anzumerken sind aber einige Einschränkungen in der Aussagekraft dieser von der DB geführten Statistik. Auffallend ist natürlich die Grenze, ab wann Verspätungen überhaupt erst gezählt werden. Während in den Vorjahren oft davon die Rede waren, dass Züge als verspätet gelten, wenn sie fünf Minuten hinter den Fahrplanzeiten liegen, tauchte bei der Veröffentlichung der Pünktlichkeitsstatistik dann ein Wert von 5:59 Minuten auf. Das heißt, alle Züge, die weniger als sechs Minuten Verspätung haben, gelten als pünktlich.

Beispielsweise für Pendler, die in Ballungsräumen unterwegs sind, geht damit die Aussagekraft der DB-Statistik gegen Null, da dort Anschlüsse meist schon bei sehr wenigen Verspätungsminuten verloren gehen.

Die DB gibt zwar an, bei S-Bahn-Systemen auch Verspätungen bis 3:59 Minuten und bis 5:59 Minuten getrennt zu erfassen. Ob und wie diese Werte in die veröffentlichte Statistik eingehen, bleibt aber unklar.

Besser gelöst hat die DB die Frage der Messpunkte. Nach eigenen Angaben werden nicht nur die Endpunkte oder bestimmte Bahnhöfe im Netz berücksichtigt, sondern alle Unterwegshalte einer Zugfahrt. Hierbei profitiert die DB von Informationssystemen, die in der Vergangenheit aufgebaut wurden, um sowohl den Betrieb als auch die Fahrgäste mit aktuellen Daten zu versorgen.

Ein eher bitteres Thema sind dagegen Zugausfälle. Zahlen hierzu sind weder in der Statistik abgebildet, noch sonst irgendwo öffentlich zugänglich. Natürlich hat die DB Recht, wenn sie sagt, dass man Zugausfälle und Verspätungen nicht ohne weiteres in ein gemeinsames statistisches Modell packen kann. Was hindert aber den Bahnkonzern, neben den Verspätungsdaten ebenso eine Tabelle zu veröffentlichen, die getrennt nach Fern- und Nahverkehr die Zahlen der Zug- und Haltausfälle pro Monat enthält?

Gerade bei den Haltausfällen ist auch eine Prozentangabe interessant, wobei ein Zugausfall natürlich als Ausfall aller Halte gewertet werden muss. Wie exakt man Daten bekanntgeben kann, zeigte kürzlich die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zur S-Bahn Berlin.

Dass die DB ihre Werte eher summarisch veröffentlicht, deutet darauf hin, dass man die Deutungshoheit möglichst weitgehend im Konzern belassen möchte. Es ist halt nicht Stil der DB, zuzulassen, dass beispielsweise Aufgabenträger oder gar ein Fahrgastverband solche Daten zur Ursachenanalyse nutzen, und dann auch noch Verbesserungen anregen könnten.

Ebenso wie Zugausfälle sollte man auch versuchen, die Anschlussproblematik in einer eigenen Statistik zu erfassen. Beginnend mit dem IC/EC/ICE-System kann man ermitteln, wie viele der in Fahrplänen und dem DB-Auskunftsystem vorgesehenen Anschlüsse im Laufe eines Monats nicht eingehalten werden. Auch hierbei kann eine prozentuale Angabe hilfreich sein.

Eine solche Statistik kann man in zwei Richtungen weiter entwickeln: Zum einen wird es mit dem Fortschritt bei den Erfassungssystemen möglich sein, dieses System auf andere Zuggattungen auszudehnen. Die Situation im Nahverkehr gebietet es, auch Züge einzubeziehen, die nicht von der DB betrieben werden – bei diesem Thema stehen die Aufgabenträger in der Verantwortung.

Zum anderen ist es möglich, Anschlussverluste dadurch zu bewerten, wie groß die entstehende Wartezeit auf die nächste Verbindung in Richtung auf das Reiseziel ist. Hierbei kann es natürlich schnell komplex werden, so dass man nicht mit exakten Messwerten, sondern mit statistisch ermittelten Zahlen arbeiten muss. Der DB ist es unzweifelhaft möglich, solche Werte zu ermitteln.

Führt man den Gedankengang weiter, so kommt man unweigerlich zur Erkenntnis, dass nicht der Anteil der verspäteten oder pünktlichen Züge der entscheidende Parameter ist, sondern dass es doch eigentlich um die Pünktlichkeit der Reisenden gehen sollte.

Die Mehrzahl der Bahnkunden ist zu Zeiten unterwegs, in denen die Verspätungsanfälligkeit der Züge überdurchschnittlich hoch ist. Allein dadurch ist der Anteil der Menschen, die sechs oder mehr Minuten verspätet ankommen, immer größer als die Prozentzahlen verspäteter Zügen.

Dieser Effekt erklärt, warum die Pünktlichkeitszahlen der DB so stark von der gefühlten Unpünktlichkeit der Fahrgäste abweichen. Die öffentliche Meinung wird von der Unpünktlichkeit der Bahnkunden geprägt, und die DB liegt daher etwas neben dem Thema, wenn sie die Pünktlichkeit der Züge dagegen hält.

Man kann natürlich nicht die Pünktlichkeit eines jeden Reisenden in solch eine Statistik aufnehmen. Aber die DB besitzt ausreichend viele Daten über die Auslastung ihrer Züge, um Zugverspätungen, Ausfälle und Anschlussverluste mit Hilfe solcher Zahlen gewichten zu können. Diese Gewichte müssen möglichst abhängig von Streckenabschnitten, Jahreszeit, Wochentagen und Tageszeit gebildet werden – es gibt einige Möglichkeiten, ein solches statistisches Verfahren entsprechend zu verfeinern. Die Schweizer Bundesbahnen (SBB) ermitteln bereits heute den "Anteil der mit weniger als drei Minuten Verspätung angekommenen Reisenden", die "in der Bahnproduktion verursachten Reisendenverspätungsminuten" und die "vermittelten Zuganschlüsse".

Der letzte und eigentlich wichtigste Vorschlag zur Pünktlichkeitsstatistik richtet sich nicht an die DB oder ein anderes Unternehmen, sondern an die Politik. Aus dem Vorstehenden wird klar, dass man sich für aussagekräftige Daten nicht auf ein EVU beschränken kann. In Wettbewerbsfragen dienen Unternehmensdaten natürlich der Darstellung der eigenen Leistungsfähigkeit. Der Fahrgast ist aber in einem gemeinsamen System "Öffentlicher Verkehr" unterwegs. Daher muss die Forderung sein, dass die Erhebung und Veröffentlichung von Qualitätsparametern wie Pünktlichkeitswerten unternehmensübergreifend geschieht. Ähnliches fordert PRO BAHN seit langem für Bereiche wie Tarif, Vertrieb, Fahrplanerstellung und Fahrgastinformation.

Die Pünktlichkeitsstatistik ist ein Werkzeug, das man verbessern sollte. Übergeordnetes Ziel ist aber natürlich, die Pünktlichkeit selber zu verbessern. Dabei darf nicht die betriebliche Sicht im Vordergrund stehen, sondern man muss kundenorientiert die Probleme der Fahrgäste lösen. Die Pünktlichkeit von Zügen ist hierbei nur ein Mittel zum Zweck. Um den Fahrgast pünktlich an sein Ziel zu bringen, muss die gesamte Reisekette inklusive Anschlüsse und Wege zum und vom Bahnhof betrachtet werden. Nur eine ehrliche und umfassende Betrachtung der Verspätungen hilft dabei, Ursachen zu ermitteln und an den richtigen Stellen Korrekturen vorzunehmen.

Edmund Lauterbach
 

Quellen und weiterführende Verweise:


PDF-Version dieses Artikels (mit Pünktlichkeitsdaten bis Januar 2013)


Pünktlichkeit Deutsche Bahn und Östereichische Bundesbahnen bis September 2013 (Grafik als PDF)

Pünktlichkeit S-Bahnen Nürnberg, Stuttgart, München bis September 2013 (Grafik als PDF)


Pünktlichkeit Deutsche Bahn und Östereichische Bundesbahnen von Januar 2013 bis Juni 2014 (Grafik als PDF)

Pünktlichkeit S-Bahnen Nürnberg, Stuttgart, München von Januar 2013 bis Juni 2014 (Grafik als PDF)


Vergleich der Pünktlichkeit des DB-Fernverkehrs 2012, 2013 und 2014 (Grafik als PDF)

Vergleich der Pünktlichkeit des DB-Regionalverkehrs 2012, 2013 und 2014 (Grafik als PDF)

Vergleich der Pünktlichkeit der S-Bahn München 2012, 2013 und 2014 (Grafik als PDF)

Anmerkungen zu den drei Vergleichsdiagrammen:
1. Der Wert für DB-Regio vom November 2012 ist wahrscheinlich ein Fehler der DB-Statistik. Nachfrage bei der DB im Dezember 2012 brachte keine Klärung, da mit Textbausteinen geantwortet wurde, die mit der Frage wenig zu tun hatten.
2. Bei der S-Bahn München sind die sogenannten Störfallprogramme immer drastischer und häufiger geworden. Dies führt zu zahlreichen Zug- und Haltausfällen, die die DB-Statistik nicht berücksichtigt, die aber für die Fahrgäste stärkere Auswirkungen als Verspätungen haben. Daher ist die Pünktlichkeitsstatistik der S-Bahn München spätestens ab 2014 als Aussage zur Angebotsqualität nicht mehr brauchbar.

 


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